L 3 AL 4023/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AL 141/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 4023/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20. August 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Insolvenzgeld streitig.

Der 1959 geborene Kläger nahm am 01.09.2010 eine bis zum 01.09.2011 befristete Beschäftigung bei der Firma M., Inhaber (J.), auf. Nachdem kein Arbeitsentgelt gezahlt worden war und der Kläger gegen seinen Arbeitgeber Zahlungsklage zum Arbeitsgericht Freiburg erhoben hatte, kündigte dieser das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 28.02.2011. In dem am 21.03.2011 vor dem Arbeitsgericht Freiburg (6 Ca 26/11) geschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Arbeitgeber, dem Kläger die Vergütung für die Monate September 2010 bis Februar 2011 zu zahlen. Im Übrigen erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt.

Mit Beschluss vom 13.04.2011 bestellte das Amtsgericht Offenburg (Az: 30 IN 38/11) in dem Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des J. Rechtsanwalt S. zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Mit Schreiben vom 18.04.2011 teilte dieser dem Kläger mit, dass er als vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen des J. bestellt sei.

Mit Schreiben vom 27.04.2011 teilte der Bevollmächtigte des Klägers im arbeitsgerichtlichen Verfahren, Rechtsanwalt K. (RA K.), dem Kläger u.a. mit, im Hinblick auf das Insolvenzverfahren sei ergänzend mitzuteilen, dass er sich an den Insolvenzverwalter wenden und ihm seine mittlerweile durch den abgeschlossenen Vergleich rechtskräftig titulierte Forderung mitteilen möge. Ferner sei ihm anzuraten, Insolvenzgeld zu beantragen. Entsprechende Anträge könnten "beim zuständigen Arbeitsamt" gestellt werden.

Am 01.06.2011 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet.

Am 22.06.2011 meldete RA K. die Forderung des Klägers im Insolvenzverfahren an und übersandte mit weiterem Schreiben vom 06.07.2011 eine korrigierte Forderungsaufstellung an den Insolvenzverwalter.

Mit Schreiben vom 16.08.2011 übersandte RA K. ein von ihm an den Insolvenzverwalter gerichtetes Schreiben vom gleichen Tag, in welchem um Prüfung der geltend gemachten Forderung gebeten wurde, an den Kläger zur Kenntnis. Der Insolvenzverwalter teilte RA K. mit Schreiben vom 17.08.2011 daraufhin mit, der Kläger habe Anspruch auf Insolvenzgeld für das rückständige Arbeitsentgelt der letzten drei Monate, dieses müsse beim zuständigen Arbeitsamt innerhalb von zwei Monaten seit Verfahrenseröffung beantragt werden. RA K. übersandte dieses Schriftstück mit Schreiben vom 19.08.2011 an den Kläger "zur Kenntnisnahme und zum Verbleib".

Am 06.09.2011 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf Insolvenzgeld. Hierbei gab er an, sein Arbeitsverhältnis sei durch Kündigung des Arbeitgebers zum 28.02.2011 beendet worden. Er habe durch das Schreiben von RA K. vom 19.08.2011 von dem Insolvenzereignis Kenntnis erlangt.

Mit Bescheid vom 20.09.2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, der Antrag sei nicht innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Monaten gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gestellt worden. Zur Begründung des hiergegen am 24.10.2011 erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, RA K., der ihn in der Arbeitsrechtssache gegen den Insolvenzschuldner vertreten habe, habe ihn nicht ordnungsgemäß über die Frist von 2 Monaten für die Beantragung von Insolvenzgeld aufgeklärt. Dieser hätte zudem im Rahmen des ihm erteilten Mandats dafür sorgen müssen, dass der Antrag auf Bewilligung von Insolvenzgeld fristgerecht eingereicht werde. Er habe deshalb die Versäumung der Antragsfrist nicht zu vertreten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.12.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Antrag sei außerhalb der Ausschlussfrist gestellt. Eine Nachfrist könne nicht eingeräumt werden, da der Kläger die Versäumung der zweimonatigen Ausschlussfrist zu vertreten habe. Er müsse sich auch das Verschulden seines Bevollmächtigten zurechnen lassen.

Hiergegen hat der Kläger am 09.01.2012 Klage zum SG erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, er sei der Auffassung, dass sein damaliger Bevollmächtigter allgemein mit der Verfolgung der Ansprüche beauftragt gewesen sei. Dieser vertrete demgegenüber die Auffassung, dass ihm kein Auftrag erteilt worden sei, Insolvenzgeld zu beantragen. Der Kläger hat hierzu ein Schreiben von RA K. vom 19.09.2011 an seinen jetzigen Bevollmächtigten vorgelegt. Darin wird ausgeführt, im April 2011 habe ihm der Kläger mitgeteilt, dass über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, er - der Kläger - sei vom Insolvenzverwalter bereits dahingehend informiert worden, dass er ggf. beim Arbeitsamt Insolvenzgeld beantragen könne. Entsprechendes sei dem Kläger nochmals mit Schreiben vom 27.04.2011 mitgeteilt worden. Dieser habe sich danach noch mehrmals fernmündlich und persönlich gemeldet und u.a. geäußert, er wolle das Geld nicht vom Staat, sondern von Herrn L. Ein Auftrag, Insolvenzgeld zu beantragen, sei ihm nicht erteilt worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe nicht innerhalb der zweimonatigen Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III den Antrag auf Insolvenzgeld gestellt. Auch die Gewährung einer Nachfrist komme nicht in Betracht. Der Auftrag des Klägers an RA K. habe sich nicht auf die Verfolgung seiner arbeitsrechtlichen Ansprüchen beschränkt. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass der frühere Bevollmächtigte des Klägers dessen Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet sowie eine korrigierte Forderungsaufstellung an den Insolvenzverwalter übersandt habe. Neben dem objektiven Anschein habe auch der entsprechende Wille des Klägers vorgelegen, seinen früheren Bevollmächtigten mit der Verfolgung seiner Ansprüche im Insolvenzverfahren zu beauftragen. Das Verschulden seines früheren Bevollmächtigten müsse sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) anrechnen lassen.

Gegen den am 23.08.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am Montag, den 24.09.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er in dem gegen den ablehnenden PKH-Beschluss geführten Beschwerdeverfahren vorgetragen, er habe sich nach Erhalt des Schreibens seines früheren Bevollmächtigten vom 27.04.2011 mit diesem in Verbindung gesetzt und diesem den Auftrag erteilt, die notwendigen Schritte im Hinblick auf das Insolvenzverfahren in die Wege zu leiten. Insbesondere weil dieser auch die im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltend gemachten Vergütungsansprüche gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht habe, sei er davon ausgegangen, dass die notwendigen Schritte in Bezug auf das Insolvenz- bzw. Insolvenzgeldverfahren eingeleitet würden. Eine entsprechende Beauftragung werde vom früheren Bevollmächtigten jedoch bestritten. Es sei deshalb noch nicht hinreichend geklärt, ob diesen ein Verschulden an der Fristversäumnis treffe. Auch sei bisher noch nicht umfassend genug geprüft worden, ob der frühere Bevollmächtigte die Versäumung der Antragsfrist zu vertreten habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20. August 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Dezember 2011 zu verpflichten, ihm Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. Dezember 2010 bis 28. Februar 2011 dem Grunde nach zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die am letzten Tag der Berufungsfrist (§ 64 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung ist zulässig. Insbesondere ist es auch gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässig, dass lediglich Leistungen dem Grunde nach begehrt werden, da die Entscheidung über die Gewährung von Insolvenzgeld eine gebundene Entscheidung ohne Ermessen der Beklagten darstellt. Allerdings muss der Beginn der Leistung bzw. der Leistungszeitraum bestimmt werden (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 10. Aufl. § 130 Rn. 3a). Der klägerische Antrag war insoweit sachdienlich zu fassen.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zutreffend wegen Versäumung der Antragsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III abgewiesen.

Gem. § 324 Abs. 3 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung (a.F.) ist Insolvenzgeld abweichend von Absatz 1 Satz 1 innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Anspruche bemüht hat.

Maßgebliches Insolvenzereignis war die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des früheren Arbeitgebers des Klägers am 01.06.2011. Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F. haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Die Ausschlußfrist begann damit am 02.06.2011 und endete am 01.08.2011. Innerhalb dieser Frist hat der Kläger keinen Insolvenzgeldantrag gestellt, sondern vielmehr erst am 08.09.2011.

Es liegen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger die Fristversäumnis nicht zu vertreten hat und dass ihm deshalb die Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III zu gewähren ist. Hat danach der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird.

Dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger seinen früheren Bevollmächtigten über die Geltendmachung von Entgeltforderungen gegen seinen früheren Arbeitgeber hinaus auch mit der Beantragung von Insolvenzgeld beauftragt hat. Wird dies bejaht, wovon das SG in der angefochtenen Entscheidung ausgegangen ist, so ist das Verschulden von RA K. dem Kläger gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (Stratmann in: Niesel/Brand, SGB III, § 324 Rn. 25). Danach steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Ein Verschulden von RA K. lag insoweit auch vor, da er von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Fristgebundenheit des Antrags Kenntnis hatte.

Wenn die Beauftragung des früheren Bevollmächtigten dagegen nicht die Beantragung von Insolvenzgeld umfasst hat, ist die Fristversäumnis vom Kläger selbst zu vertreten. Maßgeblich ist insoweit nämlich allein, dass der Kläger spätestens aufgrund des Schreibens seines früheren Bevollmächtigten vom 27.04.2011 Kenntnis vom Insolvenzverfahren über das Vermögen seines früheren Arbeitgebers hatte und wusste, dass entsprechende Anträge bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu stellen sind. Denn mit diesem Schreiben hatte RA K. dem Kläger im Hinblick auf das Insolvenzverfahren mitgeteilt, er möge sich an den Insolvenzverwalter wenden, um ihm seine Forderung mitteilen. Ferner sei ihm anzuraten, Insolvenzgeld zu beantragen. Entsprechende Anträge könnten beim für den Kläger zuständigen Arbeitsamt gestellt werden. Unbeachtlich ist, dass in diesem Schreiben nicht zugleich auf die Ausschlußfrist des § 324 Abs. 3 SGB III hingewiesen worden ist. Denn gem. § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III a.F. hat der Arbeitnehmer die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat. Insbesondere ausgeschiedene Arbeitnehmer müssen sich zügig um die Durchsetzung ihrer rückständigen Ansprüche bemühen, da Zurückhaltung bei der Geltendmachung den Arbeitsplatz nicht mehr sichern kann (Stratmann, a.a.O., § 324 Rn. 23). Da das Arbeitsverhältnis des Klägers bereits zum 28.02.2011 beendet war und er aufgrund des Schreibens von RA K. vom 27.04.2011 Kenntnis vom Insolvenzverfahren über das Vermögen seines früheren Arbeitgebers hatte, ist eine Geltendmachung erst am 06.09.2011 nicht mit der geforderten Sorgfalt erfolgt.

Darauf, ob der frühere Bevollmächtigte auch zur Stellung des Insolvenzgeldantrags beauftragt war, käme es mithin nur dann an, wenn der Kläger innerhalb der Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III keine Kenntnis vom Insolvenzereignis gehabt hätte. Denn die Nachfrist beginnt, sobald der Arbeitnehmer bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt Kenntnis von dem Insolvenzereignis hätte haben können. Bloße Rechtsunkenntnis genügt nicht (Leitherer in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 324 Rn. 52 m.w.N.). Der Kläger hat zwar im Antrag auf Insolvenzgeld angegeben, erstmals durch das Schreiben seines früheren Bevollmächtigten vom 19.08.2011 Kenntnis vom Insolvenzereignis erlangt zu haben. Wäre dies zutreffend, so würde bereits dies gegen eine vorherige Beauftragung des Bevollmächtigten mit der Verfolgung bzw. Geltendmachung von Insolvenzgeldansprüchen sprechen, da der Kläger - sein Vortrag als wahr unterstellt - zuvor keine Kenntnis von der Insolvenz seines früheren Arbeitgebers gehabt hatte. Wie ausgeführt war der Kläger jedoch bereits durch das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 18.04.2011 über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens informiert worden. Spätestens aufgrund des Schreibens seines früheren Bevollmächtigten vom 27.04.2011 wusste der Kläger von der Insolvenz seines früheren Arbeitgebers. Spätestens nach Erhalt dieses Schreibens durfte der Kläger nicht mehr davon ausgehen, dass sein früherer Bevollmächtigter mit der Verfolgung seiner Insolvenzgeldansprüche betraut sei. Dagegen vermag allein ein Irrtum über den Umfang einer Bevollmächtigung, wie ihn der Kläger vorträgt, die Gewährung einer Nachfrist nicht zu begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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