L 3 SB 771/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 2907/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 771/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Januar 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin streitig.

Mit Bescheid vom 13.08.1997 stellte das Versorgungsamt Karlsruhe bei der 1958 geborenen türkischen Klägerin, die im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung ist, einen GdB von 30 seit 01.01.1997 fest. Hierbei bewertete es eine chronische Hepatitis C mit einem GdB von 30.

Auf den Erhöhungsantrag der Klägerin vom 30.11.2007 zog das Landratsamt Rastatt - Versorgungsamt - medizinische Unterlagen bei, u.a. der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B ... Den von ihr vorgelegten Behandlungsdaten kann entnommen werden, dass die am 15.02.2008 ermittelten Leberwerte im Normalbereich lagen und auch nach Sonographie der Leber am 19.02.2008 kein fassbarer pathologischer Befund vorlag. Als Funktionsbeeinträchtigungen nannte Dr. Z. in der gutachterlichen Stellungnahme vom 23.05.2008 eine chronische Leberentzündung (Hepatitis) (Teil-GdB 30), eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20) und eine Funktionsbehinderung des rechten Hüftgelenks mit Beinverkürzung rechts (Teil-GdB 20). Mit Bescheid vom 29.05.2008 stellte das Versorgungsamt den GdB der Klägerin mit 40 seit 30.11.2007 fest. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2008 zurück.

Am 12.10.2009 stellte die Klägerin einen weiteren Erhöhungsantrag. In Auswertung der beigezogenen medizinischen Unterlagen, auf die Bezug genommen wird, stellte Dr. F. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 16.01.2010 über die bereits berücksichtigten Funktionsbeeinträchtigungen hinaus eine Schwerhörigkeit fest, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sei, den Gesamt-GdB jedoch nicht erhöhe. Mit Bescheid vom 26.01.2010 lehnte das Landratsamt Rastatt - Versorgungsamt - den Antrag ab. Nachdem die Klägerin hiergegen Widerspruch eingelegt hatte, zog der Beklagte Entlassungsberichte über Rehabilitationsmaßnahmen der Klägerin in der Reha-Klinik Hausbaden vom 07.05.2008 und der Klinik A. vom 18.08.2010 bei. Im Entlassungsbericht der Reha-Klinik Hausbaden über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 08.04.2008 bis 03.05.2008 werden folgende Diagnosen genannt:

- Status nach Morbus Perthes rechts, Status nach Umstellungsosteotomie proximaler Femur rechts vor mehr als 30 Jahren, - Coxarthrose Grad II - III rechts, - chronisch-rezidivierende Lumbalgien bei Hyperlordose und WS-Fehlstatik, - Schultergürtelmyalgien bei muskulären Dysbalancen, - Belastungsabhängige Gonalgien bei fehlstatikbedingter Überlastung.

Weiter wurde ausgeführt, auf internistisch/hepatologischem Fachgebiet bestehe eine chronische Hepatitis C, aktuell ohne Hinweise auf akute entzündliche Veränderungen, evtl. auch in einem ausgeheilten Stadium. Aus Mangel an klinischer Konsequenz seien diesbezügliche Vorbefunde nicht angefordert worden

Im Entlassungsbericht der Klinik A. über eine stationäre Maßnahme vom 01.07.2010 bis 29.07.2010 werden die Diagnosen mittelgradige depressive Episode, Sozialphobie, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, chronisch-rezidivierendes, generalisiertes Wirbelsäulen-Syndrom sowie chronisch-rezidivierende, belastungsabhängige Gonalgien und Omalgien beidseits sowie Coxarthrose rechts genannt. Die Klägerin sei durchgehend seit dem 07.01.2010 wegen Depressionen arbeitsunfähig geschrieben. Die Klägerin könne ihre bisherige Tätigkeit als Montage-Arbeiterin wegen der damit verbundenen körperlichen Belastungen zwar nicht mehr ausüben. Sie könne jedoch noch Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten. Zur weiteren Therapie wurde eine langfristige Einzel-Psychotherapie sowie sportliche Freizeitaktivitäten empfohlen. Einen therapierenden Effekt hätte auch ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis mit geregeltem Tagesablauf. In ihren alltäglichen körperlichen Aktivitäten sollte die Klägerin ihren Körper vielseitig einsetzen, um mit den Schmerzen besser umzugehen, anstatt ihn zu schonen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 11.01.2011 stellte die Klägerin erneut einen Erhöhungsantrag mit der Begründung, ihre Depression und Sozialphobie hätten sich verschlimmert, außerdem habe sie bei einem Unfall einen Bruch der Schulter links und des Handgelenks rechts erlitten. Der Beklagte zog daraufhin medizinische Unterlagen bei. Im Arztbrief vom 27.09.2010 stellte der Arzt für Chirurgie Dr. M. die Diagnosen einer Fraktur des Tuberkulum majus links und einer distalen Radiusfissur rechts bei Zustand nach alter distaler Fraktur 2001. Die Klägerin müsse für insgesamt 5 Wochen eine Unterarm-Castschiene tragen. Die Schulterverletzung sei mit einem Gilchrist-Verband versorgt. Im Arztbrief vom 08.11.2010 führte Dr. M. aus, nach Krankengymnastik-Übungsbehandlung habe sich die Beweglichkeit deutlich gebessert (Abduktion bis 115°, Anteversion bis 120°). Die Klägerin berichte noch über Beschwerden, die jedoch rückläufig seien. Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, nannte im Arztbrief vom 27.01.2011 die Diagnosen einer Anpassungsstörung sowie eines Karpaltunnelsyndroms beidseits, rechtsbetont. Es bestehe eine Anpassungsstörung mit fehlendem Abschalten-können am Abend und Schlafstörungen. Es werde ein türkischsprachiger Therapeut in der Region gesucht, eine Psychopharmaka-Medikation wünsche die Klägerin nicht.

In der gutachtlichen Stellungnahme vom 02.04.2011 bewertete Dr. Z. die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, die Funktionsbehinderung des rechten Hüftgelenks mit Beinverkürzung rechts, eine seelische Störung sowie eine Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks sowie Mittelnervendruckschädigung rechts (Karpaltunnel-Syndrom) mit einem Teil-GdB von jeweils 20, die Schwerhörigkeit bedinge einen Teil-GdB von 10. Insgesamt betrage der GdB 40.

Hierauf gestützt wies der Beklagte den Antrag auf Neufeststellung des GdB mit Bescheid vom 06.04.2011 ab. Den hiergegen am 13.04.2011 erhobenen Widerspruch, der nicht weiter begründet wurde, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2011 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 07.07.2011 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Schwerhörigkeit sei in ihrer Schwere verkannt worden. Auch die seelischen Störungen seien mit einem höheren GdB zu bewerten. Nicht berücksichtigt worden seien eine chronisch-rezidivierende belastungsabhängige Gonalgie beidseits, die Einschränkungen des rechten Handgelenks sowie die bereits mit einem GdB von 30 anerkannte chronische Leberentzündung (Hepatitis).

Ohne weitere Sachverhaltsermittlung hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 19.01.2012 den Bescheid vom 06.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.06.2011 aufgehoben und einen GdB von 50 seit dem 11.01.2011 festgestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach Erlass des letzten Bescheides vom 29.05.2008 sei eine wesentliche Änderung eingetreten. Hinzugekommen sei die Schwerhörigkeit (Teil-GdB von 10), eine seelische Störung (Teil-GdB 20) sowie eine Funktionsbehinderung der Schulter links mit Karpaltunnel-Syndrom (Teil-GdB 20). Dagegen lasse sich eine wesentliche Besserung von Funktions¬beein-trächtigungen, die dem Bescheid vom 29.05.2008 zugrunde gelegen hätten, nicht belegen. Denn zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides sei die Hepatitis ausgeheilt und die Leber nicht geschädigt gewesen. Nach Sonographie der Leber vom 19.02.2008 habe kein fassbarer pathologischer Befund vorgelegen. Auch die am 15.02.2008 ermittelten Leberwerte hätten im Normalbereich gelegen.

Gegen den am 24.01.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 21.02.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, zum einen sei die Feststellung eines GdB im Urteilstenor nicht zulässig. Darüber hinaus liege auch kein GdB von 50 vor. Der bisherige Teil-GdB von 30 für eine chronische Leberentzündung habe nicht mehr berücksichtigt werden können, da die entsprechende Funktionsbeeinträchtigung nicht mehr vorliege. Bezüglich der Teil-GdB-Werte bestehe auch kein Bestandsschutz. Mit dem angefochtenen Bescheid sei auch keine Herabsetzung des Gesamt-GdB erfolgt.

Im Erörterungstermin vom 13.06.2012 hat die Klägerin den Entlassungsbericht der Klinik A. D. vom 29.05.2012 über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 04.04.2012 bis 14.05.2012 vorgelegt und weiter erklärt, wegen ihrer psychischen Erkrankung stehe sie nur bei Dr. S. in Behandlung, es erfolge nunmehr auch eine medikamentöse Behandlung. Daneben sei sie in Behandlung beim Orthopäden Dr. P. sowie bei Dres. B./B ... Im Entlassungsbericht der Klinik A. werden die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung - gegenwärtig mittelgradige Episode -, einer generalisierten Angststörung, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einer Omarthrose sowie einer Coxarthrose genannt.

Der Senat hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Dr. P. hat in der schriftlichen Zeugenaussage vom 15.06.2012 Behandlungen wegen Schmerzen im Bereich des rechten Vorfußes und im Hüftgelenksbereich genannt. Die Veränderung im Bereich des Hüftgelenks sei dauerhaft und bedinge einen GdB von 20. Im Bereich des rechten Schultergelenks habe eine vorübergehende schmerzhaft eingeschränkte Abduktionsfähigkeit bestanden.

Dr. S. hat in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 18.06.2012 die Diagnose einer Anpassungsstörung genannt. Nach Entlassung aus der Klinik A. habe die Klägerin bei der Vorstellung am 15.05.2012 deutlich besser, entspannter und psychisch gefestigter gewirkt. Zu einem weiteren vereinbarten ausführlichen Gespräch sei sie unentschuldigt nicht erschienen. Es bestehe eine chronifizierte depressive Störung mit generalisierten Ängsten sowie ein Karpaltunnelsyndrom beidseits. Die psychische Störung sei mittelgradig, zeitweise schwergradig, aktuell gebessert.

Dr. B. hat in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 25.06.2012 folgende Diagnosen genannt: Hiatushernie (mittel), LWS-Syndrom (mittel), Depression (schwer), Presbyakusis, Refluxösophagitis (leicht), Coxarthrose rechts (mittel), Osteoporose (mittel), Somatisierungsstörung (schwer), Angststörung (schwer), chronische Schmerzstörung (schwer), Omathrose (mittel), OSG-Arthrose (mittel). Beigefügt war u.a. der Arztbrief der Akura-Klinik Baden-Baden über eine stationäre Behandlung vom 09.11.2011 - 25.11.2011 wegen einer trockenen Nekrose im Endglied D III. Nach Einleitung einer medikamentösen Therapie sei die Nekrose am Endglied D III rechts mit Rötung und Blauverfärbung rückläufig gewesen. Ein embolisches Geschehen habe ausgeschlossen werden können, auch habe sich kein Anhalt für restriktive oder obstruktive Ventilations- und Diffusionskapazitätsstörungen gefunden. Die Abdomensonographie vom 23.11.2011 habe Hinweise auf eine Steatosis hepatis ergeben, ansonsten sei die Leber ohne Befund.

In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12.09.2012 hat Dr. G. ausgeführt, eine GdB-relevante Lebererkrankung bestehe derzeit nicht. Bei trockener Nekrose am Endglied des 3. Fingers rechts sei eine Kollagenose oder eine systemisch-entzündliche Erkrankung bisher nicht belegt. Die dokumentierten Funktionsbefunde ließen für die Funktionsbehinderung der Schultergelenke lediglich einen Teil-GdB von 10 ableiten. Ein solcher sei auch für die Schwerhörigkeit beidseitig anzunehmen. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und die Funktionsbehinderung des rechten Hüftgelenks mit Beinverkürzung rechts bedingten jeweils einen Teil-GdB von 20. Auch die seelische Störung bedinge keinen höheren Teil-GdB als 20. Durch die stationäre Behandlung habe die Angststörung zum großen Teil überwunden werden können, der Antrieb und die geistige Leistungsfähigkeit seien verbessert, auch werde die Entwicklung sozialer Aktivitäten als positiv geschildert. Insgesamt betrage der GdB 40.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Januar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, die seelische Störung sei mit einem Teil-GdB von 20 zu gering bewertet. Diese bedinge vielmehr eine wesentliche Einschränkung ihrer Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden zu Recht die Feststellung eines höheren GdB als 40 abgelehnt.

1. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist bereits insoweit aufzuheben, als in dessen Tenor der GdB festgestellt worden ist. Denn die Feststellung des GdB ist allein durch den Beklagten zulässig. Nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Zulässig ist deshalb allein keine Feststellungs- , sondern eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, mit der die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Verpflichtung zum Erlass des beantragten Verwaltungsaktes begehrt wird (§ 131 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Feststellung eines GdB im Urteilstenor ist nicht zulässig (BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 SB 3/10 R - juris Rn. 20: Zum Nachweis des Status als schwerbehinderter Mensch ist eine behördliche Feststellung erforderlich).

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt.

In den tatsächlichen Verhältnissen ist eine Veränderung eingetreten, wenn im Hinblick auf die für den Erlass des Verwaltungsaktes entscheidungserheblichen tatsächlichen Umstände ein anderer Sachverhalt vorliegt. In Bezug auf medizinische Leistungsvoraussetzungen sind dies insbesondere Verbesserungen oder Verschlimmerungen von Krankheits- , Schädigungs- oder Unfallfolgen (Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 48 Rn. 8 m.w.N.).

Behindert sind Menschen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX dann, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Liegen dabei mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Als schwerbehinderter Mensch ist anzuerkennen, wer die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines GdB von wenigstens 50 erfüllt und seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX hat.

Maßgeblich für die Beurteilung des GdB ist die zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), welche die im Wesentlichen gleichlautenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ersetzt haben.

a) Entgegen dem angefochtenen Gerichtsbescheid ist die Hepatitis bei der Feststellung des GdB nicht mehr zu berücksichtigen, da sie keine Funktionsbeeinträchtigung mehr bedingt. Sie ist, wie auch das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid ausgeführt hat, ausgeheilt, ohne dass eine Leberschädigung vorliegt. Die am 23.11.2011 durchgeführte Abdomensonographie war bis auf Hinweise auf eine Steatosis hepatis bezüglich der Leber ohne Befund. Auch die zuvor am 15.02.2008 erhobenen Leberwerte haben sich im Normalbereich bewegt, ebenso hat die am 19.02.2008 durchgeführte Sonographie keinen fassbaren pathologischen Befund mehr ergeben. Soweit das SG darauf abgestellt hat, dass bereits bei Erlass des Bescheides vom 29.05.2008 keine GdB-relevante Lebererkrankung mehr vorgelegen habe und deshalb bezüglich der Lebererkrankung zwischenzeitlich keine relevante Besserung eingetreten sei, verkennt das SG den rechtlichen Bewertungsmaßstab. Die Ausführungen des SG wären allenfalls im Rahmen eines Entziehungs- bzw. Herabsetzungsverfahrens von Bedeutung. Vorliegend ist jedoch über einen Verschlimmerungsantrag der Klägerin zu entscheiden. Hierbei kommt es allein auf die im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten bzw. im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen an. Allein nach diesen ist der GdB zu bemessen. Denn im Verfügungsteil des den GdB feststellenden Bescheides wird allein das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und der GdB festgestellt. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen sind lediglich in der Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben. In diesem hat die Versorgungsverwaltung darzulegen, welche tatsächlichen Umstände sie insoweit festgestellt und ihrer Entscheidung zugrundegelegt hat (BSG, Urteil vom 24.06.1998 - B 9 SB 17/97 R - juris, ständige Rechtsprechung).

b) Bei der Klägerin besteht eine rezidivierende depressive Störung. Nach Teil B Nr. 3.7 VG bedingen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen einen GdB von 0 - 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 - 40 und schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 - 70. Nach Teil A Nr. 2 f) VG ist Schwankungen im Gesundheitszustand bei längerem Leidensverlauf mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen. In solchen Fällen muss bei der GdB-Beurteilung von dem "durchschnittlichen" Ausmaß der Beeinträchtigung ausgegangen werden.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die seelische Störung der Klägerin mit einem GdB von 20 zutreffend bewertet. Bei der stationären Behandlung in der Klinik A. vom 04.04.2012 - 14.05.2012 war die depressive Störung nur mittelgradig ausgeprägt. Dort hatte die Klägerin angegeben, die seit 2010 durchgeführte ambulante psychiatrische Behandlung habe zu einer Besserung der gedrückten Stimmung geführt, auch eine zeitweilige medikamentöse antidepressive Behandlung habe sich positiv ausgewirkt. Während des stationären Aufenthalts fanden sich keine Hinweise für Störungen des Sozial- und Krankheitsverhaltens. Es gab lediglich Hinweise auf eine allgemeine Ängstlichkeit in mehreren Lebensbereichen, Zukunftsängste und Sorgen um die Kinder. Bei Aufnahme zeigte die Klägerin ein ängstlich-depressives Zustandsbild. Dieses konnte durch die durchgeführten Therapiemaßnahmen gebessert werden, wobei eine deutliche Entlastung durch die in der Muttersprache geführte Therapiegespräche erzielt werden konnte. Eine wesentliche Besserung nach der stationären Behandlung hat auch Dr. S. bei der Behandlung am 15.05.2012 festgestellt. Hierbei wirkte die Klägerin deutlich besser, entspannter und psychisch gefestigter. Ein vereinbartes, ausführliches Gespräch bei Dr. S. hat die Klägerin unentschuldigt nicht mehr wahrgenommen.

Hiervon umfasst ist auch die Angststörung, bezüglich derer sowohl durch die Behandlung durch Dr. S. als auch durch die stationäre Rehabilitationsmaßnahme eine Besserung eingetreten ist. Der Antrieb und die geistige Leistungsfähigkeit konnten verbessert werden, soziale Aktivitäten und das Kontaktverhalten entwickelten sich positiv.

c) Die Funktionsbehinderung der Schultergelenke und das Karpaltunnelsyndrom sind mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Nach Teil B Nr. 18.13 VG (Schäden der oberen Gliedmaßen) sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) mit einer Armhebung nur bis 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 10, bei einer Armhebung nur bis zu 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 20 zu bewerten. Bei der Untersuchung durch Dr. P. am 27.02.2012 betrug ausweislich dessen sachverständiger Zeugenaussage die Beweglichkeit der rechten Schulter bezüglich Abduktion/Adduktion 170°/0°/40°, die Innenrotation/ Außenrotation 70°/0 /20°, die Anteversion/Retroversion 160°/0°/40°. Eine Einschränkung der Schulterbeweglichkeit lag zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vor. Auch bei der Untersuchung anlässlich des orthopädischen Konsils am 14.04.2012 während der Reha-Maßnahme in der Klinik A.war der Klägerin ausweislich des Entlassberichts eine Anhebung des Arms bis 120° möglich.

d) Die Funktionsbehinderung des rechten Hüftgelenks mit Beinverkürzung rechts ist mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach Teil B Nr. 18.13 VG bedingen Bewegungseinschränkungen der Hüftgelenke geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0/10/90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) einseitig einen GdB von 10 - 20, beidseitig einen GdB von 20 - 30. Bewegungseinschränkungen mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0/30/90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) einseitig bedingen einen GdB von 30, beidseitig von 50.

Bei der Untersuchung am 19.05.2011 betrug die Flexion/Extension 120°/0°/0°. Die maximale Gehstrecke betrug damals 500 Meter. Geringfügig schlechtere Werte bezüglich Flexion/Extension (110°/0°/0°) lagen bei der Untersuchung am 19.09.2011 durch Dr. P. vor. Bei der Belastungserprobung der Gehfähigkeit während der stationären Rehabilitationsmaßnahme im April 2012 konnte die Klägerin jedoch wieder eine Wegstrecke von 1000 Meter ohne Pausen zurücklegen. Ein höherer GdB als 20 kommt hierfür nicht in Betracht, zumal auch Dr. P. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 15.06.2012 diese Beurteilung getroffen hat.

e) Für das Wirbelsäulenleiden kommt allein bei wohlwollender Betrachtung ein Einzel-GdB von 20 in Betracht. Entsprechende Beschwerden hatte Dr. P. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 15.06.2012 nicht genannt. Auch in dem während der stationären Rehabilitationsmaßnahme am 14.04.2012 durchgeführten orthopädischen Konsil hat die Klägerin lediglich rezidivierende Lumbalgien bei längerem Stehen und Sitzen angegeben. Bei der orthopädischen Untersuchung fand sich ein physiologischer Aufbau der Wirbelsäule, eine normal und schmerzfrei bewegliche Wirbelsäule, kein Klopfschmerz über den Dornfortsätzen und auch kein Druckschmerz an Nacken, Rücken und Iliosakralgelenken, altersentsprechend und schmerzfrei bewegliche Gelenke der oberen und unteren Extremitäten. Ein GdB von 20 ist deshalb allein unter Einschluss der chronischen Schmerzstörung gerechtfertigt.

f) Die belastungsabhängigen Schmerzen der Klägerin im Bereich des rechten Vorfußes und des rechten Fußwurzelbereichs, derentwegen sie im Jahr 2011 bei Dr. P. in Behandlung gestanden hatte, bedingen keinen GdB. Beim orthopädischen Konsil am 14.04.2012 gab die Klägerin keine entsprechenden Beschwerden mehr an, die Sprunggelenke waren frei beweglich.

g) Auch die Erkrankung der Klägerin am Endglied des 3. Fingers bedingt bisher noch keinen GdB. Bei bisher trockener Nekrose ist eine Kollagenose oder eine systemisch-entzündliche Erkrankung bisher nicht nachgewiesen.

h) Die Schwerhörigkeit der Klägerin bedingt allenfalls einen Einzel-GdB von 10. Aktuelle Behandlungen fanden in den letzten Jahren nicht statt. Bei der stationären Rehabilitationsmaßnahme im Mai 2012 bestand normales Hörvermögen für Umgangssprache.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3 a) VG dürfen bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen dabei zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Unter Zugrundelegung eines GdB von jeweils 20 für die Funktionsbehinderung des rechten Hüftgelenks mit Beinverkürzung rechts, der seelischen Störung sowie der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule einschließlich des Schmerzsyndroms ist ein Gesamt-GdB von 40 ausreichend bemessen. Dieser wird durch die weiteren, einen Einzel-GdB von jeweils 10 bedingenden Beeinträchtigungen durch die Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und die Schwerhörigkeit nicht weiter erhöht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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