L 10 R 2426/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 618/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2426/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 04.05.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der im Jahr 1960 geborene Kläger arbeitete - ohne entsprechende Berufsausbildung - bis zum Auftreten gesundheitlicher Beeinträchtigungen im Jahr 1996 im Baugewerbe. Eine spätere Umschulung zum Graveurhelfer führte zu keiner beruflichen Wiedereingliederung (Bl. 55 SG-Akte). Die Ehefrau des Klägers geht fünf Stunden täglich einer Reinigungstätigkeit nach. In diesem Zeitraum versorgt der Kläger nach eigenen Angaben den Haushalt. Daneben übt er eine geringfügige Tätigkeit als Reinigungskraft im Umfang von einer Stunde täglich aus und ist gegen eine monatliche Pauschale von 100 EUR als Hausmeister in dem von ihm bewohnten Dreiparteienhaus tätig (Bl. 55, 83 SG-Akte, Bl. 40 LSG-Akte).

Den im Jahr 1996 aufgetretenen Beeinträchtigungen lag eine Herzerkrankung (dilative Kardiomyopathie, leichter Herzklappenfehler) zu Grunde, die bis heute fortbesteht. Damals kam es auch zu einem "Schlaganfall" (prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit - PRIND), ohne relevante Folgen. Im Jahr 2003 aktivierte sich einmalig ein implantierter Defibrilator. Im Übrigen liegen beim Kläger eine obstruktive Ventilationsstörung sowie eine Alkoholkrankheit mit - so die Angaben des Klägers - seit dem Jahr 2003 bestehender Abstinenz vor. Im Zusammenhang mit der Alkoholkrankheit wurden beim Kläger in der Vergangenheit eine Leberzirrhose und Ösophagusvarizen diagnostiziert. Als subjektiv am bedeutsamsten beklagte der Kläger zuletzt Beschwerden (Brennschmerz) an den Füßen, deren diagnostische Zuordnung nicht endgültig geklärt ist (bis hierhin: s. Gutachten Dr. Sc. Bl. 47 ff. LSG-Akte).

Vom 01.12.1996 bis 30.06.1998 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und vom 01.08.2003 bis 31.07.2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Am 25.05.2010 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 15.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab, da er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, Gefährdung durch inhalative Reizstoffe, Spät- und Nachtschicht und ohne besonderen Zeitdruck täglich sechs Stunden und mehr verrichten könne. Die Beklagte stützte sich dabei auf ein auf der Grundlage einer Untersuchung des Klägers im Januar 2011 vom Internisten und Sozialmediziner Dr. Gr. erstelltes Gutachten. Dieser sah die größte Einschränkung von kardialer Seite und schloss anhand der von ihm erhobenen Befunde eine Leberzirrhose nahezu aus. Die von ihm durchgeführten Untersuchungen erbrachten keine Anhalte für eine Obstruktion oder Restriktion. Leichte, überwiegend sitzende Tätigkeiten seien vollschichtig möglich.

Deswegen hat der Kläger am 18.02.2011 beim Sozialgericht Heilbronn Klage erhoben. Das Sozialgericht hat medizinische Unterlagen der behandelnden Ärzte beigezogen und den Augenarzt Dr. H. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat im Hinblick auf sein Fachgebiet keine wesentliche Minderung der Leistungsfähigkeit gesehen.

Sodann hat das Sozialgericht das internistisch-arbeitsmedizinische Gutachten von Dr. S. nebst nervenärztlichen Zusatzgutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie M. eingeholt. Letzterer hat die vom Kläger beschriebenen schmerzhaften Missempfindungen an Füßen und Beinen am ehesten einer leichten toxischen Polyneuropathie zugeordnet. Im Vordergrund hat er die kardiale Erkrankung gesehen. Diesbezüglich hat Dr. S. unter Berücksichtigung der von Dr. v. Bo. erhobenen Ergospirometriebefunde nur eine mittelgradig eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion gesehen. Die Herzerkrankung, die chronisch obstruktive Atemwegserkrankung sowie eine mäßige Adipositas nebst Hypertriglyceridämie würden schwere körperliche Arbeiten, mittelschwere körperliche Arbeiten von drei Stunden und länger, Arbeiten unter Einwirkungen reizender inhalativer Substanzen, Kälte und Nässe, häufiges Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, Arbeiten im Umgang mit Alkohol, überwiegendes Stehen oder Gehen auf unebenem Untergrund, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, unter hohen Stressbelastungen und Zeitdruck sowie Arbeiten mit hoher Verantwortung ausschließen. Möglich seien leichte körperliche Arbeiten, in Belastungsspitzen auch mittelschwere körperliche Arbeiten in geschlossenen, wohl temperierten Räumen.

Mit Gerichtsbescheid vom 04.05.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich dabei im Wesentlichen auf die sachverständige Zeugenaussage von Dr. H. sowie die Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie M. und Dr. S. gestützt.

Gegen den ihm am 10.05.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 08.06.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er unter Bezugnahme auf ein Attest des behandelnden Facharztes für Innere Medizin und Infektiologie Dr. Wa. vor, Dr. S. habe nicht alle seine Krankheiten berücksichtigt. Ferner hat der Kläger einen aktuellen Befundbericht des Universitätsklinikums H., in dem er schon seit Jahren wegen seiner Herzerkrankung betreut wird, vorgelegt. Darin wird ein klinisch konstanter Verlauf beschrieben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 04.05.2012 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 15.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2011 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat den Internisten und Sozialmediziner Dr. Sc. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Nach Untersuchung des Klägers am 20.11.2012 hat Dr. Sc. ausgeführt, die Herzleistung habe sich in den letzten zehn Jahren vergleichsweise konstant erwiesen, wobei Unterschiede im Wesentlichen durch die Untersuchungsumstände erklärbar seien. In der Zusammenschau aller vorliegenden Befunde sei davon auszugehen, dass leichte körperliche Belastung möglich sei. Bei der Implantation des Defibrilators habe es sich um eine prophylaktische Maßnahme gehandelt, die für das Leistungsvermögen als solches nicht relevant sei. Die bisherigen Kontrollen hätten ergeben, dass der Defibrilator mit Ausnahme einer kurzen Phase, in der er überempfindlich eingestellt gewesen sei, bislang nicht therapeutisch aktiv geworden sei. Die Auswirkung der obstruktiven Lungenerkrankung sei bei leichten bis mittelschweren Belastungen nicht erheblich. Die Fußschmerzen wiesen am ehesten auf eine Polyneuropathie hin. Eine wesentliche Störung der Gehfähigkeit liege nicht vor. Arbeiten mit Steigen auf Leitern und Gerüste kämen bei einer Beschränkung auf leichte Tätigkeiten ohnehin nicht in Frage. Eine Symptomatik wegen Leberzirrhose und/oder Ösophagusvarizen sei seit Jahren nicht mehr aufgetreten. Die Laborwerte ließen keinerlei Hinweise auf eine Lebersynthesestörung erkennen. Die Diagnosen seien damit im Bereich leichter Tätigkeiten nicht weiter relevant. Der Gesamtzustand des Klägers, nicht zuletzt auch der Aspekt der an den Händen und Füßen vorgefundenen Gebrauchsspuren weise daraufhin, dass zwischen dem Leistungsvermögen, wie es aus den verschiedenen Untersuchungen abgeleitet worden sei, und dem tatsächlichen Aktivitätsniveau des Klägers im täglichen Leben keine Diskrepanz gebe. Der Kläger könne leichte körperliche Arbeiten welche nicht mit längerem Gehen verbunden seien und nicht mit Steigen auf Leitern und Gerüsten sowie Heben und Tragen bei gelegentlichen Anfall von Gewichten von fünf kg mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Relevante Unterschiede zu den Vorgutachten bestünden nicht.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht kein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe steht dem Kläger unter Einbeziehung aller seiner Erkrankungen keine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Zwar ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger seit Jahren an einer Herzerkrankung leidet, die jedoch zuletzt bei seit 2003 bestehender Alkoholabstinenz einen konstanten Verlauf gezeigt hat, ferner an einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung und an Beschwerden v.a. den Füßen, die am ehesten als Ausdruck einer Polyneuropathie anzusehen sind. Die daneben auch aus Sicht des Senats bestehende mäßige Adipositas nebst Hypertriclyceridämie, die Alkoholkrankheit, ein Zustand nach einem "Schlaganfall" im Jahr 1996 haben - so die übereinstimmenden und überzeugenden Darstellungen von Dr. Sch., Dr. S. und dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie M. - daneben keine leistungsrelevanten Auswirkungen.

Im Vordergrund steht die Herzerkrankung des Klägers mit einer - so Dr. Sc. - in den letzten zehn Jahren vergleichsweise konstanten Herzleistung. Ein konstanter Verlauf wird auch in dem vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten Arztbrief des Universitätsklinikums Heidelberg bestätigt. Die Herzerkrankung schließt jedoch, wie Dr. Sc., Dr. S. und auch schon im Verwaltungsverfahren Dr. Gr. überzeugend und unter sorgfältiger Auswertung der medizinischen Unterlagen und der im Rahmen der gutachtlichen Untersuchungen erhobenen Befunde, ausgeführt haben, leichte körperliche Arbeiten, ohne längeres Gehen, ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten mit nur gelegentlichem Anfall von Heben und Tragen von Gewichten über fünf kg in wohltemperierten Räumen nicht aus. Zu vermeiden sind - so Dr. S. - reizende inhalative Substanzen, Kälte und Nässe, Arbeiten im Umgang von Alkohol, Arbeiten auf unebenem Untergrund, besondere Stressbelastungen, Zeitdruck, Arbeiten mit besonders hohe Verantwortung sowie - so wegen der Einnahme eines Blutverdünnungsmittels ergänzend der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie M. - Arbeiten mit einem allgemein erhöhten Verletzungsrisiko.

Dr. S. hat unter Bezugnahme auf die von Dr. v. Bo. erhobenen Befunde nachvollziehbar ausgeführt, dass die Belastung bis 147 Watt im Rahmen der Funktionsprüfung hat durchgeführt werden können, ohne dass die kardiopulmonalen Leistungsreserven ausgeschöpft worden sind oder die anaerobe Schwelle überschritten worden ist. Das Blutdruckverhalten ist normal gewesen. Somit haben sich zusammenfassend keine Befunde ergeben, die den Kläger daran hindern würden, leichte körperliche Arbeiten sechs Stunden und länger zu verrichten. Dies hat auch Dr. Sc. bestätigt, der ergänzend darauf hingewiesen hat, dass der Defibrilator als prophylaktische Maßnahme implantiert wurde und als solcher für das Leistungsvermögen nicht relevant ist. Dafür spricht insbesondere, dass der Defibrilator - so Dr. Sc. weiter - bis auf eine kurze Phase, in der er falsch eingestellt war, über Jahre hinweg therapeutisch nicht aktiv geworden ist.

Überzeugend sind Dr. S. und Dr. Sc. zu der Auffassung gelangt, dass die Lungenerkrankung des Klägers bis auf den Ausschluss von Arbeiten unter Einwirkung reizender inhalativer Substanzen, Kälte oder Nässe keine weitere rentenrelevante Leistungsminderung mit sich bringt. Die Atemwegswiderstände haben sich - so Dr. S. - nur als leicht überhöht erwiesen.

Die vom Kläger zuletzt bei der Begutachtung durch Dr. Sc. zum wiederholten Mal als besonders bedeutsam beschriebenen Beschwerden an den Füßen bedingen keine wesentliche Störung der Gehfähigkeit. Tätigkeiten mit Steigen auf Leitern und Gerüsten sind - wie bereits ausgeführt - auszuschließen.

Zutreffend und überzeugend haben der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie M. sowie Dr. Sc. im Übrigen darauf hingewiesen, dass das von ihnen beschriebene berufliche Leistungsvermögen in der Summe dem entspricht, was der Kläger im Rahmen seiner Arbeiten im Haushalt und seiner geringfügigen Tätigkeiten als Reinigungskraft und Hausmeister ohnehin ausübt. Diesem Leistungsvermögen und der tatsächlichen Ausübung der eben genannten, körperlich durchaus mit Belastungen verbundenen Aufgaben entsprechen die von Dr. Sc. festgestellten Beschwielungen an den Handflächen, Gebrauchsspuren an den Fingerbeeren sowie die kräftige Verhornung an den Fußflächen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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