L 10 LW 3312/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 LW 6529/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 LW 3312/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 05.07.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme eines Bescheides über die Versicherungspflicht der Klägerin als Ehegatte eines Landwirts nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG).

Der am 1968 geborene und vom Senat zum Rechtsstreit beigeladene Ehemann der Klägerin (künftig: Beigeladener) ist seit Mai 1994 mit dem von ihm in Form einer GmbH & Co KG betriebenen Gartenbaubetrieb zur Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Alterskasse für den Gartenbau (künftig einheitlich: Beklagte), versicherungspflichtig (Aufnahmebescheid vom 04.03.1996, Bl. 3 VA betreffend den Beigeladenen), seit dem 01.01.1995 aber im Hinblick auf eine anderweitige Tätigkeit außerhalb der Landwirtschaft von der Versicherungspflicht befreit (Bescheid vom 29.05.1996, Bl. 11 VA betreffend den Beigeladenen).

Am2009 heiratete der Beigeladene die am 1968 geborene Klägerin. Hiervon erfuhr die Beklagte im Rahmen ihrer zweijährigen Überprüfung des Familienstandes durch die entsprechende, bei ihr im Dezember 2010 eingegangene Mitteilung des Beigeladenen. In einer entsprechenden Anfrage im Jahr 2008 hatte der Beigeladene durch seine Unterschrift erklärt, alle Änderungen in den Verhältnissen, insbesondere Änderungen des Familienstandes, unverzüglich mitzuteilen (Bl. 43 VA betreffend den Beigeladenen).

Mit Bescheid vom 01.02.2011 (Bl. 6 VA betreffend die Klägerin, künftig nur: VA) stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin, die in Vollzeit als Beamtin bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt ist, für die Zeit vom 30.12.2009 bis 20.01.2011 Versicherungspflicht nach dem ALG fest; bis Januar 2011 sei eine Beitragsforderung in Höhe von 2.980 EUR aufgelaufen. Mit Bescheid gleichen Datums (Bl. 7 VA) befreite sie die Klägerin im Hinblick auf einen am 21.01.2011 eingegangenen Antrag für die Zeit ab dem 21.01.2011 von dieser Versicherungspflicht.

Am 18.05.2011 beantragte die Klägerin sinngemäß die Rücknahme des Bescheides vom 01.02.2011 über die Feststellung der Versicherungspflicht und die dort aufgeführte Beitragsforderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.06.2011 und Widerspruchsbescheid vom 04.11.2011 ebenso ab, wie einen von ihr angenommenen Antrag auf Rücknahme des Befreiungsbescheides in Bezug auf einen früheren Beginn der Befreiung.

Am 21.11.2011 hat die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben und zur Konkretisierung ihres Klagebegehrens der Klageschrift eine Kopie des Bescheides vom 01.02.2011 betreffend die Feststellung der Versicherungspflicht beigefügt. Mit Gerichtsbescheid vom 05.07.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat unter anderem unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.12.2003, 1 BvR 558/99 ausgeführt, dass die Einbeziehung der Ehegatten von Landwirten in die Versicherungspflicht der landwirtschaftlichen Alterssicherung mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar sei, und zwar auch dann, wenn sie im landwirtschaftlichen Betrieb des Ehepartners nicht mitarbeiten. Insoweit hätten sie die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht.

Gegen den ihr am 11.07.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 02.08.2012 Berufung eingelegt. Sie meint nach wie vor, ihre Versicherungspflicht verstoße gegen das GG. Die vom Sozialgericht herangezogene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betreffe einen Landwirt, ihr Ehemann betreibe aber einen Gartenbaubetrieb.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 05.07.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.06.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2011 zu verurteilen, den Bescheid vom 01.02.2011 über die Feststellung der Versicherungspflicht zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist ausschließlich der Bescheid vom 16.06.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2011, soweit die Beklagte darin die Rücknahme des Bescheides vom 01.02.2011 betreffend die Feststellung der Versicherungspflicht der Klägerin nach dem ALG (Bl. 6 VA) ablehnte. Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist dagegen die mit gesondertem Bescheid, allerdings gleichem Datum, geregelte Befreiung von der Versicherungspflicht (Bl. 7 VA) und damit auch die Frage, ob eine Befreiung von der Versicherungspflicht ab einem früheren Zeitpunkt hätte erfolgen müssen. Dies ist im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes eindeutig geklärt worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in diesem Termin bestätigt, dass nur der Bescheid vom 01.02.2011 betreffend die Feststellung der Versicherungspflicht (Bl. 6 VA), den er in Kopie der Klageschrift beigefügt hatte, Gegenstand des prozessualen Begehrens der Klägerin ist und auch bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung gewesen ist. Soweit die Beklagte im Bescheid vom 16.06.2011 und im Widerspruchsbescheid vom 04.11.2011 die Rücknahme des Bescheides über die Ablehnung einer Befreiung ab einem früheren Zeitpunkt durch den Bescheid vom 01.02.2011 (Bl. 7 VA) ablehnte, hat die Klägerin dies somit nicht angefochten, sodass diese Entscheidung bestandskräftig geworden ist. Soweit das Sozialgericht Ausführungen zur Frage der Befreiung von der Versicherungspflicht gemacht hat, geht dies am Streitgegenstand vorbei.

Der Senat hat somit allein über die Frage zu entscheiden, ob die Beklagte zu Recht die Rücknahme des Bescheides über die Feststellung der Versicherungspflicht ablehnte.

Rechtsgrundlage dieses Begehrens ist § 44 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind (Satz 1).

Voraussetzung für einen derartigen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides über die Feststellung der Versicherungspflicht vom 01.02.2011 ist somit, dass dieser Bescheid rechtswidrig ist. Dies ist nicht der Fall. Die Beklagte stellte vielmehr zutreffend Versicherungspflicht der Klägerin als Ehegatte eines Landwirts nach dem ALG fest.

Rechtsgrundlage der von der Beklagten getroffenen und hier von der Klägerin angegriffenen Feststellung ist § 1 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 ALG. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ALG sind Landwirte versicherungspflichtig. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 ALG gilt der Ehegatte eines Landwirts als Landwirt, wenn beide Ehegatten nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte nicht voll erwerbsgemindert nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches ist.

Die Klägerin lebt mit dem Beigeladenen in ehelicher Gemeinschaft und ist nicht erwerbsgemindert. Sie ist auch Ehegatte eines Landwirts. Diese Eigenschaft des Beigeladenen ergibt sich bereits aus dem Aufnahmebescheid der Beklagten gegenüber dem Beigeladenen vom 04.03.1996 und wird im Übrigen von der Klägerin auch nicht in Zweifel gezogen. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Landwirt auch derjenige ist, der - wie der Beigeladene - als Geschäftsführer und Gesellschafter im Rahmen einer GmbH & Co KG ein Unternehmen des Gartenbaus betreibt. Denn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 ALG ist Landwirt, wer als Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung beruhendes Unternehmen der Landwirtschaft betreibt, das die Mindestgröße erreicht und nach Abs. 4 Satz 1 der Regelung sind Unternehmen des Gartenbaus Unternehmen der Landwirtschaft und die hierfür genutzten Flächen gelten als landwirtschaftlich genutzte Flächen. Dabei ist Unternehmer, wer seine berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 1 Abs. 2 Satz 2 ALG). Mitglieder einer juristischen Person gelten als Landwirt, wenn sie hauptberuflich im Unternehmen tätig sind und wegen dieser Tätigkeit nicht kraft Gesetzes in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind (§ 1 Abs. 2 Satz 3 ALG). Dies trifft auf den Beigeladenen zu.

Dass die Klägerin als Ehegatte eines Landwirts nach dem ALG versicherungspflichtig ist, zieht sie im Übrigen selbst nicht in Zweifel. Sie behauptet ausschließlich, ihre Einbeziehung in die Versicherungspflicht nach dem ALG verstoße gegen das Grundgesetz. Dies trifft nicht zu.

Das Sozialgericht hat im angefochtenen Gerichtsbescheid unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.12.2003, 1 BvR 558/99 ausgeführt, dass gegen die Einbeziehung von Ehegatten in die Versicherungspflicht nach dem ALG keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Im genannten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auch jene Fälle für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet, in denen der Ehemann als Nebenerwerbslandwirt von der Versicherungspflicht befreit ist und die Ehefrau keine landwirtschaftlichen Arbeiten verrichtet. Soweit die Klägerin also darauf abstellt, ihr Ehemann sei von der Versicherungspflicht befreit und sie selbst arbeite im Gartenbaubetrieb ihres Ehemannes nicht mit (einerseits im Hinblick auf ihre eigene Erwerbstätigkeit, andererseits mangels entsprechender Kenntnisse) weist ihr Fall keine Besonderheiten zu jenen Fällen auf, über die das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat.

Soweit die Klägerin geltend macht, das von ihrem Ehemann betriebene Unternehmen sei kein klassisches landwirtschaftliches Unternehmen sondern ein Gartenbaubetrieb, gilt Gleiches. Auch wenn im Fall des Bundesverfassungsgerichts ein klassischer landwirtschaftlicher Betrieb Gegenstand der Rechtsfindung war, ändert dies nichts an der Tatsache, dass die gesetzliche Regelung insoweit keinerlei Unterschiede zwischen klassischem landwirtschaftlichem Betrieb und Gartenbaubetrieb macht, vielmehr ausdrücklich Gartenbaubetriebe nach § 1 Abs. 4 Satz 1 ALG dem klassischen landwirtschaftlichen Betrieben gleichstellt. Entsprechend kann nicht nach der Art des Unternehmens unterschieden werden und entsprechend hatte das Bundesverfassungsgericht keinen Anlass, eine solche Unterscheidung vorzunehmen. Denn auch insoweit gilt das vom Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung unter Hinweis auf frühere Entscheidungen für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtete Konzept der Typisierung und Generalisierung.

Soweit die Klägerin vorträgt, sie sehe sich in ihrem Grundrecht nach Artikel 6 GG verletzt, ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung gerade keinen Verstoß gegen Artikel 6 GG erblickt hat. Es hat insoweit unter anderem darauf hingewiesen, dass der Beitragslast aus § 1 Abs. 3 ALG, die allein Ehegatten trifft, entsprechende Leistungsansprüche gegen die Alterskassen mit guter "Rendite" gegenüber stünden.

Soweit die Klägerin auf ihre eigene Vollzeiterwerbstätigkeit und die daraus resultierende eigene Altersversorgung hinweist, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Denn diesen Fallgestaltungen hat das Gesetz in § 3 ALG durch die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht Rechnung getragen. Dass die Klägerin hier ihren Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht verspätet stellte und daher von der Beklagten erst ab Antragstellung befreit wurde, ist - wie oben dargestellt - nicht Gegenstand der Beurteilung des Senats.

Wie das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung sieht auch der Senat keine verfassungsrechtlichen Verstöße durch die Einbeziehung der Klägerin in die Versicherungspflicht nach dem ALG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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