L 3 AS 3925/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 399/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 3925/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05. August 2010 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtlichen Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 01.04.2007 bis 31.01.2009.

Der 1982 geborene Kläger lebt zusammen mit seinen Eltern (D. und P. B., beide geboren 1957) in deren Eigenheim, mit einer Gesamtgröße von 86 qm (Baujahr 1987, 4 Zimmer, Küche, Bad, Ölheizung). Die Eltern, beide Bezieher von Renten wegen Berufsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung, beantragten für die Zeit ab 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Während die Bundesagentur für Arbeit Leistungen mangels Hilfebedürftigkeit ablehnte, bewilligte der damals für die Kosten der Unterkunft und Heizung zuständige Landkreis K. - Sozialamt - monatliche Leistungen in Höhe von 294,84 EUR. Wegen der Einstellung dieser Leistungen ab April 2007 strengte der Vater des Klägers eine Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) an. Nachdem das SG die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 14.06.2005 - S 5 AS 1021/05) und das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) die Berufung zurückgewiesen hatten (Urteil vom 20.01.2006 - L 8 AS 3073/05), lehnte das Bundessozialgericht (BSG) den daraufhin gestellten Antrag des Vaters des Klägers, ihm für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Prozesskostenhilfe zu gewähren, ab (Beschluss vom 03.04.2007 - B 11 b AS 7/06 B). In dem Beschluss vom 03.04.2007 führte das BSG aus, der Vater des Klägers sowie seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau seien nicht hilfebedürftig. Bei dem Bedarf für Unterkunft ging der Senat davon aus, dass die Angaben zu den Kosten der Unterkunft in Höhe von 404,92 EUR (exklusive Heizkosten) vom Vater des Klägers zutreffend seien. Dies ergebe entsprechend der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (2) und der Zahl der Hausbewohner (mit dem Kläger 3) einen Betrag für die Eltern des Klägers in Höhe von 269,95 EUR (= 404,92 EUR mal 2 geteilt durch 3). Der daraus errechnete Gesamtbedarf in Höhe von 891,95 EUR sei auch unter Berücksichtigung der Angaben zu den Heizkosten durch das Einkommen gedeckt.

Der Kläger beantragte erstmals am im April 2006 SGB II-Leistungen. Dieser Antrag wurde mangels Hilfebedürftigkeit - der Kläger bezog damals noch Arbeitslosengeld - abgelehnt. Ab dem 01.04.2007 wurden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in getrennter Trägerschaft von der Bundesagentur für Arbeit sowie vom Landkreis Karlsruhe - Sozialamt - erbracht. Grundlage bei der Berechnung der Leistungen für Unterkunft und Heizung waren die Angaben des Klägers im "Zusatzblatt 1 zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung" vom 26.04.2006, die er in den Folgeanträgen wiederholte. Darin bezifferte er Heizkosten, Nebenkosten und sonstige Wohnkosten ohne nähere Aufschlüsselung oder Vorlage von Belegen mit 150,- EUR für das von ihm im elterlichen Haus bewohnte, 20 m2 große Zimmer.

Mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 16.01.2009 bewilligte der Landkreis K. - Sozialamt - für die Zeit vom 01.04.2007 bis 31.01.2009 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 150,- EUR abzüglich der Pauschalen für Warmwasseraufbereitung (6,63 EUR) und Haushaltsstrom (15,48 EUR) von insgesamt 22,11 EUR, so dass 127,89 EUR monatlich zur Auszahlung gelangten.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 28.01.2009, eingegangen beim Landkreis Karlsruhe - Sozialamt - am 29.01.2009 Widerspruch ein und erhob gleichzeitig Klage. Der Kläger hat ausgeführt, das Widerspruchsverfahren könne nicht abgewartet werden, da durch die Bearbeitungsdauer des Sozialamts weiterer nicht umkehrbarer Schaden entstehe, weshalb er die Klage wegen rechtswidriger Untätigkeit erhebe. Die Beamten des Sozialamts hätten ab 01.04.2005 die an seine Eltern zu zahlenden Heiz- und Wohnkosten mit 269,- EUR monatlich festgesetzt. Der Zahlungsrückstand belaufe sich auf 5.918 EUR. Durch den 22-monatigen Zahlungsverzug sei das Eigenheim seiner Eltern von der Zwangsvollstreckung bedroht. Seine Hilfebedürftigkeit sei vom Sozialamt vorsätzlich verursacht worden, da diese seine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Landgerichts Karlsruhe im Verfahren 5 O 74/04 gegen den zu 100 % zahlungspflichtigen Haftpflichtversicherer - Mecklenburgische Versicherung - auf sich übergeleitet habe. Die Sozialbehörde weigere sich seit 04.04.2007 die von ihm verlangte Verzichtserklärung gegenüber dem Haftpflichtversicherer abzugeben, so dass er beim verurteilten Versicherer nicht vollstrecken könne.

Mit dem am 05.02.2009 eingegangenen Schreiben vom 02.02.2009 hat der Landkreis Karlsruhe - Sozialamt - die Klage an das SG abgegeben (S 5 AS 399/09).

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2009 wies der Landkreis Karlsruhe - Sozialamt - den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe bei Antragstellung am 12.03.2007 die von ihm zu zahlenden Unterkunftskosten inklusive Heizung und Nebenkosten mit 150 EUR monatlich beziffert. Dieser Betrag decke sich mit den Angaben im Antrag vom Februar 2006 und im Weiterbewilligungsantrag vom 17.01.2009. Es sei nicht zutreffend, dass dem Sozialamt eine vollstreckbare Ausfertigung eines Urteils vorliege, so dass die ständigen Forderungen um Rückgabe sinnlos seien.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 22.05.2009 Klage zum SG erhoben und zur Begründung ausgeführt, der Landkreis Karlsruhe - Sozialamt - habe "gemeinschaftlich mit der Bundesagentur für Arbeit für den dokumentierten Umgang! mit der Überleitung (s)einer Rechtsansprüche gegen die rechtskräftig zur hundertprozentigen Zahlung (s)einer Unfallfolgen verurteilte Mecklenburgische Versicherung zu haften". Das unter dem Aktenzeichen S 5 AS 2252/09 geführte Verfahren wurde mit Beschluss vom 04.08.2010 unter dem Aktenzeichen S 5 AS 399/09 verbunden.

Im Erörterungstermin am 08.02.2010 hat der Kläger eine Kopie der Entscheidung des BSG vom 03.04.2007 - B 11 b AS 7/06 B übergeben, welche die Leistungen an seine Eltern betrifft.

Mit Gerichtsbescheid vom 05.08.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nachdem der Widerspruchsbescheid am 20.04.2009 erlassen worden sei, sei die Klage auf eine inhaltliche Entscheidung gerichtet, wie sie der Kläger mit seinem Antrag vom 22.05.2009 in der verbundenen Sache S 5 AS 2252/09 geltend gemacht habe. Die Klage gerichtet auf Auszahlung der vom Sozialamt übergeleiteten Rechtsansprüche gegen den rechtskräftig verurteilten Haftpflichtversicherer sei unzulässig. Mit den streitbefangenen Bescheiden sei nur über Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II entschieden worden und nicht über ausstehende Nachzahlungen aus der vom Sozialamt übergeleiteten Rechtsansprüche gegen den rechtskräftig verurteilten Haftpflichtversicherer.

Gegen den am 07.08.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.08.2010 Berufung eingelegt. Er macht geltend, das bis zum BSG betriebene Verfahren belege, dass er an seine Eltern 269,- EUR Unterkunftskosten zu zahlen hätte. Die übergeleiteten Rechtsansprüche aus dem Verfahren 5 O 74/04 würden unberechtigterweise nicht zurückgegeben.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid vom 05. August 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2009 zu verurteilen, höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung zu gewähren sowie die seit April 2006 ausstehenden Nachzahlungen aus der einbehaltenen Überleitung seiner Rechtsansprüche gegen den rechtskräftig verurteilten Haftpflichtversicherer vorzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet seine Entscheidungen für zutreffend.

Aktenkundig ist ein Schreiben des Klägers an das Jobcenter Landkreis K. vom 22.02.2012). Darin erklärt er: "Mietzahlungen an meine Eltern liegen unstreitig nicht vor , finden sich in keinem Antrag".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung gegen den am 07.08.2010 zugestellten Gerichtsbescheid des SG vom 05.08.2010 ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und damit zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

1. Auf Beklagtenseite ist nach dem Ende der getrennten Aufgabenwahrnehmung ab 01.01.2012 das Jobcenter Landkreis Karlsruhe (gemeinsame Einrichtung gemäß § 44 b SGB II in der seit 01.01.2011 gültigen Fassung) als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen in getrennter Trägerschaft geführten Behörden getreten. Dieser kraft Gesetzes eintretende Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II stellt keine im Berufungsverfahren unzulässige Klageänderung im Sinne von §§ 99, 153 Abs. 1 SGG dar (vgl. BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 99/10 R, in juris). Das Passivrubrum war entsprechend von Amts wegen zu berichtigen.

2. Streitgegenstand ist die vom Kläger erhobene Untätigkeitsklage (S 5 AS 399/09 - Ziffer 3), ferner - im Wege der Auslegung des klägerischen Begehrens - der Bescheid vom 16.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2009, mit dem über die Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum von April 2007 bis Januar 2009 entschieden wurde (S 5 AS 2252/09 - Ziffer 4) sowie das Begehren des Klägers, die seit April 2006 ausstehenden Nachzahlungen aus der einbehaltenden Überleitung seiner Rechtsansprüche gegen den rechtskräftig verurteilten Haftpflichtversicherer vorzunehmen (S 5 AS 2252/09 - Ziffer 5).

3. Die vom Kläger erhobene Untätigkeitsklage war bereits unzulässig. Vor Erhebung einer Untätigkeitsklage, die auf Erlass eines Widerspruchsbescheides gerichtet ist, ist gemäß § 88 Abs. 2 SGG eine Frist von drei Monaten abzuwarten. Diese Frist hat der Kläger nicht eingehalten. Der Bescheid, gegen den sich sein Widerspruch richtete, datierte vom 16.01.2009. Die Untätigkeitsklage wurde bereits am 29.01.2009 erhoben. Ferner hat der Beklagte den Widerspruchsbescheid innerhalb der Dreimonatsfrist seit Einlegung des Widerspruchs entschieden, nämlich am 20.04.2009. Die Untätigkeitsklage ist damit auch nach Erlass des Widerspruchsbescheides unzulässig geblieben (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 10. Aufl., § 88 SGG, Anm.10a).

4. Über die Leistungen für Unterkunft und Heizung hat das SG nicht entschieden, wie den Entscheidungsgründen zu entnehmen ist. Insoweit hat das SG das klägerische Begehren auch unzutreffend ausgelegt. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über den Erörterungstermin am 08.02.2010. Dort hat der Kläger dem Vorsitzenden eine Kopie der Entscheidung des BSG vom 03.04.2007 - B 11 b AS 7/06 B übergeben, in der es um die Leistungen der Unterkunft und Heizung für seine Eltern ging, mit denen er zusammen lebt. Daraus muss geschlossen werden, dass der Kläger auch die Entscheidung über die Bewilligung der Unterkunftskosten angreift. Über diesen Prozessrest entscheidet der Senat im (konkludenten) Einverständnis der Beteiligten (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 10. Aufl., § 140 SGG, Anm. 2a).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Unterkunft und Heizung.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Der Beklagte legte seiner Entscheidung über die Leistungen für Unterkunft und Heizung die Angaben des Klägers im "Zusatzblatt 1 zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung" vom 26.04.2006 zugrunde, wonach er seinen Eltern monatlich insgesamt 150 EUR bezahlt. Auf diese Erklärung nahm der Kläger in den Folgeanträgen voll inhaltlich Bezug bzw. legte sie in Kopie nochmals bei. Der Aufforderung des Beklagten, etwaige höhere Kosten für Unterkunft und Heizung nachzuweisen, kam der Kläger nicht nach. Bislang ist nicht einmal nachgewiesen, dass der Kläger überhaupt Miete an seine Eltern zahlt bzw. gezahlt hat. Zahlungsbelege, Kontoauszüge, Mietvertrag o.ä. liegen nicht vor. Offensichtlich besteht auch keine Verpflichtung zur Mietzahlung. Dies wird bestätigt durch das Schreiben des Klägers vom 22.02.2012, wonach er zu keinem Zeitpunkt Miete an seine Eltern gezahlt hat, obwohl ihm der Beklagte aufgrund seiner Angaben Leistungen für Unterkunft und Heizung gewährt hatte. Sind dem Kläger keine Kosten für Unterkunft und Heizung entstanden, kann er schon deshalb keinen höheren Anspruch auf Leistungen haben.

5. Soweit der Kläger die Auszahlung übergeleiteter Schadensersatzansprüche begehrt, lässt der Senat offen, welches die hierfür statthafte Klageart und ob diese ggf. zulässig wäre. Denn der Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt einen Forderungsübergang geltend gemacht. Auch fehlt es an der Voraussetzung, dass der Beklagte dem Kläger wegen der Schädigung Sozialleistungen gewährt hätte (vgl. § 116 SGB X).

Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klage deshalb abgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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