Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 1995/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5070/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.11.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte ihren Bescheid vom 27.07.2004, mit dem sie dem Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährt hatte, teilweise nach § 44 SGB X zurückzunehmen hat und ihm eine höhere, abschlagsfreie Rente seit 01.01.2004 zu gewähren hat.
Die Beklagte bewilligte dem am 17.05.1946 geborenen Kläger mit Bescheid vom 27.07.2004 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung beginnend ab dem 01.01.2004 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (Beginn der Regelaltersrente). Bei der Berechnung dieser Rente legte sie unter Berücksichtigung eines um 0,108 auf 0,892 abgesenkten Zugangsfaktors 41,7803 (46,8389 x 0,892) persönliche Entgeltpunkte (EP) sowie einen Rentenartfaktor von 1,0 zugrunde. Im gegen diesen Bescheid geführten Widerspruchsverfahren hob die Beklagte den Bescheid vom 27.07.2004 wegen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen ab dem 01.11.2004 mit Bescheid vom 05.11.2004 wieder auf. Der Kläger bezog seit 22.10.2004 Arbeitslosengeld iHv wöchentlich 657,51 EUR (entspricht monatlich: 2.817,90 EUR). Mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2005 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.07.2004 in der Fassung des Bescheids vom 05.11.2004 zurück.
Mit Schreiben vom 12.04.2007, bei der Beklagten am 13.04.2007 eingegangen, beantragte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten u a den Bescheid vom 27.07.2004 nach § 44 SGB X im Hinblick auf die darin enthaltenen versicherungsmathematischen Abschläge zu überprüfen. Dabei bezog er sich auf die Rechtsprechung des BSG vom 16.05.2006 (B 4 RA 28/03 R).
Mit Bescheid vom 22.06.2007 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 27.07.2004 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 11.07.2007, der ohne Begründung geblieben war, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2007 zurück.
Am 05.11.2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben (Az S 14 R 5753/07). Durch Beschluss des SG vom 18.12.2007 ruhte das Verfahren. Nachdem die Beklagte das Verfahren wieder aufgerufen hat (nunmehr Az S 15 R 1995/11), hat der Bevollmächtigte des Klägers ausgeführt, es gehe um die Zugangsfaktorproblematik. Langfristig sei vorgesehen, ein Musterverfahren für einen noch auszusuchenden Fall vor dem Europäischen Gerichtshof zu führen.
Das SG hat die Beteiligten mit ihnen zugestellten Schreiben vom 04.04.2012 auf die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Den Kläger hat das SG mit seinem Bevollmächtigten zugestelltem Schreiben vom 13.08.2012 darauf hingewiesen, dass die Klage voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe; das BVerfG habe entschieden, die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Im Falle der Fortführung der Klage könnten dem Kläger Kosten nach § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG iHv mindestens 150,00 EUR auferlegt werden, denn die Fortführung der Klage werde als rechtsmissbräuchlich angesehen. Trotz einer auf Bitte des Klägervertreters erfolgten Verlängerung der gewährten Stellungnahmefrist bis zum 07.10.2012 hat sich der Kläger nicht mehr geäußert. Das SG hat die Klage daraufhin mit Gerichtsbescheid vom 07.11.2012 abgewiesen und dem Kläger Kosten iHv 150,00 EUR auferlegt. Die Klage sei nicht begründet, weil die Beklagte bei der Bestimmung der Rentenhöhe in dem angefochtenen Bescheid zu Recht einen Zugangsfaktor von 0,892 statt 1,0 berücksichtigt habe. Das BVerfG habe dies in seinen Entscheidungen vom 11.01.2011 (1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09) für mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten. Die Fortführung des Rechtsstreits sei missbräuchlich, da die Klage angesichts der Entscheidung BVerfG offensichtlich aussichtslos sei.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 09.11.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 06.12.2012 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Die Problematik der versicherungsmathematischen Abschläge stelle einen Verstoß gegen die Verordnung (VO) 838/2004 (gemeint wohl VO 883/2004) iVm Art 14 EMRK sowie der VO 1408/71 dar. Deutschland sei das einzige Land in Europa, das solche Abschläge kenne. Dies stelle keine Koordinierung der Sozialversicherungssysteme dar. Im Übrigen habe das SG auch keine Kosten nach § 192 SGG auferlegen dürfen. Denn bei derselben Problematik würden in einigen Fällen Missbrauchskosten auferlegt, in anderen nicht. Dies sei willkürlich. Auch reiche die bloße Aussichtslosigkeit der Rechtsverteidigung nicht aus, um Missbräuchlichkeit annehmen zu können.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.11.2012 sowie den Bescheid vom 22.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 27.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2005 aufzuheben und ihm ab dem 01.01.2004 unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats, die beigezogene Akte des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs 2 iVm § 153 Abs 1 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 22.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2007, mit dem die Beklagte eine (teilweise) Rücknahme des Bescheids vom 22.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2005 und die Gewährung einer höheren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung abgelehnt hat.
Die vom Kläger zulässigerweise erhobene Klage ist unbegründet. Rechtsgrundlage der Berechnung des monatlichen Werts der Rente des Klägers (Monatsbetrag der Rente) sind § 63 und § 64 SGB VI. Nach § 64 SGB VI in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn (1.) die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, (2.) der Rentenartfaktor und (3.) der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Die persönlichen Entgeltpunkte werden nach §§ 66 ff SGB VI ermittelt. Dabei enthält § 77 SGB VI in der vorliegend anzuwendenden, vom 01.01.2002 bis zum 31.07.2004 geltenden Fassung (aF) Regelungen über die Höhe des jeweils maßgeblichen Zugangsfaktors. Nach § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3 iVm Satz 2 und 3 SGB VI aF ergibt sich, dass bei vor Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch genommenen Renten eine maximale Minderung des Zugangsfaktors um 10,8 % auf 0,892 durchzuführen ist. Den so zu ermittelnden Monatsbetrag (Geldwert) der Rente sowie dessen einzelne Berechnungselemente hat die Beklagte zutreffend festgestellt. Nach eigener Prüfung macht sich der Senat die Berechnung der Beklagten im angefochtenen Bescheid (Blatt 95 ff Verwaltungsakte) zu eigen.
Auch aus der Rechtsprechung des BSG (16.05.2006, B 4 RA 22/05 R, BSGE 96, 209-217 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3 = juris) lässt sich ein höherer Geldwert der Rente des Klägers nicht ableiten. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung der mittlerweile für das Rentenrecht zuständigen Senate des BSG an (Urteile des 5. Senats vom 14.08.2008, B 5 R 140/07 R, juris und 25.11.2008, B 5 R 112/08 R, juris; Beschlüsse des 13. Senats vom 26.06.2008, B 13 R 9/08 S und B 13 R 11/08 S, jeweils juris). Die hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG mit ausführlichen Gründen zurückgewiesen (Beschluss vom 11.01.2011, 1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09, SozR 4-2600 § 77 Nr 9 = juris) und diese Rechtsprechung bestätigt (Beschlüsse vom 01.02.2011, 1 BvR 1262/10, juris und 07.02.2011, 1 BvR 642/09, juris). Anlass für eine materiellrechtlich oder verfassungsrechtlich abweichende Beurteilung sieht der Senat nicht (ebenso vgl zB Bayerisches LSG, 29.03.2012, L 19 R 904/10, juris; Bayerisches LSG, 31.01.2012, L 13 R 812/11, juris; LSG Nordrhein-Westfalen, 21.10.2011, L 14 R 570/11, juris). Somit hat die Beklagte § 77 SGB VI - insbesondere dessen Abs 2 Satz 3 - auch vorliegend zutreffend angewandt; zutreffend ist die Beklagte daher von einer Minderung des Zugangsfaktors von 1,0 um 0,108 auf 0,892 ausgegangen. Dem Kläger steht daher keine höhere Rente zu.
Ein Verstoß gegen europäisches Recht, sei es solches der EU bzw der Europäischen Menschenrechtskonvention, kann der Senat nicht feststellen. Der Sachverhalt weist keinen europarechtlichen Bezug auf, weshalb EU-Recht schon nicht einschlägig ist. Im Übrigen dient dieses der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Folge der Ausübung des Rechts der Arbeitnehmerfreizügigkeit und nicht der Vereinheitlichung von nationalen Systemen, weshalb EU-Recht nicht dazu führt, dass für die Rentenberechnung in einem Mitgliedsstaat maßgebliche Regelungen außer Kraft gesetzt werden. Darüber hinaus besteht auch nach Art 14 EMRK kein Anspruch auf Zugrundelegung eines ungeminderten Zugangsfaktors.
Da auch sonstige Fehler bei der Berechnung der Rentenhöhe, auch bei der Berücksichtigung von Hinzuverdienst (vgl Bescheid vom 05.11.2004) nicht ersichtlich sind, hat die Beklagte die Rente des Klägers ab dem 01.01.2004 zutreffend berechnet und festgesetzt.
Ist damit weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem sich als unzutreffend herausstellenden Sachverhalt ausgegangen worden, besteht kein Anspruch auf (teilweise) Rücknahme des Bescheids vom 27.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2005.
Auch hat das SG zutreffend dem Kläger Kosten iHv 150,00 EUR auferlegt. Nachdem das BVerfG in den genannten und auch dem Kläger bzw dessen Bevollmächtigten bekannten und von diesem zitierten Entscheidungen es für mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten hat, versicherungsmathematische Abschläge auch bei Renten wegen Erwerbsminderung anzusetzen, war die Rechtsverfolgung vorliegend offensichtlich ohne Erfolgsaussicht. Das hatte auch der Kläger, der sich das Wissen und Wollen seines Vertreters zurechnen lassen muss, erkannt. Das Beharren auf einem Ruhen des Verfahrens, obwohl die Beklagte dem nicht mehr zugestimmt hat, mit dem Ziel des Abwartens eines noch auszuwählenden Musterverfahrens zum Europäischen Gerichtshof bzw zum EGMR, ohne nähere inhaltliche Begründung in der Sache sowie die Fortführung des Verfahrens bei offensichtlicher und erkannter Erfolglosigkeit führen in der vorliegenden prozessualen Situation dazu, dass die Fortführung des Rechtsstreits als missbräuchlich anzusehen ist. Das SG hat hierauf ausreichend hingewiesen und dem Kläger über seinen Bevollmächtigten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Bei der Entscheidung nach § 192 Abs 1 Satz 1 SGG steht dem SG Ermessen zu. Dies kann dazu führen, dass - im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalles - in einem Verfahren Kosten auferlegt werden, in einem anderen dagegen nicht. Dies ist aber vorliegend nicht willkürlich, denn die vom SG im Gerichtsbescheid dargestellten Umstände erscheinen nicht als sachwidrig.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat im Rahmen seines Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben ist. Der Senat sieht vorliegend angesichts der bereits vom SG verhängten Kosten nach § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG von einer Verhängung solcher Kosten im Berufungsverfahren nochmals ab, auch wenn sich die prozessuale Situation im Vergleich zum erstinstanzlichen Verfahren insoweit nicht verändert hat.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte ihren Bescheid vom 27.07.2004, mit dem sie dem Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährt hatte, teilweise nach § 44 SGB X zurückzunehmen hat und ihm eine höhere, abschlagsfreie Rente seit 01.01.2004 zu gewähren hat.
Die Beklagte bewilligte dem am 17.05.1946 geborenen Kläger mit Bescheid vom 27.07.2004 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung beginnend ab dem 01.01.2004 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (Beginn der Regelaltersrente). Bei der Berechnung dieser Rente legte sie unter Berücksichtigung eines um 0,108 auf 0,892 abgesenkten Zugangsfaktors 41,7803 (46,8389 x 0,892) persönliche Entgeltpunkte (EP) sowie einen Rentenartfaktor von 1,0 zugrunde. Im gegen diesen Bescheid geführten Widerspruchsverfahren hob die Beklagte den Bescheid vom 27.07.2004 wegen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen ab dem 01.11.2004 mit Bescheid vom 05.11.2004 wieder auf. Der Kläger bezog seit 22.10.2004 Arbeitslosengeld iHv wöchentlich 657,51 EUR (entspricht monatlich: 2.817,90 EUR). Mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2005 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.07.2004 in der Fassung des Bescheids vom 05.11.2004 zurück.
Mit Schreiben vom 12.04.2007, bei der Beklagten am 13.04.2007 eingegangen, beantragte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten u a den Bescheid vom 27.07.2004 nach § 44 SGB X im Hinblick auf die darin enthaltenen versicherungsmathematischen Abschläge zu überprüfen. Dabei bezog er sich auf die Rechtsprechung des BSG vom 16.05.2006 (B 4 RA 28/03 R).
Mit Bescheid vom 22.06.2007 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 27.07.2004 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 11.07.2007, der ohne Begründung geblieben war, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2007 zurück.
Am 05.11.2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben (Az S 14 R 5753/07). Durch Beschluss des SG vom 18.12.2007 ruhte das Verfahren. Nachdem die Beklagte das Verfahren wieder aufgerufen hat (nunmehr Az S 15 R 1995/11), hat der Bevollmächtigte des Klägers ausgeführt, es gehe um die Zugangsfaktorproblematik. Langfristig sei vorgesehen, ein Musterverfahren für einen noch auszusuchenden Fall vor dem Europäischen Gerichtshof zu führen.
Das SG hat die Beteiligten mit ihnen zugestellten Schreiben vom 04.04.2012 auf die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Den Kläger hat das SG mit seinem Bevollmächtigten zugestelltem Schreiben vom 13.08.2012 darauf hingewiesen, dass die Klage voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe; das BVerfG habe entschieden, die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Im Falle der Fortführung der Klage könnten dem Kläger Kosten nach § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG iHv mindestens 150,00 EUR auferlegt werden, denn die Fortführung der Klage werde als rechtsmissbräuchlich angesehen. Trotz einer auf Bitte des Klägervertreters erfolgten Verlängerung der gewährten Stellungnahmefrist bis zum 07.10.2012 hat sich der Kläger nicht mehr geäußert. Das SG hat die Klage daraufhin mit Gerichtsbescheid vom 07.11.2012 abgewiesen und dem Kläger Kosten iHv 150,00 EUR auferlegt. Die Klage sei nicht begründet, weil die Beklagte bei der Bestimmung der Rentenhöhe in dem angefochtenen Bescheid zu Recht einen Zugangsfaktor von 0,892 statt 1,0 berücksichtigt habe. Das BVerfG habe dies in seinen Entscheidungen vom 11.01.2011 (1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09) für mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten. Die Fortführung des Rechtsstreits sei missbräuchlich, da die Klage angesichts der Entscheidung BVerfG offensichtlich aussichtslos sei.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 09.11.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 06.12.2012 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Die Problematik der versicherungsmathematischen Abschläge stelle einen Verstoß gegen die Verordnung (VO) 838/2004 (gemeint wohl VO 883/2004) iVm Art 14 EMRK sowie der VO 1408/71 dar. Deutschland sei das einzige Land in Europa, das solche Abschläge kenne. Dies stelle keine Koordinierung der Sozialversicherungssysteme dar. Im Übrigen habe das SG auch keine Kosten nach § 192 SGG auferlegen dürfen. Denn bei derselben Problematik würden in einigen Fällen Missbrauchskosten auferlegt, in anderen nicht. Dies sei willkürlich. Auch reiche die bloße Aussichtslosigkeit der Rechtsverteidigung nicht aus, um Missbräuchlichkeit annehmen zu können.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.11.2012 sowie den Bescheid vom 22.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 27.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2005 aufzuheben und ihm ab dem 01.01.2004 unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats, die beigezogene Akte des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs 2 iVm § 153 Abs 1 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 22.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2007, mit dem die Beklagte eine (teilweise) Rücknahme des Bescheids vom 22.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2005 und die Gewährung einer höheren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung abgelehnt hat.
Die vom Kläger zulässigerweise erhobene Klage ist unbegründet. Rechtsgrundlage der Berechnung des monatlichen Werts der Rente des Klägers (Monatsbetrag der Rente) sind § 63 und § 64 SGB VI. Nach § 64 SGB VI in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn (1.) die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, (2.) der Rentenartfaktor und (3.) der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Die persönlichen Entgeltpunkte werden nach §§ 66 ff SGB VI ermittelt. Dabei enthält § 77 SGB VI in der vorliegend anzuwendenden, vom 01.01.2002 bis zum 31.07.2004 geltenden Fassung (aF) Regelungen über die Höhe des jeweils maßgeblichen Zugangsfaktors. Nach § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3 iVm Satz 2 und 3 SGB VI aF ergibt sich, dass bei vor Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch genommenen Renten eine maximale Minderung des Zugangsfaktors um 10,8 % auf 0,892 durchzuführen ist. Den so zu ermittelnden Monatsbetrag (Geldwert) der Rente sowie dessen einzelne Berechnungselemente hat die Beklagte zutreffend festgestellt. Nach eigener Prüfung macht sich der Senat die Berechnung der Beklagten im angefochtenen Bescheid (Blatt 95 ff Verwaltungsakte) zu eigen.
Auch aus der Rechtsprechung des BSG (16.05.2006, B 4 RA 22/05 R, BSGE 96, 209-217 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3 = juris) lässt sich ein höherer Geldwert der Rente des Klägers nicht ableiten. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung der mittlerweile für das Rentenrecht zuständigen Senate des BSG an (Urteile des 5. Senats vom 14.08.2008, B 5 R 140/07 R, juris und 25.11.2008, B 5 R 112/08 R, juris; Beschlüsse des 13. Senats vom 26.06.2008, B 13 R 9/08 S und B 13 R 11/08 S, jeweils juris). Die hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG mit ausführlichen Gründen zurückgewiesen (Beschluss vom 11.01.2011, 1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09, SozR 4-2600 § 77 Nr 9 = juris) und diese Rechtsprechung bestätigt (Beschlüsse vom 01.02.2011, 1 BvR 1262/10, juris und 07.02.2011, 1 BvR 642/09, juris). Anlass für eine materiellrechtlich oder verfassungsrechtlich abweichende Beurteilung sieht der Senat nicht (ebenso vgl zB Bayerisches LSG, 29.03.2012, L 19 R 904/10, juris; Bayerisches LSG, 31.01.2012, L 13 R 812/11, juris; LSG Nordrhein-Westfalen, 21.10.2011, L 14 R 570/11, juris). Somit hat die Beklagte § 77 SGB VI - insbesondere dessen Abs 2 Satz 3 - auch vorliegend zutreffend angewandt; zutreffend ist die Beklagte daher von einer Minderung des Zugangsfaktors von 1,0 um 0,108 auf 0,892 ausgegangen. Dem Kläger steht daher keine höhere Rente zu.
Ein Verstoß gegen europäisches Recht, sei es solches der EU bzw der Europäischen Menschenrechtskonvention, kann der Senat nicht feststellen. Der Sachverhalt weist keinen europarechtlichen Bezug auf, weshalb EU-Recht schon nicht einschlägig ist. Im Übrigen dient dieses der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Folge der Ausübung des Rechts der Arbeitnehmerfreizügigkeit und nicht der Vereinheitlichung von nationalen Systemen, weshalb EU-Recht nicht dazu führt, dass für die Rentenberechnung in einem Mitgliedsstaat maßgebliche Regelungen außer Kraft gesetzt werden. Darüber hinaus besteht auch nach Art 14 EMRK kein Anspruch auf Zugrundelegung eines ungeminderten Zugangsfaktors.
Da auch sonstige Fehler bei der Berechnung der Rentenhöhe, auch bei der Berücksichtigung von Hinzuverdienst (vgl Bescheid vom 05.11.2004) nicht ersichtlich sind, hat die Beklagte die Rente des Klägers ab dem 01.01.2004 zutreffend berechnet und festgesetzt.
Ist damit weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem sich als unzutreffend herausstellenden Sachverhalt ausgegangen worden, besteht kein Anspruch auf (teilweise) Rücknahme des Bescheids vom 27.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2005.
Auch hat das SG zutreffend dem Kläger Kosten iHv 150,00 EUR auferlegt. Nachdem das BVerfG in den genannten und auch dem Kläger bzw dessen Bevollmächtigten bekannten und von diesem zitierten Entscheidungen es für mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten hat, versicherungsmathematische Abschläge auch bei Renten wegen Erwerbsminderung anzusetzen, war die Rechtsverfolgung vorliegend offensichtlich ohne Erfolgsaussicht. Das hatte auch der Kläger, der sich das Wissen und Wollen seines Vertreters zurechnen lassen muss, erkannt. Das Beharren auf einem Ruhen des Verfahrens, obwohl die Beklagte dem nicht mehr zugestimmt hat, mit dem Ziel des Abwartens eines noch auszuwählenden Musterverfahrens zum Europäischen Gerichtshof bzw zum EGMR, ohne nähere inhaltliche Begründung in der Sache sowie die Fortführung des Verfahrens bei offensichtlicher und erkannter Erfolglosigkeit führen in der vorliegenden prozessualen Situation dazu, dass die Fortführung des Rechtsstreits als missbräuchlich anzusehen ist. Das SG hat hierauf ausreichend hingewiesen und dem Kläger über seinen Bevollmächtigten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Bei der Entscheidung nach § 192 Abs 1 Satz 1 SGG steht dem SG Ermessen zu. Dies kann dazu führen, dass - im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalles - in einem Verfahren Kosten auferlegt werden, in einem anderen dagegen nicht. Dies ist aber vorliegend nicht willkürlich, denn die vom SG im Gerichtsbescheid dargestellten Umstände erscheinen nicht als sachwidrig.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat im Rahmen seines Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben ist. Der Senat sieht vorliegend angesichts der bereits vom SG verhängten Kosten nach § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG von einer Verhängung solcher Kosten im Berufungsverfahren nochmals ab, auch wenn sich die prozessuale Situation im Vergleich zum erstinstanzlichen Verfahren insoweit nicht verändert hat.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
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