Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 808/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 5563/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. November 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Schwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen ist.
Der 1949 geborene Kläger war vom 28.01.1971 bis 31.03.2004 als Zimmermann bei der Firma G. GmbH in L. und vom 01.04.2004 bis 26.11.2005 als Facharbeiter bei der Firma R. GmbH Bauunternehmung S. versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 01.03.2006 ist er als Maurer und Schaler bei der G. S. Wohnbau GmbH in P. versicherungspflichtig beschäftigt.
Mit Schreiben vom 01.02.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Verletztenrente. Beigefügt war die vom Arzt für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten Dr. J. am 08.10.2007 in einem Verfahren wegen Schwerbehinderung erstellte sachverständige Zeugen-aussage. Dieser führte darin aus, beim Kläger, der sich seit 1994 in seiner regelmäßigen Behandlung befinde, habe sich anfänglich das Bild einer geringgradigen innenohrbedingten Hochtonschwerhörigkeit mit lärmverdächtiger Senkenbildung im Hochtonbereich, speziell am rechten Ohr, gezeigt. Von Anfang an geklagte Ohrgeräusche hätten sich im Laufe der Jahre intensiviert. Ab Juli 1999 habe sich das Hörvermögen progredient verschlechtert, wobei sich speziell im Hochtonbereich Verschlechterungen durch Ausprägung einer lärmtypischen Senken¬bildung ergeben hätten. Die Innenohrhochtonschwerhörigkeit sei als leicht- bis mittelgradig zu bezeichnen. Eine "wenigstens anteilmäßige Berufserkrankung gemäß BK 2301" sei anzu¬nehmen.
Auf Anfrage der Beklagten legte Dr. J. ein Ton- und Sprachaudiogramm vom 02.03.2007 sowie mehrere Arztbriefe vor. Im Arztbrief vom 09.07.1999 führte er aus, das Audiogramm sei annähernd normgerecht, es bestehe eine akute Hörminderung. Dr. J. diagnostizierte ein Cerumen obturans (kompletter Verschluss des äußeren Gehörgangs durch einen Ohrenschmalzpfropf) und eine subakute Otitis externa (Entzündung des äußeren Gehörgangs). Eine Lärmprophylaxe am Arbeitsplatz sei erforderlich. Im Arztbrief vom 07.12.2005 wird eine leichtgradige Innen¬ohrschwerhörigkeit (hochtonig) angegeben. Im Arztbrief vom 05.11.2007 wird als Audio¬grammbefund eine leichtgradige Innenohrschwerhörigkeit mitgeteilt, eine Progredienz der Schwerhörigkeit sei auszuschließen.
Nach Beiziehung des bei der IKK geführten Vorerkrankungsregisters des Klägers führte der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten in der Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 01.07.2008 unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers zur beruflichen Lärmeinwirkung, einer Arbeitsplatz-Lärmanalyse, der BIA-Untersuchung "Lärmbelastung an Baustellenarbeitsplätzen", Lärmmessungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen sowie Lärm-messungen anderer BG Lärm-Fachstellen aus, das Risikomaß nach "von Lüpke" betrage 3,9. Die Entstehung einer entschädigungspflichtigen Lärmschwerhörigkeit sei möglich. In Anlehnung an die VDI-Richtlinie 2058, Bl. 2, seien Lärmgefährdungen dann hinreichend gehörgefährdend, wenn R = 2,4 erreicht oder überschritten werde.
Die Beklagte zog Ergebnisse arbeitsmedizinischer Untersuchungen vom 25.01.1990, 17.10.1994 und 26.10.1998 bei. Die Ergebnisse des Hörtests (Luftleitung) waren hierbei 1990 auffällig, bei den Untersuchungen 1994 und 1998 dagegen unauffällig.
Die Beklagte beauftragte daraufhin Dr. J. mit der Erstellung eines HNO-ärztlichen Gutachtens. Im Gutachten vom 29.09.2008 und der ergänzenden Stellungnahme vom 20.10.2008 führte dieser aus, beim Kläger bestehe eine innenohrbedingte Hochtonschwerhörigkeit leichtgradigen Umfangs, links etwas stärker als rechts, bei Miteinbeziehung des mittleren Frequenzbereichs in den Hörverlust bei normgerechtem Hörvermögen im Tieftonbereich. Es bestehe ein prozentualer Hörverlust von rechts weniger als 10 %, links 20 %. Bei einem Hörverlust für Zahlen von rechts 20 dB und links 25 dB und dem gewichteten Gesamtwortverstehen von rechts 235 und links 285 bestehe ein prozentualer Hörverlust von rechts 10 % und links 30 %. Die Seitendifferenz der Hörverluste sei berufsbedingt nicht begründbar. Weiter bestünden Ohrgeräusche links und gelegentlich rechts. Der Tinnitus aurium sei als typische Begleitsymptomatik der innenohrbedingten Hochtonschwerhörigkeit, speziell am linken Ohr, anzusehen. Der berufs¬bedingte Hörverlust einschließlich des Tinnitus bedinge eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. Die Entwicklung der Schwerhörigkeit habe vor 10 Jahren begonnen. Im Rahmen der Begutachtung hätten sich keine sonstigen Erkrankungen ergeben, die anteilmäßig für die Hörminderung hätten bedeutsam sein können.
Nachdem Prof. Dr. J. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 04.12.2008 zunächst angegeben hatte, ohne Kenntnis des Verlaufs und der früheren Audiogramme müsse der Bewertung von Dr. J. zugestimmt werden, führte er in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 07.12.2008 nach Beiziehung der von 1999 bis 2007 erstellten Audiogramme aus, bei den Hörprüfungen anlässlich der arbeitsmedizinischen Voruntersuchungen sei das Ergebnis der Untersuchung von 1990 bei einzelnen Frequenzen um bis 30 dB schlechter gewesen als das Ergebnis der Untersuchung 1994, dieses aber noch einmal um den gleichen Betrag als das von 1998, das noch weitgehende Normalhörigkeit attestiere. Hier werde also eine Schwerhörigkeit immer besser, dies stelle einen nicht möglichen Verlauf dar. Auch nach den in der Praxis Dr. J. erstellten Tonaudiogrammen vom 09.07.1999, 01.12.2000, 07.12.2000, 02.03.2007 und 02.11.2007 habe beim Kläger im Juli 1999 noch Normalhörigkeit bestanden. In den folgenden fünf Jahren sei es zu einer beidseitigen Zunahme der Schwerhörigkeit gekommen, wobei ein Schrägverlauf der Hörverlustkurven auffällig sei. Darüber hinaus wäre immer noch eine auf den Hochtonbereich begrenzte Senke zu erwarten. Der sich hier darstellende Schrägverlauf wäre nur bei deutlich höheren Schallintensitäten als 89 dB (A) zu erwarten. Die Schwerhörigkeit sei deshalb nicht als berufsbedingt einzustufen, gleiches gelte für den Tinnitus.
Mit Bescheid vom 18.12.2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Berufskrankheiten-Liste (BK) ab. Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht.
Den hiergegen mit Schreiben vom 22.12.2008 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2009 zurück. Eine Verursachung der Lärmschwerhörigkeit durch die berufliche Tätigkeit sei nicht gegeben.
Hiergegen hat der Kläger am 09.03.2009 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben.
Nachdem der Kläger angegeben hatte, er habe von 1994 bis 2008 bei Dr. J. in ärztlicher Behandlung gestanden, hat dieser in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 14.04.2010 zunächst angegeben, der Kläger habe nie in seiner ärztlichen Behandlung gestanden, es sei lediglich eine HNO-ärztliche Begutachtung erfolgt. Mit Schreiben vom 30.04.2011 hat Dr. J. so¬dann die Behandlungsdaten des Klägers seit 1999 mitgeteilt. Danach waren am 01.12.2000, 07.12.2005, 02.03.2007 und 29.05.2007 Behandlungen wegen Myoarthropathie der Kiefer-gelenke erfolgt.
HNO-Arzt Dr. O. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 15.04.2010 mitgeteilt, der Kläger stehe seit 12.06.2009 in seiner Behandlung. Er hat ein am 26.07.2009 erstelltes Tonaudiogramm vorgelegt, auf das Bezug genommen wird.
Das SG hat daraufhin HNO-Arzt Dr. R. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Im HNO-fachärztlichen Gutachten vom 14.09.2011 hat dieser ausgeführt, beim Kläger liege auf HNO-ärztlichem Fachgebiet eine beiderseitige geringgradige Perzeptionsschwerhörigkeit (Innenohrschwerhörigkeit) mit einem prozentualen Hörverlust von jeweils 30 % vor. Auf der linken Seite bestehe ein geringfügiger, kompensierter Tinnitus auris bei 8 kHz, der schwellennah verdeckbar sei. Die Hörstörungen seien pantonal (über alle Messfrequenzen) und beträfen vorwiegend den Hoch- wie auch den Tieftonbereich auf beiden Gehörgängen. Im Mitteltonbereich um 1000 Hz sei die Störung noch als geringgradig einzustufen. Die vom TAD dokumentierten Arbeitsplatzbedingungen mit einer permanenten Lärmexposition von 89 dB (A) seien keinesfalls geeignet gewesen, die beim Kläger vorliegenden Innenohrschädigungen auszulösen. Bis zum Jahr 2000, also 29 bis 30 Jahre lang, sei es bei gleichmäßigem Lärmexpositionspegel zu keinen bleibenden Gehörschädigungen gekommen. Die 1990 und 1994 erhobenen pathologischen Befunde könnten nicht lärmbedingt sein, da Lärmschäden immer irreversibel seien und sich deshalb nicht bessern könnten. Die zweimal in den Jahren 1999 und 2000 dokumentierten Normalbefunde belegten, dass zuvor eine lärmbedingte, bleibende Gehör¬schädigung nicht vorgelegen habe. Die Lärmexpositionsbedingungen am Arbeitsplatz seien nicht geeignet gewesen, die bei der gutachterlichen Untersuchung festgestellten Hörstörungen zu bewirken. Es seien ausschließlich andere Ursachen als die berufliche Lärmexposition für die festgestellten Gesundheitsstörungen in Betracht zu ziehen. In Frage kämen degenerative Ursachen wie auch Zusammenhänge mit endokrinologisch festgestellten Autoimmunstörungen. Eine Berufskrankheit nach BK Nr. 2301 bestehe im vorliegenden Fall nicht. Unabhängig von der Ursache sei die MdE aufgrund einer beidseitigen geringgradigen Perzeptionsstörung mit einem prozentualen Hörverlust von jeweils 30 % mit 15 v.H. zu bewerten, und zwar erst ab dem 13.09.2011, weil zuvor die Hörverluste mehrmals uneinheitlich gewesen seien. Die ersten deutlich pathologischen prozentualen Hörverluste seien im Jahr 2007 festgestellt worden, wobei aber uneinheitliche MdE-Bewertungen zwischen 0 und 15 v.H. resultieren würden. Noch 2009 hätte aufgrund des Audiogramms Nr. 7 die MdE mit 0 v.H. bewertet werden müssen.
Mit Urteil vom 10.11.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die berufliche Lärmbelastung sei nicht wesentliche Ursache der beim Kläger vorliegenden Hörstörung. Deren Entwicklung und Verlauf sei völlig untypisch für eine Lärmschwerhörigkeit und die Lärmexposition am Arbeitsplatz von 89 dB (A) nicht ausreichend. Auf den Inhalt des Urteils wird im Übrigen Bezug genommen.
Gegen das am 16.11.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.12.2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die bisher zugrunde gelegten Schallpegel seien nicht zutreffend. Vor dem Jahr 2005 habe er fast ein ganzes Jahr in einer Halle der Firma B. gearbeitet und sei unter anderem damit beschäftigt gewesen, mit Boschhämmern Mauern abzubrechen. Der hierbei in dem geschlossenen Raum erzeugte Lärm sei wesentlich höher als die Lärmentwicklung in einem freien Gelände. Hinzu komme, dass er nie Gehörschutz getragen habe.
Auf Anfrage des Senats hat der ehemalige Geschäftsführer der Firma G. GmbH mit Schreiben vom 13.04.2012 mitgeteilt, der Kläger sei in einer Halle bei der Firma B. eingesetzt gewesen und habe dort in geschlossenen Räumen mit Boschhämmern Mauern abbrechen müssen. Der zeit¬liche Umfang dieser Tätigkeit habe drei bis vier Stunden pro Schicht betragen. Die Tätigkeit des Klägers habe sich insbesondere bezüglich der Lärmeinwirkung nach dem Jahr 2000 nicht geändert. In der Bescheinigung vom 14.03.2012 hat die Firma R. GmbH gleichfalls bestätigt, dass der Kläger bei Umbauarbeiten im B. S.-F. Arbeiten mit Boschhämmern in einem zeitlichen Umfang von zwei bis vier Stunden täglich auszuführen hatte. Hierzu hat der Kläger im Erörte¬rungstermin vom 23.05.2012 ausgeführt, bei der Firma G. GmbH habe er nur bei der Firma B. gearbeitet. Die ganze Kolonne, in welcher er bei der Firma G. GmbH bis 2004 gearbeitet habe, sei von der Firma R. GmbH übernommen worden. Auch dort habe er wie zuvor nur für die Firma B. gearbeitet.
In einer Stellungnahme vom 25.06.2012 hat der TAD der Beklagten ausgeführt, aufgrund der Angaben des Klägers zu seinen beruflichen Tätigkeiten bei der Befragung am 01.07.2008 sei die damit einhergehende Lärmexposition als vergleichbar mit der eines Bauwerkers im Hochbau eingeschätzt worden. In den Pegelwert von 89 dB (A) des Bauwerkers im Hochbau seien die typischerweise auf Baustellen anfallenden Tätigkeiten eingerechnet worden.
Der Senat hat beim Sachverständigen Dr. R. eine ergänzende Stellungnahme eingeholt. In der Stellungnahme vom 04.08.2012 hat dieser ausgeführt, auch ein angenommener höherer Schall-druckpegel als 89 dB (A) lasse eine andere Beurteilung hinsichtlich der beruflichen Verursachung der Schwerhörigkeit nicht zu. Folgende Tatsachen sprächen gegen die tatsächliche Wahrscheinlichkeit einer lärmbedingten Schwerhörigkeitsentwicklung: - Die gemessenen Hörverlustbefunde 1994 seien bezüglich der prognostizierten Vergleichswerte (bei Annahme von höheren Beurteilungspegeln) zu günstig. - Die zweimal dokumentierten audiologischen Befunde aus den Jahren 1999 und 2000 mit praktisch jeweils normalem Hörschwellenverlauf ließen die für eine Lärmschwerhörigkeit kontinuierliche Negativentwicklung nicht erkennen; sie unterbrächen abrupt die ohne diese Dokumente durchaus denkbare Hörverlustentwicklung, wie sie bei einer Lärmschädigung zu beobachten wäre. Schäden der Haarzellen aufgrund von Lärmeinflüssen könnten sich aber weder spontan noch durch therapeutische Maßnahmen verbessern. - Das Audiogramm vom 16.07.2009 falle aus dem Rahmen einer typischen Lärm-schädigungsentwicklung mit deutlichen Tieftonverlusten beidseits und einem fast völlig fehlenden Hochtonverlust auf der linken Seite. - Die denkbar mögliche Alternativ-Hypothese, dass eine "wirkungsvolle" Lärmexposition erst nach dem Jahr 2000 eingesetzt haben könnte, scheitere daran, dass die prognostizierten Hörverlustwerte für die folgenden Jahre selbst bei einem Pegel von 95 dB (A), also der drei-fachen Lautstärke als vom Präventionsdienst der Beklagten ermittelt, nicht in der Lage wären, die tatsächlich bis 2011 gemessenen Hörverluste nur annähernd zu erreichen; die realen Messer¬gebnisse seien also zu ungünstig. - Die Symmetrie der Hörschwellenverläufe sei zu Ungunsten der linken Seite verschoben. - Zu keinem Zeitpunkt sei das typische audiometrische Bild einer C5-Senke dokumentiert. Bei Betrachtung des Gesamtzeitraums könnte diese Phase zwischen 1975 und etwa 1985 gelegen haben, was mangels geeigneter Dokumentation im Verborgenen bleibe. Die tendenziell einer lärmbedingten Hörstörung im audiometrischen Bild am ehesten entsprechende Hörschwellen-kurve sei im Audiogramm vom 07.12.2005 für die rechte Seite auszumachen. Für die linke Seite wären bereits die Hörverluste bei 4 und 6 kHz mit 70 bzw. 89 dB zu hoch, als dass sie den Prognoseberechnungen für das 0,05 Perzentil (ISO 1999) mit maximal 60 bzw. 65 dB bei Beurteilungs-Pegel 90 dB(A) entsprechen könnten. Aber auch dieser Hypothese wiederspreche die Tatsache der 1999 und 2000 als annähernd normal festgestellten Hörschwellenverläufe. Insgesamt seien die Arbeitsplatzbedingungen nicht ursächlich für die Ausbildung des audio-logischen Befundes vom 13.09.2011 gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. November 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2009 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Be-zug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat mit der angefochtenen Entscheidung zu Recht die Feststellung des Vorliegens einer BK Nr. 2301 abgelehnt.
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII). Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundes-rates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungs-schutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten erleiden. Die Bundesre-gierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätig-keit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung die BKV vom 31.10.1997 (BGBl. I S. 2623) erlassen, in welcher als BK Nr. 2301 die Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit aufgeführt ist.
Das Vorliegen einer Listen-BK setzt danach folgende Tatbestandsmerkmale voraus: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrich-tung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewiss¬heit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlich¬keit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R - juris).
Die BK Nr. 2301 bezeichnet die durch Dauerlärm am Arbeitsplatz hervorgerufene Schwer-hörigkeit. Als gehörschädigend wird eine Lärmeinwirkung von mehr als 85 dB (A) als äquiva-lenter Dauerschallpegel bei einem 8-Stunden-Tag über viele Arbeitsjahre angesehen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 328). Nach dem Merkblatt zu der Berufskrankheit Nr. 2301 (BEK. des BMAS vom 01.07.2008; GMBl. Nr. 39 vom 05. August 2008) ist Lärm im Sinne dieses Merkblatts jeder Schall (Geräusch), der das Gehör schädigen kann und der gleichmäßig als Dauerlärm oder stark schwankend oder als Impulslärm auf die Versicherten eingewirkt hat. Sehr kurze Spitzenschall-druckpegel (Dauer kleiner als 10 msek) hoher Intensität (größer 137 dB C), die u.a. beim Schießen und bei Explosionen oder beim Richten von Metallen mit Hammerschlägen entstehen können, sind gesondert zu betrachten, weil sich deren Schädigungsmechanismus von dem einer chronischen Lärmeinwirkung niedrigerer Intensität unterscheidet. Bei einem Tages-Lärm-Expositionspegel von mehr als 90 dB (A) und lang andauernder Einwirkung besteht für einen beträchtlichen Teil der Betroffenen die Gefahr einer Gehörschädigung. Gehörschäden werden auch bereits durch langjährigen Lärm verursacht, dessen Tages-Lärm-Expositionspegel den Wert von 85 dB (A) erreicht oder überschreitet. Der am Arbeitsplatz dauernd oder nur kurzfristig einwirkende Lärm wird mit einem Filter (a) gemessen, der das Messgerät der Empfin¬dungsfähigkeit des menschlichen Ohres annähernd. Die so registrierten Schallpegel werden in einen für den Arbeitsplatz repräsentativen Zeitraum fortlaufend erfasst. Das Integral unter der Erfassungskurve ist der energieäquivalente Tages-Lärm-Expositionspegel, der die Wirkung eines Geräusches auf das Ohr kennzeichnet. Er ist der Pegel eines für die Dauer einer achtstündigen Arbeitsschicht konstanten Geräusches oder, bei zeitlich schwankendem Pegel, der diesem gleich¬gesetzte Pegel. Wenn die Tages-Lärm-Exposition an den Tagen einer Arbeitswoche unterschied¬lich sind, wird der Wochen-Expositionspegel auf eine vierzigstündige Arbeitswoche bezogen. Der Versicherungsfall einer BK Nr. 2301 ist bereits dann eingetreten, wenn eine - auch nur geringe - lärmbedingte Hörstörung messbar ist, auch ohne dass eine MdE vorliegt.
Beim Kläger besteht zwar eine Schwerhörigkeit. Der Senat stützt sich hierbei auf die von Dr. R. bei der gutachterlichen Untersuchung des Klägers am 13.09.2011 sowie auf die von den behandelnden Ärzten Dr. J. und Dr. O. mitgeteilten Befunde. Danach besteht beim Kläger eine beidseitige geringgradige Perzeptionsschwerhörigkeit (Innenohrschwerhörigkeit) mit einem prozentualen Hörverlust von jeweils 30 %. Die Hörstörungen sind pantonal und betreffen vorwiegend den Hoch- wie auch den Tieftonbereich auf beiden Gehörorganen. Im Mittelton-bereich um 1000 Hz ist die Störung als noch geringgradig einzustufen. Darüber hinaus besteht ein linksseitiger geringfügiger, kompensierter Tinnitus auris bei 8 kHz, der schwellennah verdeckbar ist.
Die beim Kläger vorliegende geringgradige Innenohrschwerhörigkeit ist jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit wesentlich durch die berufliche Lärmeinwirkung verursacht oder ver-schlimmert worden. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Dr. R. am 14.09.2011 erstattete Gutachten sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 04.08.2012.
Als potentiell gehörschädigend gilt ein Lärmpegel von 85 dB (A). Darunter liegende Pegel sind nicht geeignet, eine organische Dauerschädigung des Gehörs zu bewirken. Als mittelstarke Pegel werden Lautstärken von 90 bis 105 dB (A) angesehen. Bei Vorliegen derartiger Bedingungen entwickelt sich bei entsprechender individueller Empfindlichkeit die Lärmschwerhörigkeit in den ersten 15 bis 18 Jahren relativ rasch. Beginnend mit einer Absenkung der Hörschwellenkurve im Hochtonbereich, die als C5-Senke (entsprechend der Frequenz des fünfgestrichenen c: 4096 Hz) bezeichnet wird, die sich allmählich verstärkt, vertieft und verbreitert, wird bei anhaltendem Lärm nach ca. 15 Jahren eine gewisse Sättigung erreicht, so dass unter weiteren Lärmbedingungen die Schwerhörigkeit nur noch langsam zunimmt und/oder mittlere Frequenzen mit umfasst. Es entsteht sodann das audiometrische Bild eines Steilabfalls oder Schrägabfalls der Hörschwellenkurve, wonach dann auch das Sprachverständnis zunehmend mit beeinträchtigt wird. Entscheidende Kriterien sind damit Lautstärke und Dauer des einwirkenden Lärms. Je höher der Lärmpegel, desto rascher ist mit bleibenden Schäden am Innenohr zu rechnen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass nach Beendigung der Lärmexposition der erreichte Schädigungs¬stand stabil bleibt. Die entstandenen irreversiblen Schädigungen sind einerseits nicht therapierbar, andererseits zeigen sie bei Fehlen weiterer Lärmimmissionen keinerlei Progredienz. Ein weiteres typisches Merkmal einer Lärmschwerhörigkeit ist die Symmetrie der Hörschwellen¬kuren, da die Lärmeinwirkung, bis auf wenige Ausnahmesituationen, regelmäßig beide Ohren gleichmäßig trifft.
Dahin gestellt bleiben kann, ob der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit einer Lärmexposition von 89 dB (A) ausgesetzt war, wie der TAD der Beklagten unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers bei dessen Befragung ermittelt hat, oder ob die durchschnittliche Lärmbelastung des Klägers höher lag. Eine solche höhere Lärmbelastung kann sich insbesondere daraus ergeben, dass der Kläger keinen Gehörschutz getragen hat. Gegen eine berufliche Verursachung der Lärmschwerhörigkeit spricht nämlich maßgeblich, dass die in den Jahren 1999 und 2000 doku¬mentierten audiologischen Befunde mit praktisch jeweils normalem Hörschwellenverlauf die für eine Lärmschwerhörigkeit kontinuierliche Negativentwicklung nicht erkennen lassen. Diese Be¬funde belegen, dass zuvor eine lärmbedingte bleibende Gehörschädigung nicht stattgefunden hat und dass es somit von 1971 bis 2000 in 29 bis 30 Lärmarbeitsjahren zu keinen irreversiblen Hörstörungen gekommen ist.
Die danach einzig denkbare mögliche Alternativ-Hypothese, dass eine "wirkungsvolle" Lärm-exposition erst nach dem Jahr 2000 eingesetzt hat, scheitert daran, dass die prognostizierten Hörverlustwerte für die folgenden Jahre selbst bei einem Pegel von 95 dB (A), also der dreifachen Lautstärke als vom Präventionsdienst der Beklagten ermittelt, nicht in der Lage wären, die tatsächlich bis 2011 gemessenen Hörverluste auch nur annähernd hervorzurufen; dass also die realen Messergebnisse zu ungünstig sind. Dies heißt, dass selbst eine Lärmexposition im genannten Ausmaß nicht zu der stattgehabten Verschlechterung des Hörvermögens geführt haben kann.
Zudem sind die Ausführungen des Bevollmächtigten des Klägers in der Berufungsbegründung, der Kläger sei ab dem Jahr 2004 einer wesentlich höheren Lärmeinwirkung ausgesetzt gewesen, indem er u.a. damit beschäftigt gewesen sei, in einer Halle mit Boschhämmern Mauern abzubrechen, nicht zutreffend. Denn zum einen hat der Arbeitgeber G. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 13.04.2012 mitgeteilt, die Tätigkeit des Klägers habe sich insbesondere auch bezüglich der Lärmeinwirkung nach dem Jahr 2000 nicht geändert. Dem entnimmt der Senat, dass der Kläger auch vor dem Jahr 2000 in Wesentlichen die gleichen Tätigkeiten mit der gleichen Lärmbelastung wie danach ausgeübt hat, ohne dass bis zum Jahr 2000 eine relevante Hörminderung aufgetreten ist. Zum anderen hat der Kläger im Erörterungstermin am 23.05.2012 bestätigt, dass er sowohl während seiner Beschäftigung bei der Firma G. GmbH als auch bei der Firma R. GmbH nur bei der Firma B. gearbeitet und dort alle anfallenden Tätigkeiten verrichtet hat. Damit lag auch nach dem Wechsel des Arbeitgebers von der Firma G. GmbH zur Firma R. GmbH bezüglich der Lärmexposition keine wesentliche Änderung vor. Dahingestellt bleiben kann deshalb auch, ob der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit Gehörschutz getragen hat.
Gegen eine berufliche Verursachung der Lärmschwerhörigkeit spricht weiter, dass die Symmetrie der Hörschwellenverläufe zu Ungunsten der linken Seite verschoben ist, dass also keine seitengleiche Absenkung vorliegt, wie sie bei einer lärmbedingten Schädigung zu erwarten wäre. Zudem ist zu keinem Zeitpunkt das typische audiometrische Bild einer C 5-Senke dokumentiert.
Zu berücksichtigen ist weiter, dass Anhaltspunkte für mögliche andere Ursachenfaktoren bestehen. Beim Kläger wurde im Jahr 1997 eine primäre Nebennierenrindeninsuffizienz sowie eine atrophische Autoimmunthyreoiditis diagnostiziert, im Jahr 1998 sind zwei Auto-immunreaktionen dokumentiert. Hinzu tritt eine chronische obstruktive Lungenkrankheit mit zeitweiliger Sauerstoffuntersättigung sowie möglicherweise ein jahrelanger Analgetika-Ge-brauch wegen orthopädisch bedingter Schmerzen. Die Autoimmunreaktionen kommen als mög-liche nicht beruflich bedingte Ursache der Innenohrstörungen in Betracht, wie der Sachver-ständige Dr. R. ausgeführt hat.
Der Senat folgt nicht der Beurteilung von Dr. J. im Gutachten vom 29.09.2008 und der ergän-zenden Stellungnahme vom 20.10.2008, wonach beim Kläger eine beruflich bedingte Lärm-schwerhörigkeit vorliege. Denn dieser hat lediglich die im Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung vorliegenden Hörwerte zugrunde gelegt. Er hat sich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass beim Kläger im Jahr 2000 noch ein weitgehend normales Hörvermögen bestand. Hierzu hätte umso mehr Anlass bestanden, als der Kläger angegeben hatte, seine Schwerhörigkeit habe vor 10 Jahren begonnen. Dr. J. hat sich auch nicht mit dem von ihm festgestellten Befund auseinandergesetzt, die Seitendifferenz der Hörverluste sei berufsbedingt nicht begründbar bzw. hierzu lediglich ausgeführt, es sei eine erhöhte Vulnerabilität des linken Ohres gegenüber der rechten Seite anzunehmen. Schließlich steht der von ihm getroffenen Bewertung, es seien keine sonstigen Erkrankungen des Klägers ersichtlich, die anteilmäßig für eine Hörminderung hätten bedeutsam sein können, entgegen, dass der Sachverständige Dr. R. mögliche Erkrankungen genannt hat, die für die Schwerhörigkeit ursächlich sein könnten.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Schwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen ist.
Der 1949 geborene Kläger war vom 28.01.1971 bis 31.03.2004 als Zimmermann bei der Firma G. GmbH in L. und vom 01.04.2004 bis 26.11.2005 als Facharbeiter bei der Firma R. GmbH Bauunternehmung S. versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 01.03.2006 ist er als Maurer und Schaler bei der G. S. Wohnbau GmbH in P. versicherungspflichtig beschäftigt.
Mit Schreiben vom 01.02.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Verletztenrente. Beigefügt war die vom Arzt für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten Dr. J. am 08.10.2007 in einem Verfahren wegen Schwerbehinderung erstellte sachverständige Zeugen-aussage. Dieser führte darin aus, beim Kläger, der sich seit 1994 in seiner regelmäßigen Behandlung befinde, habe sich anfänglich das Bild einer geringgradigen innenohrbedingten Hochtonschwerhörigkeit mit lärmverdächtiger Senkenbildung im Hochtonbereich, speziell am rechten Ohr, gezeigt. Von Anfang an geklagte Ohrgeräusche hätten sich im Laufe der Jahre intensiviert. Ab Juli 1999 habe sich das Hörvermögen progredient verschlechtert, wobei sich speziell im Hochtonbereich Verschlechterungen durch Ausprägung einer lärmtypischen Senken¬bildung ergeben hätten. Die Innenohrhochtonschwerhörigkeit sei als leicht- bis mittelgradig zu bezeichnen. Eine "wenigstens anteilmäßige Berufserkrankung gemäß BK 2301" sei anzu¬nehmen.
Auf Anfrage der Beklagten legte Dr. J. ein Ton- und Sprachaudiogramm vom 02.03.2007 sowie mehrere Arztbriefe vor. Im Arztbrief vom 09.07.1999 führte er aus, das Audiogramm sei annähernd normgerecht, es bestehe eine akute Hörminderung. Dr. J. diagnostizierte ein Cerumen obturans (kompletter Verschluss des äußeren Gehörgangs durch einen Ohrenschmalzpfropf) und eine subakute Otitis externa (Entzündung des äußeren Gehörgangs). Eine Lärmprophylaxe am Arbeitsplatz sei erforderlich. Im Arztbrief vom 07.12.2005 wird eine leichtgradige Innen¬ohrschwerhörigkeit (hochtonig) angegeben. Im Arztbrief vom 05.11.2007 wird als Audio¬grammbefund eine leichtgradige Innenohrschwerhörigkeit mitgeteilt, eine Progredienz der Schwerhörigkeit sei auszuschließen.
Nach Beiziehung des bei der IKK geführten Vorerkrankungsregisters des Klägers führte der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten in der Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 01.07.2008 unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers zur beruflichen Lärmeinwirkung, einer Arbeitsplatz-Lärmanalyse, der BIA-Untersuchung "Lärmbelastung an Baustellenarbeitsplätzen", Lärmmessungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen sowie Lärm-messungen anderer BG Lärm-Fachstellen aus, das Risikomaß nach "von Lüpke" betrage 3,9. Die Entstehung einer entschädigungspflichtigen Lärmschwerhörigkeit sei möglich. In Anlehnung an die VDI-Richtlinie 2058, Bl. 2, seien Lärmgefährdungen dann hinreichend gehörgefährdend, wenn R = 2,4 erreicht oder überschritten werde.
Die Beklagte zog Ergebnisse arbeitsmedizinischer Untersuchungen vom 25.01.1990, 17.10.1994 und 26.10.1998 bei. Die Ergebnisse des Hörtests (Luftleitung) waren hierbei 1990 auffällig, bei den Untersuchungen 1994 und 1998 dagegen unauffällig.
Die Beklagte beauftragte daraufhin Dr. J. mit der Erstellung eines HNO-ärztlichen Gutachtens. Im Gutachten vom 29.09.2008 und der ergänzenden Stellungnahme vom 20.10.2008 führte dieser aus, beim Kläger bestehe eine innenohrbedingte Hochtonschwerhörigkeit leichtgradigen Umfangs, links etwas stärker als rechts, bei Miteinbeziehung des mittleren Frequenzbereichs in den Hörverlust bei normgerechtem Hörvermögen im Tieftonbereich. Es bestehe ein prozentualer Hörverlust von rechts weniger als 10 %, links 20 %. Bei einem Hörverlust für Zahlen von rechts 20 dB und links 25 dB und dem gewichteten Gesamtwortverstehen von rechts 235 und links 285 bestehe ein prozentualer Hörverlust von rechts 10 % und links 30 %. Die Seitendifferenz der Hörverluste sei berufsbedingt nicht begründbar. Weiter bestünden Ohrgeräusche links und gelegentlich rechts. Der Tinnitus aurium sei als typische Begleitsymptomatik der innenohrbedingten Hochtonschwerhörigkeit, speziell am linken Ohr, anzusehen. Der berufs¬bedingte Hörverlust einschließlich des Tinnitus bedinge eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. Die Entwicklung der Schwerhörigkeit habe vor 10 Jahren begonnen. Im Rahmen der Begutachtung hätten sich keine sonstigen Erkrankungen ergeben, die anteilmäßig für die Hörminderung hätten bedeutsam sein können.
Nachdem Prof. Dr. J. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 04.12.2008 zunächst angegeben hatte, ohne Kenntnis des Verlaufs und der früheren Audiogramme müsse der Bewertung von Dr. J. zugestimmt werden, führte er in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 07.12.2008 nach Beiziehung der von 1999 bis 2007 erstellten Audiogramme aus, bei den Hörprüfungen anlässlich der arbeitsmedizinischen Voruntersuchungen sei das Ergebnis der Untersuchung von 1990 bei einzelnen Frequenzen um bis 30 dB schlechter gewesen als das Ergebnis der Untersuchung 1994, dieses aber noch einmal um den gleichen Betrag als das von 1998, das noch weitgehende Normalhörigkeit attestiere. Hier werde also eine Schwerhörigkeit immer besser, dies stelle einen nicht möglichen Verlauf dar. Auch nach den in der Praxis Dr. J. erstellten Tonaudiogrammen vom 09.07.1999, 01.12.2000, 07.12.2000, 02.03.2007 und 02.11.2007 habe beim Kläger im Juli 1999 noch Normalhörigkeit bestanden. In den folgenden fünf Jahren sei es zu einer beidseitigen Zunahme der Schwerhörigkeit gekommen, wobei ein Schrägverlauf der Hörverlustkurven auffällig sei. Darüber hinaus wäre immer noch eine auf den Hochtonbereich begrenzte Senke zu erwarten. Der sich hier darstellende Schrägverlauf wäre nur bei deutlich höheren Schallintensitäten als 89 dB (A) zu erwarten. Die Schwerhörigkeit sei deshalb nicht als berufsbedingt einzustufen, gleiches gelte für den Tinnitus.
Mit Bescheid vom 18.12.2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Berufskrankheiten-Liste (BK) ab. Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht.
Den hiergegen mit Schreiben vom 22.12.2008 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2009 zurück. Eine Verursachung der Lärmschwerhörigkeit durch die berufliche Tätigkeit sei nicht gegeben.
Hiergegen hat der Kläger am 09.03.2009 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben.
Nachdem der Kläger angegeben hatte, er habe von 1994 bis 2008 bei Dr. J. in ärztlicher Behandlung gestanden, hat dieser in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 14.04.2010 zunächst angegeben, der Kläger habe nie in seiner ärztlichen Behandlung gestanden, es sei lediglich eine HNO-ärztliche Begutachtung erfolgt. Mit Schreiben vom 30.04.2011 hat Dr. J. so¬dann die Behandlungsdaten des Klägers seit 1999 mitgeteilt. Danach waren am 01.12.2000, 07.12.2005, 02.03.2007 und 29.05.2007 Behandlungen wegen Myoarthropathie der Kiefer-gelenke erfolgt.
HNO-Arzt Dr. O. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 15.04.2010 mitgeteilt, der Kläger stehe seit 12.06.2009 in seiner Behandlung. Er hat ein am 26.07.2009 erstelltes Tonaudiogramm vorgelegt, auf das Bezug genommen wird.
Das SG hat daraufhin HNO-Arzt Dr. R. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Im HNO-fachärztlichen Gutachten vom 14.09.2011 hat dieser ausgeführt, beim Kläger liege auf HNO-ärztlichem Fachgebiet eine beiderseitige geringgradige Perzeptionsschwerhörigkeit (Innenohrschwerhörigkeit) mit einem prozentualen Hörverlust von jeweils 30 % vor. Auf der linken Seite bestehe ein geringfügiger, kompensierter Tinnitus auris bei 8 kHz, der schwellennah verdeckbar sei. Die Hörstörungen seien pantonal (über alle Messfrequenzen) und beträfen vorwiegend den Hoch- wie auch den Tieftonbereich auf beiden Gehörgängen. Im Mitteltonbereich um 1000 Hz sei die Störung noch als geringgradig einzustufen. Die vom TAD dokumentierten Arbeitsplatzbedingungen mit einer permanenten Lärmexposition von 89 dB (A) seien keinesfalls geeignet gewesen, die beim Kläger vorliegenden Innenohrschädigungen auszulösen. Bis zum Jahr 2000, also 29 bis 30 Jahre lang, sei es bei gleichmäßigem Lärmexpositionspegel zu keinen bleibenden Gehörschädigungen gekommen. Die 1990 und 1994 erhobenen pathologischen Befunde könnten nicht lärmbedingt sein, da Lärmschäden immer irreversibel seien und sich deshalb nicht bessern könnten. Die zweimal in den Jahren 1999 und 2000 dokumentierten Normalbefunde belegten, dass zuvor eine lärmbedingte, bleibende Gehör¬schädigung nicht vorgelegen habe. Die Lärmexpositionsbedingungen am Arbeitsplatz seien nicht geeignet gewesen, die bei der gutachterlichen Untersuchung festgestellten Hörstörungen zu bewirken. Es seien ausschließlich andere Ursachen als die berufliche Lärmexposition für die festgestellten Gesundheitsstörungen in Betracht zu ziehen. In Frage kämen degenerative Ursachen wie auch Zusammenhänge mit endokrinologisch festgestellten Autoimmunstörungen. Eine Berufskrankheit nach BK Nr. 2301 bestehe im vorliegenden Fall nicht. Unabhängig von der Ursache sei die MdE aufgrund einer beidseitigen geringgradigen Perzeptionsstörung mit einem prozentualen Hörverlust von jeweils 30 % mit 15 v.H. zu bewerten, und zwar erst ab dem 13.09.2011, weil zuvor die Hörverluste mehrmals uneinheitlich gewesen seien. Die ersten deutlich pathologischen prozentualen Hörverluste seien im Jahr 2007 festgestellt worden, wobei aber uneinheitliche MdE-Bewertungen zwischen 0 und 15 v.H. resultieren würden. Noch 2009 hätte aufgrund des Audiogramms Nr. 7 die MdE mit 0 v.H. bewertet werden müssen.
Mit Urteil vom 10.11.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die berufliche Lärmbelastung sei nicht wesentliche Ursache der beim Kläger vorliegenden Hörstörung. Deren Entwicklung und Verlauf sei völlig untypisch für eine Lärmschwerhörigkeit und die Lärmexposition am Arbeitsplatz von 89 dB (A) nicht ausreichend. Auf den Inhalt des Urteils wird im Übrigen Bezug genommen.
Gegen das am 16.11.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.12.2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die bisher zugrunde gelegten Schallpegel seien nicht zutreffend. Vor dem Jahr 2005 habe er fast ein ganzes Jahr in einer Halle der Firma B. gearbeitet und sei unter anderem damit beschäftigt gewesen, mit Boschhämmern Mauern abzubrechen. Der hierbei in dem geschlossenen Raum erzeugte Lärm sei wesentlich höher als die Lärmentwicklung in einem freien Gelände. Hinzu komme, dass er nie Gehörschutz getragen habe.
Auf Anfrage des Senats hat der ehemalige Geschäftsführer der Firma G. GmbH mit Schreiben vom 13.04.2012 mitgeteilt, der Kläger sei in einer Halle bei der Firma B. eingesetzt gewesen und habe dort in geschlossenen Räumen mit Boschhämmern Mauern abbrechen müssen. Der zeit¬liche Umfang dieser Tätigkeit habe drei bis vier Stunden pro Schicht betragen. Die Tätigkeit des Klägers habe sich insbesondere bezüglich der Lärmeinwirkung nach dem Jahr 2000 nicht geändert. In der Bescheinigung vom 14.03.2012 hat die Firma R. GmbH gleichfalls bestätigt, dass der Kläger bei Umbauarbeiten im B. S.-F. Arbeiten mit Boschhämmern in einem zeitlichen Umfang von zwei bis vier Stunden täglich auszuführen hatte. Hierzu hat der Kläger im Erörte¬rungstermin vom 23.05.2012 ausgeführt, bei der Firma G. GmbH habe er nur bei der Firma B. gearbeitet. Die ganze Kolonne, in welcher er bei der Firma G. GmbH bis 2004 gearbeitet habe, sei von der Firma R. GmbH übernommen worden. Auch dort habe er wie zuvor nur für die Firma B. gearbeitet.
In einer Stellungnahme vom 25.06.2012 hat der TAD der Beklagten ausgeführt, aufgrund der Angaben des Klägers zu seinen beruflichen Tätigkeiten bei der Befragung am 01.07.2008 sei die damit einhergehende Lärmexposition als vergleichbar mit der eines Bauwerkers im Hochbau eingeschätzt worden. In den Pegelwert von 89 dB (A) des Bauwerkers im Hochbau seien die typischerweise auf Baustellen anfallenden Tätigkeiten eingerechnet worden.
Der Senat hat beim Sachverständigen Dr. R. eine ergänzende Stellungnahme eingeholt. In der Stellungnahme vom 04.08.2012 hat dieser ausgeführt, auch ein angenommener höherer Schall-druckpegel als 89 dB (A) lasse eine andere Beurteilung hinsichtlich der beruflichen Verursachung der Schwerhörigkeit nicht zu. Folgende Tatsachen sprächen gegen die tatsächliche Wahrscheinlichkeit einer lärmbedingten Schwerhörigkeitsentwicklung: - Die gemessenen Hörverlustbefunde 1994 seien bezüglich der prognostizierten Vergleichswerte (bei Annahme von höheren Beurteilungspegeln) zu günstig. - Die zweimal dokumentierten audiologischen Befunde aus den Jahren 1999 und 2000 mit praktisch jeweils normalem Hörschwellenverlauf ließen die für eine Lärmschwerhörigkeit kontinuierliche Negativentwicklung nicht erkennen; sie unterbrächen abrupt die ohne diese Dokumente durchaus denkbare Hörverlustentwicklung, wie sie bei einer Lärmschädigung zu beobachten wäre. Schäden der Haarzellen aufgrund von Lärmeinflüssen könnten sich aber weder spontan noch durch therapeutische Maßnahmen verbessern. - Das Audiogramm vom 16.07.2009 falle aus dem Rahmen einer typischen Lärm-schädigungsentwicklung mit deutlichen Tieftonverlusten beidseits und einem fast völlig fehlenden Hochtonverlust auf der linken Seite. - Die denkbar mögliche Alternativ-Hypothese, dass eine "wirkungsvolle" Lärmexposition erst nach dem Jahr 2000 eingesetzt haben könnte, scheitere daran, dass die prognostizierten Hörverlustwerte für die folgenden Jahre selbst bei einem Pegel von 95 dB (A), also der drei-fachen Lautstärke als vom Präventionsdienst der Beklagten ermittelt, nicht in der Lage wären, die tatsächlich bis 2011 gemessenen Hörverluste nur annähernd zu erreichen; die realen Messer¬gebnisse seien also zu ungünstig. - Die Symmetrie der Hörschwellenverläufe sei zu Ungunsten der linken Seite verschoben. - Zu keinem Zeitpunkt sei das typische audiometrische Bild einer C5-Senke dokumentiert. Bei Betrachtung des Gesamtzeitraums könnte diese Phase zwischen 1975 und etwa 1985 gelegen haben, was mangels geeigneter Dokumentation im Verborgenen bleibe. Die tendenziell einer lärmbedingten Hörstörung im audiometrischen Bild am ehesten entsprechende Hörschwellen-kurve sei im Audiogramm vom 07.12.2005 für die rechte Seite auszumachen. Für die linke Seite wären bereits die Hörverluste bei 4 und 6 kHz mit 70 bzw. 89 dB zu hoch, als dass sie den Prognoseberechnungen für das 0,05 Perzentil (ISO 1999) mit maximal 60 bzw. 65 dB bei Beurteilungs-Pegel 90 dB(A) entsprechen könnten. Aber auch dieser Hypothese wiederspreche die Tatsache der 1999 und 2000 als annähernd normal festgestellten Hörschwellenverläufe. Insgesamt seien die Arbeitsplatzbedingungen nicht ursächlich für die Ausbildung des audio-logischen Befundes vom 13.09.2011 gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. November 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2009 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Be-zug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat mit der angefochtenen Entscheidung zu Recht die Feststellung des Vorliegens einer BK Nr. 2301 abgelehnt.
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII). Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundes-rates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungs-schutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten erleiden. Die Bundesre-gierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätig-keit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung die BKV vom 31.10.1997 (BGBl. I S. 2623) erlassen, in welcher als BK Nr. 2301 die Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit aufgeführt ist.
Das Vorliegen einer Listen-BK setzt danach folgende Tatbestandsmerkmale voraus: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrich-tung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewiss¬heit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlich¬keit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R - juris).
Die BK Nr. 2301 bezeichnet die durch Dauerlärm am Arbeitsplatz hervorgerufene Schwer-hörigkeit. Als gehörschädigend wird eine Lärmeinwirkung von mehr als 85 dB (A) als äquiva-lenter Dauerschallpegel bei einem 8-Stunden-Tag über viele Arbeitsjahre angesehen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 328). Nach dem Merkblatt zu der Berufskrankheit Nr. 2301 (BEK. des BMAS vom 01.07.2008; GMBl. Nr. 39 vom 05. August 2008) ist Lärm im Sinne dieses Merkblatts jeder Schall (Geräusch), der das Gehör schädigen kann und der gleichmäßig als Dauerlärm oder stark schwankend oder als Impulslärm auf die Versicherten eingewirkt hat. Sehr kurze Spitzenschall-druckpegel (Dauer kleiner als 10 msek) hoher Intensität (größer 137 dB C), die u.a. beim Schießen und bei Explosionen oder beim Richten von Metallen mit Hammerschlägen entstehen können, sind gesondert zu betrachten, weil sich deren Schädigungsmechanismus von dem einer chronischen Lärmeinwirkung niedrigerer Intensität unterscheidet. Bei einem Tages-Lärm-Expositionspegel von mehr als 90 dB (A) und lang andauernder Einwirkung besteht für einen beträchtlichen Teil der Betroffenen die Gefahr einer Gehörschädigung. Gehörschäden werden auch bereits durch langjährigen Lärm verursacht, dessen Tages-Lärm-Expositionspegel den Wert von 85 dB (A) erreicht oder überschreitet. Der am Arbeitsplatz dauernd oder nur kurzfristig einwirkende Lärm wird mit einem Filter (a) gemessen, der das Messgerät der Empfin¬dungsfähigkeit des menschlichen Ohres annähernd. Die so registrierten Schallpegel werden in einen für den Arbeitsplatz repräsentativen Zeitraum fortlaufend erfasst. Das Integral unter der Erfassungskurve ist der energieäquivalente Tages-Lärm-Expositionspegel, der die Wirkung eines Geräusches auf das Ohr kennzeichnet. Er ist der Pegel eines für die Dauer einer achtstündigen Arbeitsschicht konstanten Geräusches oder, bei zeitlich schwankendem Pegel, der diesem gleich¬gesetzte Pegel. Wenn die Tages-Lärm-Exposition an den Tagen einer Arbeitswoche unterschied¬lich sind, wird der Wochen-Expositionspegel auf eine vierzigstündige Arbeitswoche bezogen. Der Versicherungsfall einer BK Nr. 2301 ist bereits dann eingetreten, wenn eine - auch nur geringe - lärmbedingte Hörstörung messbar ist, auch ohne dass eine MdE vorliegt.
Beim Kläger besteht zwar eine Schwerhörigkeit. Der Senat stützt sich hierbei auf die von Dr. R. bei der gutachterlichen Untersuchung des Klägers am 13.09.2011 sowie auf die von den behandelnden Ärzten Dr. J. und Dr. O. mitgeteilten Befunde. Danach besteht beim Kläger eine beidseitige geringgradige Perzeptionsschwerhörigkeit (Innenohrschwerhörigkeit) mit einem prozentualen Hörverlust von jeweils 30 %. Die Hörstörungen sind pantonal und betreffen vorwiegend den Hoch- wie auch den Tieftonbereich auf beiden Gehörorganen. Im Mittelton-bereich um 1000 Hz ist die Störung als noch geringgradig einzustufen. Darüber hinaus besteht ein linksseitiger geringfügiger, kompensierter Tinnitus auris bei 8 kHz, der schwellennah verdeckbar ist.
Die beim Kläger vorliegende geringgradige Innenohrschwerhörigkeit ist jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit wesentlich durch die berufliche Lärmeinwirkung verursacht oder ver-schlimmert worden. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Dr. R. am 14.09.2011 erstattete Gutachten sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 04.08.2012.
Als potentiell gehörschädigend gilt ein Lärmpegel von 85 dB (A). Darunter liegende Pegel sind nicht geeignet, eine organische Dauerschädigung des Gehörs zu bewirken. Als mittelstarke Pegel werden Lautstärken von 90 bis 105 dB (A) angesehen. Bei Vorliegen derartiger Bedingungen entwickelt sich bei entsprechender individueller Empfindlichkeit die Lärmschwerhörigkeit in den ersten 15 bis 18 Jahren relativ rasch. Beginnend mit einer Absenkung der Hörschwellenkurve im Hochtonbereich, die als C5-Senke (entsprechend der Frequenz des fünfgestrichenen c: 4096 Hz) bezeichnet wird, die sich allmählich verstärkt, vertieft und verbreitert, wird bei anhaltendem Lärm nach ca. 15 Jahren eine gewisse Sättigung erreicht, so dass unter weiteren Lärmbedingungen die Schwerhörigkeit nur noch langsam zunimmt und/oder mittlere Frequenzen mit umfasst. Es entsteht sodann das audiometrische Bild eines Steilabfalls oder Schrägabfalls der Hörschwellenkurve, wonach dann auch das Sprachverständnis zunehmend mit beeinträchtigt wird. Entscheidende Kriterien sind damit Lautstärke und Dauer des einwirkenden Lärms. Je höher der Lärmpegel, desto rascher ist mit bleibenden Schäden am Innenohr zu rechnen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass nach Beendigung der Lärmexposition der erreichte Schädigungs¬stand stabil bleibt. Die entstandenen irreversiblen Schädigungen sind einerseits nicht therapierbar, andererseits zeigen sie bei Fehlen weiterer Lärmimmissionen keinerlei Progredienz. Ein weiteres typisches Merkmal einer Lärmschwerhörigkeit ist die Symmetrie der Hörschwellen¬kuren, da die Lärmeinwirkung, bis auf wenige Ausnahmesituationen, regelmäßig beide Ohren gleichmäßig trifft.
Dahin gestellt bleiben kann, ob der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit einer Lärmexposition von 89 dB (A) ausgesetzt war, wie der TAD der Beklagten unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers bei dessen Befragung ermittelt hat, oder ob die durchschnittliche Lärmbelastung des Klägers höher lag. Eine solche höhere Lärmbelastung kann sich insbesondere daraus ergeben, dass der Kläger keinen Gehörschutz getragen hat. Gegen eine berufliche Verursachung der Lärmschwerhörigkeit spricht nämlich maßgeblich, dass die in den Jahren 1999 und 2000 doku¬mentierten audiologischen Befunde mit praktisch jeweils normalem Hörschwellenverlauf die für eine Lärmschwerhörigkeit kontinuierliche Negativentwicklung nicht erkennen lassen. Diese Be¬funde belegen, dass zuvor eine lärmbedingte bleibende Gehörschädigung nicht stattgefunden hat und dass es somit von 1971 bis 2000 in 29 bis 30 Lärmarbeitsjahren zu keinen irreversiblen Hörstörungen gekommen ist.
Die danach einzig denkbare mögliche Alternativ-Hypothese, dass eine "wirkungsvolle" Lärm-exposition erst nach dem Jahr 2000 eingesetzt hat, scheitert daran, dass die prognostizierten Hörverlustwerte für die folgenden Jahre selbst bei einem Pegel von 95 dB (A), also der dreifachen Lautstärke als vom Präventionsdienst der Beklagten ermittelt, nicht in der Lage wären, die tatsächlich bis 2011 gemessenen Hörverluste auch nur annähernd hervorzurufen; dass also die realen Messergebnisse zu ungünstig sind. Dies heißt, dass selbst eine Lärmexposition im genannten Ausmaß nicht zu der stattgehabten Verschlechterung des Hörvermögens geführt haben kann.
Zudem sind die Ausführungen des Bevollmächtigten des Klägers in der Berufungsbegründung, der Kläger sei ab dem Jahr 2004 einer wesentlich höheren Lärmeinwirkung ausgesetzt gewesen, indem er u.a. damit beschäftigt gewesen sei, in einer Halle mit Boschhämmern Mauern abzubrechen, nicht zutreffend. Denn zum einen hat der Arbeitgeber G. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 13.04.2012 mitgeteilt, die Tätigkeit des Klägers habe sich insbesondere auch bezüglich der Lärmeinwirkung nach dem Jahr 2000 nicht geändert. Dem entnimmt der Senat, dass der Kläger auch vor dem Jahr 2000 in Wesentlichen die gleichen Tätigkeiten mit der gleichen Lärmbelastung wie danach ausgeübt hat, ohne dass bis zum Jahr 2000 eine relevante Hörminderung aufgetreten ist. Zum anderen hat der Kläger im Erörterungstermin am 23.05.2012 bestätigt, dass er sowohl während seiner Beschäftigung bei der Firma G. GmbH als auch bei der Firma R. GmbH nur bei der Firma B. gearbeitet und dort alle anfallenden Tätigkeiten verrichtet hat. Damit lag auch nach dem Wechsel des Arbeitgebers von der Firma G. GmbH zur Firma R. GmbH bezüglich der Lärmexposition keine wesentliche Änderung vor. Dahingestellt bleiben kann deshalb auch, ob der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit Gehörschutz getragen hat.
Gegen eine berufliche Verursachung der Lärmschwerhörigkeit spricht weiter, dass die Symmetrie der Hörschwellenverläufe zu Ungunsten der linken Seite verschoben ist, dass also keine seitengleiche Absenkung vorliegt, wie sie bei einer lärmbedingten Schädigung zu erwarten wäre. Zudem ist zu keinem Zeitpunkt das typische audiometrische Bild einer C 5-Senke dokumentiert.
Zu berücksichtigen ist weiter, dass Anhaltspunkte für mögliche andere Ursachenfaktoren bestehen. Beim Kläger wurde im Jahr 1997 eine primäre Nebennierenrindeninsuffizienz sowie eine atrophische Autoimmunthyreoiditis diagnostiziert, im Jahr 1998 sind zwei Auto-immunreaktionen dokumentiert. Hinzu tritt eine chronische obstruktive Lungenkrankheit mit zeitweiliger Sauerstoffuntersättigung sowie möglicherweise ein jahrelanger Analgetika-Ge-brauch wegen orthopädisch bedingter Schmerzen. Die Autoimmunreaktionen kommen als mög-liche nicht beruflich bedingte Ursache der Innenohrstörungen in Betracht, wie der Sachver-ständige Dr. R. ausgeführt hat.
Der Senat folgt nicht der Beurteilung von Dr. J. im Gutachten vom 29.09.2008 und der ergän-zenden Stellungnahme vom 20.10.2008, wonach beim Kläger eine beruflich bedingte Lärm-schwerhörigkeit vorliege. Denn dieser hat lediglich die im Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung vorliegenden Hörwerte zugrunde gelegt. Er hat sich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass beim Kläger im Jahr 2000 noch ein weitgehend normales Hörvermögen bestand. Hierzu hätte umso mehr Anlass bestanden, als der Kläger angegeben hatte, seine Schwerhörigkeit habe vor 10 Jahren begonnen. Dr. J. hat sich auch nicht mit dem von ihm festgestellten Befund auseinandergesetzt, die Seitendifferenz der Hörverluste sei berufsbedingt nicht begründbar bzw. hierzu lediglich ausgeführt, es sei eine erhöhte Vulnerabilität des linken Ohres gegenüber der rechten Seite anzunehmen. Schließlich steht der von ihm getroffenen Bewertung, es seien keine sonstigen Erkrankungen des Klägers ersichtlich, die anteilmäßig für eine Hörminderung hätten bedeutsam sein können, entgegen, dass der Sachverständige Dr. R. mögliche Erkrankungen genannt hat, die für die Schwerhörigkeit ursächlich sein könnten.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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