L 7 AS 970/13 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 735/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 970/13 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Februar 2013 wird die Antragsgegnerin verpflichtet, vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 11. bis zum 28. Februar 2013 der Antragstellerin Ziff. 1 in Höhe von 311,71 Euro und die Antragstellerin Ziff. 2 von 21,- Euro sowie für die Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai 2013 der Antragstellerin Ziff. 1 in Höhe von monatlich 519,52 EUR und der Antragstellerin Ziff. 2 von monatlich 35,- EUR zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen.

Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren ab 13. März 2013 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. h.c. G., S. beigeordnet.

Gründe:

Die nach § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragssteller ist zulässig, insbesondere statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG und hat in der Sache Erfolg. Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, den Antragstellern im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) zu erbringen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 26. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Januar 2013 ist Gegenstand des Klageverfahrens S 15 AS 731/13 vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) und damit noch nicht bestandskräftig geworden, so dass er der Zulässigkeit einer solchen vorläufigen Regelung nicht entgegensteht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Verfassungsrechtliche Vorgaben zwingen gegebenenfalls jedoch diesen grundsätzlichen Entscheidungsmaßstab zu revidieren. Der einstweilige Rechtsschutz ist Ausfluss der in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) enthaltenen Garantie effektiven Rechtsschutzes. Aus dieser folgt das Gebot, soweit als möglich zu verhindern, dass durch hoheitliche Maßnahmen oder Entscheidungen der Verwaltungsbehörde Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn diese sich nach richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweisen, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Diese Gefahr besteht auch in der Leistungsverwaltung, wenn die Verwaltung ein Leistungsbegehren zurückweist. Auch neben Art. 19 Abs. 4 GG enthält das Verfassungsrecht Vorgaben für Maßstab und Prüfungsumfang gerichtlicher Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz. Die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende Wertentscheidung muss beachtet werden. Es ist Aufgabe des Staates und damit auch der Gerichte, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen. Diese beiden verfassungsrechtlichen Zielsetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes haben Auswirkungen auf den Entscheidungsmaßstab der Fachgerichte. Dieser verschärft sich, wenn nicht nur die prozessrechtliche Dimension des Art. 19 Abs. 4 GG betroffen ist, sondern dem materiellen Anspruch grundrechtliches Gewicht zukommt. Entscheidend ist, welche Rechtsverletzungen bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes drohen. Drohen schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Güter kann die gerichtliche Entscheidung nicht auf die nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht. Es genügt dabei bereits eine nur mögliche oder zeitweilig andauernde Verletzung. Der Entscheidung über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist dann, insbesondere wenn eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht möglich ist, eine umfassende Güter- und Folgenabwägung zugrunde zu legen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NZS 2003, 253 und NVwZ 2005, 927). Allerdings sind dabei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht völlig unberücksichtigt zu lassen. Denn eine Grundrechtsbeeinträchtigung kann von vornherein nicht vorliegen, wenn das Recht oder der Anspruch überhaupt nicht in Betracht kommt. Eine bestimmte Mindestwahrscheinlichkeit (z.B. überwiegend) ist aber nicht zu fordern (Senatsbeschluss vom 25. August 2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B - (juris); Krodel, NZS 2006, 637; Hk-SGG, 4. Aufl. 2012, § 86b Rdnr. 4).

Nach dem derzeitigen Sachstand kann ein Anspruch der Antragsteller im Zeitraum vom 11. Februar 2013 bis längstens 31. Mai 2013 auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II nicht ausgeschlossen werden. Die 1973 geborene Antragstellerin Ziff. 1 ist hilfebedürftig, wobei ihr hälftiger Miteigentumsanteil an dem 2-Zimmer-Appartment in L., R. ihre Hilfebedürftigkeit nicht entgegenstehen dürfte, da der in der Schenkungsurkunde dokumentierte Wert der Eigentumswohnung, der auf einem Wertgutachten basieren soll, lediglich 12.600,- L. betragen soll (entsprach am Tag der Antragstellung am 8. November 2012 2.786,10 Euro und entspricht heute 2856,66 Euro; recherchiert am 8. April 2013 unter "www.finanzen.net/waehrungsrechner") und damit bereits den Grundfreibetrag des § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II nicht übersteigen dürfte, und weitere Vermögenswerte und Einkommen nicht ersichtlich sind. Damit erfüllt sie die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 SGB II. Der r. Staatsangehörigen wurde zudem am 15. September 2010 eine unbefristet gültige Bescheinigung nach § 5 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) erteilt. Sie ist erwerbsfähig i.S.d. § 8 Abs. 2 SGB II, da für sie als r. Unionsbürgerin der erforderliche abstrakt-generelle Arbeitsmarktzugang besteht (§ 8 Abs. 2 S. 2 SGB II, § 284 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung (SGB III), § 39 Aufenthaltsgesetz (AufenthG); vgl. dazu bspw. Senatsbeschluss vom 20. September 2011 - L 7 AS 3428/11 ER-B -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2012 - L 3 AS 1477/11 -). Die 2011 geborene Antragstellerin Ziff. 2 ist die Tochter der Antragstellerin Ziff. 1, gehört deren Haushalt an und verfügt lediglich über ihr zurechenbares Einkommen aus Kindergeld in Höhe von 184,- Euro, aus dem sie ihren Lebensunterhalt nicht vollständig bestreiten kann (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II).

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind von den Leistungen des SGB II jedoch u.a. ausgeschlossen (1.) Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts sowie (2.) Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.

Dass der Leistungsanspruch der Antragsteller, die sich jedenfalls im hier streitigen Zeitraum länger als drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, tatsächlich nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen ist, wie die Antragsgegnerin meint, kann nicht sicher festgestellt werden. Es spricht viel dafür, dass diese bundesgesetzliche Regelung mit dem Recht der Europäischen Union in seiner Ausprägung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht vereinbar und damit auf Unionsbürger zumindest nicht einschränkungslos anzuwenden ist (Senatsbeschlüsse vom 1. Oktober 2012 - L 7 AS 3836/12 ER-B -; vom 25. August 2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B -). Mit der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II wollte der Gesetzgeber von der Möglichkeit nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, vom 29. April 2004 (RL 2004/38/EG) Gebrauch machen (BT-Drucks. 16/5065 S. 234). Dieser sieht ausdrücklich vor, dass ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b RL 2004/38/EG (Arbeitsuche) einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 4. Juni 2009 (Slg. 2009, I-4585 (Vatsouras und Koupatantze)) die Vereinbarkeit dieser Richtlinienregelung mit dem speziellen Gleichbehandlungsgrundsatz für Arbeitsuchende gem. Art. 39 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 in der konsolidierten Fassung vom 24. Dezember 2002 (EGV) festgestellt. Diese Vereinbarkeit beruht auf einer Auslegung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, dass es angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft (Art. 18 EGV) und der Ausprägung, die das Recht der Gleichbehandlung in der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat, nicht mehr möglich ist, vom Anwendungsbereich des Art. 39 Abs. 2 EGV eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates erleichtern soll (EuGH a.a.O. sowie Slg. 2004, I-2703 (Collins) und Slg. 2005, I-8275 (Ioannidis)). Allerdings hat es auch der EuGH für legitim angesehen, dass ein Mitgliedstaat eine solche Beihilfe erst gewährt, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates festgestellt wurde (EuGH a.a.O.). Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG wäre daher nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 39 Abs. 2 EGV vereinbar, wenn man hierin eine Ermächtigungsgrundlage für eine nationale Regelung sehen wollte, arbeitsuchende Unionsbürger für die gesamte Dauer der Arbeitsuche von Leistungen auszuschließen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Des Weiteren liefert die Richtlinienbestimmung kein starres Kriterium für die Feststellung der vom EuGH in der Collins-Entscheidung verlangten Verbindung des Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates (vgl. Schlussanträge des Generalanwaltes (Slg. 2009, I-4585 (Vatsouras und Koupatantze)). Ein Verstoß einer nationalen Ausschlussregelung gegen Art. 39 Abs. 2 EGV liegt somit nicht vor, wenn es sich bei der versagten Leistung um eine reine Sozialhilfeleistung handelt oder die Regelung eine zulässige Festlegung der Verbindung des arbeitsuchenden Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates trifft.

Nach Auffassung des Senats stellen die Leistungen des SGB II - auch das den Lebensunterhalt sichernde Arbeitslosengeld II (Alg II) - keine reine Sozialhilfeleistung in diesem Sinne dar (Senatsbeschlüsse vom 1. Oktober 2012 - L 7 AS 3836/12 ER-B -; vom 20. September 2011 - L 7 AS 3428/11 ER-B -; vom 25. August 2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B -). Zwar umfasst das Alg II eine pauschalierte, dem Regelsatz der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vergleichbare Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes sowie die Übernahme der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung. Ähnlich wie in der Sozialhilfe nach dem SGB XII sind für verschiedene Bedarfslagen Leistungen für Mehrbedarfe vorgesehen. Ohne Zweifel stellt das Alg II eine steuerfinanzierte staatliche Fürsorgeleistung dar, die der Sicherung des Lebensunterhalts i.S.d. des soziokulturellen Existenzminimums dient (die Eigenschaft als Sozialhilfe aus diesem Grund bejahend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2012 - L 3 AS 1477/11 -; Beschlüsse vom 22. Februar 2010 - L 13 AS 356/10 ER-B - und vom 15. April 2010 - L 13 AS 1124/10 ER-B - (alle juris) m.w.N.).

Zwar ist es allein Sache der nationalen Behörden und Gerichte, den Zweck und die Leistungsvoraussetzungen der fraglichen, nach nationalem Recht gewährten Leistung festzustellen. Die Bewertung, ob die Leistung mit dem festgestellten Zweck und den Tatbestandsmerkmalen Sozialhilfe i.S.d. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG darstellt, mithin die Auslegung dieses Begriffes der Sozialhilfe, hat jedoch unter Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu erfolgen. Dabei ist der Zweck der Leistung nach Maßgabe ihrer Ergebnisse und nicht anhand ihrer formalen Struktur zu untersuchen. Finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, können nicht als "Sozialhilfeleistungen" i.S.d. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG angesehen werden (EuGH a.a.O. (Vatsouras und Koupatantze)). Der Zweck der Sicherung des Lebensunterhalts und des Existenzminimums erlauben daher noch keine Zuordnung zur Sozialhilfe in diesem Sinne, wenn die Leistung zumindest auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert (vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts, a.a.O., (Vatsouras und Koupatantze): Sozialhilfeleistungen, die die Eingliederung in den Arbeitsmarkt fördern).

Die Eingliederung in den Arbeitsmarkt steht im Vordergrund der Leistungen nach dem SGB II (wie hier Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 7 Rdnr. 116 ff. m.w.N.; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 1 Rdnr. 9 ff.). Das ganze neue System der Grundsicherung in SGB II und XII durch die sog. Hartz IV-Gesetze beruht gerade auf der Unterscheidung von Hilfebedürftigen, die erwerbsfähig sind und noch einen Zugang zum Arbeitsmarkt haben und den nicht erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Ohne die Differenzierung nach der Eingliederungsmöglichkeit in den Arbeitsmarkt wäre eine Zuordnung der Hilfebedürftigen unter zwei verschiedene Grundsicherungssysteme nicht notwendig gewesen. Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte des SGB II, in dem die existenzsichernde Sozialhilfe mit der das Risiko der Arbeitslosigkeit sichernden Arbeitslosenhilfe zusammengeführt und von der reinen Sozialhilfe im SGB XII abgegrenzt wurde. Eine solche Grundsicherungsleistung, die eine steuerfinanzierte Lebensunterhaltssicherung und eine arbeitsmarktorientierte Arbeitslosenhilfe zusammenfasste, hatte der EuGH bereits am Recht der Gleichbehandlung der Arbeitsuchenden nach Art. 39 Abs. 2 EGV gemessen (EuGH, a.a.O., (Collins)). Des Weiteren sieht der EuGH (a.a.O., (Vatsouras und Koupatantze)) die Leistungsvoraussetzung der Erwerbsfähigkeit als Hinweis darauf an, dass die Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern soll. Die allgemeine Zielumschreibung des § 1 Abs. 2 Satz 2 SGB II macht deutlich, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht nur den Lebensunterhalt sichern soll, sondern die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützen soll. Diese den besonderen Regelungen vorangestellte Zielbestimmung gilt systematisch für alle Leistungen, nicht nur die speziellen Eingliederungsleistungen der §§ 14 bis 18a SGB II. Deutlicher wird dies noch durch den "Grundsatz des Forderns" in § 2 SGB II. So muss der erwerbsfähige Hilfebedürftige aktiv an allen Maßnahmen zu seiner Eingliederung in Arbeit mitwirken (§ 2 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Auch § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt ausdrücklich den Bezug zwischen der Leistungsgewährung und der Erforderlichkeit für die Eingliederung her. Schließlich verknüpfen die Sanktionsnormen der §§ 31 ff. SGB II den Eingliederungszweck mit der Lebensunterhalt sicherenden Alg II-Leistung. Dieses kann bei Verstößen gegen die eigene Eingliederungsobliegenheit des Hilfebedürftigen abgesenkt werden oder wegfallen. Auch die dem Lebensunterhalt dienende Alg II-Leistung wird mithin nicht losgelöst vom Ziel der Eingliederung in den Arbeitsmarkt erbracht. Das Bundessozialgericht (SozR 4-4200 § 7 Nr. 7 zur stationären Einrichtung) hat gerade in einer erwerbszentrierten Orientierung des SGB II das maßgebliche Abgrenzungskriterium zur Sozialhilfe nach dem SGB XII gesehen.

Da das Alg II keine reine Sozialhilfeleistung i.S.d. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG darstellt, ist die Zulässigkeit der Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II an den oben bereits dargestellten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Gleichbehandlung im Zugang zu finanziellen Leistungen für Arbeitsuchende zu messen, wie sie in der Rechtsprechung des EuGH entwickelt wurden. Danach ist es auch gemeinschaftsrechtlich zulässig, für den Zugang zu finanziellen Leistungen für Arbeitsuchende danach zu differenzieren, ob eine ausreichende Verbindung des arbeitsuchenden Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedsstaates besteht, die z.B. an ein Wohnorterfordernis anknüpft (EuGH, a.a.O., (Collins)). Dieses Kriterium der Verbindung zum Arbeitsmarkt dient dem Ausgleich der Ansprüche aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 39 Abs. 2 EGV mit den Gefahren des sog. "Sozialtourismus" (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts, a.a.O., (Vatsouras und Koupatantze)). Die Ausgestaltung erfolgt durch nationales Recht, das sich aber in den Grenzen der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben halten und insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren muss. Unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht ist danach ein unbefristeter Leistungsausschluss für die gesamte Zeit der Arbeitsuche des Unionsbürgers (vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts, a.a.O., (Vatsouras und Koupatantze)) wie in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorgesehen. Die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin Ziff. 1 i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB II nicht in Frage stellt. Sie sucht eine Beschäftigung, was u.a. in der Einstellungszusage der Lang Gaststätten GmbH zum Ausdruck kommt. Es besteht der nach dem SGB II vorausgesetzte, aber auch ausreichende Bezug zum Arbeitsmarkt, der die Leistungsgewährung gerade nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende rechtfertigt. Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf die Antragstellerin Ziff. 1 und die Antragstellerin Ziff. 2 als deren Familienangehörige nicht angewendet werden darf.

Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besteht eine Verpflichtung zur Vorlage im Wege der Vorabentscheidung durch den EuGH gem. Art. 234 EGV nicht; dem stünde bereits die Eilbedürftigkeit entgegen. Des Weiteren wird eine endgültige Entscheidung gerade nicht getroffen, sondern nur eine solche über einen vorläufigen Zustand. Dabei ist es möglich, aufgrund einer Interessen- und Folgenabwägung zu entscheiden, so dass die fragliche Norm nicht allein entscheidungserheblich wird. Dem Gewicht der Interessen und Rechte der Antragsteller ist ausreichend Rechnung zu tragen. Zu beachten ist, dass die begehrten Leistungen der Grundsicherung der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, was bereits nach dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland Pflicht des Staates ist (Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG; BVerfG, NVwZ 2005, 927). Auf Seiten des Grundsicherungsträgers ist das Interesse zu beachten, dass nun gewährte Leistungen angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller voraussichtlich nicht erstattet werden können, wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass ein Anspruch tatsächlich nicht bestanden hat. Den Antragstellern ihrerseits würden für einen nicht absehbaren Zeitraum die Leistungen vorenthalten, die sie zur Aufrechterhaltung ihres Existenzminimums und damit für ein der Menschenwürde entsprechendes Leben benötigen. Diese damit verbundenen Einschränkungen während des Zeitraumes ohne Leistungen sind auch im Falle einer Nachzahlung bei Erfolg in der Hauptsache nicht mehr zu beseitigen. Die Antragsteller wären darauf verwiesen, zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in den Mitgliedstaat "zurückzukehren", dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, was aus o.g. Gründen gerade eine Verletzung ihrer Grundrechte aus europäischem Gemeinschaftsrecht darstellen könnte. In Abwägung dieser Interessen erscheint es dem Senat angemessen, dass den Antragstellern die Leistungen zur Grundsicherung gewährt werden. Die Höhe der monatlich zu gewährenden Leistungen ergibt sich unter Berücksichtigung des Regelbedarfs für die alleinerziehende Antragstellerin Ziff. 1 in Höhe von 382,- Euro zuzüglich eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II in Höhe von 137,52 Euro. Dabei ist während der Inhaftierung des Ehemannes der Antragstellerin Ziff. 1 und des Vaters der Antragstellerin Ziff. 2 davon auszugehen, dass die Antragstellerin Ziff. 1 allein für die Pflege und Erziehung ihrer Tochter - die Antragstellerin Ziff. 1 - sorgt (so bspw. Behrend in jurisPK-SGB II, § 21 Rdnr. 36; Breitkreuz in Beck´scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 21 SGB II Rdnr. 9; Münder in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 21 Rdnr. 13; Sauer in ders./Kossens, SGB II, 1. Aufl. 2011, § 21 Rdnr. 31). Bei der Antragstellerin Ziff. 2 ist ein monatlicher Regelbedarf in Höhe von 219,- Euro sowie das ihr zuzurechnende Einkommen aus Kindergeld von monatlich 184,-Euro (§§ 7 Abs. 3 Nr. 4, 11 Abs. 1 S. 4 SGB II) zu berücksichtigen, so dass sich ein monatlicher Bedarf von 35,- Euro ergibt. Unterhaltsleistungen erhalten die Antragsteller nicht. Kosten der Unterkunft entstehen ihnen nach eigenen Angaben nicht. Der Senat hat die Antragsgegnerin zur Leistungserbringung ab Anbringung des einstweiligen Rechtsschutzantrages beim SG am 11. Februar 2013 verpflichtet und die Leistungshöhe für Februar 2013 gem. § 41 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB II berechnet. Die Befristung der Leistung erscheint dem Senat sachgerecht, um den Beteiligten die Möglichkeit zu eröffnen, den Aufenthaltsstatus des Antragsteller im Hinblick auf ihrer Vortrag, dass der Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 und Vater der Antragstellerin Ziff. 2 über ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a AufenthG verfüge, zu überprüfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Den Antragstellern war auch für das Beschwerdeverfahren gemäß § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114, 115, 119 Abs. 1 Satz 2 , 121 Abs. 2 der Zivilprozessordnung Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da die Antragsteller die wirtschaftlichen und persönlichen Voraussetzungen ausreichend glaubhaft gemacht haben und die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig war.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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