L 7 R 3073/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 2035/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 3073/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1957 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. In der Zeit von 1971 bis September 2005 war er u. a. als Stricker, Textilarbeiter, Montagearbeiter, Sägewerksarbeiter und zuletzt als Bandarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt.

Einen im April 2004 gestellten Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 21. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Mai 2005). Die dagegen vom Kläger zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage nahm er am 30. März 2006 zurück, nachdem der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. St. in seinem Gutachten vom 30. Januar 2006 von einem vollschichtigen Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen war (Aktenzeichen S 12 R 1904/05).

Am 10. Juli 2006 beantragte der Kläger erneut eine Rente wegen Erwerbsminderung. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 7. September 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Dezember 2006). Die gegen die ablehnende Entscheidung erhobene Klage nahm der Kläger im November 2007 zurück (SG Reutlingen - S 12 R 107/07 -).

Ein Grad der Behinderung ist bei dem Kläger festgestellt ab 6. Juli 2007 mit 70, seit 9. Oktober 2009 mit 100.

In der Zeit vom 8. Oktober bis zum 5. November 2008 absolvierte der Kläger eine medizinische Rehabilitation in der Klinik a. Sch. M. in Bad S., aus der er arbeitsunfähig und mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entlassen wurde. In dem Entlassungsbericht vom 19. November 2008 sind folgende Diagnosen aufgeführt: rezidivierende mittelgradige Depression, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Agoraphobie, soziale Phobie.

Der Kläger beantragte am 17. November 2008 bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte diesen Rentenantrag durch Bescheid vom 3. Dezember 2008 ab. Der Widerspruch des Klägers (Schreiben vom 12. Dezember 2008) blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2009), nachdem die Beklagte im Rahmen des Widerspruchverfahrens eine nervenärztliche Begutachtung des Klägers veranlasst hatte und der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. in seinem Gutachten vom 20. März 2009 - unter Berücksichtigung der Diagnosen Verdacht auf Dysthymie (Differenzialdiagnose rezidivierende längerdauernde Anpassungsstörung), Somatisierung mit angegebenen Kopfschmerzen, Schwankschwindel, Vergesslichkeit und Umfallen, Wirbelsäulenbeschwerden ohne radikuläre Symptomatik, insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit distal symmetrischer Polyneuropathie - zu der Einschätzung gelangt war, dass der Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr verrichten könne.

Hiergegen hat der Kläger am 25. Juni 2009 Klage zum SG erhoben.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen schriftlich einvernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Stellungnahmen des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie H. vom 29. Juli 2009 (Bl. 21/22 der SG-Akten), des Internisten Dr. Sch. vom 1. August 2009 (Bl. 23/29 der SG-Akten), des Internisten, Pneumologen und Allergologen Dr. L. vom 19. August 2009 (Bl. 36/40 der SG-Akten) und des Arztes Dr. V. vom 8. Oktober 2009 (Bl. 43 der SG-Akten) verwiesen.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie Prof. Dr. W. führt in ihrem Gutachten vom 18. März 2010 folgende Gesundheitsstörungen auf: essentieller Tremor, kein Anhalt für Morbus Parkinson, Nikotinabhängigkeit, kein sicherer Anhalt für eine Angststörung, wahrscheinlich Spannungskopfschmerz, wahrscheinlich chronische Lumbalgie ohne radikuläre Ausfälle, wahrscheinlich chronische Beinschmerzen, aktuell nicht schwerer depressiv, möglicherweise Dysthymie, Diabetes mellitus Typ II, Atembeschwerden, arterielle Hypertonie und Übergewicht. Es bestünden Hinweise auf Aggravation. Deshalb lasse sich unter Anlegung eines strengen Maßstabes nicht ausschließen, dass die Störungen nur vorgetäuscht oder nur gelegentlich zu beobachten seien. Der essentielle Tremor behindere den Kläger bei feinmotorischen Aufgaben. Der Kläger sei noch in der Lage, sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche Erwerbstätigkeiten auszuüben. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Gutachtens wird auf Bl. 63 bis 83 der SG-Akten verwiesen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein weiteres nervenärztliches Gutachten eingeholt. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ö. diagnostiziert bei dem Kläger eine schwere depressive Störung, einen essentiellen Tremor, eine Skoliose mit Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich, einen Diabetes mellitus Typ II (insulinpflichtig, gut eingestellt), Übergewicht, Bluthochdruck und ein metabolisches Syndrom. Die psychische Störung sei nicht vorgetäuscht. Aus eigener Willensanstrengung bzw. mit Hilfe zumutbarer ärztlicher Behandlung könne die schwere depressive Störung nicht überwunden werden. Der Kläger sei nur noch unter drei Stunden täglich in der Lage, leichte Tätigkeiten auszuführen. Hinsichtlich der Einzelheiten des Gutachtens wird auf Bl. 100 bis 155 der SG-Akten Bezug genommen.

Das SG hat bei Prof. Dr. W. hinsichtlich des Gutachtens von Dr. Ö. eine ergänzende Stellungnahme eingeholt, die an der von ihr in ihrem Gutachten vertretenen Leistungsbeurteilung festhielt (Stellungnahme vom 18. März 2010; Bl. 164/169 der SG-Akten). Auf Anfrage des SG ist auch Dr. Ö. bei der in seinem Gutachten enthaltenen Leistungsbeurteilung geblieben (Stellungnahme vom 25. Februar 2011, Bl. 171 bis 174 der SG-Akten).

Das SG hat mit Urteil vom 27. Juni 2011 die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente zu. Dieser sei zur Überzeugung des Gerichts in der Lage, leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden arbeitstäglich unter Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen zu verrichten. Dies ergebe sich aus dem nervenärztlichen Gutachten von Prof. Dr. W. und dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Dr. H ... Dagegen überzeuge das Gutachten des Dr. Ö. nicht.

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 5. Juli 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 21. Juli 2011 beim LSG Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Rentenbegehren weiter verfolgt. Der Kläger habe offensichtlich seit mindestens März 2011 keine antidepressive Medikation mehr eingenommen. Er müsse sich nunmehr in stationäre Behandlung begeben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. Juni 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. November 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

In der Zeit vom 7. Oktober bis zum 25. November 2011 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im V. v. P. Hospital R ... Im Entlassungsbericht der Oberärztin Dr. O. und des Dipl.-Psych. St. vom 1. Dezember 2012 sind die Diagnosen schwere depressive Episode bei bekannter rezidivierender depressiven Störung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Diabetes mellitus Typ II und Hypertonie aufgeführt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens. Der Sachverständige Dr. G., Leitender Oberarzt der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie der Klinik P., verifiziert in seinem Gutachten vom 2. Dezember 2012 eine Dysthymie und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung in leicht ausgeprägter Form, sowie einen essentiellen Tremor der Hände. Tätigkeiten sollten in wechselnder Körperhaltung ausgeführt werden. Zwangshaltung wie gebückte Haltung, längere Überkopfarbeiten sollten möglichst vermieden werden. Tätigkeiten, bei denen die volle Gebrauchsfähigkeit der Hände von Nöten ist, könnten nicht mehr ausgeführt werden. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten psychiatrischerseits noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zugemutet werden. Der Kläger sei in der Lage, viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zurückzulegen und zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten ohne zumutbare Schmerzen zu benutzen. Während der Arbeitszeit sei die Einhaltung von zusätzlichen betriebsunüblichen Arbeitspausen nicht erforderlich. Seine Einschätzung decke sich mit der von Prof. Dr. W ... Den Ausführungen und Einschätzungen des Gutachtens von Dr. Ö. könne er sich nicht anschießen. Erstaunlich sei, dass der Kläger eine fünfstündige Untersuchung durchgehalten habe, ohne dass dies als Durchhaltevermögen gekennzeichnet worden sei. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem wiederholt dokumentierten Verhalten des Klägers und dessen Motivation sei dem Gutachten von Dr. Ö. nicht zu entnehmen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Verfahrensakten des SG und des Senats sowie der Akten des SG Reutlingen S 12 R 107/07 und S 12 R 1904/05 und auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie wurde auch gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt.

Gegenstand des vorliegenden Verfahren ist allein ein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung gem. § 43 Sozialgesetzbuch (SGB) - Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI), nicht hingegen ein solcher wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 SGB VI. Zwar hat der Kläger nicht schon bei Antragstellung eine solche Einschränkung vorgenommen, zumal auch das Antragsformular der Beklagten diese Differenzierung nicht vorsieht. Entsprechend hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden über eine Rente sowohl nach § 43 SGB VI als auch nach § 240 SGB VI entschieden. Bereits bei der Klageerhebung hat der Kläger jedoch ausdrücklich nur eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung begehrt, ohne die in den angefochtenen Bescheiden ausdrücklich genannte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach der Übergangsregelung des § 240 SGB VI zu erwähnen. Auch in der Berufungsbegründung seiner auf dem Gebiet der Rentenversicherung erfahrenen Prozessbevollmächtigten hat er nicht auf einen besonderen Berufsschutz verwiesen. Für einen solchen bestehen - mangels durchlaufender Berufsausbildung oder sonstiger berufsspezifischer Qualifikationen - auch keine Anhaltspunkte.

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2009 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das SG hat einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zutreffend verneint.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung (Gesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, Seite 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit erwerbsgemindert waren, in der Zeit einen nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind und die genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen der Beklagten bei dem Kläger vor, insbesondere hinsichtlich der notwendigen Pflichtbeiträge und der Wartezeit. Der Kläger ist jedoch im Sinne der genannten gesetzlichen Regelung nicht erwerbsgemindert.

Bei der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers stehen im Vordergrund dessen Gesundheitsstörungen auf internistischem und nervenärztlichen Fachgebiet, mit denen dieser sein Klage- und Berufungsbegehren auch vorrangig begründet hat. Diese sind jedoch nicht von einer solchen Schwere, dass sie das Leistungsvermögen des Klägers in zeitlicher Hinsicht einschränken. Vielmehr genügen qualitative Einschränkungen, um dessen Leiden gerecht zu werden. Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf das nervenärztliche Fachgutachten von Dr. G. sowie das im erstinstanzlichen Verfahren bei Prof. Dr. W. eingeholte nervenärztliche Gutachten (nebst ergänzender Stellungnahme), das im Wege des Urkundenbeweises durch den Senat verwertet wurde.

Dr. G. hat die nach ausführlicher Exploration und Untersuchung ermittelten Befunde und die sich hieraus ergebenden Beeinträchtigungen anschaulich dargestellt und hieraus schlüssig und nachvollziehbar deren Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen des Klägers abgeleitet. Zunächst ist festzuhalten, dass bei dem Kläger mit einer Dysthymie und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung zwar eine Erkrankung auf psychiatrischem Gebiet vorliegt, diese jedoch nicht von einer solchen Schwere ist, dass sie sich nachhaltig auf dessen Leistungsfähigkeit auswirkt. Dies ergibt sich aus dem von Dr. G. erhobenen weitgehend unauffälligen psychiatrischen Befund. Im Rahmen der Untersuchung zeigte sich der Kläger freundlich und zugewandt, wach, bewusstseinsklar und vollständig orientiert. Er nahm zum Sachverständigen Kontakt auf und beantwortete alle Fragen mit normaler Antwortlatenz. Probleme, die Fragen zu verstehen, konnte der Sachverständige nicht feststellen. Das Antwortverhalten beschrieb Dr. G. als kontrolliert und bedacht. Hinweise auf Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen fand er nicht. Eine Abnahme der Konzentration im Untersuchungsverlauf sowie eine Tagesmüdigkeit konnte er nicht feststellen. Der Gedankengang war formal geordnet. Hinweise auf ein paranoides Erleben fanden sich nicht. Der Kläger machte keine Angaben über Zwänge, pathologische Ängste oder hypochondrische Befürchtungen. Die Stimmung des Klägers beschreibt Dr. G. als eher missmutig und deprimiert, ohne dabei tief depressiv zu sein. Der Kläger habe wenige Affekte gezeigt, habe situativ affektiv mitschwingen können. Schuldgefühle fand er nicht. Hinweise auf Antriebs- bzw. psychomotorische Störungen oder Störungen der Intelligenz oder Persönlichkeit konnte Dr. G. nicht feststellen. Auch der allgemein-körperliche und neurologische Befund stellte sich als weitgehend unauffällig dar. Im Rahmen neurologischen Untersuchung konnte Dr. G. - wie bereits Prof. Dr. W. und Dr. Ö. - einen essentiellen Tremor der Hände objektivieren. Der vom Sachverständigen Dr. G. erhobene Befund stimmt weitgehend mit dem in dem vom SG bei Prof. Dr. W. eingeholten Gutachten überein. Dort zeigte sich der Kläger kooperativ und freundlich zugewandt, bewusstseinsklar mit voller Orientierung bezüglich Zeit, Ort, zur Person und situativ, mit gutem Aufmerksamkeitsniveau, dem Gespräch konzentriert folgend, mit ungestörtem formalen Denkablauf, ohne Anhalt für über das Normale hinausgehende Befürchtungen oder Zwänge, Zwangsimpulse oder Zwangshaltungen, für wahnhaftes Denken oder Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen. Auch im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. W. war die Stimmung leicht zum Negativen hin verschoben. Der Kläger wirkte auf Prof. Dr. W. insbesondere unzufrieden und leicht verärgert. Die affektive Resonanzfähigkeit war leicht reduziert. Den Antrieb beschrieb Prof. Dr. W. als normal. Im Rahmen der körperlich-neurologischen Untersuchung konnte sie im Wesentlichen einen teilweise feinschlägigen, teilweise grobschlägigen Tremor feststellen. Prof. Dr. W. hat die nach ausführlicher Exploration und Untersuchung ermittelten Befunde dargestellt und hieraus - wie Dr. G. - schlüssig abgeleitet, dass der Kläger leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig ausüben kann. Prof. Dr. W. und Dr. G. gelangen aufgrund der nervenärztlichen Konstellation nachvollziehbar zu der Einschätzung, dass dem Kläger in qualitativer Hinsicht Tätigkeiten mit feinmotorischen Aufgaben und Tätigkeiten mit Zwangshaltungen (gebückte Haltungen, längere Überkopfarbeiten) unzumutbar sind.

Der Senat vermag sich nicht der Leistungsbeurteilung von Dr. Ö. anzuschließen. Dr. Ö. stützt seine Auffassung, der Kläger könne eine Erwerbstätigkeit nur in einem zeitlichen Umfang von unter 3 Stunden nachgehen, maßgeblich auf eine schwere depressive Störung, durch die der Kläger in seinem Denken und Empfinden so massiv beeinträchtigt sei, dass er jegliche Verantwortung, Empfindung und Dynamik, die hierfür erforderlich wären, vermissen lasse. Prof. Dr. W. weist in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 18. März 2010 zutreffend darauf hin, dass Dr. Ö. einen ähnlichen Befund erhoben hat, nämlich den eines Probanden, der ungenaue Angaben zu seinen Symptomen und seiner Vorgeschichte macht. Dr. Ö. hat diesen Befund - abweichend von der Beurteilung durch Prof. Dr. W. und Dr. G. - als Ausdruck einer Depression gewertet. Prof. Dr. W. hat das Verhalten des Klägers als Ausdruck zumindest einer Verdeutlichungstendenz bewertet und dies mit dem vom Kläger während der Untersuchung gezeigten Verhalten und dem Ergebnis der Medikamentenspiegel-Bestimmung, wonach das Medikament Propranolol, einem Betablocker, der auch peripher gegen Zittern wirksam ist, dessen Einnahme der Kläger am Untersuchungstag morgens behauptet hatte, nicht nachgewiesen werden konnte, begründet. Solche Hinweise auf eine Verdeutlichungstendenz fanden sich bereits in dem nervenärztlichen Gutachten von Dr. St. vom 30. Januar 2006, der die Beschwerdeschilderung und -darstellung des Klägers insgesamt von einer Aggravationstendenz gekennzeichnet ansah. Auch im Entlassungsbericht der Klinik a. Sch. M. Bad S. über die im Herbst 2008 durchgeführte stationäre medizinische Rehabilitation wird auf die mangelnde Motivation des Klägers und dessen primäres Anliegen, eine Rente zu beziehen, hingewiesen. Schließlich beschreibt auch der Sachverständige Dr. G. den Kläger als einen unzufriedenen, enttäuschten Mann, der mit der sozialrechtlichen Angelegenheit überfordert wirke, aber nicht depressiv sei. Depressive Symptome, die die Diagnose einer schweren Depression rechtfertigen, konnte auch der Sachverständige Dr. G. nicht beobachten. Die Einschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit durch Prof. Dr. W. und Dr. G. wird schließlich dadurch gestützt, dass keine erheblichen Beeinträchtigungen des Tagesablaufs festzustellen sind. Der Kläger ist ausweislich des Gutachtens von Dr. G. in der Lage, sich selbst zu versorgen, manchmal Staub zu saugen, Fern zu sehen, Spazieren zu gehen, Einkaufen zu gehen, in die Moschee zu gehen und Urlaub in der Türkei zu machen. Dieser Tagesablauf weicht nicht wesentlich von dem in den Gutachten von Dr. St. und Prof. Dr. W. dokumentierten Tagesablauf ab. Der Sachverständige Dr. G. hat darauf hingewiesen, dass der Kläger nach seinen Angaben auch früher keine Hobbies oder Interessen gehabt habe. Nach seinen eigenen Angaben sieht der Kläger den einzigen Unterschied zu seiner früheren Situation darin, dass er früher gearbeitet habe.

Weiterhin rechtfertigen die bei dem Kläger bestehenden körperlichen Gesundheitsstörungen ebenfalls keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht. Auf internistischem Fachgebiet liegt bei dem Kläger eine arterielle Hypertonie und ein Diabetes mellitus Typ II vor. Diese Gesundheitsstörungen haben jedoch keine Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit zur Folge, was sich für den Senat aus den Stellungnahmen des behandelnden Internisten Dr. Sch. und des Internisten, Pneumologen und Allergologen Dr. L. sowie dem Entlassungsbericht des V. v. P. Hospitals R. ergibt.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitraum noch in der Lage ist, noch mindestens 6 Stunden täglich jeweils eine körperlich leichte Tätigkeit zu verrichten. Die gesundheitlichen Einschränkungen sind weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (auch mit qualitativen Einschränkungen) täglich mindestens 6 Stunden verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel noch möglich, die Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie z. B. das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen u.s.w. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - BSGE 109,189). Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vermag der Senat nicht zu erkennen; solche hat der Kläger auch nicht geltend gemacht. Der Senat ist der Überzeugung, dass das Restleistungsvermögen des Klägers es diesem erlaubt, die oben genannten Verrichtungen oder Tätigkeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, auszuüben. Auch bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass die erforderliche Wegefähigkeit (vgl. dazu bspw. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 79/11 R - BSGE 110,1) beeinträchtigt ist.

Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI.

Somit hat die Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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