L 11 R 1038/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 26 R 444/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1038/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.01.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger aufgrund seines Antrags vom 18.01.2010 gegen die Beklagte ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, ggf bei Berufsunfähigkeit, zusteht.

Der am 07.01.1963 in der Türkei geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger, lebt seit September 1977 in der Bundesrepublik Deutschland. Er absolvierte keine Ausbildung und arbeitete ab 1979 als Helfer im Werkzeugbau, Plastikspritzer bzw Montagearbeiter. Am 09.04.2008 stellte der behandelnde Arzt Arbeitsunfähigkeit fest. Bis zum 16.09.2009 bezog der Kläger Krankengeld bzw in der Zeit vom 25.11 bis 23.11.2008 Übergangsgeld und ab 17.09.2009 Arbeitslosengeld sowie vom 01.12.2009 bis zum 07.01.2010 Übergangsgeld von der Beklagten. Das Arbeitsverhältnis endete zum 30.06.2010 wegen Schließung des Betriebs. Dem Kläger ist ein Grad der Behinderung von 60 seit 03/1997 zuerkannt. Der Kläger lebt seinen Angaben zufolge derzeit von der vom Arbeitgeber bezogenen Abfindung, Mieteinnahmen und der Unterstützung des Sohnes.

Vom 25.11.2008 bis zum 23.1.2008 befand sich der Kläger auf Kosten der Beklagten in einer stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation. Der Entlassbericht vom 29.12.2008 der Reha-Klinik am K. B. K. nennt als Diagnosen ein rezidivierendes Impingement beider Schultern, AC-Arthrose rechts mit mäßigen Funktionseinschränkungen, eine Arthroskopie rechte Schulter, Arthrolyse, subacrom Dekompression, Glättung ACG mit mäßigen Funktionseinschränkungen, eine rezidivierende tendomyotische Zervikobrachialgie und Zephalgie, ohne wesentliche Funktionseinschränkung, ein rezidivierender femoropatellarer Knieschmerz beidseits ohne wesentliche Funktionseinschränkung sowie eine Adipositas (BMI 30,8). Der Kläger sei in seinem letzten Beruf wie auch für mittelschwere Tätigkeiten, überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen, in Tagesschicht, Früh-/Spätschicht, Nachtschicht sowie unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen bezüglich des Bewegungs-/Haltungsapparates sechs Stunden und mehr leistungsfähig. Mit Bescheid vom 20.04.2009 stellte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Eingliederungszuschuss) in Aussicht. Des Weiteren befand sich der Kläger vom 01.12.2009 bis zum 07.01.2010 wiederum auf Kosten der Beklagten in einer stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation. Der Entlassbericht der Klinik Am s. M., B. S., vom 20.01.2010 gibt eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, ein chronisches generalisiertes Wirbelsäulen (WS)-Syndrom bei degenerativen Veränderungen, Fehlstatik und Zn Versteifung im Segment L4/5 sowie multiple Gelenkschmerzen und eine ACG-Arthrose an. In seiner letzten Tätigkeit sei der Kläger nur unter drei Stunden, für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zeitweise im Stehen und Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tagesschicht und unter Beachtung qualitativer Einschränkungen hinsichtlich der geistig/psychischen Belastbarkeit, des Bewegungs-/Haltungsapparates und Gefährdungs- und Belastungsfaktoren noch sechs Stunden und mehr leistungsfähig.

Am 18.01.2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zu diesem Antrag gab er an, sich seit ca März 2008 wegen vordergründiger Depression, Tinnitus, Wirbelsäulenbeschwerden, HWS-Beschwerden, Schulterbeschwerden, Gefühlllosigkeit in den Händen, Schwindel, Schmerzen in allen Gelenken, Arthrose beider Kniegelenke, Vergesslichkeit, Herzbeschwerden und Schlafstörungen für erwerbsgemindert zu halten. Mit Bescheid vom 18.02.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung der begehrten Rente ab mit der Begründung; die sich aus den bestehenden Erkrankungen ergebenden Einschränkungen führten nicht zu einem Anspruch des Klägers auf Rente, denn er könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Mit seinem Widerspruch vom 04.03.2010 wies der Kläger darauf hin, dass er unter depressiven Störungen, chronischen Schmerzstörungen und einem Wirbelsäulenleiden leide und sich alles gegenseitig bedinge und verschlimmere. Er sei auch zu 60 % schwerbehindert. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2010 zurück. Volle bzw teilweise Erwerbsminderung liege nicht vor; eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme bei nach dem 01.01.1961 Geborenen nicht mehr in Betracht.

Am 22.07.2010 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass nicht sein gesamtes Leiden erfasst worden sei. Seine Leiden seien aufeinander bezogen. Die Schmerzen im Rücken seien zunehmend. Deutlich im Vordergrund stünden nach wie vor die rezidivierenden depressiven Störungen wie auch die chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren.

Mit Bescheid vom 07.10.2010 hat die Beklagte weitere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Integrationsmaßnahme) bewilligt, die am 08.12.2010 wegen Krankheit abgebrochen worden sind (Aufhebungsbescheid vom 13.12.2010).

Das SG hat Beweis erhoben durch Befragung der den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 30 bis 32, 33 bis 66 und 70 bis 88 der SG-Akte Bezug genommen. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ö. hat dem SG am 25.01.2011 geschrieben, beim Kläger liege eine chronifizierte depressive Störung vor. Die berufliche Leistungsfähigkeit liege bei unter drei Stunden. Tip. Dr./Univ. S. A., Facharzt für Allgemeinmedizin, hat unter dem Datum des 01.02.2011 ausgeführt, er habe eine somatisierende Depression und chronische Wirbelsäulenschmerzen diagnostiziert. Der Kläger könne nicht arbeiten, nicht einmal drei Stunden am Tag. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmedizin, Akkupunktur, Chirotherapie, ambulantes Operieren Dr. H. hat in seiner Auskunft vom 09.02.2011 angegeben, es bestehe eine erhebliche psychische Überlagerung der orthopädischen Beschwerden mit deutlicher depressiver Komponente. Unter Beachtung ausschließlich des orthopädischen Krankheitsbildes könne der Kläger sechs Stunden und mehr arbeitstäglich eingesetzt werden.

Das SG hat weiterhin Beweis erhoben durch Einholung eines neuropsychiatrischen Gutachtens beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G ... Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 100 bis 119 der SG-Akte Bezug genommen. Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 20.05.2011 eine chronifizierte leichte bis mittelgradige depressive Episode festgestellt. Aus neuropsychiatrischer Sicht seien leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche und dem Ausbildungsstand entsprechende geistige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zumutbar.

Mit Gerichtsbescheid vom 23.01.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei nicht voll bzw teilweise erwerbsgemindert, denn er sei mit gewissen Funktionseinschränkungen noch in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Der Kläger treffe Freunde, gehe mit seiner Frau auswärts essen, habe gerne die Enkelkinder zu Besuch, gehe Schwimmen und auch in die Moschee zum Beten. Eine wesentliche Einschränkung im täglichen Leben des Klägers durch eine depressive Symptomatik sei daraus nicht zu erkennen. Soweit die Testergebnisse bei der Begutachtung durch Dr. G. auffällig gewesen seien, seien diese diskrepant zum klinischen Gesamteindruck geblieben und auf mangelnde Mitwirkung statt auf psychopathologische Symptome zurückzuführen.

Gegen den seiner Bevollmächtigten am 09.02.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 09.03.2012 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Das SG setze sich mit Widersprüchen im Gutachten von Dr. G., die insbesondere in seiner Leidensgeschichte zu sehen seien, nicht auseinander. Auch sei der Widerspruch zwischen dem Gesprächseindruck des Gutachters und den testpsychologischen Ergebnissen nicht abgeklärt worden. Er sei in Bezug auf seine letzte Tätigkeit als Montierer schon seit 2008 arbeitsunfähig und eine einfachere Tätigkeit lasse sich nicht finden. Trotz des bestehenden chronisch degenerativen Wirbelsäulensyndroms sei nicht von der Hand zu weisen, dass Somatisierungstendenzen im Schmerzbereich bestünden, die zu einer Verfestigung und Chronifizierung geführt hätten, die im Bewegungsbereich lägen und deshalb wiederum Rückwirkung auf die mittelgradigen depressiven Episoden hätten. Dr. W. habe eine Fibromyalgie diagnostiziert. Es bestehe auch ein neurologischer und psychiatrischer Behandlungsbedarf, der durch eine dreijährige Behandlung bei Dr. Ö. dokumentiert werde. Da er als ungelernter Arbeiter während des gesamten Arbeitslosengeldbezugs nicht habe vermittelt werden können, stelle sich die Frage der Arbeitsmarktlage.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.01.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.07.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen ihm ab dem 01.01.2010 eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, ggf bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Kläger hat eine Aufstellung der A. über seine Krankheitszeiten vorgelegt; hierzu wird auf Blatt 29 bis 31 der Senatsakte verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 45 bis 48, 49 bis 51, 52 und 53, 54, 55 bis 57 und 58 bis 93 der Senatsakte Bezug genommen. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ö. hat mit Schreiben vom 22.05.2012 ausgeführt, er halte den vorgealterten Kläger aufgrund seiner Multimorbidität und seiner Defizite in Bezug auf Depression, Persönlichkeitsmerkmale und der Schmerzen nur für unter drei Stunden leistungsfähig. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmedizin Dr. R. hat unter dem Datum des 21.05.2012 mitgeteilt, er schließe sich hinsichtlich der Beurteilung des Leistungsvermögens dem ihm überlassenen Gutachten von Dr. G. an. Dr. J., Chefarzt der Klinik für Kardiologie der R.-M.-K. W., hat im Schreiben vom 23.05.2012 angegeben, aus kardiologischer Sicht bestehe bei guter systolischer Herzfunktion und Ausschluss von relevanten Koronarstenosen keine direkte Einschränkung des Leistungsvermögens. Bei nur kurzer Behandlungsmöglichkeit während eines stationären Aufenthalts erscheine die Beurteilung des ihm überlassenen Gutachtens von Dr. G. plausibel. Aus kardiologischer Sicht ergäben sich keine Einwände gegen diese Beurteilung des Leistungsvermögens. Der Facharzt für Orthopädie, Akkupunktur, ambulantes Operieren Dr. W. hat dem Senat mitgeteilt, der Kläger sei nicht in seiner Behandlung. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmedizin, Akkupunktur, Chirotherapie, ambulantes Operieren Dr. H. hat am 23.05.2012 geschrieben, er schließe sich hinsichtlich der Beurteilung des Leistungsvermögens dem ihm überlassenen Gutachten von Dr. G. an. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Tip. Dr .../Univ. S. A. hat mit Schreiben vom 10.04.2012 ausgeführt, aus seiner Sicht sei der Kläger nur für eine leichte Tätigkeit von drei bis weniger als sechs Stunden einsatzfähig. Der Kläger sei ab April 2008 bis Januar 2011 aus orthopädischen und psychiatrischen Gründen mehrmals arbeitsunfähig gewesen. Seit Januar 2011 sei wegen Arbeitslosigkeit keine Arbeitsunfähigkeit mehr bescheinigt worden.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens beim Arzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S ... Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 102 bis 129 der Senatsakte Bezug genommen. Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 22.10.2012 angegeben, beim Kläger bestehe ein leichtgradiges dysthym-missmutiges Syndrom mit auch reaktiven Zuflüssen bei belastender sozialer Situation. Es bestünden auch Hinweise auf ein blandes Sulcus ulnaris-Syndrom beidseits und ein Wirbelsäulensyndrom ohne signifikante sensomotorische Ausfälle. Der Kläger gebe Gelenkprobleme ohne relevante motorische Beeinträchtigungen, Hörprobleme und Ohrgeräusche rechts an, jedoch ohne signifikante Beeinträchtigungen der Kommunikation. Auch bestünde ein Schwindelsymptomatik ohne fassbares organisches Korrelat. Unter Beachtung qualitativer Einschränkungen bestehe ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden für eine Tätigkeit als Montierer und für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft, zulässig aber ohne Erfolg, sie ist unbegründet.

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs 2 iVm § 153 Abs 1 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist.

Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 iVm Abs 4 SGG) ist der die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ablehnende Bescheid der Beklagten vom 08.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.07.2010. Dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch 6 Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom Senat und vom SG durchgeführten Ermittlungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger zumindest noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (insbesondere soll die Tätigkeit die Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung bieten, nicht in Nachtschicht, nicht mit vermehrten psychischen Belastungen, nicht mit vermehrter Lärmexposition, nicht vermehrt wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten verbunden sein; im Einzelnen s unten) sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche verrichten kann. Die insoweit wesentlichen Leiden des Klägers liegen auf nervenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet.

Auf orthopädischem Fachgebiet hat der behandelnde Arzt Dr. H. einen Zustand nach Spondylodese L5/S1 sowie fortgeschrittene degenerative Veränderungen mit subchondraler Sklerose der Facettengelenke beschrieben. Doch konnte er auch darlegen, dass diese Gesundheitsstörungen leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin vollschichtig erlaubten. Bestätigt wird Dr. H. durch die Aussage von Dr. R., der den Kläger bis 25.10.2008 behandelt hatte. Die von Dr. H. angegebenen orthopädischen Erkrankungen werden durch den neurologischen Status, wie er in den Gutachten von Dr. G. und Dr. S. dargelegt ist, bestätigt. Gegen das Vorliegen von erheblichen dauerhaften Schmerzen in der Wirbelsäule spricht auch, dass Dr. S. eine hierzu nicht passende zeitweilig durchaus lebhafte Gestik und Mimik (vgl Gutachten Dr. S., dort Seite 16) beschrieben hat. Ferner besteht ein Impingment-Syndrom an beiden Schultern. Dies hat aber nur zur Folge, dass der Kläger schweres Heben und Zwangshaltungen vermeiden sollte. Dies entnimmt der Senat dem Arztbrief des Dr. H. vom 27.06.2011 (Bl 80 der LSG-Akte). Der Senat gelangt deshalb zu der Auffassung, dass die orthopädischen Erkrankungen nicht zu einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht führen.

Auf nervenärztlichem Fachgebiet liegt ein leichtgradiges dysthym-missmutiges Syndrom mit auch reaktiven Zuflüssen bei belastender sozialer Situation vor. Dies konnte Dr. S. nachvollziehbar darlegen. Soweit Dr. G. diese Gesundheitsstörung als chronifizierte leichte bis mittelgradige depressive Episode bezeichnet, handelt es sich in der Sache nicht um eine andere Erkrankung, sondern vielmehr um eine andere Beschreibung derselben Symptomatik. Der Kläger leidet dagegen nicht an einer schweren oder mittelschweren Depression. Dies konnte der Senat anhand der Ausführungen der beiden Gutachter Dr. S. und Dr. G. feststellen. Gegen das Vorliegen einer solchen Depression spricht nicht nur, dass der Kläger, der im Vergleich der Gutachten von Dr. G. und Dr. S. zwar eine gewisse Rückzugstendenz und eine Einschränkung der sozialen Kontakte angegeben hat, doch in der Sache mit Urlaub in der Türkei (September 2011 (vgl Gutachten Dr. G.) bzw 2012 (vgl Gutachten Dr. S.)), Treffen im türkischen Arbeiterverein/Kulturverein, Einkäufen gemeinsam mit der Ehefrau, Besuchen bei den Kindern und Enkelkindern, Spaziergängen und Besuchen der Moschee, zwei- bis dreimal in der Woche, keine wesentliche Einschränkung des täglichen Soziallebens aufweist. Auch spricht gegen das Vorliegen einer erheblichen depressiven Erkrankung, dass der Kläger in der Gutachtenssituation bei Dr. S. bei teilweise lebhafter Mimik und Gestik spontan und authentisch lachen bzw lächeln konnte. Auch kann aus der von Dr. G. beschriebenen Diskrepanz zwischen klinischem Eindruck und den Ergebnissen des Syndrom-Kurztests nicht auf eine weitere wesentliche Gesundheitsstörung des Klägers geschlossen werden. Dr. G. hatte die Diskrepanz auf suboptimale Mitarbeit des Klägers zurückgeführt. Dr. S. hat zwar eine solche mangelhafte Mitwirkung nicht beschreiben können und auch keine Anhaltspunkte für eine Simulation bzw Dissimulation gefunden, doch konnte er auch die von Dr. G. gefundenen schlechten Testergebnisse nicht verifizieren.

Aus den auf nervenärztlichem Fachgebiet bestehenden Gesundheitsstörungen folgen keine zeitlichen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Klägers. Dieser ist vielmehr noch in der Lage, zumindest leichte (Dr. S. spricht auch unter Berücksichtigung der orthopädischen Gesundheitsstörungen sogar von leichten bis gelegentlich mittelschweren Tätigkeiten, vgl dessen Gutachten, dort Seite 21) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche (arbeitstäglich) auszuführen. Jedoch folgen aus den Gesundheitsstörungen qualitative Einschränkungen. Die Tätigkeit soll die Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung erlauben (insoweit bezieht sich Dr. S. auf die orthopädischen Erkrankungen und deren Folgen) und nicht in Nachtschicht sein. Nachtschicht stellt einen psychogenen Stressor dar. Dies ist auszuschließen, da Tätigkeiten mit vermehrten psychischen Belastungen, wozu Tätigkeiten mit vermehrt emotionalen Belastungen oder erhöhtem Konfliktpotential gehören, nicht mehr leidensgerecht sind. Deswegen ist auch eine vermehrte Lärmexposition zu vermeiden. Übliche Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie Verantwortung können gestellt werden. Das Umstellungs- und Anpassungsvermögen ist nicht eingeschränkt. Dagegen sind vermehrt wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten nicht leidensgerecht (insoweit bezieht sich Dr. S. auf die orthopädischen Erkrankungen und deren Folgen). Widrige klimatische Bedingungen sind weitestgehend auszuschließen, gelegentlich aber noch möglich.

Auch die weiteren Störungen der Gesundheit des Klägers führen nicht zu einem rentenrechtlich relevant eingeschränkten Leistungsvermögen des Klägers. Hinsichtlich der vom Kläger angegebenen Leiden auf kardiologischem Fachgebiet konnte Dr. J. eine gute systolische Herzfunktion angeben und relevante Koronarstenosen ausschließen. Er konnte aus dem kardiologischen Zustand des Klägers auch weder quantitative noch qualitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ableiten. Die angegebenen Ohrgeräusche, die teilweise auch als Tinnitus bezeichnet wurden, und Hörprobleme hat Dr. S. im Rahmen seines Gutachtens berücksichtigt. In der Kommunikation ist der Kläger durch diese Erkrankungen nicht eingeschränkt. Dies ergibt sich aus den Ausführungen der Gutachter, die eine zum Teil lebhafte Kommunikation beschrieben haben. Aus diesen Gesundheitsstörungen folgen dann aber keine rentenrechtlich relevanten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Das Vorliegen einer Fibromyalgie konnte nicht bestätigt werden.

Die beim Kläger bestehenden, zuvor beschriebenen, qualitativen Leistungseinschränkungen, die sämtlich nicht ungewöhnlich sind, lassen keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass dieser noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist; dies gilt auch hinsichtlich der Augenerkrankung. Aus den bestehenden Einschränkungen ergeben sich damit weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG 11.03.1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Der Kläger ist dabei auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies konnte Dr. S. bestätigen; im Übrigen verfügt der Kläger über einen Führerschein und ein Kfz, das er auch noch benutzt.

Der Kläger ist damit nach Überzeugung des Senats noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und unter Beachtung der dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten. Dieses Leistungsvermögen besteht nach Überzeugung des Senats seit Rentenantragstellung und seither durchgehend. Mit diesem Leistungsvermögen ist der Kläger nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI); er hat damit keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser bzw voller Erwerbsminderung.

Der vom Senat getroffenen Einschätzung der Leistungsfähigkeit stehen auch die Ausführungen der behandelnden Ärzte Dr. A. und Dr. Ö. nicht entgegen. Denn beide Ärzte haben zwar ein auf unter drei Stunden täglich herabgesunkenes Leistungsvermögen angegeben, doch konnten sie Befunde, die ihre Einschätzung untermauerten, nicht darlegen. Vielmehr sprechen die von den Gutachtern dargestellten Erhebungen gegen die Richtigkeit der von Dr. A. und Dr. Ö. angenommenen Leistungseinschätzung. Auch aus der vom Kläger vorgelegten Aufstellung der A. vom 08.05.2012 über die Krankheitszeiten des Klägers ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine relevante quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Denn diese Krankheitszeiten stehen im Wesentlichen im Zusammenhang mit der Ausübung der letzten beruflichen Tätigkeit, die angesichts der Ausführungen von Dr. S. im Hinblick auf die wirbelsäulenbelastenden Faktoren auch nicht mehr leidensgerecht gewesen war. Im Übrigen kommt der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige nach st Rspr des Senats (vgl Urteil vom 17.01.2012, L 11 R 4953/10) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens idR keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig wäre. Da der Kläger jedoch erst nach dem 01.01.1961 geboren wurde, gehört er nicht mehr zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 240 SGB VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat im Rahmen seines Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben ist.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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