L 5 R 2720/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 741/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2720/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.04.2011 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahren mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Streitwert wird endgültig auf 27.408,14 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene Nr. 1 für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.12.2008.

Die Beigeladene Nr. 1 ist die Schwester des Geschäftsführers der Klägerin. Sie ist seit 1987 als Industriemechanikerin im Familienbetrieb, dessen Inhaber zunächst der Vater der Beigeladenen Nr. 1 war, tätig. Zum 01.01.1993 schloss die Beigeladene Nr. 1 mit der Klägerin einen Arbeitsvertrag, in dem unter § 5 der Gehaltsanspruch bestehend aus dem tariflichen Stundenlohn, der betrieblichen Altersvorsorge und vermögenswirksamen Leistungen geregelt war. Unter §§ 6 und 14 waren zusätzliche Vereinbarungen mit dem folgenden Wortlaut getroffen worden:

(§ 6) Sonstige betriebliche Leistungen: "5% Tantieme jährlich - Bemessungsgrundlage 5 v.H. aus Reingewinn vor Gewerbesteuer". (§ 14) "Die jährliche Tantieme wird mit den Jahresabschlussarbeiten für die Firma ermittelt. Die Versteuerung und die Auszahlung erfolgt im Folgemonat über die Gehaltszahlung für den Arbeitnehmer."

Nach Betriebsprüfungen am 27.06.2000 und am 26.04.2005 führte die Beklagte in der Zeit vom 29.04.2009 bis 24.07.2009 erneut eine Betriebsprüfung bei der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.12.2008 durch. Es wurde u.a. festgestellt, dass für die Beigeladene Nr. 1 im Prüfzeitraum keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt worden waren, ohne dass die Jahresarbeitentgeltgrenze (JAEG) überschritten war. Ausweislich der Lohnunterlagen, die Gegenstand der Prüfung waren, hatte die Beigeladene Nr. 1 im Prüfzeitraum folgende Jahresgesamtbruttogehälter erzielt:

2005 38.440,91 EUR 2006 39.276,95 EUR 2007 53.318,30 EUR 2008 52.556,93 EUR

Der Beigeladenen Nr. 1 waren im März 2007 eine Tantieme für das Jahr 2005 in Höhe von 9.906,00 EUR und im April 2008 eine Tantieme für das Jahr 2006 in Höhe von 9.439,00 EUR überwiesen worden.

Mit Schreiben vom 31.07.2009 hörte die Beklagte die Klägerin zum Ergebnis der Betriebsprüfung und zur beabsichtigten Festsetzung einer Nachforderung in Höhe von 33.053,78 EUR an. Unter anderem beanstandete die Beklagte die unterbliebene Zahlung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen mit der Begründung, die JAEG sei in den Jahren 2004 und 2005 nicht erreicht worden, so dass spätestens zum 01.01.2005 eine neue Beurteilung zur Einhaltung der JAEG hätte stattfinden müssen. Dabei sei das regelmäßige Arbeitsentgelt maßgeblich. Tantiemen seien als unregelmäßige Bezüge grundsätzlich außer Betracht zu lassen.

Die Klägerin wandte hiergegen mit Schreiben vom 26.08.2009 ein, die Nachforderung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Vergangenheit sei aufgrund des durch Treu und Glauben geprägten Grundsatzes der Verwirkung ausgeschlossen. Die Beigeladene Nr. 1 sei bereits ab dem 01.01.1997 unter derselben Ausgangssituation nur als renten- und arbeitslosenversicherungspflichtige Arbeitnehmerin gemeldet worden. Aufgrund der im Jahr 2000 ohne Beanstandungen verlaufenen Betriebsprüfung sei davon ausgegangen worden, dass die versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilungen korrekt gewesen seien und keiner erneuten Prüfung bedurft hätten. Dass eine Umstellung der Versicherung zum 01.01.2009 erfolgen müsse, werde nicht in Frage gestellt. Die rückwirkende Erhebung von Versicherungsbeiträgen sei jedoch nicht möglich. Man habe sich auf das Ergebnis der Betriebsprüfung verlassen. Die Beigeladene Nr. 1 sei seit dem 01.01.1997 privat krankenversichert und habe Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in Anspruch genommen. Eine rückwirkende Auflösung des privaten Krankenversicherungsvertrages sei nicht möglich. Den nachzuzahlenden Beiträgen stünden keinerlei Leistungsansprüche gegenüber.

Mit Bescheid vom 25.09.2009 forderte die Beklagte insgesamt 33.053,78 EUR (einschließlich 80 EUR Säumniszuschläge) nach. Ausweislich der Anlagen zur Berechnung der nachzuzahlenden Beiträge entfielen auf die Beigeladene Nr. 1 Beiträge aufgrund der Sozialversicherungspflicht wegen des Unterschreitens der JAEG in Höhe von insgesamt 27.408,14 EUR. Die Beklagte verwies darauf, dass die allgemeine JAEG im Jahr 2005 46.800 EUR, die besondere JAEG 42.300 EUR betragen habe. In den Jahren 2004 und 2005 sei die besondere JAEG nicht erreicht worden, so dass die normale JAEG maßgeblich sei. Da zum 01.01.2005 keine neue Beurteilung des Arbeitsentgelts erfolgt sei oder nicht habe vorgelegt werden können, trete ab dem Jahr 2005 Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ein. Die Beklagte wies ferner darauf hin, dass sich aus früheren Betriebsprüfungen keine Vertrauensschutztatbestände herleiten ließen. Zeiträume, die bereits Gegenstand früherer Prüfungen gewesen seien, seien nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht in die laufende Prüfung einbezogen worden. Eine Verwirkung sei nur dann möglich, wenn der Rentenversicherungsträger dem Arbeitgeber ausdrücklich zugesagt oder durch konkretes Verhalten in ihm die berechtigte Erwartung geweckt hätte, die Beitragsforderung nicht geltend zu machen. Dies sei bei den vorangegangenen Betriebsprüfungen nicht geschehen. Aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben werde jedoch der Prüfzeitraum über den Verjährungszeitraum von vier Jahren hinaus nicht erweitert.

Die Klägerin erhob gegen die Nachforderung mit Schreiben vom 23.10.2009 Widerspruch, den sie auf die Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken-und Pflegeversicherung für die Beigeladene Nr. 1 für die Zeit vom 1.1.2005 bis 31.12.2008 in Höhe von 27.548,47 EUR (Angabe der Klägerin) beschränkte. Bei der Berechnung der Jahresarbeitsentgeltgrenzen seien die jährlichen Tantiemenzahlungen zum laufenden Arbeitsentgelt hinzugerechnet worden. Aufgrund vertraglicher Regelungen habe die Beigeladene Nr. 1 mit hinreichender Sicherheit erwarten können, dass ihr jährlich eine Tantieme gezahlt werde. Teilweise seien die Tantiemenzahlungen auch auf mehrere Zahlungen im laufenden Jahr verteilt worden. Diese Zahlungen seien ein fester Bestandteil des laufenden Arbeitsentgelts gewesen. Lediglich in wirtschaftlich schwierigen Jahren seien keine Tantiemen gezahlt worden. Die Klägerin verwies ferner auf das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 02.02.2007. In diesem sei geregelt, dass für am 02.02.2007 privat krankenversicherte Arbeitnehmer hinsichtlich des Versicherungsstatus eine Besitzstandregelung gelte. Diese greife im Fall der Beigeladenen Nr. 1 ein. § 6 Abs. 9 SGB V sei erfüllt, da die Beigeladene Nr. 1 im Jahr 2007 ein Arbeitsentgelt von insgesamt 51.531,30 EUR bezogen habe. Sie habe über der Jahresarbeitsentgeltgrenze gelegen und sei in einer privaten Krankenversicherung versichert gewesen. Außerdem bestehe Vertrauensschutz aufgrund früherer Betriebsprüfungen. Im Jahre 2000 und 2005 hätten die Prüfungen der LVA zu keinen Beanstandungen hinsichtlich der Befreiung von der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung geführt. Da es sich bei der Klägerin um eine kleine Firma mit nur vier Mitarbeitern handele, könne davon ausgegangen werden, dass sich die Prüfungen nicht auf Stichproben beschränkt hätten. Die Prüfungen würden von ausgebildeten Spezialisten durchgeführt und der Arbeitgeber müsse deshalb auf die Richtigkeit des Prüfergebnisses vertrauen können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V seien Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die JAEG nicht übersteige, in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert. Maßgeblich sei das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt. Durch die jährliche Erhöhung der JAEG müsse der Arbeitgeber zu Beginn eines jeden Jahres prüfen, ob bisher krankenversicherungsfreie Arbeitnehmer auch weiterhin nicht der Versicherungspflicht unterliegen würden. Die JAEG nach § 6 Abs. 7 Satz 1 SGBV habe in den maßgeblichen Jahren des Prüfzeitraums und im Vorjahr wie folgt betragen:

2004 41.850 EUR 2005 42.300 EUR 2006 42.750 EUR 2007 42.750 EUR 2008 43.200 EUR

Die Arbeitsentgelte der Beigeladenen Nr. 1 hätten die jeweils gültige Jahresarbeitsentgeltgrenze bereits ab 01.01.2000 laufend deutlich unterschritten. Dies gelte auch für die Jahre 2005 und 2006. Lediglich in den Jahren 2007 und 2008 sei die Entgeltgrenze überschritten worden. Ein Ausscheiden aus der Versicherungspflicht aufgrund der Höhe des Jahresarbeitsentgelts komme aber frühestens nach dreimaligem aufeinanderfolgenden Überschreiten der JAEG in Betracht. Sofern auch im Jahr 2009 die JAEG überschritten werde, komme Versicherungsfreiheit in der Kranken- und Pflegeversicherung in Betracht. Unterlagen über eine vorgenommene Prognose anhand wirtschaftlicher Grundlagen seien nicht vorgelegt worden, sodass auf die tatsächlichen Zahlungen abgestellt werden müsse. Die Übergangsregelung des § 6 Abs. 9 Satz 1 SGB V komme nicht zur Anwendung, da bei der Beigeladenen Nr. 1 am 02.02.2007 die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht überschritten worden sei und demnach dem Grunde nach Versicherungsfreiheit nicht vorgelegen habe. Die Besitzstandsregelung komme nur für die am 02.02.2007 privat krankenversicherten Arbeitnehmer in Betracht. Die Prüfbehörden seien im Rahmen von Betriebsprüfungen nach § 28p Abs. 1 SGB IV nicht zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten auch in kleinen Betrieben verpflichtet, sondern könnten sich auf eine Stichprobenprüfung beschränken. Sofern im Anschluss an eine Betriebsprüfung keine beitragsrechtlichen Konsequenzen gezogen würden, schütze dies den Arbeitgeber nicht vor einem späteren Einzug noch nicht verjährter Beiträge. Die Betriebsprüfung bezwecke nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm Entlastung zu erteilen. Vertrauensschutz werde über die Verjährungsfristen gewährt.

Am 08.03.2010 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen. Für die Beigeladene Nr. 1 seien die Voraussetzungen des§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der zum 01.01.2007 geänderten Fassung erfüllt gewesen und sowohl in den Jahren 2007 und 2008 als auch in den Jahren 2005 und 2006 die jeweilige JAEG überschritten worden. Dies ergebe sich daraus, dass für das Jahr 2005 Tantiemen in Höhe von 9.906,- EUR im Jahr 2007 und für das Jahr 2006 Tantiemen in Höhe von 9.439,- EUR im Jahr 2008 ausgezahlt worden seien. Diese Tantiemen seien regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt, da die Tantiemen in entsprechender Höhe in den Jahren 1999, 2001, 2002, 2005, 2006 und 2007 entstanden seien. Die Beigeladene Nr. 1 habe dieses Entgelt für die von ihr geleistete Arbeit regelmäßig erwarten können. Das ergebe sich auch aus der Klausel am Ende des Arbeitsvertrages. Dass Tantiemen im Betrieb als Entgelt gelten würden, ergebe sich auch aus Musterarbeitsverträgen, die andere Arbeitnehmer geschlossen hätten. Die entsprechende Regelung in dem von der Klägerin vorgelegten Vertrag lautet

"§ 4 Vergütung Der Angestellte erhält ein monatliches Gehalt ( ). Hinzu kommt eine Tantieme (Gewinnbeteiligung) von 5 %‚ die bereits als Vorauszahlung vom ersten Monat an gezahlt wird. Bei Bilanzabschluss wird die Tantieme verrechnet und ggf. zu- oder abgeschlagen. Die Vorauszahlung wird dann ebenfalls angepasst. Für die Höhe der Auszahlung der Tantieme ist der Angestellte mit verantwortlich und spiegelt zum Teil seinen Einsatz und seine Effizienz wider."

Dass der Vertrag bei der Beigeladenen Nr. 1 nicht entsprechend angepasst worden sei, liege daran, dass man bei ihr als Familienangehörige nicht so sorgfältig gewesen sei wie bei anderen Arbeitnehmern. Die wirtschaftliche Prognose aufgrund der Jahreslohnkontenübersichten von der Beigeladenen Nr. 1 für die Jahre 1997 bis 2009 weise aus, dass die Beigeladene Nr. 1 bei der Vorausschätzung am Prüfungstag wie aus heutiger Sicht immer über der Grenze liegen werde. Außerdem müsse sie aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als wäre sie von der Beklagten richtig beraten worden. Die Beklagte habe durch ihr Verhalten bei vorausgegangenen Betriebsprüfungen bei der Klägerin ein Vertrauen geschaffen, das sie sich nunmehr zurechnen lassen müsse. Zwar könnten sich Prüfungen auch auf Stichproben beschränken. Hier gehe es aber genau um die Stichprobe, die der Prüfung unterlegen habe. Am 26.04.2005 sei eine Betriebsprüfung durchgeführt worden. Schon damals sei nach dem Vortrag der Beklagten die geltende Grenze unterschritten worden. Trotzdem sei die Beklagte zu dem Ergebnis gekommen, dass zu Recht keine Krankenversicherungsbeiträge abgeführt worden seien. Das sei aber nur möglich gewesen, weil die Tantiemen als regelmäßige Zahlungen anerkannt worden seien. Darauf habe sich der Buchführer der Klägerin verlassen. Wäre die Beklagte schon damals zu dem von ihr jetzt für richtig gehaltenen Ergebnis gekommen, hätte die Klägerin die Beigeladene Nr. 1 sogleich bei der gesetzlichen Krankenversicherung anmelden können und es wäre nicht zur doppelten Zahlung von Krankenversicherungsprämien gekommen.

Nach den vorgelegten Jahreskontenübersichten bezog die Beigeladene Nr. 1 folgende Gesamtbrutto-Gehälter:

1997 34.790,97 EUR keine Tantieme 1998 37.905,22 EUR keine Tantieme 1999 59.069,42 EUR einschl. Tantiemen (22.355,22 EUR) 2000 35.120,17 EUR keine Tantieme 2001 49.057,67 EUR einschl. Tantieme (13.586,56 EUR) 2002 56.636,31 EUR einschl. Tantieme (12.375,82 EUR) 2003 35.152,96 EUR keine Tantieme 2004 36.460,69 EUR keine Tantieme 2005 38.440,91 EUR keine Tantieme 2006 39.276,95 EUR keine Tantieme 2007 53.318,30 EUR einschl. Tantieme 2005 (9.906,- EUR) 2008 52,556,93 EUR einschl. Tantieme 2006 (9.439,- EUR) 2009 41.491,97 EUR einschl. Tantieme 2007 (7.733,- EUR)

Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies darauf, dass die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ihre Einschätzung bestätigen würden, dass die Tantieme nicht regelmäßig gezahlt worden seien. Trotz Auszahlung der Tantiemen sei die JAEG ab dem 01.01.2000 aber teilweise erheblich unterschritten worden. Dem Vertrauensschutz sei aber insoweit Rechnung getragen worden, dass über den Verjährungszeitraum hinaus keine Feststellungen getroffen worden seien.

Mit Beschluss des Sozialgerichts vom 18.11.2010 wurden I. M., die A., Bezirksdirektion N., und die Pflegekasse der A. N. zum Verfahren beigeladen.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 28.04.2011 ab. Die Beigeladene Nr. 1 sei als Beschäftigte grundsätzlich versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Eine Ausnahme davon liege entgegen der Auffassung der Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum von 2005 bis 2008 nicht vor. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der bis zum 01.02.2007 geltenden Fassung bestimme, dass versicherungsfrei Arbeiter und Angestellte seien, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die JAEG nach den Abs. 6 (allgemeine JAEG) oder Abs. 7 (besondere JAEG) übersteige. Die besondere JAEG nach § 6 Abs. 7 SGB V gelte für jene Arbeiter und Angestellte, die am 31.12.2002 wegen Überschreitens der JAEG versicherungsfrei und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen in einer substitutiven Krankenversicherung versichert gewesen seien.

Die JAEG nach § 6 Abs. 6 und Abs. 7 SGB V hätten wie folgt betragen:

Jahr Allgemeine Jahresarbeits-entgeltgrenze Abs. 6 Besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze Abs. 7 2003 45.900 EUR 41.400 EUR 2004 46.350 EUR 41.850 EUR 2005 46.800 EUR 42.300 EUR 2006 47.250 EUR 42.750 EUR 2007 47.700 EUR 42.750 EUR 2008 48.150 EUR 43.200 EUR 2009 48.600 EUR 44.100 EUR

Da die Entscheidung über den Eintritt von Versicherungsfreiheit für das Folgejahr bereits zu Jahresbeginn zu treffen sei, sei entscheidend, ob zum Jahreswechsel davon ausgegangen werden könne, dass das für das kommende Jahre zu erwartende regelmäßige Arbeitsentgelt die jeweils gültige Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreiten werde. Stehe die Höhe der für das Folgejahr zu erwartenden Arbeitsentgelte nicht mit hinreichender Sicherheit fest, erfolge die Prognoseentscheidung auf Grundlage einer Schätzung, bei der die Gesamtumstände des Einzelfalls unter Heranziehung der in den Vorjahren erzielten Einkünfte zu berücksichtigen seien. Das Brutto-Arbeitsentgelt habe ohne Berücksichtigung der Tantiemen in keinem Jahr die JAEG überschritten, und zwar weder die besondere JAEG nach § 6 Abs. 7 SGB V noch die allgemeine Grenze. Es könne daher dahingestellt bleiben, welche Grenze hier zur Anwendung komme. Bei der zu Beginn des hier maßgeblichen Jahres 2005 anzustellenden Prognose hätten die Tantiemenzahlungen nicht berücksichtigt werden dürfen, da die Tantiemen nicht zum regelmäßigen Arbeitsentgelt gehört hätten. Nur bei einer regelmäßigen Zahlung könne sich Versicherungsfreiheit ergeben. Einmalzahlungen seien nur dann zu berücksichtigen, wenn mit ihrer Gewährung mit hinreichender Sicherheit mindestens einmal jährlich gerechnet werden könne. Da in den Jahren 2000, 2003 und 2004 keine Tantiemen ausbezahlt worden seien, könnten die Tantiemen nicht zum regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt gerechnet werden. Daran ändere auch nichts, dass bei anderen Arbeitnehmern ein monatlicher Abschlag auf die Tantieme gezahlt werde, da dieser letztlich einer abschließenden Verrechnung unterliege. Zum Beginn des Jahres 2006 habe aufgrund der fehlenden Zahlungen in den Vorjahren ebenfalls nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden können, dass die Tantieme regelmäßig gezahlt werde. Dies gelte auch für das Jahr 2007. Zwar habe hier die Prognose getroffen werden können, dass eine Tantieme gezahlt werde. Es sei aufgrund der Vergangenheit jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit zu erwarten gewesen, dass eine regelmäßige Tantieme gezahlt werde. Auch für das Jahr 2008 gelte nichts Anderes. Zu berücksichtigen sei zwar, dass sich die Rechtslage ab dem 01.02.2007 geändert habe. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der ab 01.02.2007 bis 30.12.2010 geltenden Fassung war nunmehr erforderlich, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze in den letzten drei Jahren überschritten worden ist. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, da es zumindest im Jahr 2005 an der Überschreitung gefehlt habe. Auch die Übergangsregelung des § 6 Abs. 9 SGB V in der Fassung ab dem 01.02.2007 greife nicht. Nach dieser Vorschrift würden Arbeiter und Angestellte versicherungsfrei bleiben, die nicht die Voraussetzungen nach Abs. 1 Nr. 1 erfüllen und die am 02.02.2007 wegen Überschreitens der JAEG bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen in einer substitutiven Krankenversicherung versichert gewesen seien oder die vor diesem Tag die Mitgliedschaft bei ihrer Krankenkasse gekündigt hätten, um in ein privates Krankenversicherungsunternehmen zu wechseln. Für die Erfüllung dieser Vorschrift reiche es nicht aus, dass die Beigeladene Nr. 1) bisher privat versichert gewesen ist. Vielmehr sei erforderlich, dass sie rechtmäßig von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung befreit sei. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut "wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze" (vgl. LSG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2008, - L 24 B 373/08 KR ER -, in Juris RdNr. 38). Der Klägerin stehe auch kein Vertrauensschutz aufgrund der in den Jahren 2000 und 2005 durchgeführten Betriebsprüfungen zu. Sinn und Zweck der Betriebsprüfungen sei es, die Beitragszahlungen zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung komme den Betriebsprüfungen nicht zu. Insbesondere sollten sie nicht den Arbeitgeber als Beitragsschuldner schützen und ihm Entlastung erteilen (BSG, Urteil vom 30.11.1978, - 12 RK 6/76 -, in Juris RdNr. 16). Selbst wenn das Lohnkonto der Beigeladenen Nr. 1 Prüfungsgegenstand gewesen wäre, ergebe sich hieraus kein Vertrauenstatbestand zugunsten der Klägerin. Die Klägerin könne sich auch nicht auf den Gesichtspunkt der Verwirkung berufen, weil die Einzugsstelle von der Beitragserhebung abgesehen habe. Ein solches Nichtstun begründe keinen Vertrauenstatbestand der Klägerin darin, dass die Beklagte von einer Beitragserhebung absehen werde. Aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ließen sich ebenfalls keine Rechte der Klägerin herleiten. Eine Pflichtverletzung seitens der Beklagten sei nicht ersichtlich. Schließlich ergebe sich auch aus dem Äquivalenzprinzip kein Abwehrrecht der Klägerin. Zwar stünden den nachträglich zu zahlenden Beiträgen der Klägerin keine Gegenleistungen der Beklagten gegenüber. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (Urteil vom 16.10.1962 - 2 BVL 27/60 -, in Juris RdNr. 20 ff.) leisteten Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber deshalb Beiträge in der Sozialversicherung, um die Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers ganz oder teilweise zu decken. Der Risikoausgleich unter den versicherten Arbeitnehmern und die allgemeine Fürsorge der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer stünden im Vordergrund. Es bestehe eine spezifische Solidaritäts- und Verantwortungsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die deutsche Sozialversicherung sei nicht ausschließlich auf dem Äquivalenzprinzip aufgebaut, sondern es gelte vielmehr das Solidaritätsprinzip.

Gegen das Ihrem Prozessbevollmächtigten am 14.06.2011 zugestellt Urteil hat die Klägerin am 30.06.2011 Berufung eingelegt. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, zur Nachzahlung nicht verpflichtet zu sein. Das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt der Beigeladenen Nr. 1 habe über der JAEG gelegen. Zu Beginn des Jahres 2005 habe die Prognose getroffen werden können, dass das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt die JAEG überschreiten werde. "Regelmäßig" sei aus der Perspektive des am Markt handelnden Unternehmens zu beurteilen. Rückschritte im Anfangsstadium müssten hingenommen und ausgehalten werden. Nur auf diesem Umstand beruhten die vorliegend aufgetretenen Lücken in der Tantiemenzahlung. Dass sie auf Dauer gewährleistet sein werde, sei 2005 abzusehen gewesen. Hierbei sei zu berücksichtigten, dass die Beigeladene Nr. 1 zur Familie des Unternehmers gehöre. Außerdem berufe sie sich auf durch konkrete Prüfungsmaßnahmen geschaffenes Vertrauen und damit letztlich auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Entgegen der Würdigung durch das Sozialgericht habe sie sich nicht auf ein "Nichtstun" der Einzugsstelle verlassen, sondern auf die konkrete Prüfung durch die Mitarbeiterin der Beklagten. Dieser hätten bei der Prüfung am 26.04.2005 auch die Lohnunterlagen der Beigeladenen Nr. 1 vorgelegen. Sie habe die gemeldeten Jahresarbeitsentgelte unter Berücksichtigung der vertraglich zugesicherten Tantieme abgeglichen. Nach ihrer Auskunft seien die Grenzen deutlich überschritten gewesen. Die Klägerin habe diese Einschätzung geteilt und auf diese Auskunft vertraut.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Reutlingen vom 28.04.2011 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 25.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.02.2010 soweit aufzuheben, als die Klägerin zu einer Nachzahlung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen für die Beigeladene Nr. 1 in Höhe von 27.408,14 EUR herangezogen worden ist,

hilfsweise, Herrn H. und Frau H. dazu zu vernehmen, dass die gemeldeten Jahresarbeitsentgelte unter Berücksichtigung der Tantiemen zur Versicherungsfreiheit führen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage gegen die Nacherhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene Nr. 1 zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat die Beiträge in Höhe von 27.408,14 EUR für die Jahre 2005 bis 2008 zu Recht festgesetzt. Der angefochtene Festsetzungsbescheid vom 25.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2010 ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Beklagte war als Prüfstelle für den Erlass des Nachforderungsbescheids sachlich zuständig. Das folgt aus § 28p SGB IV. Gem. § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag entstehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlung und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Im Rahmen der Prüfung erlassen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV; vgl. dazu zur Zuständigkeit für den Erlass von Nachforderungsbescheiden auch LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.07.2010, - L 11 R 2595/10 ER-B -).

Die Beklagte hat die Beigeladene Nr. 1 zutreffend als versicherungspflichtige Beschäftigte eingestuft, für die sowohl Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V als auch zur gesetzlichen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI zu entrichten waren, und der Klägerin die Nachzahlung der angefallenen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sowohl für die Jahr 2005 und 2006 als auch für die Jahre 2007 und 2008 zu Recht auferlegt.

Die Beigeladene Nr. 1 war in den Jahren 2005 und 2006 nicht versicherungsfrei nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, weil ihr regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht überstieg. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V (in der für die Jahre 2005 und 2006 maßgeblichen Fassung d. Art. 4 Nr. 2 G v. 18.12.1989 BGBl. I 2261 m.W.v. 01.01.1992 und des Art. 1 Nr. 1 Buchst. a) Gesetz vom 23.12.2002 BGBl. I 4637 m.W.v. 01.01.2003 - SGB V a.F. -) sind diejenigen Arbeiter und Arbeitnehmer versicherungsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach den Absätzen 6 und 7 übersteigt. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB V (in der für 2005 und 2006 maßgeblichen Fassung des Art. 1 des Gesetzes vom 20.12.1988, BGBl. I S. 2477 - SGB V a.F. -) endet die Versicherungspflicht, wenn die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten wird, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie überschritten wird. Dies gilt nicht, wenn das Entgelt die vom Beginn des nächsten Kalenderjahres an geltende Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht übersteigt. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI folgt aus der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung auch die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Pflegeversicherung.

Das maßgebende regelmäßige Arbeitsentgelt i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V a.F. ist das Arbeitsentgelt (§ 14 Abs. 1 SGB IV), auf das jemand im Laufe des auf den Beurteilungszeitpunkt folgenden Jahres (nicht notwendig des Kalenderjahres) einen Anspruch hat oder das ihm sonst mit hinreichender Sicherheit zufließen wird. Bei schwankenden Bezügen ist zu schätzen (vgl. Großer Senat des BSG 30.06.1965, GS 2/64, BSGE 23, 129). Regelmäßig gezahltes Weihnachtsgeld ist in die Berechnung einzubeziehen, während etwa Überstundenvergütungen oder Sonderzahlungen, die nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einmal jährlich ausgezahlt werden, im Rahmen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V a.F. keine Rolle spielen (BSG 25.02.1966, 3 RK 53/63, BSGE 24, 262). Regelmäßig in diesem Sinne bedeutet, dass mit hinreichender Sicherheit zu erwartendes Arbeitsentgelt von nicht zu erwartendem (und nicht zu berücksichtigendem) Arbeitsentgelt abgegrenzt werden soll (LSG Baden-Württemberg 13.08.2010, - L 4 R 3332/08 -, in Juris).

Die Beigeladene Nr.1 bezog im Jahr 2005 ein Jahresarbeitsentgelt in Höhe von 38.440,91 EUR und im Jahr 2006 ein Jahresarbeitsentgelt in Höhe von 39.276,95 EUR. Damit waren die festgelegten JAEG von 46.800 EUR (§ 6 Abs. 6 SGB V) bzw. 42.300 EUR (§ 6 Abs. 7 SGB V) für das Jahr 2005 und von 47.250 EUR (§ 6 Abs. 6 SGB V) bzw. 42.750 EUR (§ 6 Abs. 7 SGB V) für das Jahr 2006 nicht überschritten.

Für die Jahre 2007 und 2008 galten § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 SGB V in der zum 02.02.2007 in Kraft getretenen Fassung des GKV-WSG vom 26.03.2007 (BGBl. I S. 378), wonach Versicherungsfreiheit bei Überschreiten der JAEG erst nach einer dreijährigen "Wartefrist" eintrat. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in dieser Fassung sind diejenigen Arbeiter und Arbeitnehmer versicherungsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach den Absätzen 6 und 7 übersteigt und in drei aufeinanderfolgenden Jahren überstiegen hat. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB V in dieser Fassung endet die Versicherungspflicht, wenn die Jahresarbeitsentgeltgrenze in drei aufeinander folgenden Kalenderjahren überschritten wird, mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, in dem sie überschritten wird. Nach Abs. 4 Satz 2 galt dies nicht, wenn das Entgelt die vom Beginn des nächsten Kalenderjahres geltende JAEG nicht übersteigt.

Demzufolge war auch in den Jahre 2007 und 2008 keine Versicherungsfreiheit der Beigeladenen Nr. 1 gegeben. Zwar waren nach den aus den Jahreskontenübersichten ersichtlichen Gesamtbruttogehältern (2007: 53.318,30 EUR und 2008; 52,556,93 EUR) in diesen Jahren auch die allgemeinen JAEG überschritten (2007: 47.700 EUR und 2008: 48.150 EUR). Ungeachtet der Frage, ob die darin enthaltenen Tantiemenzahlungen für Vorjahre überhaupt zum regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt gerechnet werden konnten (dazu unten) war mit den Überschreitungen dieser Jahre die zusätzliche Voraussetzung einer mindestens dreijährigen Dauer des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze noch nicht erfüllt. Insbesondere war im Folgejahr 2009 die JAEG von 48.600 EUR mit einem von der Klägerin angegebenen Jahresarbeitsentgelt von 41.491,97 EUR - selbst einschließlich der in diesem Jahr gezahlten Tantiemenzahlung - nicht überschritten. Nur bei einer Überschreitung im Jahr 2009 hätte nach der ab 2007 geltenden Rechtslage frühestens ab dem Jahr 2010 eine Befreiung von der Versicherungspflicht eintreten können. Ab diesem Zeitpunkt galt indes wieder die vor dem 02.02.2007 bestehende Rechtslage, wonach der Beginn der Versicherungsfreiheit mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem die Arbeitsentgeltgrenze überschritten wurde, eintrat (vgl. hierzu Peters, in Kassler Kommentar, Stand Okt. 2012, § 6 SGB V RdNr. 18 ff.).

Entgegen der Auffassung der Klägerin führen auch die in den Jahren 2007 (für 2005) und 2008 (für 2006) geleisteten Tantiemenzahlungen zu keiner anderen Bewertung der Versicherungspflicht der Beigeladenen Nr. 1 im maßgeblichen Zeitraum. Zum einen waren, anders als es offenbar die Klägerin meint, diese Tantiemenzahlungen nicht etwa rückwirkend auf die voran gegangenen Jahre anzurechnen. Denn insoweit gilt das Zuflussprinzip des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, demzufolge Beitragsansprüche der Versicherungsträger bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt entstehen, sobald dieses ausgezahlt worden ist. Die Tantiemenzahlungen für 2005 und 2006 waren daher nicht retrospektiv dem Arbeitsentgelt der Jahre 2005 bzw. 2006 zuzurechnen. Zum anderen waren - unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Auszahlung - die Tantiemen ohnehin kein Bestandteil des regelmäßigen Arbeitsentgelts. Der Anspruch der Beigeladenen Nr. 1 auf Tantiemen war kein "mit Sicherheit zu erwartendes" Arbeitsentgelt. Vereinbart war im Anstellungsvertrag lediglich, dass die jährliche Tantieme mit den Jahresabschlussarbeiten für die Firma ermittelt werde und nur gezahlt werden kann, wenn ein Reingewinn erzielt wird. Der Anspruch auf diesen Teil des Arbeitsentgelts war somit abhängig vom Erfolg des Unternehmens. Ob ein Anspruch überhaupt entsteht und ggf. in welcher Höhe, war damit zu Beginn eines Kalenderjahres nicht vorhersehbar. Variable Arbeitsentgeltbestandteile, die individuell leistungsbezogen oder unternehmenserfolgsbezogen sind kein "regelmäßiges Arbeitsentgelt" (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16.10.2012 - L 11 KR 5514/11 -; Gerlach in Hauck/Haines, SGB V, § 6 RdNr 36b). Der Unternehmenserfolg ist von vielen Variablen abhängig und nicht sicher planbar. So ergibt sich auch aus den von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Jahreskontenübersichten, dass in den vorausgegangenen Jahren seit 1997 nur 1999, 2001 und 2002 Tantiemen ausbezahlt worden waren. Weder in den Jahren 2003 noch 2004 war eine Tantiemenzahlung erfolgt, so dass zu Beginn des Jahres 2005, als die Prognose für das in diesem Jahr zu erwartende Jahresarbeitsentgelt der Beigeladenen Nr. 1 durch die Klägerin zu treffen war, nicht mit Sicherheit von einer Tantieme für das Jahr 2005 ausgegangen werden konnte, zumal die tatsächliche Zahlung ohnehin erst zwei Jahre später erfolgte. Soweit der Vertreter der Klägerin hinsichtlich der Auszahlungsweise der Tantiemen auf die Muster-Verträge anderer Mitarbeiter der Klägerin verweist, sind die darin enthaltenen Regelungen schon deshalb für die Beigeladene Nr. 1 nicht maßgeblich, da ihr Anstellungsvertrag dem Mustervertrag nicht entspricht.

Schließlich greift auch die Ausnahmeregelung des § 6 Abs. 9 Satz 1 SGB V nicht zugunsten der Klägerin ein. Diese in Verbindung mit der dreijährigen "Wartefrist" für den Eintritt der Versicherungsfreiheit bei Überschreiten der JAEG eingeführte Regelung sieht vor, dass diejenigen Arbeiter und Angestellten, die nicht die Dreijahresfrist erfüllten, aber bereits am 02.02.2007 aufgrund der Vorgängerregelung in der privaten Krankenversicherung versichert waren oder den Wechsel durch Kündigung ihrer Mitgliedschaft bereits eingeleitet hatten, ungeachtet der strengeren Voraussetzungen der Folgeregelung versicherungsfrei bleiben sollten. § 6 Abs. 9 S 1 SGB V ist als Bestandsschutzregelung für die Fälle konzipiert, in denen ohne diese Regelung am 02.02.2007 allein infolge der ab diesem Tage wirkenden Verschärfung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durch das GKV-WSG die zuvor bestehende Versicherungsfreiheit eines Beschäftigten entfallen wäre. Der Gesetzgeber musste bei der Schaffung einer Bestandsschutzregelung daher in diesem Zusammenhang in erster Linie den Personenkreis berücksichtigen, der durch die Verschärfung der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt von Versicherungsfreiheit nachteilig in einem Vertrauenstatbestand betroffen war. Zu diesem Personenkreis gehörten die nach alter Rechtslage wegen Überschreitens der JAEG versicherungsfreien Arbeitnehmer, welche bereits privat versichert waren oder im Hinblick auf ein privates Krankenversicherungsverhältnis ihre Mitgliedschaft in der GKV schon gekündigt hatten und deren Versicherungsverhältnis im ersten Fall ohne eine Übergangsregelung ex lege aufgelöst worden wäre (vgl. BSG. Urteil vom 27.06.2012 - B 12 KR 6/10 R - in Juris, mit Hinweis auf BVerfGE 123, 186, 233 f = SozR 4-2500 § 6 Nr. 8 RdNr. 151). Hierzu zählt die Beigeladene Nr. 1 nicht, da sie am 02.02.2007 nicht nach alter Rechtslage wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei war. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Beigeladene Nr. 1 aufgrund der in den vorangegangenen Jahren gezahlten Arbeitsentgelte spätestens zum Ende des Jahres 2006 versicherungsfrei geworden wäre. Dies war - wie oben dargestellt - nicht der Fall, so dass die Beigeladene Nr. 1 am 02.02.2007 nicht versicherungsfrei war. Ihre bestehende private Krankenversicherung beruhte deshalb auch zu diesem Zeitpunkt wie bereits zuvor nicht auf einem Überschreiten der JAEG. Selbst wenn die Beigeladene Nr. 1 im Jahr 2007 die JAEG überschritten hätte, wäre auch nach altem Recht Versicherungsfreiheit erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2007 eingetreten, so dass auch dadurch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 9 SGB V nicht erfüllt wären.

Nach alledem bestand für den Senat kein Anlass, dem gestellten Hilfsantrag zu entsprechen, zumal die Jahresentgelte den eigenen Unterlagen der Klägerin entstammen und zwischen den Beteiligten hinsichtlich der zahlenmäßigen Höhe auch unstreitig sind. Wenn sich Herr H. und Frau H. hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung dieser Zahlen geirrt haben sollten, vermag dies nichts an der hier vorzunehmenden rechtlich zutreffenden Beurteilung von Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit zu ändern, da -wie sogleich noch dargelegt wird - Vertrauensschutztatbestände durch Frau H. nicht begründet worden sind.

Aus dem Umstand, dass bereits in den Jahren 2000 und 2005 Betriebsprüfungen ohne Beanstandung der fehlenden Anmeldung der Beigeladenen Nr. 1 zur Kranken- und Pflegeversicherung erfolgt waren, kann die Klägerin entgegen der von ihr vertretenen Auffassung keine Rechte, insbesondere keinen Vertrauensschutz für sich herleiten. Die Frage der Sozialversicherungspflicht der Beigeladenen Nr. 1 ist offenbar unerkannt geblieben, so dass diese Betriebsprüfungen keine Beitragsnachforderungen nach sich gezogen haben. Ein Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Vertrauensschutz ergibt sich daraus ebenso wenig wie ein Verwirkungstatbestand zu Lasten der Beklagten. Diese hat keine für die Klägerin positive Regelung im Hinblick auf den Versicherungsstatus der Beigeladenen Nr.1 getroffen, aus der ein Vertrauen der Klägerin hätte erwachsen können, oder einen Tatbestand geschaffen, aus dem die Klägerin hätte entnehmen können, dass die Beklagte fortdauernd auf die Erhebung von Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen für die Beigeladene Nr. 1 verzichten werde. Selbst wenn die Mitarbeiterin der Einzugsstelle bei der Prüfung einen andere mündliche Auskunft gegeben haben sollte, bleibt maßgeblich, dass die Beklagte aus der Prüfung keine Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Versicherungspflicht der Beigeladenen Nr. 1 gezogen hat. Im Übrigen hätte es der Klägerin schon im Hinblick auf die jährlich geänderten JAEG selbst oblegen, die Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit für jedes Kalenderjahr erneut zu überprüfen. Die Beklagte, deren Aufgabe die Prüfung der ordnungsgemäßen Beitragsentrichtung ist, war berechtigt, auch für zurückliegende Zeiträume die fehlerhaften Beitragsentrichtungen zu korrigieren. Sie ist für daraus resultierende Nacherhebungen allein an die Verjährungsfrist des § 44 Abs. 4 SGB X gebunden, die hier eingehalten wurde. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kommt nicht in Betracht, da ein Fehlverhalten der Beklagten nicht erkennbar ist. Darauf hat bereits das Sozialgericht zutreffend hingewiesen.

Die streitgegenständliche Beitragsnachforderung der Beklagten ist auch unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen das Äquivalenzprinzip nicht zu beanstanden. Die Klägerin kann ihrer gesetzlichen Beitragspflicht nicht eine Störung des im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Versicherten bestehenden Gegenleistungsverhältnisses entgegen halten. Dies hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 04.06.1991(- 12 RK 52/90 - in Juris) klargestellt. Im dort entschiedenen Fall war der Kläger als nicht verpflichtet angesehen worden, bei einer rückwirkenden Feststellung des Versicherungsverhältnisses einen Eigenanteil an den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner erbringen zu müssen, da er keine Kenntnis von dem Versicherungsverhältnis gehabt hatte und demzufolge keine Leistungen hatte in Anspruch nehmen können. Das Bundessozialgericht hat aber ausdrücklich erklärt, dass die entsprechende, aus dem Äquivalenzprinzip abgeleitete Argumentation einen Sachverhalt betraf, in dem die Ursache für die nachträgliche Feststellung der Mitgliedschaft nicht beim Versicherten lag, und deshalb nicht auf Fälle übertragbar ist, in denen das Bestehen des Versicherungsverhältnisses wegen Unklarheiten fraglich ist, die auf der Verletzung von Mitteilungspflichten der Versicherungsträger oder anderen, dem Versicherten nicht zurechenbaren Versäumnissen beruhen. Die Entscheidung betraf ausschließlich den Eigenanteil des Versicherten, nicht aber den Beitragszuschuss des dort beteiligten Rentenversicherungsträgers. Dementsprechend ist es auch der Klägerin verwehrt, sich hinsichtlich ihrer Beitragspflicht auf das Äquivalenzprinzip zu berufen (vgl. auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 14.03.2007 - L 5 KR 54/06 - in Juris, einen Verstoß der rückwirkend festgestellten Beitragspflicht des Arbeitgebers gegen das Äquivalenzprinzip verneinend).

Die Berufung der Klägerin konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO. Danach hat die unterlegene Klägerin die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die keine Sachanträge gestellt und damit kein Prozessrisiko übernommen haben. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass sie ihre Kosten selbst tragen (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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