L 5 KR 1551/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 1362/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1551/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27.9.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Elektrorollstuhls mit einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die 1970 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin ist querschnittsgelähmt und zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen. Von der Pflegekasse erhält sie Leistungen der Pflegestufe 1.

Im September 2009 stand die Versorgung der Klägerin mit einem neuen Elektrorollstuhl an. Hierfür reichte das Sanitätshaus S. am 28.9.2009 bei der Beklagten einen Kostenvoranschlag für einen Elektrorollstuhl mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h zur Genehmigung ein (Gesamtkosten Rollstuhl und Zubehör 6.338,01 EUR).

Mit Schreiben vom 19.10.2009 teilte die Beklagte dem Sanitätshaus S. mit, genehmigt werde ein Elektrorollstuhl nebst Zubehör zu Gesamtkosten von 5.651,74 EUR.

Mit (als Widerspruch bezeichnetem) Schreiben vom 10.11.2009 beantragte die Klägerin die Gewährung eines Elektrorollstuhls mit einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h. Sie trug vor, an ihrem Wohnort (im ländlichen Raum) gebe es keine Einkaufsmöglichkeiten und auch keine Post- oder Sparkassenfiliale. Deshalb müsse sie zum Einkaufen und zur Erledigung von Behördenangelegenheiten in 5 km entfernte Nachbargemeinden bzw. Ortsteile ihrer Heimatgemeinde fahren. Das gelte auch für die Teilnahme an öffentlichen und kulturellen Veranstaltungen und die Pflege sozialer Kontakte. Die Wegstrecken könnte sie mit einem 10 km/h schnellen Rollstuhl in erheblich kürzerer Zeit als mit dem 6 km/h schnellen (Standard-)Elektrorollstuhl (statt 2 1/2 Stunden etwa 1 ¼ Stunden) zurücklegen. Sie sei bereit, Mehrkosten bzw. Kosten für eine Haftpflichtversicherung des schnelleren Rollstuhls aufzuzahlen. Die Beklagte habe ihr bislang, seit über zwölf Jahren, einen Rollstuhl mit einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h zur Verfügung gestellt; dieser sei jetzt allerdings nicht mehr benutzbar.

Mit Bescheid vom 11.12.2009 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Elektrorollstuhls mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 10 km/ab.

Den dagegen (per e-mail vom 23.12.2009) eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.3.2010 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Versorgung mit Hilfsmitteln der gesetzlichen Krankenversicherung diene nur einem Basisausgleich. Dem Behinderten solle ermöglicht werden, ins Freie zu gelangen und in der näheren Umgebung kleinere Besorgungen und Alltagsgeschäfte erledigen zu können. Die Gleichstellung des Behinderten mit den uneingeschränkten Möglichkeiten gesunder Menschen sei nicht Aufgabe der Krankenkasse. Für die Versorgung mit Elektrorollstühlen sei eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf höchstens 6 km/h vorgesehen. Ein schnellerer Elektrorollstuhl benötige eine gesonderte (straßenverkehrsrechtliche) Zulassung mit Versicherungskennzeichen und eine Haftpflichtversicherung. Nach dem Straßenverkehrsrecht dürfe ein Elektrorollstuhl generell nur mit Schrittgeschwindigkeit (6 km/h) gefahren werden. Die Klägerin erhalte auch Leistungen der Pflegekasse. Dabei sei ein Zeitbedarf für Einkäufe und Besorgungen berücksichtigt.

Am 30.3.2010 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe. Zur Begründung bekräftigte sie ihr bisheriges Vorbringen.

Mit Urteil vom 27.9.2010 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkasse solle (nur) Grundbedürfnisse des täglichen Lebens befriedigen, zu denen auch das Erschließen eines gewissen körperlichen Freiraums gehöre. Dabei sei auf diejenigen Entfernungen abzustellen, die ein gesunder Mensch üblicherweise zu Fuß zurücklege. Dem Versicherten solle ermöglicht werden, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft zu kommen oder um diejenigen Stellen aufzusuchen, an denen Alltagsgeschäfte, z.B. der Einkauf von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs, zu erledigen seien. Auf die besonderen Verhältnisse des Wohnorts des Versicherten komme es nicht an (BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -; Urt. v. 20.11.2008, - B 3 KN 4/07 KR R -). Zur Befriedigung des genannten Grundbedürfnisses genüge ein Elektrorollstuhl mit einer Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h. Mit diesem könne sich die Klägerin in ihrer Wohnung und im nahen Außenbereich (in einem Radius von ca. 500-1000 m) hinreichend fortbewegen; das bestreite die Klägerin auch nicht. Die Beklagte müsse sie nicht in die Lage versetzen, schneller voranzukommen als ein gesunder Mensch zu Fuß. Die Klägerin könne die Versorgung mit einem 10 km/h schnellen Elektrorollstuhl auch dann nicht verlangen, wenn sie anfallende Mehrkosten trage. Die Beklagte stelle Elektrorollstühle generell nur leihweise zur Verfügung und habe Elektrorollstühle mit einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h nicht (mehr) in ihrem Bestand; zur Anschaffung solcher Rollstühle sei sie nicht verpflichtet. Für Elektrorollstühle mit einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h entstünden nach deren Rückgabe bei Neuversorgungen anderer Versicherter höhere Kosten als für (Standard-)Elektrorollstühle mit einer Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h. Außerdem müsste für die schnelleren Rollstühle eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 32 Nr. 11 Seite 40), da haftpflichtversicherungsfrei nur Kraftfahrzeuge (auch Elektrorollstühle) seien, deren durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit 6 km/h nicht übersteige (§ 2 Abs. 1 Nr. 6a Pflichtversicherungsgesetz, PflVG). Die Kosten für die Haftpflichtversicherung müssten spätestens bei Weitergabe des schnelleren Rollstuhls an andere Versicherte, die zur Mehrkostentragung nicht bereit seien, von der Beklagten übernommen werden.

Auf das ihr am 11.10.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9.11.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt ergänzend vor, die Versorgung mit einem 10 km/h schnellen Elektrorollstuhl sei medizinisch angezeigt und allein geeignet, die Erledigung von Alltagsgeschäften und die Pflege sozialer Kontakte zu ermöglichen, da sie hierfür in 5 km entfernte Nachbargemeinden bzw. Ortsteile ihrer Heimatgemeinde fahren müsse. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts müssten die besonderen Verhältnisse ihres Wohnorts berücksichtigt werden. Nur dann könne sie ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern. Anders als gesunde Menschen könne sie entferntere Orte mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder einem eigenen Fahrzeug (Fahrrad oder Pkw) nicht erreichen. Außerdem habe man sie 12 Jahre lang mit einem schnelleren Rollstuhl versorgt, dies müsse beibehalten werden. Zu der Weitergabe des schnelleren Rollstuhls an andere Versicherte werde es wahrscheinlich nicht kommen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27.9.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.3.2010 zu verurteilen, ihr im Wege der Hilfsmittelversorgung einen Elektrorollstuhl mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h zu gewähren,

hilfsweise,

ihr den genannten Elektrorollstuhl mit der Maßgabe zu gewähren, dass sie die Mehrkosten gegenüber der Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h selbst trage.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Mit Beschluss vom 8.2.2011 wurde das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf das beim BSG unter dem Aktenzeichen B 3 KR 12/10 R anhängige Revisionsverfahren angeordnet.

Nach Ergehen des Urteils des BSG vom 18.5.2011 (- B 3 KR 12/10 R -) hat die Klägerin das Verfahren wieder angerufen. Es wird unter dem Aktenzeichen L 5 KR 1551/13 weitergeführt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist bei einem Wert der begehrten Sachleistung von (jedenfalls) über 5.000 EUR überschritten. Die Berufung ist auch sonst zulässig (§ 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.

Die Klage der Klägerin ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig (§§ 54 Abs. 1 und 5, 56 SGG). Das (als Widerspruch bezeichnete) Schreiben der Klägerin vom 10.11.2009 stellt der Sache nach einen Leistungsantrag dar (vgl. § 19 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch, SGB IV; dazu näher auch BSG, Urt. v. 24.9.2002, - B 3 KR 2/02 R -; Urt. v. 17.4.1996, - 3 RK 19/95 -). Diesen Antrag hat die Beklagte mit dem als Ablehnungsbescheid einzustufenden Schreiben vom 11.12.2009 abgelehnt und den dagegen (per e-mail) eingelegten Widerspruch der Klägerin mit dem Widerspruchsbescheid vom 12.3.2010 zurückgewiesen.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Es hat in seinem Urteil zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§ 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V) das Leistungsbegehren der Klägerin zu beurteilen ist, und weshalb sie die Gewährung eines 10 km/h schnellen Elektrorollstuhls durch die Beklagte nicht beanspruchen kann. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend sei insbesondere im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten angemerkt:

Der Senat hat hinsichtlich der Versorgung gesetzlich Versicherter mit Rollstühlen als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung in seinem - den Beteiligten im hier maßgeblichen Inhalt durch Verfügung vom 10.11.2011 bekannt gegebenen - Urteil vom 25.8.2010 (- L 5 KR 2414/07 -) Folgendes ausgeführt:

Gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung (zum Behinderungsbegriff vgl. die auch hier maßgebliche Definition in § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch, SGB IX) vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Nach der Rechtsprechung des BSG bemisst sich der von den Krankenkassen geschuldete Behinderungsausgleich (§ 33 Abs. 1 Satz 1 3. Fall SGB V) entscheidend danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird:

Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Insoweit hat der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V als dritte Variante genannte Zweck (vgl. auch § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) für die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gebotene Hilfsmittelversorgung zwei Ebenen. Im Vordergrund steht dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens i. S. des § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist.

Beschränkter sind die Leistungspflichten der Krankenkassen, wenn die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht oder nicht ausreichend möglich ist, und deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt werden (mittelbarer Behinderungsausgleich). Dann sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztendlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl. § 1 SGB V sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Nr. 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von den Krankenkassen deshalb nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens im hier maßgeblichen Sinn gehören das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrung aufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Für den Ausgleich darüber hinausreichender Behinderungsfolgen haben beim mittelbaren Behinderungsausgleich hingegen ggf. andere Sozialleistungssysteme Sorge zu tragen. Das gilt (nunmehr) auch (entgegen der ausdrücklich aufgegebenen bisherigen Rechtsprechung des 13. Senats des BSG, vgl. Urt. v. 21.8.2008 -, BSGE 101,207) für Gebrauchsvorteile im Beruf; nur für die Berufsausübung erforderliche Hilfsmittel muss die Krankenkasse nicht gewähren. Ist der Versicherte für die Anforderungen des allgemeinen Alltagslebens ausreichend versorgt, kommt es auf etwaige zusätzliche Nutzungsvorteile im Erwerbsleben ohnehin nicht an. Umgekehrt kann ein Hilfsmittelanspruch gegen die Krankenkasse nicht auf ausschließlich berufliche Nutzungsvorteile gestützt werden, wenn das Hilfsmittel ansonsten keine allgemeinen Grundbedürfnisse betrifft und seine Nutzung die Auswirkungen der Behinderung nicht im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert (so BSG, Urt. v. 17.12.2009, - B 3 KR 20/08 R -).

Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört u. a die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw. eines Schulwissens (vgl. BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -). Das Grundbedürfnis nach Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums hat die Rechtsprechung des BSG immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht i. S. des vollständigen Gleichziehens mit den Möglichkeiten eines Gesunden verstanden. Die Bewegungsfreiheit stellt zwar ein allgemeines Grundbedürfnis dar. Hierfür ist im Ausgangspunkt allerdings nur auf diejenigen Entfernungen abzustellen, die ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt (BSG, Urt. v. 8.6.1994, - 3/1 RK 13/93 -). In der Folgezeit hat das BSG (Urt. v. 16.9.1999, - B 3 KR 8/98 R -) dies auf die Fähigkeit präzisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen", oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (z.B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post). Standen Wegstrecken in Rede, die über das von Gesunden zu Fuß Erreichbare hinausgingen, hat das BSG zusätzliche qualitative Momente verlangt (Urt. v. 16.9.2004, - B 3 KR 19/03 R -: Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für zu Hause gepflegte Wachkomapatientin; Urt. v. 16.4.1998, - B 3 KR 9/97 R -: Rollstuhl-Bike für Jugendliche im Hinblick auf die Integration des behinderten Kindes während der jugendlichen Entwicklungsphase; Urt. v. 2.8.1979, - 11 RK 7/78 -: Faltrollstuhl für Schulkind zur Ermöglichung des Schulbesuchs; vgl. auch zusammenfassend BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -). Speziell die Fortbewegung per (Fahr-)Rad ist nicht als Grundbedürfnis anerkannt (BSG, Urt. v. 29.1.2009, - B 3 KR 39/08 R -). Die Gewährung fahrradgleicher mechanischer Zugvorrichtungen für Rollstühle (Rollstuhlzuggerät oder Rollfiet), auch als Rollstuhl-Bike (oder Elektro-Bike) bezeichnet, hat das BSG für Erwachsene regelmäßig abgelehnt (vgl. etwa Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -; Beschl. v. 22.4.2009, - B 3 KR 54/08 B -; Urt. v. 29.1.2009, - B 3 KR 39/08 B -).

Dem Gegenstand nach besteht für den so gezogenen räumlichen Bewegungsradius ein Anspruch auf die im Einzelfall für den gebotenen Behinderungsausgleich ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deswegen kann der Versicherte ein teureres Hilfsmittel nicht beanspruchen, wenn die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; andernfalls muss er die Mehrkosten gem. § 33 Abs. 1 Satz 6 SGB V (ebenso § 31 Abs. 3 SGB IX) selbst tragen (BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -). Ist der Versicherte aber außer Stande, den Nahbereich der Wohnung mit einem (handbetriebenen) Aktivrollstuhl (Greifreifenrollstuhl) ohne übermäßige Anstrengung, schmerzfrei und aus eigener Kraft ohne Schiebehilfe Dritter in normalem Rollstuhltempo zu bewältigen, ist er (die Möglichkeit zu dessen verkehrssicherer Führung vorausgesetzt) mit einem Elektrorollstuhl zu versorgen (BSG Urt. v. 12.8.2009-B 3 KR 8/08 R).

Weiterreichende Rechte können Versicherte aus dem grundrechtlichen Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG nicht herleiten. Vielmehr folgt aus der genannten Grundrechtsbestimmung ein Auftrag an den Staat, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken. Diesem Auftrag zur Umsetzung und Konkretisierung hat der Gesetzgeber mit dem SGB IX Rechnung getragen, ohne dass damit der Auftrag als erledigt anzusehen wäre. Der fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet aber keine konkreten Leistungsansprüche. Die Vorschriften des SGB IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen gewähren den Versicherten im Bereich der Hilfsmittelversorgung ebenfalls keine über die Leistungspflichten nach § 33 SGB V hinausgehenden Leistungsansprüche (BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -; Urt. v.26.3.2003, - B 3 KR 23/02 R -).

Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Das BSG hat die dargelegten Rechtsgrundsätze in seiner neueren Rechtsprechung (Urt. v. 18.5.2011, - B 3 KR 12/10 R -; auch Urt. v. 2.2.2012, - B SO 9/10 R -) bestätigt. Es hat die weitere Konkretisierung des für die Hilfsmittelversorgung (Rollstuhlversorgung) durch die Krankenkasse hier maßgeblichen Nahbereichs im Sinne einer Mindestwegstrecke weder für tatsächlich möglich noch zur sachgerechten Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V für notwendig angesehen. Das BSG hat auch bekräftigt, dass für die Bestimmung des Nahbereichs ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab gilt und es auf die konkreten Wohnverhältnisse des behinderten Menschen nicht ankommt, weil der Nahbereich ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens konkretisiert und somit die Eignung und Erforderlichkeit des Hilfsmittels als objektive Anspruchsvoraussetzung betrifft (BSG, Urt. v. 18.5.2011, - B 3 KR 12/10 R -). Ein Anspruch darauf, den Radius der selbstständigen Fortbewegung (bspw. durch das Auto) erheblich zu erweitern), besteht auch dann nicht, wenn im Einzelfall die Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich erledigt werden können (BSG Urt. v. 2.2.2012, - B 8 SO 9/10 R - unter Hinweis auf BSG, Urt. v. 19.4.2007, - B 3 KR 9/06 R -; vgl. auch BSG, Urt. v. 3.11.2011, - B 3 KR 4/11 R - und Urt. v. 20.11.2008, - B 3 KN 4/07 KR R -). Hinsichtlich der Schnelligkeit der Fortbewegung ist Maßstab der Fußgänger; dessen Gehtempo entspricht in etwa der Höchstgeschwindigkeit der (Standard-)Elektrorollstühle von 6 km/h (vgl. auch BSG, Urt. v. 11.11.2004, - B 9 V 3/03 R -). Eine schnellere Fortbewegungsmöglichkeit, etwa nach dem Maßstab des Radfahrers, muss die Krankenkasse ihren (behinderten) Versicherten im Wege der Hilfsmittelversorgung nicht verschaffen (so auch LSG Bad.-Württ., Urt. v. 24.8.2004, - L 11 KR 72/04 -; LSG Niedersachsen, Urt. v. 30.1.2002, - L 4 KR 12/01 -; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.11.2009, - L 16 B 51/09 KR ER und LSG Berlin, Urt. v. 27.1.2006, - L 1 KR 121/04 - zu 10 km/h schnellen Elektrorollstühlen).

Davon ausgehend kann die Klägerin die Gewährung eines Elektrorollstuhls mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h nicht beanspruchen. Mit dem ihr gewährten maximal 6 km/h schnellen (Standard-)Elektrorollstuhl kann sie das vorstehend näher präzisierte Grundbedürfnis nach Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums - unstreitig - befriedigen, wobei es nach der angeführten (auch neueren) Rechtsprechung des BSG auf die Besonderheiten ihres konkreten Wohnorts (im ländlichen Raum) und die Möglichkeit zu Erledigung der Alltagsgeschäfte im Nahbereich nicht ankommt. Die Klägerin kann von der Beklagten die Gewährung einer die Geschwindigkeit der (Standard-)Elektrorollstühle von 6 km/h überschreitenden schnelleren Fortbewegungsmöglichkeit nach Art eines Radfahrers nicht beanspruchen. Der Wunsch, die etwa 5 km von ihrem Wohnort entfernten Ortsteile ihrer Heimatgemeinde bzw. Nachbargemeinden schneller als mit einem (Standard-)Elektrorollstuhl erreichen zu können, ist zwar verständlich. Allerdings ist dieser Wunsch durch die Krankenkasse im Wege der Hilfsmittelversorgung nicht zu erfüllen; andere Rechtsgrundlagen (vgl. § 14 SGB IX) sind für das Leistungsbegehren der Klägerin nicht ersichtlich und sind auch nicht geltend gemacht.

Die Klägerin kann weitergehende Ansprüche gegen die Beklagte nicht daraus herleiten, dass sie in der Vergangenheit mit einem schnelleren Elektrorollstuhl versorgt worden ist. Die Beklagte ist deswegen nicht verpflichtet, die seinerzeit maßgeblichen Versorgungsstandards für die Klägerin unverändert beizubehalten; hierfür gibt es keine Rechtsgrundlage. Schließlich muss die Beklagte einen schnelleren Elektrorollstuhl auch nicht wegen der Bereitschaft der Klägerin zur Tragung von Mehrkosten gewähren (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V); das Sozialgericht hat das in seinem Urteil zutreffend dargelegt, worauf zu verweisen ist (§ 153 Abs. 2 SGG). Für einen Anspruch auf Teilkostenerstattung oder auf ein anderes Hilfsmittel unter Anrechnung der Kosten für das zustehende Hilfsmittel enthält das Gesetz ebenfalls keine Rechtsgrundlagen. Unerheblich ist insoweit, wie die Wahrscheinlichkeit der Rückgabe des schnelleren Rollstuhls (durch die 42 Jahre alte Klägerin) und die Versorgung eines anderen Versicherten mit diesem Rollstuhl bzw. der Anfall der Mehrkosten (u.a. für die notwendige Haftpflichtversicherung) für die Beklagte in einem solchen Fall einzuschätzen wäre.

Das Sozialgericht hat die Klage danach zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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