L 4 R 2897/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 1956/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 2897/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung großer Witwenrente aus der Versicherung ihres am 2007 verstorbenen Ehemannes A. D. (im Folgenden: Versicherter).

Die 1956 geborene Klägerin und der 1939 in der Türkei geborene Versicherte, der seit 1. Januar 2005 Regelaltersrente bezog, lernten sich 1983 kennen und lebten seit 1985 in eheähnlicher Gemeinschaft. Der Versicherte war seit ca. 1980 deutscher Staatsangehöriger. Sie haben zwei gemeinsame, 1985 und 1988 geborene Kinder. 1991 erwarben sie gemeinsam ein Haus. Der Versicherte war von 1968 bis zur rechtskräftigen Scheidung am 20. November 1990 mit R. D., geborene H., verheiratet. Die Klägerin war bis zur Geburt der gemeinsamen Tochter im August 1985 im Klinikum in S. abhängig, anschließend als freie Mitarbeiterin in einer Krankengymnastikpraxis, ab Januar 1988 selbstständig als Physiotherapeutin beschäftigt. Am 26. Juli 2007 schlossen die Klägerin und der Versicherte die Ehe. Am 24. August 2007 verstarb der Versicherte.

Am 25. Mai 2007 wurde bei dem Versicherten im S.-B. Klinikum ein nicht kleinzelliges Bronchialkarzinom (mediastenaler Tumor rechtsseitig mit rechtshilärer Lymphadenopathie) und Metastasen in der rechten Nebenniere von 4,3 cm und in den Lymphknoten festgestellt. Der lokale Befund in der Lunge war weit fortgeschritten. Nach umfangreicher Diagnostik wurde eine palliativ intendierte Chemotherapie durchgeführt, unter der sich der Zustand zunächst etwas besserte, so dass der Versicherte am 9. Juni 2007 in die ambulante Betreuung zur Fortsetzung der Chemotherapie entlassen wurde. Eine Computertomografie am 19. Juli 2007 ergab eine Tumorprogression, die Therapie wurde umgestellt. Nach Verschlechterung des Allgemeinzustandes bei Tumorprogression wurde der Versicherte am 17. August 2007 erneut stationär aufgenommen. Am 17. August 2007 wurden Hirnmetastasen festgestellt, woraufhin der Versicherte mit dem Wunsch, zu Hause zu sterben, am 23. August 2007 entlassen wurde (Arztbrief des Prof. Dr. B., Direktor der Klinik für Innere Medizin II des S.-B. Klinikums, vom 26. September 2007).

Am 12. September 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Witwenrente. Mit Bescheid vom 24. Oktober 2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die am 26. Juli 2007 mit dem Versicherten geschlossene Ehe habe zum Zeitpunkt des Todes am 24. August 2007 weniger als ein Jahr gedauert. Die von der Klägerin dargelegten Gründe seien nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung, dass eine Versorgungsehe vorliege, zu widerlegen. Die Klägerin legte Widerspruch ein. Zum Zeitpunkt der Heirat bzw. des Entschlusses zur Heirat sei nicht absehbar gewesen, dass der Lungenkrebs zum Tode führen würde. Es hätten schon seit zwei bis drei Jahren Überlegungen bestanden, zu heiraten. Ende Mai/Anfang Juni (2007) sei der Entschluss getroffen worden. Aufgrund der türkischen Abstammung des Versicherten habe es zwei Monate gedauert, die erforderlichen Papiere zu beschaffen. Wesentliches Motiv der Klägerin sei gewesen, Auskünfte von den behandelnden Ärzten zu bekommen und der Wunsch, die Kinder als ehelich zu legitimieren. Überlegungen zu Renten- oder sonstigen Ansprüchen hätten keine Rolle gespielt. Bei Erstdiagnose der Erkrankung seien keine Metastasen festgestellt worden. Es habe begründete Hoffnung auf eine Heilung bestanden, auch von Seiten der behandelnden Ärzte. An der Hochzeit habe der Versicherte in der üblichen Weise teilnehmen können, er sei zu diesem Zeitpunkt nicht in stationärer Behandlung gewesen, von einer Notehe könne nicht die Rede sein. Erst ein bis zwei Wochen vor dem Tode habe sich der Zustand des Versicherten rapide verschlechtert, Metastasen seien festgestellt worden. Der Tod sei dann für alle sehr überraschend gekommen. Sie (die Klägerin) sei selbstständige Physiotherapeutin, habe regelmäßige Mieteinnahmen und sei damit in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

Nach Einholen der Befundberichte vom 11 Januar und 2. Februar 2008 bei Arzt für Allgemeinmedizin Dr. N., der nur die Diagnose Bronchialkarzinom mit Metastasen nannte und den Arztbrief des Prof. Dr. B. vom 26. September 2007 übersandte, vertrat die beratende Ärztin der Beklagten Dr. G. in ihrer Stellungnahme vom 12. Februar 2008 die Auffassung, die Lebenserwartung des Versicherten habe nicht mehr als zwölf Monate betragen. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2008 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Besondere Umstände zur Widerlegung einer Versorgungsehe angesichts des Versterbens innerhalb eines Jahres nach Eheschließung seien nicht festzustellen. Angesichts des Vorbringens, Ende Mai/Anfang Juni 2007 den Entschluss zur Heirat gefasst zu haben und der Diagnose am 22. Mai 2007 dränge sich gerade wegen der seit 22 Jahren bestehenden eheähnlichen Gemeinschaft die Vermutung auf, dass die ernste Erkrankung als ursächlich anzusehen und die Ehe zum Zweck der Versorgung geschlossen worden sei. Da die Kinder bereits volljährig seien, genüge der Hinweis, diese sollten als ehelich legitimiert werden, nicht aus.

Am 28. Mai 2008 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Zur Begründung trug sie vor, der Versicherte und sie hätten mehrmals intensiv eine Heirat erwogen, 1991 im Zusammenhang mit dem Hauskauf, 1998 und 1999 als die Tochter konfirmiert worden sei. Sie habe kirchlich getraut werden wollen, der Versicherte habe dies abgelehnt. Auch die Angst des Versicherten vor den Folgen des nicht abgeleisteten Wehrdienstes in der Türkei sei immer wieder ein Hinderungsgrund gewesen. Bereits Anfang 2007 hätten Pläne zur Heirat bestanden, seien aber wegen des hohen bürokratischen Aufwands verschoben worden. Sie und der Versicherte hätten im Januar 2007 zur Klärung rechtlicher Fragen einen Rechtsanwalt aufgesucht. Der Entschluss zu heiraten sei in Unkenntnis einer lebensgefährlichen Erkrankung gefasst worden. Es sei noch nicht bekannt gewesen, welche Erkrankung der Versicherte genau habe und welche Folgen sich daraus ergeben könnten. Erst Anfang Juni 2007 sei das Ergebnis im Krankenhaus mitgeteilt worden. Von ärztlicher Seite, insbesondere vom Hausarzt Dr. N. sei geäußert worden, dass keine Metastasen festzustellen seien und die Krankheit wahrscheinlich noch rechtzeitig entdeckt worden sei ("Glück gehabt"). Die Diagnose Bronchialkarzinom sei für den Versicherten der Anlass gewesen, seinen ganzen Mut zusammen zu nehmen und in der Türkei schriftlich die Ausstellung der Geburtsurkunde zu beantragen. Angesichts der schweren Erkrankung sei ihnen klar geworden, dass man unverheiratet nicht als zugehörig angesehen werde. Die Ärzte hätten vor jedem Gespräch mit ihr den Versicherten um Erlaubnis gebeten. Es sei ihnen bewusst geworden, dass man unverheiratet nicht in der letzten Konsequenz füreinander da sein könne. Ihnen sei dann erst klar geworden, dass man eine schwere Krankheit und die damit verbundenen Notwendigkeiten unverheiratet nicht meistern könne. Es habe dann wegen der türkischen Abstammung des Versicherten ca. sechs Wochen bis zwei Monate gedauert, die erforderlichen Papiere zu beschaffen. Die Chemotherapie sei dann im Juni/Juli 2007 durchgeführt worden. Es seien weiterhin keine Metstasen festgestellt worden und alle hätten eine erfolgreiche Behandlung erwartet. Metastasen in der Niere und der Lymphe seien ihr gegenüber nicht erwähnt worden. Vom Ergebnis des Computertomogramms (CT) vom 19. Juli 2007 sei sie einige Tage später dahingehend informiert worden. dass der Tumor nicht kleiner geworden sei, sondern sich leicht vergrößert habe. Es sei eine andere Therapie besprochen und dann durchgeführt worden. Zum Zeitpunkt der Hochzeit, die dann schon seit mehreren Wochen festgestanden habe, sei keineswegs klar gewesen, dass ein tödlicher Verlauf festgestanden habe. Der Versicherte habe noch vollständig am normalen Leben teilgenommen. Keiner der Ärzte habe sich dahingehend geäußert. Möglicherweise habe sich die Prognose zu diesem Zeitpunkt verschlechtert. Erst nach der Hochzeit sei die Therapie umgestellt worden. Danach sei es dem Versicherten schlagartig schlechter gegangen. Am 4. August 2007 sei er wegen massiver Atemwegsprobleme mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Am 9. August 2007 sei er mit dem Plan einer erneuten ambulanten Chemotherapie entlassen worden. Die Hoffnungen seien vollständig auf die neue Therapie gesetzt worden. Erst nach Feststellung der Metastasen im Rahmen des stationären Krankenhausaufenthalts am 17. August 2007 und der massiven Verschlechterung des Allgemeinzustandes sei sie damit konfrontiert worden, dass ein tödlicher Verlauf anzunehmen, aber ein weiteres Jahr des Überlebens möglich sei. Die Eheschließung sei mithin nicht in der Gewissheit des tödlichen Verlaufs erfolgt. Das Versterben des Versicherten am 24. August 2007 sei unerwartet und überraschend gekommen. Die gemeinsamen Kinder sprächen gegen eine Versorgungsehe, was das Hessische Landessozialgericht (Beschluss vom 13. Dezember - L 2 R 220/06 , in juris) entschieden habe, nach einem Urteil des Verwaltungsgericht - VG - Koblenz (6 K 1937/06, keine Angabe eines Entscheidungsdatums) ebenso die langjährige gefestigte Beziehung. Aus der Durchführung einer palliativ intendierten Chemotherapie lasse sich nicht ableiten, dass mit dem baldigen Tode zu rechnen sei, wie das LSG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 31. Januar 2007 (L 16 R 487/06, in juris) entschieden habe. Auch der Versicherte und sie hätten diesen Schluss nicht gezogen. Andere Motive seien jedenfalls als mindestens gleichwertig anzusehen. Der Zustand des Versicherten habe sich im Krankenhaus verschlechtert, da er überwässert worden sei. Nach seiner Entlassung am 9. Juni 2007 habe er sich zusehends erholt. Kein Arzt habe jemals, insbesondere nicht vor dem 26. Juli 2007, gesagt, dass keine Hoffnung bestehe. Sie habe mit der Stationsärztin, der Oberärztin Dr. Ga. und einem Arzt in der onkologischen Ambulanz gesprochen, nie jedoch mit Prof. Dr. B ... Sie habe Dr. Ga. am 6. Juli 2007 gefragt, wie sich die Krankheit in Zukunft entwickeln werde. Dr. Ga. habe geantwortet, sie könne diese Frage nicht beantworten. Vielleicht werde der Versicherte noch Wochen, Monate oder Jahre leben. Noch während des letzten Krankenhausaufenthaltes habe ein jüngerer Assistenzarzt ihr gesagt, es gebe weitere Chemotherapieformen, die eingesetzt werden könnten. Sie seien viele Jahre wie jedes standesamtlich rechtzeitig getraute Ehepaar durch gute und schlechte Zeiten gegangen und jetzt werde unterstellt, sie sei die Ehe nur eingegangen, um versorgt zu sein.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies auf den Widerspruchsbescheid. Angesichts der diagnostizierten Krebserkrankung könne nicht angenommen werden, dass die tödlichen Folgen zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht vorhersehbar gewesen seien. Eine Eheschließung im Zusammenhang mit der Erziehung gemeinsamer Kinder liege nicht vor, da diese bereits volljährig gewesen seien. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Klägerin sei ohne Bedeutung. Entscheidend sei allein. dass die Eheschließung den Anspruch auf Witwenrente zum Ziel habe. Die Dauer der Lebensgemeinschaft könne ein Indiz für eine Versorgungsehe sei, da in dem langen Zeitraum keine Heiratsabsicht bestanden habe. Sie verwies auf das Urteil des Hessischen LSG vom 17. November 2006 (L 5 R 19/06, in juris).

Das SG befragte die behandelnden Ärzte des Versicherten als sachverständige Zeugen. Dr. N. gab in seiner Auskunft vom 26. März 2009 an, der Versicherte sei von 1984 bis zu seinem Tod bei ihm in Behandlung gewesen. Er habe ihn am 24. Mai 2007 mit Verdacht auf Lungenkarzinom in die Klinik eingewiesen. Zum Zeitpunkt der Feststellung multipler Hirnmetastasen (17. August 2007) seien die Überlebenschancen gering gewesen.

Dr. Ge. teilte am 9. Februar 2009 telefonisch mit, sie könne sich nur noch daran erinnern, dass beim Versicherten ein Bronchialkarzinom vorgelegen habe, ansonsten sei sie nunmehr niedergelassene Ärztin und habe keinen Zugang zu den Patientenakten.

Prof. Dr. B. gab in seinen Auskünften vom 22. Juni 2009, 28. Juli 2010 und 14. März 2011 an, der Versicherte sei bei der ersten Untersuchung am 24. Mai 2007 bei schlechtem Allgemeinzustand schwer krank gewesen. Nach anfänglicher Besserung unter der Chemotherapie sei er am 9. Juni 2007 entlassen worden, habe dann aber zunehmende Atemnot und Husten sowie weiteren Gewichtsverlust gezeigt. Die Kontrolluntersuchungen hätten eine Tumorprogression ergeben, die Chemotherapie sei beendet und eine orale second line-Therapie begonnen worden. Am 19. Juli 2007 sei nach Versagen der Erstbehandlung eine weitere Progression im CT nachgewiesen worden, weshalb eine Umstellung der Therapie am 20. Juli besprochen worden sei. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe der Klägerin klar sein müssen, wie schwer der Versicherte erkrankt sei, weil mehrere Chemotherapien nicht zur Verbesserung des Zustandes geführt hätten. Anfang August 2007 habe eine erneute stationäre Aufnahme mit weiterer Tumorprogression und der Empfehlung einer third line-Therapie erfolgt. Der Versicherte sei wegen zunehmender Atemnot und Fieberschüben stationär behandelt worden und habe berichtet, die Luftnot habe sich zwei Wochen vor seiner Einlieferung nochmals deutlich verstärkt. Er sei zu diesem Zeitpunkt noch deutlicher von der Krankheit gezeichnet gewesen, habe sich praktisch nicht mehr selbstständig versorgen können. Hoffnung auf eine kurative Therapie habe zu keiner Zeit bestanden. Aufgrund des Nichtansprechens der Primärtherapie habe von einem prognostisch sehr ungünstigen Verlauf mit wenigen Wochen bis Monaten Lebenserwartung ausgegangen werden müssen. Der Versicherte sei zu diesem Zeitpunkt über die schlechte Prognose informiert worden, er habe seine Zustimmung zu der second line-Therapie gegeben. Mit den Angehörigen sei ebenfalls mehrfach gesprochen worden. Bei der erneuten stationären Aufnahme am 17. August 2007 seien Hirnmetastasen diagnostiziert worden. Die Diagnosen seien mit dem Versicherten und den Angehörigen ausführlich besprochen worden, der Versicherte habe zu Hause sterben wollen und sei deswegen am 23. August 2007 entlassen worden. Die Aussage, der Versicherte habe zum Zeitpunkt der Eheschließung am 26. Juli 2007 noch vollständig am normalen Leben teilgenommen, sei schwer nachvollziehbar, da er in der Klinik jeweils einen deutlich reduzierten Allgemeinzustand aufgewiesen und über schwere Atemnot geklagt habe. Zusammenfassend sei der Zustand des Versicherten bereits vor der Eheschließung am 26. Juli 2007 für jedermann erkennbar stark beeinträchtigt gewesen. Der Versicherte sei in der Klinik von mehreren Ärzten behandelt und über die lebensbedrohliche Erkrankung und die ungünstige Prognose in Kenntnis gesetzt worden. Die Gespräche seien primär mit dem Versicherten selbst geführt worden.

Ferner übersandte auf Anforderung des SG die Krankenkasse des Versicherten das Gutachten des Dr. Br., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), vom 26. April 2007 zu einem Antrag des Versicherten auf Leistungen zur stationären Rehabilitation wegen chronischer Lumbalgie bei Zustand nach Bandscheibenvorfall L4/L5.

Mit Urteil vom 26. Mai 2011 wies das SG die Klage ab. Die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe sei hier nicht widerlegt. Zwar unterstelle es (das SG) die Einlassung, der Versicherte habe wegen seines in der Türkei nicht geleisteten Wehrdienstes Befürchtungen vor negativen Konsequenzen bei Beantragung einer Geburtsurkunde für eine Heirat gehegt, als wahr; ebenso den Vortrag der Klägerin, mehrfach eine Eheschließung erwogen zu haben sowie angesichts der Krankheit festgestellt zu haben, dass Außenstehende sie unverheiratet nicht als zusammengehörig ansehen würden. Dies schließe die Annahme einer Versorgungsehe aber ebenso wenig aus wie das lange Zusammenleben und die gemeinsamen Kinder. Weder Versicherungsträger noch Gerichte müssten hierzu Motive und persönliche Gründe erforschen, sondern nur die nach außen tretenden Tatsachen bewerten (Hessisches LSG, Beschluss vom 13. Dezember - L 2 R 220/06 -, a.a.O.). Die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe folge einer Typisierung, um den Leistungsträger der Ausforschung der Intimsphäre zu entheben. Die Darlegung allgemeiner, bei einer Heirat regelmäßig mit entscheidender Gesichtspunkte, wie die Absicht, auf Dauer eine Lebensgemeinschaft zu gründen, genüge nicht. Derartige Umstände seien nur solche, die eine Versorgungsabsicht eindeutig ausschlössen, weil z.B. der Eintritt des Versicherungsfalls nicht habe vorausgesehen werden können. Das Vorliegen einer schweren Erkrankung, die in absehbarer Zeit zum Tode führe, was einem oder beiden Ehegatten bekannt sei, bedeute nicht zwingend, dass der maßgebliche überwiegende Zweck der Heirat die Hinterbliebenenversorgung sei. Trete in diesem Fall der Tod innerhalb eines Jahres nach Eheschließung ein, müssten objektivierbare Hinweise vorliegen, dass die Heirat nicht maßgeblich aus Versorgungsüberlegungen erfolgt sei. Solche Umstände seien hier nicht erkennbar. Weder der Versicherte noch die Klägerin hätten bei der Eheschließung - und auch nicht bei Bestellung des Aufgebots am 4. Juli 2007 - davon ausgehen können, dass der Versicherte seine Krebserkrankung lange überleben würde. Nach den Ausführungen von Prof. Dr. B. habe der Versicherte bereits am 9. Juni 2007 bei schlechtem Allgemeinzustand einen weit fortgeschrittenen Befund gezeigt einschließlich Metastasen. Hoffnung auf eine kurative Therapie habe nicht bestanden. Auch das Nichtansprechen auf die ohne hin palliativ intendierte Chemotherapie habe zu einer ungünstigen Prognose von einer Lebenserwartung von wenigen Wochen/Monaten geführt. Der Versicherte sei hiervon informiert worden, auch mit den Angehörigen sei gesprochen worden. Danach erscheine es als lebensfern anzunehmen, die Klägerin und der Versicherte seien davon ausgegangen, der Versicherte habe noch mehrere Jahre zu leben, ebenso wie die Annahme, der Versicherte habe zum Zeitpunkt der Eheschließung noch am normalen Leben teilgenommen, da er nach Auskunft des Prof. Dr. B. einen deutlich reduzierten Allgemeinzustand aufgewiesen und über Atemnot geklagt habe. Nach dem Versagen der Erstbehandlung und der im CT vom 19. Juli 2007 diagnostizierten Progression und Umstellung der Behandlung ab dem 20. Juli 2007 sei deutlich gewesen, dass mit einem Ableben in absehbarer Zeit gerechnet werden müsse, auch wenn der Versicherte noch mit dem Auto zum Standesamt habe fahren können. Schließlich widerlege der Vortrag der Klägerin, die Heirat sei erforderlich gewesen, um mit den Ärzten sprechen zu können, die gesetzliche Vermutung nicht. Hierzu hätte eine Schweigepflichtentbindung genügt. Vielmehr ergebe auch der Vortrag der Klägerin, dass die schwere Krankheit Anlass der Eheschließung gewesen sei. Ein anderer Grund erschließe sich angesichts der Tatsache, dass der Versicherte bereits 67 Jahre alt, die gemeinsamen Kinder erwachsen gewesen und bereits seit 22 Jahre eine eheähnliche Gemeinschaft bestanden habe, nicht. Schließlich verfüge die Klägerin nach dem vorgelegten Einkommensteuerbescheid 2006 lediglich über ein zu versteuerndes Einkommen von EUR 15.410,10 und habe zwei studierende Kinder zu unterhalten, so dass die Witwenrente wirtschaftlich von Bedeutung sei.

Gegen das über ihren früheren Bevollmächtigten am 17. Juni 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. Juli 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr bisheriges Vorbringen. Sie und der Versicherte hätten bereits Anfang 2007 überlegt, wie sie sich gegenseitig absichern könnten und hierzu Notar R. (im Folgenden: Notar R.) vom Notariat V.-S. am 11. Januar 2007 konsultiert. Wegen der Bedenken des Versicherten gegen eine Anforderung von Unterlagen aus der Türkei und des Krankenhausaufenthaltes im Mai 2007 habe sich die Heirat jedoch verzögert. Die Diagnosestellung im Mai 2007 sei nicht der Auslöser für die Heirat gewesen. Entgegen den Ausführungen des Prof. Dr. B. vor dem SG habe sie "laienverständlich" keineswegs mit einem so zeitnahen Tod des Versicherten rechnen müssen. Gegenteilige Krankheitsverläufe seien dokumentiert, auch im Handbuch der Deutschen Rentenversicherung über sozialmedizinische Begutachtung. Entgegengetreten werde den Ausführungen des Prof. Dr. B., die Aussage, der Versicherte habe zum Zeitpunkt der Eheschließung noch vollständig am normalen Leben teilgenommen, sei schwer nachzuvollziehen. Vielmehr sei der Versicherte noch Auto gefahren, was durch einen Unfall am 14. Juni 2007 belegt sei. Die Hochzeit habe nicht am Sterbebett, sondern im üblichen Rahmen stattgefunden. Prof. Dr. B. habe sie und ihre Kinder nie über eine infauste Prognose informiert. Der Versicherte habe das Wort Krebs nicht in den Mund genommen, sondern die Krankheit für sich behalten. Dr. Ge. hätte bereits im Verwaltungsverfahren befragt werden müssen und wäre dann in der Lage gewesen, Auskunft zu geben. Die mangelhafte Sachaufklärung seitens der Beklagten dürfe nicht zu ihren (der Klägerin) Lasten gehen. Sie sei nicht über die Ernsthaftigkeit und Lebensbedrohlichkeit der Krankheit informiert worden, auch nicht vom Versicherten. Das Bewusstsein der Schwere der Krankheit beinhalte nicht deren tödlichen Verlauf. Dieser sei - zumal bei Anmeldung der Eheschließung am 4. Juli 2007 - für den medizinischen Laien nicht erkennbar gewesen. Vor dem Hintergrund, dass das SG angebotenen Beweisen nicht nachgegangen sei, sei die Beweiswürdigung des SG unzutreffend. Die langjährige Lebensgemeinschaft dürfe nicht berücksichtigt werden, weil das Gesetz hierüber nichts aussage (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Dezember 2008 - L 1 R 48/06 -). Vielmehr sprächen die seit langem bestehenden Heiratsabsichten gegen eine Versorgungsehe (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 7. März 2007 - L 8 R 207/06 -, in juris). Motiv sei gewesen, die enge Lebensgemeinschaft in dem dafür vorgesehenen rechtlichen Rahmen der Ehe fortzusetzen. Sie sei finanziell nicht auf die Witwenrente angewiesen. Sie habe eigene Rentenanwartschaften und eine Lebensversicherung, dazu drei Immobilien. Die Ehe beinhalte für den jüngeren Ehegatten das Risiko, den älteren längere Zeiträume pflegen zu müssen. Diese Verpflichtung sei sie bewusst eingegangen. Bei Fortbestehen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft hätte diese Verpflichtung nicht bestanden. Unrichtig sei bei der rechtlichen Würdigung durch das SG das Zugrundelegen einer typisierenden Betrachtung. Vielmehr müsse eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden. Das Bundessozialgericht (BSG) stelle ausdrücklich auf die Beweggründe der Ehegatten ab (BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R -, in juris). Allein der Wunsch nach einem gemeinsamen Nachnamen widerlege die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe (BSG, Urteil vom 27. August 2009 - B 13 R 101/08 R -, in juris). Sie habe nur deswegen nicht den Namen des Versicherten angenommen, weil sie als selbstständige Physiotherapeutin unter ihrem Geburtsnamen im Ort bekannt gewesen sei. Eine palliative Chemotherapie führe nicht zur Vermutung einer Versorgungsabsicht, wenn die Absicht zur Heirat schon vorher bestanden habe und die Schwere der Erkrankung dem hinterbliebenen Ehegatten nicht bekannt gewesen sei (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. August 2008 - L 7 R 187/07 -, in juris), oder wenn er wirtschaftlich unabhängig sei (LSG Bayern, Urteil vom 3. Dezember 2008 - L 1 R 503/07 R -, in juris).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Mai 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2008 zu verurteilen, ihr ab 1. September 2007 große Witwenrente zu gewähren, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil auch unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung für zutreffend.

Auf gerichtliche Anfrage hat Notar R. mit seiner am 25. Oktober 2011 eingegangenen Auskunft angegeben, sich an den Vorgang nicht zu erinnern und über keine Aufzeichnungen zu verfügen.

Die Berichterstatterin hat am 5. Oktober 2012 einen Erörterungstermin durchgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zutreffend entscheiden, dass die Beklagte im Bescheid vom 24. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2008 den Antrag der Klägerin auf Witwenrente zu Recht abgelehnt hat.

Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie (1.) ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, (2.) das 47. Lebensjahr vollendet haben oder (3.) erwerbsgemindert sind. Abs. 2a der genannten Vorschrift (in der durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. b) Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21. März 2001 [BGBl. I, S. 403] eingefügten Fassung) bestimmt: Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Nach der Übergangsvorschrift des § 242a Abs. 3 SGB VI gilt das nicht für Ehen, die vor dem 1. Januar 2002 geschlossen wurden. Der in der gesetzlichen Rentenversicherung zuvor nicht bestehende Anspruchsausschluss entspricht den Regelungen, wie sie bis dahin nur im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]) und der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz [BVG]) bestanden hatten.

Die Klägerin erfüllt zwar die positiven Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Witwenrente. Der Versicherte hatte die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (vgl. § 50 Abs. 1 SGB VI) erfüllt. Die 1956 geborene Klägerin hatte 2007 das 47. Lebensjahr vollendet und hat nicht wieder geheiratet. Die Ehe zwischen der Klägerin und der Versicherten, die nach dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde (vgl. § 242a Abs. 3 SGB VI), hat jedoch weniger als ein Jahr gedauert, nämlich vom 26. Juli bis 24. August 2007, so dass die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI eingreift.

Die Anknüpfung an eine Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel einer Eheschließung war (vgl. Bundestags-Drucksache 14/4595 S. 44). Diese gesetzliche Vermutung ist widerlegt, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen. Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG in Verbindung mit § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 1986 - 9a RV 8/84 -; in juris). Ergeben sich anhand des konkreten Einzelfalls nicht genügend beweiskräftige Anhaltspunkte gegen die Annahme, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung zu begründen, verbleibt es bei der Annahme einer Versorgungsehe. Auch wenn die maßgeblichen Umstände von Amts wegen zu ermitteln und zu bewerten sind, trifft die materielle Beweislast, also die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises, denjenigen, der den Anspruch auf Versorgung geltend macht (BSG, Urteil vom 30. Januar 1970 - 2 RU 175/67 -; in juris). Die gesetzliche Vermutung folgt einer Typisierung und verfolgt auch den Zweck, Leistungsträger und Gericht der Ausforschung im Bereich der Intimsphäre zu entheben (vgl. nochmals BSG, Urteil vom 3. September 1986 - 9a RV 8/84 -; in juris).

Besondere Umstände, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, sind vor allem solche, die ein anderes Motiv als das der Versorgung ergeben. Hierbei sind die Motive beider Ehegatten zu beachten. Bei einer Gesamtabwägung der Motive darf die Versorgungsabsicht nicht überwiegen (vgl. BSG, Urteile vom 28. März 1973 - 5 RKnU 11/71 - und 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R -; beide in juris). Gegen eine Versorgungsehe spricht beispielsweise die Tatsache, dass der Tod zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht vorhersehbar war, z.B. durch Unfall, Verbrechen oder plötzliche schwere Erkrankung, oder die Eheschließung die Betreuung und Pflege sicher stellen soll (vgl. nochmals BSG, Urteil vom 3. September 1986 - 9a RV 8/84 -; in juris). Die Darlegung allgemeiner, bei einer Heirat regelmäßig mitentscheidender Gesichtspunkte, wie die Absicht, eine Lebensgemeinschaft auf Dauer formal zu begründen, kann die Annahme besonderer Umstände nicht rechtfertigen. Die Annahme des anspruchsausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nach dem Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder - da der Wortlaut auf den "alleinigen oder überwiegenden Zweck der Heirat" abhebt - zumindest gleichwertig sind. Es ist daher auch nicht zwingend, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte für die Eheschließung ausschlaggebend waren. Vielmehr sind die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat (BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 a.a.O.).

Nach Maßgabe dieser Vorgaben ist die gesetzliche Vermutung im Fall der Klägerin nicht als widerlegt anzusehen. Nach Überzeugung des Senats sind keine Umstände im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen, die trotz der kurzen Ehedauer belegen könnten, dass die Annahme nicht gerechtfertigt ist, alleiniger oder zumindest überwiegender Zweck der Heirat, sei die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gewesen.

Der Senat ist aufgrund des Ergebnisses der medizinischen Ermittlungen im Klageverfahren davon überzeugt, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung am 26. Juli 2007 eine Überlebenswahrscheinlichkeit von einem Jahr und höher höchst ungewiss war und dies den Eheleuten - worauf es als subjektive Voraussetzung im Rahmen des § 46 Abs. 2a SGB VI letztlich nicht ankommt (vgl. Senatsurteile vom 15. Dezember 2006 - L 4 R 3372/05 - und 16. Mai 2008 - L 4 R 3254/07 -; beide nicht veröffentlicht; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 21. März 2007 - L 8 R 112/06 -; in juris) - ausreichend bekannt war. Der Versicherte litt an einer schweren Krebserkrankung, die seine Lebenserwartung deutlich herabsetzte. Im Mai 2007 wurde die Diagnose eines nicht kleinzelligen Bronchialkarzinoms gestellt mit Metastasen in der Niere und der Lymphe. Den Auskünften des Prof. Dr. B. folgend geht der Senat davon aus, dass bereits zum Zeitpunkt der Erstdiagnose eine schwere, weit fortgeschrittene unheilbare Erkrankung vorlag. Er war bereits zu diesem Zeitpunkt in schlechtem Allgemeinzustand. Die Chemotherapie war von Anfang an palliativ, Aussichten auf eine kurative Behandlung bestanden nicht. Das Kontroll-CT ergab am 19. Juli ein weiteres Tumorwachstum unter der Chemotherapie, weshalb diese Therapie nicht fortgeführt wurde. Bei der stationären Aufnahme wegen zunehmender Atemnot und Fieberschüben am 4. August 2007 hatte der Versicherte berichtet, die Luftnot habe sich bereits zwei Wochen zuvor deutlich verstärkt, mithin am 22. Juli 2007, also vor der Eheschließung. Dementsprechend hat Prof. Dr. B. für den Senat nachvollziehbar angegeben, dass der Zustand des Versicherten bereits vor der Eheschließung am 26. Juli 2007 für jeden erkennbar stark beeinträchtigt gewesen sei.

Der Versicherte und die Klägerin wussten auch von diesem Gesundheitszustand. Nach den Aussagen von Prof. Dr. B. ist davon auszugehen, dass die Eheleute über die Schwere der Erkrankung und die ungünstige Prognose angemessen unterrichtet worden sind, so dass beide damit rechnen mussten, dass der Versicherte in absehbarer Zeit sterben würde. Die Auskunft bezieht sich auf die Behandlung und Unterrichtung durch mehrere behandelnde Ärzte in der Klinik, so dass es nicht darauf ankommt, ob Prof. Dr. B. persönlich mit der Klägerin gesprochen hat. Dass die Klägerin hinreichend informiert war, ergibt letztlich - trotz ihrer abweichenden Bewertung - ihr eigenes Vorbringen. Mit Schriftsatz vom 15. September 2010 gab sie im erstinstanzlichen Verfahren an, am 6. Juli 2007 ein kurzes Gespräch mit Dr. Ge. geführt und diese gefragt zu haben, wie sich die Krankheit in Zukunft entwickeln könne. Dr. Ge. habe geantwortet, dass sie diese Frage nicht beantworten könne. Vielleicht werde der Versicherte noch Wochen, Monate oder Jahre leben. Somit war für die Klägerin erkennbar, dass sie mit einem baldigen Ableben des Versicherten rechnen musste, auch wenn ein anderer Verlauf nicht ausgeschlossen war.

Eine feste Heiratsabsicht vor der Kenntnis der lebensbedrohlichen Erkrankung ist nicht nachgewiesen worden. Die Ehepartner lebten und wirtschafteten seit 1985 zusammen. Zwar wurde im Laufe der Jahre wiederholt eine Heirat thematisiert, im Zusammenhang mit dem Hauskauf (vgl. "gemeinsamer Lebenslauf, Schriftsatz vom 15. September 2010: "erwogen wir sehr intensiv eine Heirat"), der Konfirmation der Tochter ("diskutierten wieder intensiv zu heiraten") und Anfang des Jahres 2007 mit dem ausdrücklich erklärten Wunsch der gegenseitigen Absicherung. Dies führte aber im Anschluss daran jeweils nicht zu der Einleitung der für eine Eheschließung erforderlichen Schritte, namentlich der Beschaffung der Geburtsurkunde des Versicherten. Die hierfür angegebenen Gründe, die Furcht vor den Folgen des nicht abgeleisteten Wehrdienstes in der Türkei und die Differenzen hinsichtlich einer kirchlichen Trauung, sind als Hinderungsgründe letztlich nicht nachvollziehbar. Mit einer Einziehung des Versicherten zum Wehrdienst war angesichts des Alters des Versicherten, der Anfang 2007 das 67. Lebensjahr vollendet hatte, wohl nicht mehr zu rechnen. Im Falle der Forderung einer Ablösesumme hätten der Versicherte und die Klägerin abwägen können, ob die Eheschließung für sie von hinreichend großem Interesse ist. Nicht nachvollziehbar sind diese Hinderungsgründe auch angesichts der Tatsache, dass sie der früheren Eheschließung des Versicherten im Jahre 1968 nicht im Wege standen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Geburtsurkunde nach Anforderung Ende Mai 2007 offensichtlich problemlos ausgestellt und übersandt wurde. Forderungen türkischer Behörden sind in diesem Zusammenhang nicht vorgetragen worden, jedenfalls standen solche der Eheschließung im Juli 2007 nicht im Wege. Auch die Frage der kirchlichen Trauung war am Ende kein unüberwindbares Hindernis.

Die feste Heiratsabsicht entstand vielmehr zur Überzeugung des Senats nach der lebensbedrohlichen Diagnose. Die Klägerin hat hierzu in dem von ihr selbst verfassten "gemeinsamen Lebenslauf", den sie im erstinstanzlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 15. September 2010 vorgelegt hat, angegeben: "Ende Mai wurde dann die Diagnose Bronchial Carzinom gestellt. Eine Chemotherapie sollte an meinem Mann durchgeführt werden. Dies war dann für meinen Mann der Anlass seinen ganzen Mut zusammen zu nehmen um in der Türkei die Ausstellung einer Geburtsurkunde zu beantragen." Der Wunsch, das langjährige Zusammenleben zu formalisieren und nach außen hin zu dokumentieren, dass man ein Paar sei, erklärt demgegenüber nicht, weshalb der Heiratswunsch nicht zu einem früheren Zeitpunkt konkretisiert wurde. Das Hindernis der bereits bestehenden Ehe des Versicherten war mit der Scheidung im Jahr 1990 beseitigt. Das langjährige Zusammenleben der Klägerin mit dem Versicherten (über 22 Jahre) deutet vielmehr darauf hin, dass sie das Zusammenleben ohne Eheschließung als gewählte Lebensform für ausreichend erachteten und sich demgemäß für diese Lebensform entschieden haben. Es unterstreicht eher die Rechtsvermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Eheschließung war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen (vgl. Urteil des Senats vom 16. Mai 2008 - L 4 R 3254/07 -; nicht veröffentlicht). Dass ein Wunsch nach gegenseitiger Versorgung bestand, hat die Klägerin selbst eingeräumt. Nach der Berufungsbegründung vom 15. September 2011 hatten die Klägerin und der Versicherte Anfang 2007 Notar R. im Notariat V. aufgesucht, um rechtlichen Rat einzuholen, wie eine gegenseitige Absicherung gestaltet werden könne. Aus dem Beratungsgespräch hätten sie entnommen, diese gegenseitige Absicherung sei sehr viel unkomplizierter durch eine Heirat zu gewährleisten.

Die eigene Rentenanwartschaft und der Immobilienbesitz der Klägerin sind keine objektiven Umstände, die die gesetzliche Vermutung widerlegen, weil die Klägerin wegen ausreichender eigener Einkünfte nicht auf eine Hinterbliebenenrente wesentlich angewiesen war. Vielmehr haben die wirtschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Denn anderenfalls wären gut situierte Hinterbliebene bei der Prüfung der gesetzlichen Vermutung und deren Widerlegung bevorzugt (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2006 - L 4 R 3372/05 - und vom 16. Mai 2008 - L 4 R 3254/07 -; s. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 6. März 2008 - L 2 R 4994/07 -; alle nicht veröffentlicht; a.A. Sozialgericht Würzburg, Urteil vom 15. September 2004 - S 8 RJ 697/02 -; in juris, aufgehoben vom Bayerischen LSG, Urteil vom 18. April 2007 - L 19 R 603/04 - in juris; Sozialgericht Chemnitz, Urteil vom 13. Oktober 2005 S 14 KN 129/03 -; in juris). Zudem hat die Klägerin vorgetragen, dass ihre beiden studierenden Kinder auf ihre finanzielle Unterstützung angewiesen seien.

Auch die Voraussetzungen des § 46 Abs. 4 SGB VI, eingefügt mit Wirkung zum 1. Januar 2005 durch Artikel 3 Nr. 4b des Gesetzes zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts 15. Dezember 2004 (BGBl. I, S. 3396), liegen im Fall der Klägerin nicht vor. Nach dieser Vorschrift gelten für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe oder Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Die Gleichstellung einer Lebenspartnerschaft mit einer Ehe bei der Witwenrente setzt jedoch voraus, dass es sich um eine nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz vom 16. Februar 2001 (BGBl. I, S. 26) eingetragen Lebenspartnerschaft handelt. Eine solche lag zwischen der Klägerin und dem Versicherten unstreitig nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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