L 3 SB 4049/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 4808/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 4049/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. August 2012 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen (Nachteilsausgleiche) "aG" (außergewöhnlich gehbehindert), B (Notwendigkeit ständiger Be-gleitung) sowie RF Befreiung von / Ermäßigung der Rundfunkgebühren-/-beitragspflicht).

Bei dem am 09.12.1970 geborenen Kläger, der Deutscher ist und im Inland wohnt, wurde zuletzt mit Bescheid vom 21.09.1998 ab dem 28.10.1997 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt. Jenem Bescheid lagen ein erworbenes Immunmangelsyndrom, eine Polyneuroradi¬ku¬litis (Entzündung mehrerer Nervenwurzeln) der Beine, degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Fehlhaltung der Wirbelsäule, eine psychische Störung sowie eine Sehbehinderung mit Gesichtsfeldausfällen bds. zu Grunde. In jenem Bescheid wurde auch - ab August 1998 - das Merkzeichen "G" (gehbehindert) zuerkannt (vgl. auch Bescheid vom 14.09.1998).

Einen Antrag auf zusätzliche Feststellung der Merkzeichen "RF", "B" und "Benutzung der 1. Klasse" vom 18.09.2001 lehnte das damalige Versorgungsamt Stuttgart mit Bescheid vom 21.01.2002 ab (Bl. 70 f. Verw.-Akte).

Am 30.10.2009 beantragte der Kläger bei dem nunmehr als Versorgungsamt zuständigen Land-ratsamt Rems-Murr-Kreis (LRA) die Feststellung der Merkzeichen "aG", "B" und "RF". Es sei ihm auf Grund seiner Panikanfälle und Hyperventilation sowie Ohnmacht nicht mehr möglich, ohne fremde Hilfe am öffentlichen Leben teilzunehmen. Bedingt durch eine Klaustrophobie könne er nicht mehr schwimmen gehen und ohne Hilfe Straßenfeste oder sonstige Veranstaltun-gen nicht bewältigen. Zur Begründung reichte der Kläger Befundberichte des Psychiaters Dr. B. vom 05.05.2009 und des Internisten Dr. O. vom 13.07.2009 sowie den Entlassungsbericht der Ostseeklinik Schönberg-Holm, Dr. S., vom 11.09.2009 über eine stationäre Rehabilitationsmaß-nahme vom 05.08. bis 02.09.2009 ein. In jenem Bericht waren eine HIV-Infektion im Stadium C3, eine anhaltende ängstliche Depression bei psychophysischem Erschöpfungszustand, Poly-neuropathien beider Unterarme und Unterschenkel, ein kontrolliertes gemischtförmiges Asthma bronchiale und ein mittelgradiges Cervikalsyndrom diagnostiziert. Bei der Aufnahme hatte der Kläger angegeben, wegen der zunehmenden Polyneuropathie mit ausgeprägtem Brennen in Füßen und Beinen betrage die Gehstrecke ca. 300 bis 400 m. Der Bericht führte aus, bei der Aufnahmeuntersuchung sei das Gangbild frei schwingend, der Zehen- und Fersenstand mühsam vorführbar gewesen. Bei der psychischen Untersuchung sei der Kläger orientiert und bewusstseinsklar gewesen, es gebe keine Hinweise auf formale oder inhaltliche Denk- oder Wahrnehmungsstörungen. Nach Angaben des Klägers hätten auch während der Maßnahme klaustrophobische Panikattacken stattgefunden. Mit Bescheid vom 10.12.2009 lehnte das LRA den Antrag ab.

Im Widerspruchsverfahren holte das LRA weitere Befundberichte ein. Internist Dr. O. berichtete unter dem 09.05.2010 von einer Skoliose der Brust- und Lendenwirbelsäule mit endgradiger Beweglichkeitseinschränkung. Der psychologische Psychotherapeut S. teilte unter dem 16.11.2009 mit, der Kläger habe nunmehr auch von Ohnmachtsanfällen während der Panikattacken berichtet. Dr. E., Spezieller Schmerztherapeut, gab unter dem 25.01.2010 und dem 12.04.2010 an, die chronische Schmerzerkrankung im Stadium III nach Gerbershagen sei unverändert, die Schmerzen nähmen an Beinen und Rücken zu, sie hielten bis zu einer Dreiviertelstunde mit Brennen an, der Durchfall werde besser. Nach einer Auswertung dieser Berichte durch Versorgungsarzt Dr. S. am 05.06.2010, der unter anderem für die Sehbehinderung einen Einzel-GdB von 40 annahm, wies das Regierungspräsidium Stuttgart als Landesversorgungsamt den Widerspruch mit Bescheid vom 05.07.2010 zurück.

Am 05.08.2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, er sei bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen, er knicke oftmals plötzlich und unvermittelt im Fußgelenk um, sodass es häufig zu Stürzen komme. Er leide unter Panikattacken mit chronischen Auswirkungen und Hyperventilation bis hin zur Ohnmacht. Er verlasse kaum noch seine Wohnung und nehme an Veranstaltungen nicht mehr teil.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernom-men. Neurologe und Psychiater Dr. M. hat unter dem 22.11.2010 bekundet, die Polyneuropathie und die chronische Schmerzerkrankung wirkten sich auf die Gehfähigkeit aus, aber die Kriterien für eine außergewöhnliche Gehbehinderung seien nicht erfüllt. Internist Dr. O. hat unter dem 19.11.2010 mitgeteilt, eine Gehbehinderung entsprechend der eines Querschnittgelähmten sei nicht sichtbar, fremde Hilfe beim Gehen sei nicht erforderlich, die Gehstrecke sei auf Grund der Polyneuropathie auf weniger als 200 m eingeschränkt, der Kläger sei auch wegen der Depression und der Gehbehinderung nicht mehr in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Allgemeinmediziner Dr. T. hat mit Schreiben vom 06.12.2010 ausgeführt, die Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung seien nicht gegeben, der Kläger könne allein an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, eine ständige Begleitung sei nicht notwendig. Orthopäde Dr. R. hat unter dem 15.12.2010 angegeben, er habe den Kläger ausschließlich wegen der Beschwerden an der LWS behandelt, es beständen dort ein deutlicher paravertebraler Muskelhartspann und eine Schonhaltung, eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung, jedoch kein sensomotorisches Defizit. Auswirkungen auf die Gehfähigkeit beständen nicht. Schmerztherapeutin Dr. E. hat mit Schreiben vom 10.01.2011 angegeben, es beständen eine Gro߬zehen¬heber¬schwäche und ein unsicheres, klein¬schrittiges Gangbild unter leichtem Entlastungshinken links. Die Gehstörung sei als schwer zu bezeichnen. (Auch) die Polyneuropathie beeinträchtigte das Gehvermögen. Die Gehstrecke betrage 300 bis 400 m. Ständige Begleitung sei nicht nötig, der Kläger könne an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Schließlich hat Psychiater Dr. B. unter dem 27.01.2011 mitgeteilt, es beständen eine mittelgradige depressive Episode und eine Anpassungsstörung.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.08.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt:

Die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" nach Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Achten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (RGebStV) vom 08. bis 15.04.2004 i.d.F. des baden-württembergischen Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl 2005, 189) lägen nicht vor. Der Kläger sei nicht blind und verfüge nicht über eine Sehbehinderung, die allein einen GdB von 60 bedinge. Er sei auch nicht mit einem GdB von 80 wegen seines Leidens ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Eine solche Hinderung müsse umfassend sein, der schwerbehinderte Mensch müsse praktisch an das Haus gebunden sein. Dies sei nicht der Fall. Insbesondere bestehe keine Angststörung in einem solchen Ausmaß, dass es die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" rechtfertigen würde. Dr. B. habe nur eine mittelgradige depressive Episode und eine Anpassungsstörung, aber keine schwerwiegende Angsterkrankung diagnostiziert. Allein die gelegentlichen Panikattacken schlössen eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht aus. Die Angabe des Klägers, er verlasse praktisch nicht mehr das Haus, sei nicht glaubhaft, denn bei einer solchen Erkrankung wären die zahlreichen Arztbesuche und die Reha-Maßnahme in S.-H. nicht erklärlich. Die Gehbehinderung führe nicht zum Merkzeichen "RF", da der behinderte Mensch ggfs. mit Begleitung und im Rollstuhl an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne.

Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Der Kläger sei nicht außergewöhnlich gehbehindert im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. Abschnitt II Nr. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-ordnung (VwV-StVO) zu § 46 Abs. 1 Nr. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO). Der Kläger gehöre nicht zu den dort aufgeführten Gruppen Amputierter. Er sei ihnen auch nicht gleichzustellen. Seine Gehfähigkeit sei nicht gleichermaßen eingeschränkt wie jene der dort aufgeführten behinderten Menschen. Der Kläger leide zwar an einer schmerzhaften Polyneuropathie, die seine Gehfähigkeit sicher einschränke, dies aber nicht in einem Ausmaß, dass er vom ersten Schritt an nur mit großer Anstrengung und fremder Hilfe gehen könne. Ausweislich eines ärztlichen Befundberichts habe der Kläger noch 2007 zwei- bis dreimal je Woche mindestens eine Stunde joggen können. Seitdem habe sich die Polyneuropathie nicht dermaßen verschlimmert, dass er nunmehr außergewöhnlich gehbehindert sei. Ausweislich des Berichts von Dr. M. vom 10.06.2009 habe der Kläger Zehen- und Hackengang sowie monopedales Hüpfen durchführen können. Ähnlich sei der Aufnahmebefund der Reha-Klinik S.-H. im August 2009 gewesen. Während der Maßnahme dort habe der Kläger am Nordic Walking teilgenommen und seine Gehstrecke selbst mit 300 bis 400 m angegeben. Dass bei dem Kläger auch wegen der Schmerzerkrankung und der Schmerztherapie keine außergewöhnliche Gehbehinderung vorliege, habe auch Schmerztherapeutin Dr. E. bestätigt.

Letztlich seien auch die Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" nicht zu erkennen. Dieses setze nach § 146 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) voraus, dass der behinderte Mensch bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sei. Konkrete Angaben hierzu hätten bis Ende 2008 die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) enthalten. Seit 2009 seien diese Regelungen unverändert in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), der Anlage 1 zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) enthalten. Es könne dahinstehen, ob die VG insoweit mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage nichtig seien, da jedenfalls auf die inhaltsgleichen AHP zurückgegriffen werden könne. Hiernach werde vorausgesetzt, dass der behinderte Mensch regelmäßig fremde Hilfe beim Aus- und Einsteigen benötige oder während der Fahrt auf fremde Hilfe angewiesen sei oder zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z. B. bei einer erheblichen Sehbehinderung) fremde Hilfe nötig sei. Hierfür beständen bei dem Kläger keine Anhaltspunkte.

Gegen diesen Gerichtsbescheid, der seinem Prozessbevollmächtigten am 15.08.2012 zugestellt worden ist, hat der Kläger am Montag, dem 17.09.2012, Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. August 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Dezember 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Juli 2010 zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung), "aG" (außergewöhnlich gehbehindert) sowie "RF" (Rundfunkgebührenpflicht) festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 09.01.2013, der Kläger unter dem 06.05.2013 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit beiden Beteiligten nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung ent-scheidet, ist zulässig (§ 105 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 143, 151 SGG), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) als unbegründet abgewiesen. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dem Kläger stehen die geltend gemachten An¬sprü¬che gegen das beklagte Land auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "aG", "B" und "RF" nicht zu.

Zur Begründung hierfür verweist der Senat, auch zur Vermeidung von Wiederholungen, auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid (§ 153 Abs. 2 SGG). Dies gilt insbesondere für die Darlegung der rechtlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Ansprüche und die gesundheitlichen Anforderungen an die Merkzeichen im Einzelnen. Hierbei teilt der Senat die Zweifel des SG an der Wirksamkeit der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG). Die einschlägige Ermächtigungsgrundlage in § 30 Abs. 16 Bundesversorgungsgesetz (BVG) ermächtigt den Verordnungsgeber nur zur Regelung der Voraussetzungen zur Bestimmung des Grades der Schädigungsfolgen (bzw. nach § 69 Abs. 1 SGB IX des Grades der Behinderung) und des Merkzeichens "H". Das Merkzeichen RF hat eine eigenständige Rechtsgrundlage im staatsvertraglichen Rundfunkrecht und ist insoweit nicht betroffen. Die Merkzeichen "aG" und "B" hingegen können nicht nach den Regelungen der VG bestimmt werden. Rechtsgrundlage für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilausgleiche "aG" und "B" sind daher neben den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen und den zum Merkzeichen "aG" ergangenen Verwaltungsvorschriften (vgl. Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung [VwV-StVO]) die in ständiger Übung hierzu angewandten und von der Rechtsprechung entwickelten Bewertungsgrundsätze, die in den Bestimmungen der AHP fußen. Da diese der Wahrung der Gleichbehandlung aller behinderten Menschen dienten, zieht der Senat die Regelungen der AHP zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für die Betroffenen weiter heran, insb. da die VG materiell die Grundsätze zu den Nachteilausgleichen "aG" und "B" aus den AHP unverändert übernommen haben (vgl. insoweit für das Merkzeichen "G" Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2013 - L 11 SB 137/11 - veröffentlicht in juris; vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 06.07.2011 - L 3 SB 202/09 -).

Ergänzend zu dem Gerichtsbescheid des SG ist lediglich auszuführen:

a) Die Voraussetzungen des Merkzeichens "B" sind nicht gegeben. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ständig auf fremde Hilfe angewiesen ist. Die vom Kläger vorgetragenen, aber auch nach seinen Angaben nur gelegentlich aufgetretenen Ohnmachtsanfälle reichen nicht aus, um eine ständige Begleitung speziell bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel anzunehmen. Hierbei berücksichtigt der Senat auch die Angaben des Klägers und die Feststellungen der Ärzte in dem Entlassungsbericht der Ostseeklinik S.-H. vom 11.09.2009. Der Kläger war damals noch berufstätig und in den zwölf Monaten vor Beginn der Maßnahme nur für sechs Wochen und danach erneut erst ab dem 10.09.2009 arbeitsunfähig gewesen. Zu seinem Arbeitsplatz fuhr er nach eigenen Angaben fünf Minuten mit dem Pkw. Dass er dabei jeden Tag habe begleitet werden müssen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Benutzung eines eigenen Autos zeigt auch, dass keine Orientierungs- oder Konzentrationsschwierigkeiten in einem Ausmaß vorliegen, die auf eine erhebliche Gefahr bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel schließen ließen. Zu konstatieren ist auch, dass keiner der im erstinstanzlichen Verfahren als Zeugen vernommenen Ärzte die Voraussetzungen des Merkzeichens "B" gesehen hat.

b) Das Gleiche gilt für das Merkzeichen "aG". Die Polyneuropathie und auch die allgemeine Schmerzerkrankung limitieren sicherlich das Gehvermögen des Klägers. Dies haben auch einige der gehörten der Ärzte bestätigt, allerdings hat keiner von ihnen anhand der konkreten Vorgaben die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" gesehen. Auch Dr. O. hat letztlich ausgeführt, eine Gehbehinderung "entsprechend der eines Querschnittgelähmten" liege nicht vor. Die konkreten Angaben der Ärzte stützen diese Einschätzung. Die Gehstrecke des Klägers ist zwar nach seinen eigenen, z.T. von den Ärzten bestätigten Angaben auf 200 bis 400 m eingeschränkt. Dies ist aber nicht der Einschränkung eines Querschnittgelähmten oder Doppelunter- oder Oberschenkelamputierten gleichzusetzen. Beweglichkeitseinschränkungen, die für eine erhebliche Gehbehinderung sprechen könnten, liegen nicht vor. Wie bereits das SG ausgeführt hat, konnte der Kläger noch 2007 regelmäßig längere Strecken joggen, während der Rehabilitationsmaßnahme im Herbst 2009 hat er am Nordic Walking teilgenommen. Ausweislich des Berichts von Dr. M. vom 10.06.2009 konnte der Kläger Zehen- und Hackengang sowie monopedales Hüpfen durchführen. Ähnlich war der Aufnahmebefund der Reha-Klinik Schönberg-Holm im August 2009. An organischen Symptomen mit möglicher Auswirkung auf die Gehfähigkeit hat Dr. E. unter dem 10.01.2010 letztlich lediglich ein sehr unsicheres kleinschrittiges Gangbild mit leichtem Entlastungshinken beschrieben, das aber für das Merkzeichen "aG" nicht ausreicht. Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche erhebliche Verschlechterung des Gehvermögens liegen nicht vor.

c) Letztlich können bei dem Kläger auch die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" nicht festgestellt werden.

aa) Hierbei verweist der Senat zunächst darauf, dass der RGebStV in der vom SG zitierten Fas-sung nur bis zum 31.12.2012 gegolten hat und nur bis zu diesem Tag das Merkzeichen "RF" eine volle Befreiung von den Rundfunkgebühren bedingt hat. Seit dem 01.01. dieses Jahres wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland nicht mehr durch Gebühren, sondern durch Beiträge finanziert. Dies regelt nunmehr der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15. bis 21.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl S. 477 ff.) zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen wurden jedoch nicht geändert. Nach wie vor ist in § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV vorausgesetzt, dass ein behinderter Mensch mit einem GdB von wenigstens 80 wegen seines Leidens ständig an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann. Ferner steht das Merkzeichen "RF" nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 RBStV blinden oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung zu.

bb) Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht.

(1) Seine Sehbehinderung bedingt nur einen GdB von 40, diese Feststellung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten hat er während dieses Verfahrens auch nicht angezweifelt.

(2) Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger wegen seines Leidens ständig nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann.

Im Vordergrund stehen hier die psychischen Beeinträchtigungen. Solche Beeinträchtigungen können zwar grundsätzlich auch das Merkzeichen "RF" bedingen. Dies hat - zu einer Klägerin mit amputiertem Unterarm und daraus folgender neurotisch-phobischer Störung - das LSG für das Saarland in seinem Urteil vom 27.01.2000 (L 5b SB 68/98, Juris Rn. 64 ff.) unter Abgren-zung von den Ausführungen des BSG in dem Urteil vom 16.03.1994 (9 RVs 3/93, Juris) ange-nommen und ausgeführt, das Merkzeichen "RF" sei nicht allein dann zuzuerkennen, wenn die Anwesenheit bei öffentlichen Veranstaltungen physisch unmöglich sei, sondern auch dann, wenn psychische Gründe den behinderten Menschen von einem solchen Besuch subjektiv zwingend abhielten. Auch das LSG Niedersachsen-Bremen (Urt. v. 18.12.2001, L 9 SB 97/99, veröff. auf www.soziagerichtsbarkeit.de) hat ausgeführt, der Besuch öffentlicher Veranstaltungen stelle an einen psychisch erkrankten behinderten Menschen andere Anforderungen als Besuche beim Arzt oder bei Bekannten. Das Zusammentreffen mit anderen Menschen, die Behinderten gegenüber nicht ohne Weiteres wohl gesinnt seien bzw. die Auswirkungen einer Behinderung nicht einordnen können (zu dieser Erwägung LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.), könne besondere Belastungen auslösen, die der (körperlich) behinderte Mensch wegen einer psychischen Erkrankung nicht auf sich nehmen könne.

Im Falle des Klägers jedoch ist die psychische Erkrankung nicht derart, dass diese Vorausset-zungen angenommen werden könnten. Es sind zwar Panikattacken und klaustrophobische Ele-mente vorgetragen, insbesondere in dem Antragsschreiben beim LRA vom 29.10.2009 hatte der Kläger auf bestimmte Punkte dieserart hingewiesen. Aber die behandelnden Ärzte haben eine stärkere Angst- oder Panikerkrankung oder eine andere phobische Erkrankung nach ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten; hrsg. von der WHO) Nr. F40 oder F41.0 nicht bestätigt. Der Entlassungsbericht vom 11.09.2009 nennt eine anhaltende depressive Erkrankung und kodiert diese mit F34.1, also lediglich einer Dysthymia, einer psychischen Beeinträchtigung noch unterhalb des Niveaus einer auch nur leichten depressiven Erkrankung (F32.0 oder F33.0). Zwar hat dann unter dem 27.01.2011 Dr. B. eine mittelgradige depressive Episode genannt (F32.1), als Symptome aber im Wesentlichen Schlafstörungen, eine depressive Stimmungslage, Antriebsstörungen, Ängste, Konzentrationsstörungen, Grübeln und eine Selbstwertproblematik angegeben. Diese Symptome sprechen nicht dafür, dass eine psychische Erkrankung mit erheblichen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen vorliegt.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

3. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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