L 13 R 1372/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 182/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1372/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 29. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung aufgrund des Antrages vom 5. Januar 2009.

Der 1968 geborene Kläger war bis November 1995 in verschiedenen Tätigkeiten versicherungspflichtig beschäftigt (s. Versicherungsverlauf vom 5. Februar 2009). Dann war er in der Gaststätte seiner Mutter bis 2004 nicht versicherungspflichtig tätig. Seit 1. April 2005 bezieht er Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches. Er leidet an einem angeborenen Herzfehler.

Der Kläger beantragte am 12. Januar 2007 und am 14. Oktober 2008 erfolglos Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte hatte ein Gutachten der Internistin Dr. H.-Z. vom 12. März 2007 eingeholt, nach dem dem Kläger leichte Tätigkeiten vollschichtig zumutbar seien.

Am 5. Januar 2009 stellte der Kläger erneut einen Antrag bei der Beklagten auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte ein Gutachten des Internisten Dr. S. vom 3. Februar 2009 ein. Der Gutachter hielt leichte Tätigkeiten vollschichtig für zumutbar. Mit Bescheid vom 5. Februar 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Trotz rezidivierenden Vorhofflimmerns mit mehrfachen elektrischen Kardioversionen bei angeborenem Herzfehler in Form einer kongenital korrigierten Transposition der großen Gefäße, diktiertem systemischem Ventrikel mit eingeschränkter Funktion und einem Alkoholabhängigkeitssyndrom sei der Kläger in der Lage mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.

Den am 5. März 2009 hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung eines Berichts des Dr. B. vom 24. September 2010 und einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. K. vom 7. Oktober 2010 mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2010 zurück. Auch unter Berücksichtigung der Diagnose einer Herzinsuffizienz NYHA Stadium II sowie der bereits festgestellten Diagnosen könne der Kläger noch leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Der Kläger hat am 14. Januar 2011 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, dass er nicht in der Lage sei, täglich mindestens sechs Stunden einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Bei den kleinsten körperlichen Anstrengungen sei er sofort außer Atem. Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der behandelnden Ärzte und Einholung eines internistischen Gutachtens durch Prof. Dr. H ... PD Dr. B. von der Uniklinik H. hat in seiner Stellungnahme vom 4. April 2011 ausgeführt, dass zur Leistungsbeurteilung eine Spiroergometrie erforderlich sei, weshalb er die Leistungsfähigkeit des Klägers nicht beurteilen könne. Er gehe aber von einer Einschränkung der formalen Leistungsfähigkeit auf mittlerem Belastungsniveau aus.

Der Kardiologe Dr. B. hat mit Schreiben vom 12. April 2011 mitgeteilt, dass sich der Kläger seit 2006 nicht mehr in seiner Praxis vorgestellt habe und er deshalb die Beweisfragen nicht beantworten könne.

Der Kardiologe PD Dr. H. vom Krankenhaus B. hat in seiner Aussage vom 7. April 2011 die Auffassung vertreten, dass das Leistungsvermögen eingeschränkt sei. Die Zeitdauer hänge von der körperlichen Belastung ab. Eine Stundenzahl könne mangels Belastungsuntersuchung nicht angegeben werden.

Prof. Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 12. August 2011 auf internistischem Fachgebiet eine kongenitale Transposition der großen Gefäße, eine Mitralinsuffizienz Grad II, intermittierendes Vorhofflimmern, eine Herzinsuffizienz NYHA Stadium II bis III, eine ausgeprägte Eisenmangelanämie, chronischen Alkoholabusus, Adipositas und eine latente Hypothyreose diagnostiziert. Die durchgeführte Spiroergometrie habe keine Restriktion, aber eine leichte periphere Obstruktion ergeben. Die Belastung bis 120 Watt habe keine Angina pectoris gezeigt. Er halte Tätigkeiten des Klägers im administrativen Bereich für drei bis sechs Stunden täglich für vertretbar. Leichte körperliche Tätigkeiten seien dem Kläger nur dann zuzumuten, wenn es sich nicht um ausschließlich körperliche Tätigkeiten handelt. Tragen von Lasten über 5 kg und Gehstrecken von mehr als 200 Metern unter Zeitdruck seien ihm nicht zuzumuten, ebenso wie Tätigkeiten mit hohem psychischem Stressfaktor. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. November 2011 hat der Gutachter mitgeteilt, dass er leichte körperliche Tätigkeiten höchstens drei Stunden, administrative Tätigkeiten drei bis sechs Stunden täglich für zumutbar erachte. Der Kläger hat Berichte der Universitätsklinik H. und des Krankenhauses B. und die Beklagte hat beratungsärztliche Stellungnahmen des Dr. B. vorgelegt. Mit Urteil vom 29. Februar 2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger könne leichte körperliche Tätigkeiten, wie administrative Tätigkeiten, vollschichtig verrichten. Das immer wieder auftretende Vorhofflimmern erfordere eine stationäre Behandlung, begründe aber keine dauerhafte Erwerbsminderung.

Am 29. März 2012 hat der Kläger Berufung eingelegt und geltend gemacht, das SG hätte beim Gutachter nachfragen müssen, da aufgrund des Gutachtens nicht klar sei, welche Tätigkeiten zumutbar sein sollen. Er sei mittlerweile zum 31. Mal in stationärer Behandlung. Die Intervalle würden immer kürzer.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 29. Februar 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab 1. Februar 2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat beratungsärztliche Stellungnahmen des Dr. B. vorgelegt. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat ergänzende gutachtliche Stellungnahmen des Prof. Dr. H. vom 25. Mai und 27. August 2012 eingeholt. Hiernach sei für den Kläger eine leichte Schreibtischtätigkeit bis zu sechs Stunden denkbar. Körperliche Belastungen sollten stark eingeschränkt sein. Eine zumutbare Tätigkeit ziehe keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder erhöhte Zeiten der Arbeitsunfähigkeit nach sich. Der Senat hat anschließend den Internisten Dr. S. zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt, der unter Berücksichtigung einer von Dr. v. B. durchgeführten Ergospirometrie (Bericht vom 18. Dezember 2012) das Gutachten vom 22. Januar 2013 und die ergänzende Stellungnahme vom 25. März 2013 erstattet hat. Der Sachverständige hat dargelegt, dass vom Kläger leichte körperliche Tätigkeiten, in Belastungsspitzen auch mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Gehen oder Stehen oder im Sitzen in geschlossenen Räumen, bei Anwendung entsprechender Kleidung im Freien im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche acht Stunden pro Tag verrichtet werden könnten. Im Übrigen wird auf Blatt 78ff, 121 ff. der Senatsakten Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zutreffend abgewiesen. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 5. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2010 nicht rechtswidrig beschwert, da der Kläger keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen für den geltend gemachten Anspruch wird auf das angefochtene Urteil verwiesen, das diese zutreffend darlegt. Von einer erneuten Darlegung wird daher abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass eine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) angesichts des Alters des Klägers von vornherein nicht in Betracht kommt.

Der Kläger ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, da er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig leistungsfähig ist. Dr. S. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass der Kläger trotz einer Herzminderleistung bei angeborener Transposition der großen Gefäße, einer nutrtiv-toxischen Fettleber und einem Zustand nach Hemikolektomie (s. auch Bericht der Chirurgischen Universitätsklinik H. vom 24. Oktober 2012) leichte körperliche Tätigkeiten, in Belastungsspitzen auch mittelschwere körperliche Tätigkeiten, sogar acht Stunden am Tag verrichten kann. Zu vermeiden sind schwere körperliche Arbeiten, mittelschwere körperliche Arbeiten drei Stunden oder länger täglich, Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an Maschinen, von denen eine erhöhte Verletzungsgefahr ausgeht. Der Pumpfunktionsparameter BNP ist nur leicht erhöht, die anaerobe Schwelle wurde bei der Ergospirometrie bei Dr. v. B. erst bei 147 Watt überschritten, woraus der gerichtliche Sachverständige schlüssig und nachvollziehbar geschlossen hat, dass leichte mit zeitweise mittelschwere Belastungsspitzen vollschichtig zumutbar sind. Die vom Kläger vorgetragene Belastungsbeschwerden sind von Dr. S. überzeugend widerlegt worden, zumal der Kläger bei Dr. v. B. auf dem Laufband eine Belastbarkeit bis 175 Watt gezeigt hat. Dr. S. hat sich auch den Ausführungen des Prof. Dr. H. angeschlossen, als erhöhte Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit nicht zu erwarten sind, wenn die qualitativen Einschränkungen beachtet werden. In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Dr. S. schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass sich an der sozialmedizinischen Beurteilung nichts dadurch ändert, dass der Kläger weitere Medikamente eingenommen hat. Bestätigt wird die Leistungsbeurteilung des Dr. S. durch die Gutachten des Dr. S. und der Dr. H.-Z. sowie die beratungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. B ... Nicht gefolgt werden kann den sozialmedizinischen Beurteilungen des Prof. Dr. H ... So ist dessen Bewertung bereits unklar. So hat er auch auf Nachfrage des Senates nicht eindeutig ausgeführt, ob er meint, dem Kläger sei eine leichte Tätigkeit unter Benennung weiterer qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich zumutbar oder nicht. Die Formulierung "bis zu sechs Stunden" sowie die Wörter "denkbar" bzw. "prinzipiell" sind vage, worauf der Bevollmächtigte des Klägers zutreffend hingewiesen hat. Die behandelnden Ärzte haben ohne Belastungsuntersuchung bzw. wegen lang zurückliegender Behandlung keine Leistungsbeurteilung abgeben können.

Die vorliegenden Einschränkungen können zwar das Spektrum der für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Aus den genannten qualitativen Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit ergeben sich weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl. dazu BSG Urteil vom 11. Mai 1999 - B 13 RJ 71/97 R = SozR 3-2600 § 43 Nr. 21 - Juris Rdnr. 18 ff.) dar. Insbesondere konnte der Senat sich von einer Einschränkung der Wegefähigkeit nicht überzeugen. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG Großer Senat vom 19.12.1996 - GS 2/95 - Juris). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 RVO und § 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a.F.) umschrieben hatten (vgl. BSG Urteil vom 17. Dezember - 13/5 RJ 73/90 - Juris). Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI) unverändert fort (vgl. BSG Urteil vom 28. August 2002 - B 5 RJ 12/02 R - Juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 73/90 - Juris). Dazu gehört z. B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (zur Wegefähigkeit vgl. zuletzt BSG Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – Juris). Dr. S. hat für den Senat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass eine solche Beeinträchtigung nicht vorliegt, zumal der Kläger bei Dr. v. B. 310 Meter in 6 Minuten zurücklegen konnte. Nichts anderes folgt daraus, dass sich der Kläger immer wieder in Behandlung ins Krankenhaus B. begeben hatte und er immer wieder einer Kardioversion bedurfte. Denn der gerichtliche Sachverständige hat -hier in Übereinstimmung mit Prof. Dr. H.- ausgeführt, dass eine zumutbare Tätigkeit eine -erhöhte- Arbeitsunfähigkeit nicht herbeiführt. Außerberuflich zu hohe Belastungen können einen Rentenanspruch nicht begründen.

Demnach liegt weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei war für den Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens von Bedeutung, dass die Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass hierfür gegeben hat.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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