L 10 R 2587/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 517/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2587/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26.05.2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung zusteht.

Die am 1976 geborene Klägerin erlernte den Beruf der Bürokauffrau und war anschließend bis April 2007 in ihrem Ausbildungsberuf beschäftigt, zuletzt ab 1998 bei der P. Welttransport GmbH in K ...

Am 08.07.2000 erlitt die Klägerin bei einem Verkehrsunfall u.a. ein schweres Schädelhirntrauma mit Kontusionsblutungen und zahlreichen Frakturen, weshalb sie bis Mai 2001 arbeitsunfähig war. Im Dezember 2005 beantragte sie erstmals Rente wegen (Teil)Erwerbsminderung. Diesen Antrag begründete sie mit Folgeschäden nach Arbeitsunfall, Schädelhirntrauma, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Nervenschmerzen in den Händen. Nach Einholung eines Gutachtens bei dem Sozialmediziner Dr. S. , der kein relevantes hirnorganisches Psychosyndrom fand, eine Dysthymie bei konversionsneurotischer Neurosestruktur mit Durchschlafstörung, phasenweises Somatisierungsneigung und rezidivierender depressiver Symptomatik (derzeit weitgehend rückgebildet) diagnostizierte und die Klägerin weiterhin für fähig erachtete, die seinerzeit ausgeübte Tätigkeit vollschichtig zu verrichten, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 09.02.2006 ab.

Im Hinblick auf die Empfehlung des Dr. S. , eine psychosomatisch ausgerichtete Rehabilitationsmaßnahme in Ergänzung zur ambulanten psychologischen Betreuung durchzuführen, bewilligte die Beklagte der Klägerin eine entsprechende Behandlung in der Psychosomatischen Klinik M. , die sie vom 03. bis 31.10.2006 unter den Diagnosen Anpassungsstörungen, Dysthymia und Somatisierungsstörung durchführte. Die Klägerin wurde wegen der bestehenden Kopfschmerzsymptomatik, den Schlafstörungen und den deutlichen Konzentrations- und Ausdauerproblemen arbeitsunfähig entlassen. In der Tätigkeit als Bürokauffrau und für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wurde die Klägerin für vier bis sechs Stunden täglich als belastbar erachtet. Die am 06.11.2006 begonnene stufenweise Wiedereingliederung, nach der letztmals am 07.01.2007 eine vierstündige Tätigkeit und ab 08.01.2007 eine vollschichtige Tätigkeit vorgesehen war, wurde zunächst bis 30.01.2007 und hiernach bis 26.02.2007 verlängert. Nach dem sich anschließenden Urlaub schied die Klägerin dann zum 24.04.2007 bei der P. Welttransport GmbH aus, da sie sich nicht mehr in der Lage sah, ihre Tätigkeit vollschichtig weiterzuführen.

Zuvor beantragte die Klägerin am 07.02.2007 erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. In seinem auf Veranlassung der Beklagten auf Grund Untersuchung im April 2007 erstatteten Gutachten diagnostizierte der Facharzt für Allgemeinmedizin und Anästhesiologie Dr. Z. ein Polytrauma mit Schädelhirntrauma mit frontaler Kontusionsblutung, Schädelfrakturen und Thoraxtrauma, ein organisches Psychosyndrom mit Störungen von Zeitgitter, Merkfähigkeit, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzentration, eine Somatisierungsstörung, anhaltende Cephalgien als postcontusionelles Syndrom, rezidivierende Unterbauchschmerzen unklarer Ursache mit Neigung zu Diarrhoe, ein Carpaltunnelsyndrom beidseits (Zustand nach OP rechtsseitig) sowie einen Zustand nach AC-Gelenkssprengung Tossi III und Supinationstrauma rechtes Sprunggelenk mit Distorsion und Druckschmerzen. Der mit einer nervenärztlichen Zusatzbegutachtung beauftragte Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin Dr. S. , der die Klägerin im Juni 2007 untersuchte, sah die Leistungsfähigkeit der Klägerin durch das diagnostizierte organische Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma qualitativ deutlich eingeschränkt und die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bürokauffrau in einer Spedition, die eine deutliche Flexibilität verlange, lediglich noch weniger als drei Stunden täglich ausführbar. Eine Tätigkeit, die geringe Anforderungen an die geistige Leistungsbreite stelle und mit einfachen, sich wiederholenden Vorgangsstufen ohne besondere Anforderungen an das Konzentrationsvermögen, die Verantwortung sowie an die geistige Belastbarkeit verbunden ist und ohne häufigen Publikumsverkehr ausgeführt wird, hielt er zumindest sechs Stunden täglich für möglich. Denkbar seien einfache Montage- oder Serienarbeiten, eine Tätigkeit als Kopiergehilfin oder eine Tätigkeit als Pförtnerin an einer Nebenpforte. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 18.06.2007 mit der Begründung ab, diese könne noch zumindest sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein und sei daher nicht erwerbsgemindert. Der dagegen eingelegte Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15.01.2008).

Im Hinblick auf den von der Klägerin im Juli 2007 gestellten Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährte die Beklagte der Klägerin nunmehr eine Maßnahme zur Berufsfindung/Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk H. , an der die Klägerin im März/April 2008 teilnahm. Ausweislich des Abschlussberichts vom 16.04.2008 hätten die Ergebnisse der neuropsychologischen Untersuchung kognitive Defizite vor allem bei Mehrfachanforderungen gezeigt, während in der kurz- und mittelfristigen Merkfähigkeit keine besonderen Auffälligkeiten zu beobachten gewesen seien; auch könne von einer grundlegenden Lernfähigkeit ausgegangen werden. Insgesamt hätten die Untersuchungen gezeigt, dass nur ein relativ geringes Allgemeinwissen bestehe und die schulischen Grundlagen verbesserungswürdig seien. Geraten wurde zu einer allgemeinen kaufmännischen Anpassungsqualifizierung von mindestens zwölf Monaten inklusiv eines dreimonatigen wohnortnahen Praktikums. Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin eine voraussichtlich zwölf Monate dauernde berufliche Anpassungsmaßnahme im Berufsförderungswerk H. , die die Klägerin am 19.05.2008 begann und die am 15.05.2009 enden sollte. Wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Schwangerschaft und des Beginns des Mutterschutzes am 21.01.2009 beendete die Klägerin die Maßnahme nach Abschluss des theoretischen Blocks zum 20.01.2009. Nach Sicherstellung der Kinderbetreuung für die am 19.02.2009 geborene Tochter der Klägerin, bewilligte die Beklagte der Klägerin die berufliche Integrationsmaßnahme "RehaStep", die sie im Berufsförderungswerk H. am 22.02.2010 begann und voraussichtlich bis 06.08.2010 dauern sollte. Mit Ablauf des 14.03.2010 brach die Klägerin die Maßnahme "mit Rücksicht auf das Wohlergehen" ihres Kindes ab (vgl. Erklärung der Klägerin vom 14.03.2010).

Gegen den Bescheid der Beklagten vom 18.06.2007 und den Widerspruchsbescheid vom 15.01.2008 hatte die Klägerin bereits am 31.01.2008 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und geltend gemacht, nicht mehr über ein sechsstündiges Leistungsvermögen zu verfügen. Sie legte die Bescheinigung des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. vor, der keine berufliche Leistungsfähigkeit für mehr als drei Stunden täglich sah.

Das SG hat den Neurologen und Psychiater Dr. B. sowie Dr. M. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. B. hat von dem organischen Psychosyndrom mit verminderter psychophysischer Belastbarkeit berichtet, auf Grund dessen allenfalls leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, ohne übermäßige Aufmerksamkeit, ohne Ansprüche an die Feinmotorik, ohne Bedienen von Maschinen und ohne Akkord- oder Montagearbeiten in einem zeitlichen Umfang von bis zu sechs Stunden täglich möglich seien. Dr. M. , bei dem die Klägerin sich zwischen August 2007 und Februar 2008 sechsmal vorgestellt hatte, ging von einem Zustand nach Schädelhirntrauma mit psychoorganischem Syndrom, rezidivierenden depressiven Verstimmungszuständen, einer Anpassungsstörung sowie einer Somatisierungsstörung aus und erachtete eine berufliche Tätigkeit im Umfang von vier Stunden dann für möglich, wenn geringe Anforderungen an die Klägerin herangetragen würden. Das SG hat sodann das psychiatrische Gutachten des Prof. Dr. E. , Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik F. , eingeholt. Der Sachverständige hat auf Grund zweier Untersuchungen im März 2010 ein organisches Psychosyndrom aufgrund einer Hirnschädigung nach Schädelhirntrauma diagnostiziert und auf Grund der aktuellen Affektveränderungen und Antriebsstörungen in Verbindung mit vegetativen Störungen nur noch einfachste Tätigkeiten ohne Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit, Ausdauer, Stressbelastbarkeit und Flexibilität für möglich erachtet, wobei solche Tätigkeiten lediglich noch vier Stunden täglich möglich seien.

Zu den dagegen für die Beklagte erhobenen Einwänden der Ärztin für Psychiatrie Dr. J. (Stellungnahme vom 13.07.2010), die die quantitative Leistungsminderung nicht plausibel begründet gesehen hat, hat sich Prof. Dr. E. unter weiterer Berücksichtigung des zwischenzeitlich beigezogenen Berichts des Berufsförderungswerks H. vom 20.10.2010 über die RehaStep-Maßnahme unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes ergänzend geäußert. Auch die Beklagte hat unter Vorlage der weiteren Stellungnahme der Dr. J. vom 21.12.2010 an der zuvor vertretenen Auffassung festgehalten. Mit Urteil vom 26.05.2011 hat das SG den Bescheid vom 19.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.01.2008 aufgehoben und die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.10.2010 bis 30.09.2013 zu gewähren. Gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. E. ist es zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin einfachste Tätigkeiten ohne Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit, die Ausdauer, Stressbelastbarkeit und Flexibilität lediglich noch im Umfang von ca. vier Stunden täglich verrichten kann. Da ein Leistungsvermögen in diesem Umfang erst ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen Prof. Dr. E. nachgewiesen sei, beginne die befristet zu gewährende Rente am 01.10.2010.

Am 21.06.2011 hat die Beklagte und am 06.07.2011 hat die Klägerin gegen das ihren Bevollmächtigten am 08.06.2011 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Die Beklagte ist der Auffassung, dass im Hinblick auf die Mängel im Gutachten des Prof. Dr. E. eine rentenrelevante Leistungsminderung nicht mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sei. Insoweit stützt sie sich auf die sozialmedizinischen Stellungnahmen der Dr. J. , mit denen sich das SG nicht auseinandergesetzt habe.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin ihre Berufung zurückgenommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26.05.2011 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Dr. M. und Dr. B. ergänzend schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. M. hat über Wiedervorstellungen der Klägerin ab Februar 2010 berichtet, wobei stützende und entlastende psychotherapeutische Gespräche zur Hilfe bei der partiellen Lebensbewältigung geführt worden seien. Dr. B. hat über mehrere Vorstellungen im Jahr 2009 sowie jeweils einmalige Vorstellungen im Jahr 2010 und 2012 und einen im Wesentlichen unveränderten psychopathologischen Befund im Sinne pseudoneurasthenischer Beschwerden mit verminderter psychophysischer Belastbarkeit berichtet. Der Senat hat im Hinblick auf den Beginn der von Prof. Dr. E. angenommenen Leistungsminderung von diesem eine ergänzende Stellungnahme eingeholt. Dabei hat er sich im Hinblick auf die eingeschränkte Befundsituation nicht in der Lage gesehen, Aussagen zum Eintritt des Leistungsfalls bereits zu einem Zeitpunkt vor seiner Untersuchung zu machen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten - nur hierüber hat der Senat nach Rücknahme der Berufung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung noch zu entscheiden - ist gemäß den §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Beklagte zu Recht unter (sinngemäß) teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 19.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.01.2008 verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.10.2010 bis 30.09.2013 zu gewähren. Denn die Klägerin verfügt jedenfalls seit März 2010 über ein Leistungsvermögen von weniger als sechs Stunden täglich und ist daher teilweise erwerbsgemindert, weshalb ihr wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes Rente wegen voller Erwerbsminderung zusteht, und zwar ab Beginn des siebten Kalendermonats nach Eintritt der Erwerbsminderung. Dies hat das SG zutreffend entschieden.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs (§ 43 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGBVI) im Einzelnen dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Klägerin diese Voraussetzungen erfüllt, weil sie selbst unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen berufliche Tätigkeiten lediglich noch in einem Umfang von ca. vier Stunden täglich verrichten kann und ihr nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes Rente wegen voller Erwerbsminderung zusteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.

Ebenso wie das SG geht auch der Senat davon aus, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin im Wesentlichen durch die Auswirkungen eines organischen Psychosyndrom eingeschränkt ist, das bei der Klägerin als Folge des schweren Schädelhirntrauma mit frontaler Kontusionsblutung anlässlich des im Jahr 2000 erlittenen Verkehrsunfalls eingetreten ist. Auch die Beklagte sieht die Leistungsfähigkeit der Klägerin im Wesentlichen durch diese Erkrankung eingeschränkt. Allerdings sieht die Beklagte die Leistungsfähigkeit der Klägerin hierdurch nicht quantitativ eingeschränkt. Sie stützt sich vielmehr auf die sozialmedizinische Stellungnahme der Dr. J. , die ausweislich ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 13.07.2010 im Hinblick auf die eingeschränkte Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit lediglich qualitative Einschränkungen sieht und leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne besondere Verantwortung für Personen und Maschinen, ohne häufigen Publikumsverkehr und ohne Anforderungen an die feinmotorischen Fähigkeiten der linken Hand noch zumindest sechs Stunden täglich für möglich erachtet.

Diese Einschätzung der Dr. J. , die das Leistungsvermögen der Klägerin sogar noch deutlich günstiger beurteilt als Dr. S. , der über die genannten qualitativen Einschränkungen hinausgehend sogar lediglich noch Arbeiten mit einfachen, sich wiederholenden Vorgängen (geringe Anforderungen an die geistige Leistungsbreite), wie bspw. einfache Montage- oder Serienarbeiten oder eine Tätigkeit als Kopiergehilfin, für zumutbar erachtet, überzeugt den Senat vor dem Hintergrund des vom SG eingeholten Gutachtens des Prof. Dr. E. nicht. Denn nach Überzeugung des Senats tragen die von Dr. J. beschriebenen Einschränkungen dem der Klägerin verbliebenen Leistungsvermögen nicht hinreichend Rechnung.

So entwickelte sich bei der Klägerin als Folge der Hirnschädigung eine psychische Symptomatik in Form von Störungen der Aufmerksamkeit und der kognitiven Leistungsfähigkeit, die anlässlich der Begutachtung durch Prof. Dr. E. testpsychologisch nachgewiesen wurde. Darüber hinaus traten vegetative Symptome wie Kopfschmerzen bei Belastung und Schlafstörungen auf sowie zusätzlich Affektveränderungen mit schnell wechselnden Affekten sowie auch adynam-depressive Zustände mit Affektverarmung. Darüber hinaus bestehen Antriebsstörungen, eine fehlende Belastbarkeit, subjektive Leistungsstörungen, ein umständlicher und weitschweifiger Gedankengang sowie eine Veränderung bezüglich der Präferenzen und Impulsivität, was sich bspw. im Essverhalten mit Erbrechen zeigt. Schlüssig und überzeugend hat der Sachverständige auf Grund der erhobenen Befunde und den Ergebnissen der durchgeführten testpsychologischen Untersuchung abgeleitet, dass die Klägerin wegen der bestehenden kognitiven Defizite in Verbindung mit den ausgeprägten Affekt- und Antriebsveränderungen lediglich noch einfache Tätigkeiten verrichten kann. In diesem Sinne äußerte sich - wie bereits dargelegt - zuvor auch schon der im Verwaltungsverfahren von der Beklagten hinzugezogene Gutachter Dr. S ... Auf Grund der fehlenden geistigen Flexibilität erachtete er gerade auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bürokauffrau im Speditionsgewerbe nicht mehr für leidensgerecht. Soweit der Sachverständige Prof. Dr. E. im Unterschied zu Dr. S. aber auch für die beschriebenen einfachen Tätigkeiten lediglich noch ein ca. vierstündiges Leistungsvermögen sieht, folgt der Senat dieser Einschätzung. Denn angesichts des Umstandes, dass die Hirnschädigung neben den kognitiven Einschränkungen auch zu einer Antriebsstörung, zu einer verminderten Belastbarkeit und Initiative und zu einem verminderten Vermögen führt, Willensanstrengungen durchzuhalten, und darüber hinaus Affektveränderungen hinzutreten, wodurch gerade auch die beschriebenen einfachen Tätigkeiten von der Klägerin als Belastung wahrgenommen werden, was mit der fehlenden Ausdauer interferiert und wiederum zu vegetativen Symptome führt, ist die Leistungsbeurteilung des Prof. Dr. E. für den Senat schlüssig und überzeugend.

Soweit die Beklagte ausgehend von den Ausführungen der Dr. J. Zweifel an der Richtigkeit der Leistungsbeurteilung des Prof. Dr. E. äußert, weil der psychische Befund im Gutachten sehr kurz gehalten sei und der Sachverständige im Wesentlichen die subjektiven Schilderungen der Klägerin wiedergegeben habe, sind diese Einwände nicht geeignet, die Überzeugungskraft des Gutachtens in Frage zu stellen. Denn der Senat sieht keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige seine Leistungseinschätzung im Wesentlichen auf kritiklos übernommene subjektive Schilderungen der Klägerin gestützt haben könnte. Insoweit hat der Sachverständige im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahme zu dem Einwand, das Gutachten enthalte nur einen kursorischen psychischen Befund, schlüssig und nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass im Rahmen des psychischen Befundes die subjektiven Schilderungen der Patienten in die Sprache des psychopathologischen Befundes übersetzt werden, der dann für jeden Untersucher objektiv nachvollziehbar ist. Werde also ein verminderter Antrieb oder eine Antriebshemmung im psychischen Befund beschrieben, verstehe bei entsprechender ärztlicher Ausbildung ein anderer Untersucher, was darunter zu verstehen ist und welche Sprachäußerungen und subjektiven Schilderungen dem zu Grunde liegen. Umgekehrt führten bestimmte subjektive Schilderungen immer zu gleichen psychischen Befunden. Der im Gutachten dargelegte psychische Befund gründe daher immer auf subjektiven Schilderungen von Patienten, da psychische Phänomene nur auf Grund von subjektiven Selbstschilderungen erschließbar, nicht aber beobachtbar seien. So müsse bei einem Facharzt für Psychiatrie vorausgesetzt werden, dass er psychische Störungen bereits auf Grund der Selbstschilderungen erkennt und nicht nur schwerste Ausprägungen, die bereits beobachtbar sind, erkennen kann. Angesichts dessen hat der Senat keine Zweifel, dass der Sachverständige vor dem Hintergrund des zweifellos auch nach Auffassung der Beklagten bestehenden organischen Psychosyndroms aus den subjektiven Selbstschilderungen der Klägerin, dem Ergebnis der durchgeführten neuropsychologischen Testung, der aktenkundigen medizinischen Dokumentation und dem Umstand, dass keinerlei Hinweise für Aggravations- bzw. Simulationstendenzen vorliegen, eine sachgerechte und nicht lediglich auf der Selbsteinschätzung der Klägerin beruhende Leistungsbeurteilung getroffen hat. Schließlich haben weder Prof. Dr. E. noch die zuvor mit den Beeinträchtigungen der Klägerin befassten Gutachter Hinweise auf Aggravation gesehen. Hinsichtlich des Testverhaltens anlässlich der neuropsychologischen Testung im März 2010 haben die untersuchenden Psychologen vielmehr sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin an der Testung anstrengungsbereit teilgenommen habe und sich sehr bemüht habe, die Aufgaben so gut wie möglich zu lösen.

Soweit die Beklagte die von ihr angenommene höhere Belastbarkeit der Klägerin dadurch bestätigt sieht, dass die Klägerin die am 22.02.2010 begonnene Rehabilitationsmaßnahme RehaStep nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern zum Wohle ihres Kindes abgebrochen hat, überzeugt dies nicht. Davon, dass die Klägerin - wie die Beklagte meint - eine hinreichende Belastbarkeit dafür aufweist, neben der Versorgung ihres Kleinkindes auch noch eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme zu bewältigen, kann der Senat nicht ausgehen. Schließlich hat die Klägerin die in Rede stehende Maßnahme bereits am 12.03.2010, also bereits drei Wochen nach ihrem Beginn abgebrochen, wobei sie an der Maßnahme lediglich an 10 von 15 möglichen Tagen teilnahm, da sie vom 24. bis 26.02. erkrankt und am 08. und 12.03. wegen der gutachtlichen Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Gutachten des Prof. Dr. E. (wohl) am Unterricht nicht teilnehmen konnte. Dass die Klägerin als Grund für den Abbruch der Maßnahme keine eigenen gesundheitlichen Probleme angab, ändert hieran nichts. Auch Prof. Dr. E. hat nicht ausgeschlossen, dass in Phasen einer affektiven Ausgeglichenheit vorrübergehend anspruchsvollere Tätigkeiten möglich gewesen sein können. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin bei Beginn der Maßnahme wohl auch von fehlerhaften Vorstellungen hinsichtlich ihrer Belastbarkeit ausgegangen ist. Denn wie dem Bericht des Berufsförderungswerks H. vom 20.10.2010 entnommen werden kann, hat sich dort eine auffällige Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung der Klägerin und den von dem Fachdozenten festgestellten Schwierigkeiten bei der Anwendung der Kenntnisse gezeigt. Auch hat die Klägerin - so die weiteren Ausführungen in dem genannten Bericht - eher einen unselbstständigen Eindruck gemacht und hat sehr intensiv, gerade auch bei organisatorischen Abläufen angeleitet werden müssen. Dies macht deutlich, dass die reale Leistungsfähigkeit der Klägerin doch eher ihre subjektiv angenommenen Fähigkeiten unterschreiten.

Soweit die Beklagte rügt, der Sachverständige habe sich zu einer Verschlechterung der psychischen Beschwerden im Vergleich zum Vorgutachten des Dr. S. nicht geäußert, hat Prof. Dr. E. im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahme gegenüber dem Senat schlüssig und nachvollziehbar dahingehend Stellung genommen, dass eine Verschlechterung nicht hinreichend sicher verifizierbar sei, da testpsychologische Untersuchungen, die mit den im März 2010 erfolgten verglichen werden könnten, nicht existieren und daher zum Ausmaß der damaligen Beeinträchtigungen und einer gegebenenfalls eingetretenen Verschlechterung keine hinreichend konkreten Aussagen gemacht werden können. Aus diesem Grund hat sich der Sachverständige - für den Senat überzeugend - auch nicht in der Lage gesehen, den Zeitpunkt näher zu bestimmen, zu dem die Leistungsminderung ein rentenberechtigendes Ausmaß erreichte. Was die Diskrepanz hinsichtlich des Ergebnisses der neuropsychologischen Testung vom 12.03.2010 im Vergleich zu den Befunden im Abschlussbericht des Berufsförderungswerks H. vom 16.04.2008 anbelangt, hat Prof. Dr. E. deutlich gemacht, dass sich ein organisches Psychosyndrom in seinem Verlauf auch ohne Hinzutreten einer weiteren Erkrankung durchaus verschlimmern kann und sich eine solche Verschlimmerung gerade nicht als ungewöhnlich darstellt. Hinweise auf eine derartige Verschlimmerung sieht der Senat gerade auch darin, dass die Klägerin nach Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit ihre frühere Tätigkeit zwar wieder im Umfang von acht Stunden aufzunehmen vermochte, im weiteren Verlauf den entsprechenden Anforderungen jedoch nicht mehr gewachsen war und im Anschluss an die im Oktober 2006 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme die frühere vollschichtige Leistungsfähigkeit nicht mehr erreichte, weshalb das Arbeitsverhältnis schließlich beendet wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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