L 10 R 3375/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 1990/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3375/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19.07.2012 abgeändert.

Unter Abänderung des Bescheides vom 22.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2010 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.10.2009 bis zum 30.09.2015 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin drei Viertel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 1959 geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung zur Industriekauffrau und war zuletzt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden als Personalsachbearbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete Ende September 2005, nachdem bereits im März 2004 Arbeitsunfähigkeit eingetreten war. Seither ist die Klägerin arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Im Juli 2008 nahm die Klägerin eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung bei einem Verlag auf, wo sie zunächst bis zu zwei Mal die Woche maximal vier bis fünf Stunden täglich tätig war. Seit Januar 2013 arbeitet sie nur noch ein Mal die Woche drei bis vier Stunden täglich (Arbeitgeberauskunft Bl. 29 LSG-Akte). Ihr Versicherungsverlauf weist (u.a.) von Januar 1990 bis Februar 2007 lückenlose Pflichtbeitragszeiten aus. Hinsichtlich der Einzelheiten der rentenversicherungsrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf Bl. 33 ff. LSG-Akte Bezug genommen.

Die Klägerin leidet unter anderem an den Folgen mehrerer Darmoperationen, zuletzt im Januar 2004, mit nahezu vollständiger Entfernung des Dickdarms, sodass lediglich 12 bis 14 cm Enddarm vorhanden sind, sowie an einem Zustand nach einem rezidivierenden Geschwürsleiden (Ulcus recti simplex) zwischen Enddarm und After (s. die Darstellung von Dr. V. in der sachverständigen Zeugenauskunft Bl. 228 ff. VA). Folge hiervon sind mehrmals täglich bis zu acht Mal auftretende Durchfälle, teilweise zahlenmäßig gehäuft nach der Aufnahme von Nahrung, die darüber hinaus teilweise mit Schmerzen verbunden sind. Lediglich am Ende der im Mai 2004 durchgeführten stationären medizinischen Rehabilitation war die Klägerin weitgehend beschwerdefrei. Im entsprechenden Entlassungsbericht der Fachklinik S. wird als Rehabilitationsergebnis eine deutliche Verbesserung von Kraft und Ausdauer sowie Wohlbefinden beschrieben. Der Stuhlgang erfolge regelmäßig, vier bis fünf Mal täglich und weich (Bl. 86 ff. VA).

Auf den Rentenantrag vom 02.09.2005 holte die Beklagte zunächst ein Gutachten beim Arzt für Innere Medizin H. ein, der im Oktober 2005 eine Berufsausübung wegen der häufigen Stuhlentleerungen (drei bis sieben Mal täglich) mit Schmerzen bzw. der Analgetikaeinnahme nicht mehr für möglich hielt (Leistungsfähigkeit unter drei Stunden). Nach Beiziehung unter anderem des eben erwähnten Rehabilitationsberichtes der Fachklinik S. (Leistungsvermögen sechs Stunden und mehr) sowie der Stellungnahme der beratenden Ärztin Dr. R. mit gleichem Ergebnis lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 08.12.2005 ab. Während des Widerspruchsverfahrens erstattete Dr. W. neurologisch-psychiatrisches Gutachten, diagnostizierte eine Anpassungsstörung und sah bezüglich des nervenärztlichen Fachgebietes keine Einschränkung für eine Erwerbstätigkeit. Entsprechend wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2006 zurück.

Im sich hieran anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Heilbronn S 3 R 2200/06 erstattete Prof. Dr. W. , Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hämato-Onkologie, ein Gutachten (Bl. 279 ff. VA). Ihm gegenüber gab die Klägerin im August 2007 an, fünf Mal täglich Durchfälle mit Schmerzzuständen zu haben. Er führte aus (Bl. 281 VA), mit der Entfernung des Dickdarms fehle dem Körper die Möglichkeit, den Stuhlgang in ausreichendem Maße einzudicken. Folgen seien breiige bis wässrige Durchfälle und Folge der eingeschränkten Speicherung sei eine erhöhte Anzahl von Stuhlentleerungen pro Tag. Auf Grund der Angaben der Klägerin sei mit fünf bis sechs Stuhlentleerungen zu rechnen mit einer erforderlichen Arbeitsunterbrechung von 15 bis 20 Minuten pro Toilettengang (Bl. 288 VA). Ausgehend von einer Arbeitszeit von acht Stunden liege die reine Arbeitszeit dementsprechend unter sechs Stunden pro Tag. Dem setzte die Beklagte den Einwand entgegen, dass die Anzahl der Stuhlgänge auf den gesamten Tag verteilt seien und deswegen nur mit zwei bis drei Toilettengängen pro Arbeitstag zu rechnen sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht im April 2008 gab die Klägerin erstmals an (Bl. 317 VA), die Toilettengänge seien nach dem Essen besonders häufig. Sie achte daher darauf, dass sie nach dem Essen eine Stunde lang nicht nach draußen gehe. Manchmal müsse sie innerhalb einer Stunde zwei oder drei Mal nacheinander zur Toilette, manchmal müsse sie auch zwei Stunden nicht. Im Durchschnitt seien es sechs bis acht Mal pro Tag. Oft brauche sie für einen Toilettengang bis zu 20 Minuten Zeit. Regelmäßig sei dies alles nicht. Hierzu trug die Beklagte, gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme der Dr. B.-L. (Bl. 354 VA), vor (Bl. 355 VA), betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich, es könne von der Klägerin erwartet werden, dass sie ihre Nahrungsmittelaufnahme den zu erwartenden Toilettengängen anpasse und diese könnten dann in der persönlichen Verteilzeit absolviert werden.

Auch gegenüber dem mit der weiteren Begutachtung durch das Sozialgericht beauftragten Arzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. gab die Klägerin an, tagsüber vier bis acht Stuhlgänge zu haben (Bl. 370 VA), die auch von der Nahrungsaufnahme abhängig seien (Bl. 384 VA), weshalb sie nach dem Essen nicht sofort weggehen könne, sondern eine Stunde lang warten müsse (Bl. 374 VA). Dr. S. diagnostizierte auf nervenärztlichem Gebiet eine leichtgradig ausgeprägte Anpassungsstörung und Somatisierungstendenzen, ein persistierendes Ulcus recti simplex, Durchfälle, Zustände nach mehrmaligen Darmoperationen sowie eine undifferenzierte Spondyarthropathie. Er sah keinen zwingenden Grund, warum die Klägerin nicht einer vollschichtigen Arbeitstätigkeit gewachsen sei. Zu vermeiden seien Schichtdienst, häufig wechselnde Arbeitszeiten, Akkordarbeiten, Tätigkeiten, bei denen eine ununterbrochene Präsenz am Arbeitsplatz vorausgesetzt werde (an der Pforte oder z.B. Lotsentätigkeiten oder Tätigkeiten am Fließband), vermehrt wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten, Zwangshaltungen und widrige Umgebungsfaktoren. Eine Toilette müsse in erreichbarer Nähe sein und die Tätigkeit solle in Tagesschicht ausgeübt werden. Der Einschätzung von Prof. Dr. W. widersprach Dr. S. und führte aus, nach einer Dickdarmresektion sei in der Regel mit täglich vier bis sieben Stuhlentleerungen zu rechnen. Ausgehend von 10 % der Arbeitszeit als sogenannte persönliche Verteilzeit hielt er zusätzliche Arbeitsunterbrechungen nicht für notwendig. Die Klägerin könne die Nahrungsmittelaufnahme an die dann schneller zu erwartenden Toilettengänge anpassen.

Prof. Dr. T. , Chefarzt der Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie am R.-B.-Krankenhaus S. teilte in seiner sachverständigen Zeugenaussage (Bl. 462 ff. VA) dem Sozialgericht mit, dass eine proktologische Untersuchung im Juli 2009 ergeben habe, dass das Ulcus recti simplex abgeheilt sei. Dies habe aber keinen Einfluss auf das chronisch neuropathische Schmerz-Syndrom im perianalen Bereich. Zusätzlich werde die Leistungsfähigkeit durch häufige Stuhlgänge mit zum Teil imperativem Stuhldrang beeinträchtigt. Eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinem Arbeitsmarkt von täglich sechs Stunden sei möglich. Betriebsunübliche Pausen würden insofern benötigt, als ungeplante Toilettengänge gewährleistet sein müssten (Bl. 464 VA).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 28.10.2009 erörterten die Beteiligten die Notwendigkeit betriebsunüblicher Pausen. Sie schlossen einen Vergleich, wonach sich die Beklagte zur Bewilligung einer stationären Reha-Maßnahme und dazu verpflichtete, nach dem Ende der Reha-Maßnahme erneut über einen Rentenanspruch der Klägerin wegen Erwerbsminderung zu entscheiden. Die Beklagte werde - so im Vergleich weiter - den "heute gestellten Reha-Antrag dann als Rentenantrag auffassen" (Bl. 475 VA).

Im entsprechenden Entlassungsbericht der Fachklinik S. über die im Januar und Februar 2010 durchgeführte stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation (Bl. 487 ff. VA) wurden Angaben über eine wechselnde Frequenz des Stuhlganges von ein bis zwei Mal täglich bis fünf bis sechs Mal täglich wiedergegeben (Bl. 495 VA). Ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr wurde bescheinigt, wobei das schnelle Erreichen von sanitären Einrichtungen gewährleistet sein müsse. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.03.2010 und Widerspruchsbescheid vom 20.05.2010 einen Rentenanspruch erneut ab.

Das hiergegen am 15.06.2010 angerufene Sozialgericht Reutlingen hat zunächst unter anderem die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Gastroenterologe Dr. D. hat die Klägerin für erwerbsgemindert gehalten. Das Ulcus sei nicht mehr nachweisbar und Befunde, die zwangsläufig die Ausführung einer sechsstündigen Tätigkeit verbieten würden, lägen nicht vor. Die Klägerin habe aktuell wässrige Diarrhoe mit fünf bis acht Entleerungen pro Tag und eingeschränkter Kontrolle (Bl. 64 SG-Akte). Auch die Hausärztin Dr. H. hat die Leistungsfähigkeit durch die chronischen Schmerzen und die erhöhte tägliche Stuhlfrequenz eingeschränkt gesehen.

Gegenüber dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. , der die Klägerin auf Veranlassung des Sozialgerichts im November 2010 begutachtet hat, hat die Klägerin angegeben, beim Umsteigen in S. und beim Eintreffen in den Praxisräumen zur Toilette gegangen zu sein (Bl. 88 SG-Akte). Der Sachverständige hat ein chronisches abdominelles Schmerzsyndrom bei entzündlichen Veränderungen des Enddarmes, einen Verdacht auf Läsion des Plexus lumbosacralis mit neurogenem Schmerzsyndrom nach abdominellen Eingriffen sowie eine Anpassungsstörung diagnostiziert. Die von der Klägerin angegebenen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, die gegenwärtig nur eine Tätigkeit von drei Stunden in der Woche in einem Verlag zuließen, hätten in der Beschwerdeschilderung glaubhaft gewirkt (Bl. 98 SG-Akte), Verdeutlichungstendenzen seien nicht zu erkennen, sodass er eine internistische-gastroenterologische Abklärung für sinnvoll erachte (Bl. 99 SG-Akte). Die durch das Schmerzsyndrom verursachte Anpassungsstörung sei nicht entscheidend für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit. Entsprechend sei auf Grund des psychopathologischen Befundes ein vollschichtiges Leistungsvermögen anzunehmen. Die regelmäßige und rasche Erreichbarkeit einer Toilette müsse gesichert sein.

Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat dann Dr. I. , Chefarzt der Inneren und Geriatrischen Abteilung der Fachkliniken H. , ein Gutachten erstattet. Auch hier hat die Klägerin anlässlich der Untersuchung im März 2011 angegeben, fünf bis sieben Mal täglich (Bl. 113 SG-Akte) bzw. bis zu acht Mal täglich (Bl. 114 SG-Akte) Stuhlgang zu haben. Die Durchfälle habe sie nach dem Essen, aber auch unabhängig davon. Ein Zusammenhang mit bestimmten Speisen sei ausgeschlossen worden, sogar eine gleichbleibende Ernährung könne sich unterschiedlich auswirken. Dr. I. hat auf internistischem Gebiet chronische Schmerzen perianal in Folge der nicht mehr nachweisbaren Geschwürserkrankung, einen Zustand nach den mehrmaligen Operationen sowie nach Magengeschwür, erhöhte Leukozyten, eine leichte Hpercholesterinämie, einen medikamentös ausreichend behandelten Bluthochdruck und eine mittelschwere restriktive und leichte obstruktive Ventilationsstörung der Lunge sowie auf nervenärztlichem Gebiet eine Anpassungsstörung auf Grund des chronischen Schmerzsyndroms im Enddarmbereich diagnostiziert. Leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen oder gelegentlich im Stehen und Gehen, ohne häufiges Bücken, ohne Akkord- oder Fließbandarbeiten oder Tätigkeiten im Freien, ohne Nachtschicht, ohne hohe Temperaturschwankungen, ohne Arbeiten bei Nässe oder bei Lärm, ohne Staub, Gase und Dämpfe sowie ohne besondere geistige Beanspruchung seien mindestens sechs Stunden täglich möglich. Eine regelmäßige Tätigkeit sei aber wegen der Defäkation und der danach auftretenden Schmerzen nur möglich, wenn "zuzüglich Verteilerzeiten eine kurzfristige Unterbrechung der Arbeit wiederholt gewährleistet" sei (Bl. 131 SG-Akte).

Mit Gerichtsbescheid vom 19.07.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nicht teilweise und erst recht nicht voll erwerbsgemindert, da sie noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Es hat sich dabei den Gutachten von Dr. K. und Dr. I. angeschlossen und seine Leistungseinschätzung unter anderem durch den Entlassungsbericht der Klinik S. bestätigt gesehen. Mehr als die üblichen Arbeitspausen müssten nicht gewährt werden. Die durchschnittliche regelmäßige Stuhlgangshäufigkeit ließe sich nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. In der Gesamtbewertung sei durchschnittlich von fünf bis sechs Stuhlgängen auszugehen, die allerdings auf den ganzen Tag und nicht allein auf die mindestens sechs Stunden täglich umfassende Arbeitszeit verteilt seien. Berücksichtige man noch, dass die Klägerin immer nach dem Essen zur Toilette müsse, dürften zumindest zwei Stuhlgänge (nach dem Frühstück und nach dem Abendessen) außerhalb der Arbeitszeit liegen. Drei bis vier Stuhlgänge dürften dann in die Arbeitszeit fallen, wobei hier auch die gesetzlich vorgeschriebene Mittagspause zu berücksichtigen wäre.

Gegen den ihr am 21.07.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 06.08.2012 Berufung eingelegt. Sie hat ein Stuhltagebuch für die Zeit vom 13.09. bis 19.09.2012 vorgelegt. Hinsichtlich der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf Bl. 22 bis 24 der Senatsakten Bezug genommen. Die Klägerin macht unter anderem die Erforderlichkeit betriebsunüblicher Arbeitsbedingungen geltend.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19.07.2012 und den Bescheid vom 22.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01.10.2009 Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist im Hinblick auf die im Stuhltagebuch ausgewiesenen Stuhlgänge bis zu neun Mal pro Tag auf Auszüge eines Krankenhausberichtes der A.-Klinik B. (von der Klägerin am Ende des Klageverfahrens dem Sozialgericht Reutlingen vorgelegt, Bl. 181 ff. SG-Akte), wonach noch nicht alle Therapieoptionen erschöpft seien.

Der Senat hat eine schriftliche Auskunft des Arbeitgebers der Klägerin eingeholt. Dort werden keine besonderen Pausen beschrieben. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts hat die Klägerin zu der Arbeitgeberauskunft angegeben, sie esse während dieser Tätigkeit nichts und versuche, so wenig wie möglich während der Arbeitszeit auf die Toilette zu gehen, müsse dies aber trotzdem. Eine Anpassung der Nahrungsaufnahme gehe bei zwei bis drei Stunden oder auch vier Stunden Arbeit. Allerdings brauche sie wegen der Darmerkrankung normalerweise sechs kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt. Wenn sie nach dem Frühstück eine bestimmte Wartezeit habe und dann den Arbeitsweg, könne sie bei sechs Stunden Arbeit über acht bis achteinhalb Stunden nichts zu sich nehmen. Dies gehe nicht. Natürlich könne sie den Toilettengang, falls notwendig, z.B. im Auto, aufschieben. Dies sei dann sehr, sehr schmerzhaft. Entsprechend gehe sie auch unterwegs auf die Toilette, z.B. auch im Wald während Spaziergänge.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist überwiegend begründet. Das Sozialgericht hätte die Klage nicht in vollem Umfang abweisen dürfen. Die Klägerin hat Anspruch auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Unter den "üblichen Bedingungen" i.S. des § 43 SGB VI ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Hierzu gehören sowohl rechtliche Bedingungen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften, als auch tatsächliche Umstände (BSG, Urteil vom 19.10.2011, B 13 R 78/09 R in SozR 4-2600 § 43 Nr. 16). Üblich sind Bedingungen, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG, a.a.O.). Eine Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ist insbesondere nicht mehr gegeben, wenn wegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder bei einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und bei Vorliegen bestimmter, so genannter Katalogfälle die Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht möglich ist. In diesen Fällen führen rein qualitative Einschränkungen selbst im Falle sechsstündigen Leistungsvermögens zur Annahme voller Erwerbsminderung (Großer Senat, Beschluss vom 19.12.1996, GS 2/95 in SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). So liegt der Fall hier. Denn die Klägerin benötigt wegen der Folgen ihrer Darmerkrankung betriebsunübliche Pausen.

Dabei kann der Senat offen lassen, in welchem Umfang Pausen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt so genannter persönlicher Verteilzeiten (Zeiten, die in der Arbeitszeit liegen, aber für persönliche Belange wahrgenommen werden, s. hierzu Gürtner in KassKomm § 43 SGB VI Rdnr. 40), noch als üblich angesehen werden können. Die Klägerin benötigt jedenfalls bei einer ihr zugemuteten Arbeitszeit von sechs Stunden - also neben den nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) vorgeschriebenen Ruhepausen von 30 Minuten nach sechs Stunden Arbeit - zeitweise und nicht vorhersehbar während der Arbeit Pausen von mehr als einer Stunde. Dass solche Pausen in diesem Ausmaß nicht jeden Tag notwendig sind, ist dabei nicht maßgebend. Denn es ist für die Klägerin nicht vorhersehbar und nicht beherrschbar, an welchen Tagen sie Pausen in diesem Ausmaß benötigt. Sie sind jedenfalls nicht nur gelegentlich erforderlich. Wenn sie notwendig werden, müssen sie der Klägerin zur Verfügung stehen. Dies ist auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht betriebsüblich und der Klägerin kann auch keine Tätigkeit benannt werden, bei der ihr derartige Pausen ermöglicht werden.

Auf Grund des weitgehenden Verlustes des Dickdarmes kommt es bei der Klägerin zu häufigen Durchfällen und deshalb erforderlichen Toilettengängen. Alle mit der Behandlung und Begutachtung der Klägerin betrauten Ärzte haben dies bestätigt. Dies indessen führt nicht grundsätzlich dazu, dass betriebsunübliche Pausen notwendig sind. Denn Toilettengänge während der Arbeitszeit werden üblicherweise auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt toleriert und unterfallen den so genannten persönlichen Verteilzeiten.

Bei der Klägerin kommt aber hinzu, dass die Verweildauer auf der Toilette verlängert ist. Verantwortlich hierfür ist zum einen das Auftreten von Schmerzen im Analbereich im Zusammenhang mit den Stuhlgängen. Hierauf hatte bereits Dr. H. in seinem Gutachten für die Beklagte und Prof. Dr. W. in dem vom Sozialgericht Heilbronn eingeholten Gutachten hingewiesen. Diese Schmerzzustände treten auch nach erfolgter Abheilung des Geschwürs auf. Dies berichtete bereits Prof. Dr. T. im September 2009 in seiner sachverständigen Zeugenaussage (Bl. 462 ff. VA) dem Sozialgericht Heilbronn (das Abheilen des Ulcus recti simplex habe aber keinen Einfluss auf das chronisch neuropathische Schmerz-Syndrom im perianalen Bereich gehabt). Zuletzt ist auch Dr. I. auf Grund der von ihm im März durchgeführten Untersuchung der Klägerin von chronischen Schmerzen perianal in Folge der nicht mehr nachweisbaren Geschwürserkrankung ausgegangen und hat wegen der Defäkation und der danach auftretenden Schmerzen auf das Erfordernis zusätzlicher Pausen zuzüglich Verteilzeiten geschlossen.

Zur Verweildauer hat die Kläger hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Heilbronn im April 2008 angegeben, bis zu 20 Minuten je Toilettengang zu benötigen. Auch im von der Klägerin zur Berufungsbegründung vorgelegten Stuhltagebuch, in dem sie exemplarisch ihr Stuhlverhalten für die Zeit vom 13.09. bis 19.09.2012 - wie schon in der entsprechenden Dokumentation für April 2004 (vgl. Bl. 322 ff. VA) - dokumentiert hat, sind längere Verweildauern von deutlich über 10 Minuten verzeichnet, so z.B. am 15.09.2012 von 13:57 Uhr bis 14:16 Uhr (19 Minuten).

Zum anderen führt ein Toilettengang bei der Klägerin nicht sicher zu einer vollständigen Entleerung im Bereich des ohnehin verkürzten Darmes. Vielmehr ist die Klägerin teilweise zu unmittelbar aufeinander folgenden Stuhlentleerungen gezwungen. In dem Termin zur Erörterung des Sachverhaltes hat dies die Klägerin dahingehend beschrieben, dass sie manches Mal kaum die Hose oben habe, schon gehe es wieder los. Bestätigt ist dies durch das von der Klägerin vorgelegte Stuhltagebuch. Dort finden sich Abläufe, in denen Stuhlgänge praktisch im Minutentakt verzeichnet sind, so beispielsweise am 15.09.2012 von 13:57 Uhr bis 14:16 Uhr und erneut von 14:17 Uhr bis 14:25 Uhr. Im Grunde hält sich die Klägerin bei derartigen Stuhlgängen im Minutentakt durchgehend auf der Toilette auf (am besagten 15.09.2012 also von 13:57 Uhr bis 14:25 Uhr = 28 Minuten, oder auch am 14.09.2012: von 13:43 Uhr bis 13:52 Uhr und erneut von 13:55 Uhr bis 14:06 Uhr, im Grunde also von 13:43 Uhr bis 14:06 Uhr = insgesamt 23 Minuten).

Vor allem aber kommt es bei der Klägerin nach einer Nahrungsaufnahme häufig zu vermehrten Stuhlgängen. Auch dies lässt sich anhand des besagten Stuhltagebuches für September 2012 gut nachvollziehen. So ist beispielsweise am 14.09.2012 innerhalb von 15 Minuten nach dem Mittagessen ein dreimaliges Aufsuchen der Toilette innerhalb einer Stunde mit einer Gesamtdauer von mehr als einer halben Stunde beschrieben. Vergleichbares gilt für den 15.09.2012.

Rechnet man die so verzeichneten Toilettenaufenthalte im üblichen Zeitraum einer sechsstündigen Tätigkeit (z.B., da die Klägerin nach dem Frühstück ohnehin eine Wartezeit von einer Stunde für die durch die Nahrungsaufnahme mit verursachten Stuhlgänge einhalten muss, von 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr) zusammen, ergeben sich anhand des Stuhltagebuchs exemplarische zeitliche Toilettenaufenthalte (exakt für den Zeitraum von 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr errechnet) von 52 Minuten (am 13.09.2012), 50 Minuten (am 14.09.2012), 66 Minuten (am 15.09.2012), 31 Minuten (am 16.09.2012), 41 Minuten (am 17.09.2012), 21 Minuten (am 18.09.2012) und 12 Minuten (am 19.09.2012). Kein wesentlich anderes Bild ergibt sich für eine Arbeitszeit von 9:00 Uhr bis 15:00 Uhr, weil dann zwar die Stuhlgänge zwischen 15:00 Uhr und 16:00 Uhr nicht berücksichtigt werden, wohl aber jene zwischen 9:00 Uhr und 10:00 Uhr.

Diese Daten zeigen, dass Häufigkeit und Dauer der Stuhlgänge für die Klägerin nicht vorhersehbar sind. Sie hatte schon in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Heilbronn im April 2008 darauf hingewiesen, dass keine Regelmäßigkeit besteht und lediglich eine Zunahme der Stuhlgänge nach einer Nahrungsaufnahme von ihr beobachtet wird.

Soweit die Beklagte die Klägerin darauf verweist, die Nahrungsaufnahme der (mit sechs Stunden) zugemuteten Arbeitszeit anzupassen, ist dies der Klägerin nicht möglich. Denn dies würde bedeuten, dass die Klägerin über mehr als sechs Stunden keine Nahrung zu sich nehmen dürfte. Dies hat die Klägerin im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes nachvollziehbar dargestellt. Da sie nach dem Frühstück wegen dann vermehrt auftretender Stuhlgänge eine Stunde warten muss und der Arbeitsweg hinzugerechnet werden muss, ergibt sich eine zeitliche Nahrungskarrenz bis zum Beginn der Arbeit von deutlich über einer Stunde. Will sie dann durch Nahrungsaufnahme ausgelöste Stuhlgänge während der Arbeitszeit vermeiden, darf sie erst kurz vor Ende der sechsstündigen Arbeit Nahrung aufnehmen, also nach etwa fünf bis fünfeinhalb Stunden. Hieraus ergibt sich ein Zeitraum ohne Nahrungsaufnahme von weit über sechs Stunden, u.U. - je nach Arbeitsweg - auf bis über sieben Stunden. Dies ist der Klägerin, die wegen ihrer Darmproblematik bis zu sechs Mahlzeiten täglich zu sich nehmen soll (so schon die Empfehlung der Fachklinik S. im Juni 2004, Bl. 90 VA), nicht, jedenfalls nicht arbeitstäglich zumutbar.

Aus dem Umstand, dass die Klägerin tatsächlich eine geringfügige Tätigkeit ausübt, während der sie - so die Angaben des Arbeitgebers gegenüber dem Senat - keine besonderen Pausen benötigt, was die Klägerin im Termin zur Erörterung des Sachverhalts auch eingeräumt hat, folgt nichts anderes. Denn es handelt sich hierbei um keine regelmäßige, arbeitstäglich (also fünf Tage die Woche) sechs Stunden dauernde Tätigkeit. Vielmehr arbeitet die Klägerin lediglich einmal die Woche drei Stunden. Sie hat hierzu im Termin zur Erörterung des Sachverhalts angegeben, während dieser drei Stunden nichts zu essen. Soweit die Klägerin nach Auskunft des Arbeitgebers früher "höchstens vier bis fünf Stunden" und teilweise sogar an zwei Tagen die Woche gearbeitet hat, belegt auch dies angesichts der dann von der Klägerin zweimal die Woche auf sich genommenen Einschränkungen nicht, dass es zumutbar wäre, jeden Arbeitstag für viele Stunden auf Nahrungsaufnahme zu verzichten.

Die Angaben der Klägerin sind auch glaubhaft. Sie sind im Wesentlichen konsistent, weisen keine Widersprüche auf und enthalten auch teilweise - für sich genommen - der Klägerin eher ungünstige Angaben (so beispielsweise das Stuhltagebuch für den 19.09.2012: nur Toilettenaufenthalt im Umfang von 12 Minuten). Keiner der mit der Begutachtung der Klägerin betrauten Ärzte hat Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben geäußert. Prof. Dr. W. hat vielmehr ausdrücklich dargestellt, dass es bei einer Dickdarmresektion wegen der eingeschränkten Speicherung des Stuhlganges zu einer erhöhten Anzahl von Stuhlentleerungen und wegen der fehlenden Möglichkeit, den Stuhl einzudicken, zu Durchfällen kommt (Bl. 281 VA) und Dr. S. hat die Anzahl der Stuhlentleerungen, mit der bei fehlendem Dickdarm zu rechnen ist, mit 4 bis 7 bezeichnet (Bl. 393 VA). Weder Dr. S. (Bl. 379 VA: kein Anhalt für Simulation) noch Dr. K. (Bl. 93 SG-Akte: absolut glaubhaft wirkend) und auch nicht Dr. I. (Bl. 118 SG-Akte: Aggravationstendenzen nicht erkennbar) haben irgend welche Hinweise auf eine fehlende Glaubwürdigkeit der Klägerin gefunden. Selbst die Beklagte hat keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Klägerin geäußert.

Die Klägerin erfüllt auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente. Sie hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 50 Abs. 1 SGB VI) mit den zurückgelegten Beitragszeiten, wozu auch Pflichtbeitragszeiten gehören (§ 51 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), erfüllt. Gleiches gilt für die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI: drei Jahre Pflichtbeiträge innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung). Denn der Versicherungsverlauf der Klägerin weist entsprechende Pflichtbeiträge für die Zeit von Januar 1990 bis Februar 2007 aus.

Soweit die Klägerin Rente auf Dauer begehrt, ist die Berufung zurückzuweisen. Denn der Rentenanspruch ist zu befristen. Zwar werden gemäß § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet und es handelt sich beim oben dargelegten Rentenanspruch der Klägerin auch um einen Anspruch, der nicht von den Schwankungen des Arbeitsmarktes abhängt, sondern wesentlich auf ihrem Gesundheitszustand beruht (Lambert, Die Systematik der Renten wegen Erwerbsminderung und die Folgen für die sachgerechte Antragstellung im sozialgerichtlichen Verfahren, in SGb 2007, 394, 395 m.w.N. zur Rechtsprechung des BSG). Indessen müsste es für einen unbefristeten Leistungsanspruch unwahrscheinlich sein, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI). Hier ergibt sich aus dem von der Klägerin dem Sozialgericht vorgelegten Entlassungsbericht der A.-Kliniken vom 14.06.2012 die Möglichkeit eines therapeutischen Ansatzes in Form einer antibiotischen Therapie. Denn während des stationären Aufenthaltes erhielt die Klägerin wegen eines Harnwegsinfektes ein Antibiotikum verabreicht, unter dessen Wirkung die Durchfälle vollständig sistierten (allerdings mit dann auftretender Obstipation). Entsprechend wird im Entlassungsbericht die Vermutung einer Fehlbesiedlung des Restdarmes als Grund für die Durchfälle thematisiert, die mit der vorgeschlagenen, derzeit von der Klägerin aus Angst weiterer Obstipation abgelehnten Antibiotikatherapie therapeutisch angegangen werden könnte. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass die Ursache der Erwerbsminderung, nämlich die häufigen und längere Toilettenaufenthalte erfordernden Durchfälle, behoben werden können.

Ist die Rente somit nur auf Zeit zu leisten, beginnt sie nach § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die für die vorliegende Beurteilung des Senats wesentlichen Angaben der Klägerin erfolgten erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Heilbronn im April 2008. Jedenfalls und spätestens für diesen Zeitpunkt sieht der Senat den Eintritt der Erwerbsminderung als nachgewiesen an. Entsprechend beginnt die Rente antragsgemäß am 01.10.2009. Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 bis 4 SGB VI erfolgt die Befristung bis zum 30.09.2015.

Ein weiterer Rentenanspruch neben jenem auf Rente wegen voller Erwerbsminderung steht der Klägerin nicht zu. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Zwar handelt es sich bei den Ansprüchen nach § 43 Abs. 1 SGB VI und § 240 SGB VI im Verhältnis zur Rente wegen voller Erwerbsminderung um eigenständige Ansprüche (s. zur Konkurrenz der verschiedenen Rentenansprüche Lambert, a.a.O., S. 394 ff.). Der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung schließt - vom hier nicht gegebenen Fall der Verschlossenheit des Teilzeit-Arbeitsmarktes abgesehen - einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aber aus, auch jenen bei Berufsunfähigkeit (Lambert, a.a.O., S. 396). Soweit die Klägerin somit auch Ansprüche nach § 43 Abs. 1 bzw. § 240 SGB VI verfolgt, ist die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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