L 5 KR 4694/12 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 1777/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 4694/12 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23.8.2012 (S 14 KR 1777/12) wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.517,33 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Rückerstattung (§ 112 SGB X) eines von der Klägerin (Unfallversicherungsträger) an die Beklagte (Krankenversicherungsträger) gem. § 105 SGB X gezahlten Erstattungsbetrags von 5.517,33 EUR für die Kosten der Krankenhausbehandlung eines (gemeinsamen) Versicherten in den Jahren 1998 und 2002 wegen der Folgen einer Berufskrankheit (Blasenkrebs, als Berufskrankheit anerkannt mit Bescheid vom 4.3.2010), wobei sich die Klägerin für ihr Rückerstattungsbegehren (allein) auf das Verstreichen der Ausschlussfrist für Erstattungsansprüche (der Beklagten) in § 111 SGB X beruft. Danach ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht (Satz 1). Gem. § 111 Satz 2 SGB X (in der seit 1.1.2001 geltenden Fassung des Gesetzes vom 21.12.2000, BGBl. I S. 1983) beginnt der Lauf der Frist frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Zuvor war die Entstehung des Anspruchs maßgeblich (§ 111 Satz 2 a.F.), wobei es auf die Erteilung eines Bescheids durch den erstattungspflichtigen Leistungsträger nicht ankam. Die Beklagte (deren Rechtsvorgängerin) machte ihren Erstattungsanspruch für die Krankenhausbehandlung des Versicherten in den Jahren 1998 und 2002 (erst) am 9.3.2010 geltend, nachdem sie von der Anerkennung einer Berufskrankheit durch Bescheid der Klägerin vom 4.3.2010 Kenntnis erlangt hatte; die Einleitung des Anerkennungsverfahrens war ihr mit Schreiben der Klägerin vom 2.3.2010 mitgeteilt worden. Die Klägerin hat von der Blasenkrebserkrankung des Versicherten offenbar im Mai 2008 durch ärztliche Mitteilung erfahren. Das Sozialgericht hat die Beklagte im Urteil vom 23.8.2012 (- S 14 KR 1777/12 -) zur Rückerstattung der von der Klägerin gezahlten Erstattungsbeträge verurteilt und sich hierfür der - in seinem Urteil auszugsweise wiedergegebenen - Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 16.3.2010, - B 2 U 4/09 R -) angeschlossen. Die Berufung ist nicht zugelassen worden; dagegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte Beschwerde der Beklagten.

II.

Da der von der Klägerin klageweise geltend gemachte Erstattungsbetrag von 5.517,33 EUR den für Erstattungsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts maßgeblichen und deshalb hier einschlägigen Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG - 10.000 EUR) nicht erreicht bzw. übersteigt, bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts. Die Beschwerde der Beklagten, mit der sie sinngemäß die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts begehrt, ist daher gem. § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft; sie ist auch sonst zulässig. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nicht zuzulassen. Der Senat weist die Beschwerde deshalb durch Beschluss (§ 145 Abs. 4 Satz 1 SGG) zurück.

1.) Gem. § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des LSG, Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine oder mehrere Rechtsfragen aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts im allgemeinen Interesse einer Klärung durch das Berufungsgericht bedürftig und fähig sind. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung, gegebenenfalls sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist, und das angestrebte Berufungsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Geht es um bereits geklärte Rechtsfragen, ist darzulegen, aus welchen erheblichen Gründen sich die Notwendigkeit einer Überprüfung der bereits vorliegenden Rechtsprechung ergibt; dies ist etwa dann der Fall, wenn dieser Rechtsprechung in nicht nur geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden. Der Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (Breitenwirkung - zu alledem nur etwa Senatsbeschluss vom 26.9.2011, - L 5 KR 5383/10 NZB - m. w. N.). Letzeres kann auch angenommen werden, wenn es zwar nicht um die Klärung einer für eine Vielzahl von Fällen bedeutsamen Rechtsfrage geht, aber andere Auswirkungen insbesondere wirtschaftlicher Art die Interessen der Allgemeinheit in besonderem Maße berühren; erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen allein für die Beteiligten des Rechtsstreits genügen aber nicht (Meyer/Ladewig, SGG § 160 Rdnr. 7c m. w. N.).

2.) Davon ausgehend liegt ein Grund für die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und das Sozialgericht ist auch von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (oder anderer in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannter Gerichte) nicht abgewichen.

a.) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) liegt nicht vor.

Hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des § 111 Satz 1 SGB X über die zwölfmonatige Ausschlussfrist bei Erstattungsansprüchen wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt. Die Beklagte meint offenbar, die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X sei vorliegend im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB (schon) nicht anwendbar; zumindest sei ein etwaiger Rückerstattungsanspruch der Klägerin verwirkt. Sie sieht ein (i. S. d. § 242 BGB) treuwidriges Verhalten der Klägerin vor allem darin, dass diese in der Vergangenheit (bis zum Ergehen des Urteils des BSG vom 16.3.2010, - B 2 U 4/09 R -) in gängiger Praxis ohne Geltendmachung der Ausschlussfrist akzeptiert hat, dass sie, die Beklagte, Erstattungsansprüche in Fällen der vorliegenden Art erst - und dann meist nach Ablauf der Frist des § 111 Satz 1 SGB X - angemeldet hat, wenn sie von der Anerkennung einer Berufskrankheit durch entsprechenden (an den Versicherten gerichteten) Bescheid der Klägerin Kenntnis erlangt hatte. Insofern hat die Beklagte aber bereits eine konkrete, in einem Berufungsverfahren (abstrakt) klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht formuliert. In der Rechtsprechung des BSG ist außerdem geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Anwendung der Ausschlussfrist in § 111 Satz 1 SGB X wegen Rechtsmissbrauchs des Erstattungsverpflichteten zu unterbleiben hat. Das BSG hat hierfür grob rechtswidriges, z. B. vorsätzliches oder gar absichtliches Verhalten des durch die Ausschlussfrist Begünstigten verlangt (BSG, Urt. v. 10.5.2007, - B 10 KR 1/05 R -). Einer erneuten Klärung in einem Berufungsverfahren vor dem Senat bedarf diese Frage daher nicht. Das gilt in entsprechender Weise für die Verwirkung von Ansprüchen (vgl. etwa BSG, Urt. v. 15.5.2012, - B 2 U 4/11 R - mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des BSG zur Verwirkung von Ansprüchen).

Hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des § 111 Satz 2 (a.F. und n.F.) über den Beginn der Ausschlussfrist ist eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige Rechtsfrage ebenfalls nicht formuliert und es sind insbesondere zu § 111 Satz 2 SGB X n.F. die entscheidungserheblichen Rechtsfragen wiederum in der Rechtsprechung des BSG bereits geklärt. § 111 Satz 2 SGB X n.F. gibt in gewissen Grenzen der materiellen (Ausgleichs-)Gerechtigkeit Vorrang vor rascher Rechtssicherheit (BSG, Urt. v. 10.5.2007, - B 10 KR 1/05 R -), indem er (anders als der auf die von der Erteilung eines Bescheids des erstattungspflichtigen Leistungsträgers unabhängige Entstehung des Anspruchs abstellende § 11 Satz 2 SGB X a.F.) die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X frühestens in dem Zeitpunkt beginnen lässt, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Die Auslegung des Merkmals "Entscheidung über die Leistungspflicht" in § 111 Satz 2 SGB X ist Gegenstand des Urteils des BSG vom 16.3.2010 (- B 2 U 4/09 R -). Nach Auffassung des BSG beinhaltet die Entscheidung über die Feststellung eines Versicherungsfalls, wie einer Berufskrankheit, und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund dieser Berufskrankheit keine Entscheidung über eine Leistungspflicht (i. S. d. § 111 Satz 2 SGB X) hinsichtlich z. B. einer stationären Heilbehandlung. Vielmehr ist zwischen der (Status-)Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers über das Vorliegen eines Versicherungsfalls nach § 7 Abs. 1, §§ 8, 9 SGB VII und der oder ggf. den Entscheidungen über die aufgrund dieses Versicherungsfalles zu gewährende(n) Leistung(en) nach §§ 26 ff. SGB VII, den sog Leistungsfällen, grundsätzlich zu unterscheiden (so BSG, Urt. v. 16.3.2010, a. a. O.). Das BSG hat ergänzend darauf abgestellt, dass nicht zu erkennen sei, wieso ein Leistungsträger unabhängig von der Regelung des § 111 Satz 2 SGB X und der danach erforderlichen Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers nicht in der Lage sein soll, entsprechend § 111 Satz 1 SGB X innerhalb eines Jahres nach Erbringung der Leistung zu prüfen, ob ggf. ein anderer Leistungsträger zuständig ist, und zumindest vorsorglich einen Erstattungsanspruch anzumelden. Eine Krankenkasse könne das Vorliegen der Voraussetzungen einer Listen-Berufskrankheit bei einem ihrer Versicherten sehr wohl prüfen, auch wenn sie kein Recht habe, über das Vorliegen einer Berufskrankheit bei einem Versicherten eine ggf. andere Leistungsträger bindende Entscheidung zu treffen. Die Beklagte wendet sich ersichtlich gegen diese Auffassung des BSG, die sie für wenig praktikabel hält. Deswegen ist die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts freilich nicht zuzulassen. Mit den von der Beklagten geltend gemachten Gründen ist (ungeachtet des Fehlens der Formulierung einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage) nicht ausreichend dargetan, dass trotz der wiedergegebenen Rechtsprechung des BSG die Auslegung des § 111 Satz 2 SGB X n.F. der erneuten Klärung in einem Berufungsverfahren vor dem Senat bedarf.

Fehlt es danach angesichts der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BSG zur Unanwendbarkeit der Ausschlussfrist in § 111 Satz 1 SGB X wegen Rechtsmissbrauchs, zur Verwirkung von (Rückerstattungs-)Ansprüchen und zum Beginn der Ausschlussfrist nach Maßgabe des § 111 Satz 2 SGB X (n.F.) an einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage, kann die Berufung auch nicht deshalb zugelassen werden, weil beim Sozialgericht (so die Beklagte) noch weitere 14 gleichartige (oder auch noch mehr) Verfahren anhängig sind. Dass von einer Berufungsentscheidung unabhängig von der Klärung einer für eine Vielzahl von Fällen bedeutsamen Rechtsfrage andere, insbesondere wirtschaftliche Auswirkungen ausgingen, die die Interessen der Allgemeinheit in besonderem Maße berühren würden, ist nicht dargelegt worden.

b.) Der Zulassungsgrund der Divergenz i. S. d § 144 Abs. 2 Nr. SGG liegt ebenfalls nicht vor. Das Sozialgericht ist von der Rechtsprechung des BSG oder des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (oder eines anderen in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichts) nicht abgewichen, hat sich der (in seinem Urteil auszugsweise wiedergegebenen) Rechtsprechung des BSG vielmehr ausdrücklich angeschlossen. Sollte das Sozialgericht die Vorgaben des BSG - etwa zum Rechtsmissbrauch bei Anwendung der Ausschlussfrist des § 111 SGB X oder zur Verwirkung von (Rückerstattungs-)Ansprüchen - im Einzelfall unrichtig angewendet haben, rechtfertigte das die Zulassung der Berufung nicht. Im Übrigen ist nach Lage der Dinge für grob rechtswidriges, vorsätzliches oder gar absichtliches Verhalten der Klägerin im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Dass sie bis zum Ergehen des Urteils des BSG vom 16.3.2010 (a. a. O.) in gängiger Verwaltungspraxis die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs erst nach Ergehen der (Status-)Entscheidung über das Vorliegen einer Berufskrankheit akzeptiert und sich auf das zwischenzeitliche Verstreichen der Ausschlussfrist des § 111 SGB X nicht berufen hat, wird hierfür nicht ausreichen können, nachdem erst die genannte Entscheidung des BSG Klarheit über den Beginn der Ausschlussfrist nach Maßgabe des § 111 Satz 2 SGB X n.F. geschaffen hat. Die zuvor geübte Verwaltungspraxis hat sich durch die (neuere) Rechtsprechung des BSG als rechtswidrig erwiesen und wird nicht mit Hinweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben (für "Altfälle") festzuschreiben sein. Im Übrigen sind die Interessen des Rückerstattungspflichtigen durch die Bestimmung des § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB X über die Verjährung von Rückerstattungsansprüchen (4 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erstattung zu Unrecht erfolgt ist) gewahrt.

c.) Der Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) ist nicht geltend gemacht.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO; die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 145 SGG stellt ein Rechtsmittel i. S. d. § 154 Abs. 2 VwGO dar.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 3 GKG. Gem. § 47 Abs. 3 GKG ist im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert; das ist hier der mit der Klage geltende gemachte Rückerstattungsbetrag (§ 52 Abs. 3 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved