Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VG 2506/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 4579/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist nur noch streitig, ob der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) wurde, weil die Hebamme bei seiner Geburt eine perinale Asphyxie (Sauerstoffunterversorgung) nicht erkannt hat.
Der am 07.11.1958 geborene Kläger, der an einer beidseitigen angeborenen Innenohrschwerhörigkeit leidet, ist gelernter Industrie-Kaufmann. Zuletzt war er als Programmierer und selbständiger EDV-Berater bis März 2006 tätig, seither ist er arbeitsunfähig. Der Kläger ist seit 1986 mit der an paranoiden Schizophrenie leidenden E. K. verheiratet und Vater einer 1988 geborenen Tochter, zu der kein Kontakt besteht.
Er stellte am 20.04.2010 bei dem Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG mit der Begründung, in der Zeit von 1968 bis 1972 von dem damals in der St. Nikolaus-Gemeinde B. tätigen katholischen Gemeindepfarrer L. B. sexuell missbraucht, vergewaltigt und gezüchtigt worden zu sein.
Der Kläger legte das Schreiben seiner Rechtsanwältin L. vom 14.04.2010 an die Diözese Sp. vor (Bl. 18 - 22 Verw.-A), in dem detailliert die Missbrauchshandlungen aufgelistet wurden.
Der Beklagte trat sodann in Ermittlungen ein und zog die Schwerbehindertenakten des Klägers bei. Mit Bescheid vom 05.07.2010 war bei dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 seit dem 01.04.2006 festgestellt worden. Als Funktionsbeeinträchtigungen hatte das Versorgungsamt eine Schwerhörigkeit beidseits (Einzel-GdB 60), eine Polyneuropathie sowie einen Diabetes mellitus (mit Diät und Insulin einstellbar) anerkannt. Anfragen bei dem Katholischen Pfarramt St. Nikolaus in B., dem Bistum Sp., dem bischöflichen Ordinariat, der Diözese Sp., dem Beauftragten Bischoff A. und der Beauftragten der Bundesregierung zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs brachten ebenso wenig weitere Erkenntnisse, wie die schriftliche Befragung früherer, für den Pfarrer tätiger Messdiener.
Während des Verwaltungsverfahrens erweiterte der Kläger mit Schreiben vom 10.06.2010 seinen Antrag dahingehend, dass er nunmehr auch für die bei ihm vorliegende Innenohrschwerhörigkeit Entschädigung nach dem OEG begehre. Zur Begründung führte er an, diese Schädigung resultiere aus einem pflichtwidrigen Verhalten der bei seiner Geburt verantwortlichen Hebamme. Der länger zurückliegenden Schilderung seiner Mutter, zu der heute kein Kontakt mehr bestehe, entnehme er im Nachhinein, dass die Hebamme gebotene Hilfe unterlassen habe. Er nehme an, dass eine nicht rechtzeitig erkannte postnatale Asphyxie für die damalige Schädigung seines Innenohrhörnervs verantwortlich zu machen sei.
Mit Bescheid vom 24.02.2011 lehnte der Beklagte den Antrag auf Opferentschädigung mit der Begründung ab, der angebliche Missbrauch durch den Pfarrer sei nicht erwiesen Es lägen hierzu ausschließlich die Angaben des Klägers zu den beklagten Übergriffen vor, die aber erstmals Anfang des Jahres 2010 erhoben worden seien. Davor gebe es keine Hinweise auf die geklagten Übergriffe. Weder gegenüber seiner Psychotherapeutin noch im Rahmen mehrerer Begutachtungen durch Ärzte für das Landgericht Landau habe der Kläger über die erlebten sexuellen Übergriffe berichtet. Im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung hätten auch keine Zeugen oder andere Beweismittel ermittelt werden können, die objektiv zur Bestätigung der gegen den Pfarrer erhobenen Vorwürfe hätten beitragen können. Bezüglich der geklagten Sorgfaltspflichtverletzung der Hebamme bei seiner Geburt fände sich aus dem vom Kläger gemachten Sachvortrag kein Hinweis auf ein vorsätzliches oder rechtswidriges Verhalten der Hebamme. Evtl. fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzungen würden keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem OEG begründen.
Seinen hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger unter anderem damit, dass das grob pflichtwidrige und verantwortungslose Handeln bzw. Nichthandeln der Hebamme in seinem Fall zu einer schweren, lebenslänglichen und nur bedingt therapierbaren Hochtoninnenohrschwerhörigkeit geführt habe. Diese sei neben der unmittelbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung Auslöser einer schweren sozialen Isolation und Deprivation gewesen. Wegen des beklagten sexuellen Missbrauchs durch den Pfarrer sei in seinem Fall die Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) anzuwenden. Es sei daher allein auf seine Glaubwürdigkeit abzustellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Widerspruchsbescheid wiederholte der Beklagte im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Bescheid und führte ergänzend aus, dass hinsichtlich der Sorgfaltspflichtverletzung der Hebamme eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG nicht begründen könne, da eine vom Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung getragene Handlung erforderlich sei.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 09.06.2011 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Ergänzend und vertiefend hat er unter anderem ausgeführt, das Verhalten der Hebamme bei seiner Geburt erfülle den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung des § 323c Strafgesetzbuch (StGB), denn sie habe in ihrer Garantenstellung die bei seiner Geburt gebotene Hilfe unterlassen. Auf Nachfrage des SG hat der Kläger ergänzend ausgeführt, im Verlauf des Geburtsvorganges seien erhebliche Komplikationen aufgetreten, die auf eine Fehleinschätzung der Hebamme zurückzuführen gewesen seien und als deren unmittelbare Folge eine perinatale Asphyxie mit einer damit zusammenhängenden Hypoxämie/Hypoxie bei ihm aufgetreten sei. Dies sei mit weiteren schädigenden Folgen nicht nur für die beidseitige hochgradige Innenohrschwerhörigkeit und den daraus resultierenden Sprachfehler ursächlich geworden, sondern auch für alle weiteren von der Norm abweichenden MRT-Befunde seines Gehirns.
Mit Urteil vom 10.10.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Der vom Kläger behauptete sexuelle Missbrauch durch den Gemeindepfarrer sei nicht zur Überzeugung des SG nachgewiesen. Bezüglich der geltend gemachten Schädigung durch die Hebamme bei seiner Geburt sei zum einen nicht ersichtlich, in welcher Handlung bzw. welchem Unterlassen der Hebamme ein solcher vorsätzlicher Angriff liegen solle, zum anderen habe der Kläger selbst vorgetragen, die Hebamme habe fahrlässig gehandelt.
Gegen das ihm am 23.10.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.11.2012 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung hat der Kläger unter anderem angeführt, das SG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Ein von ihm verfasster Bericht über die seinerzeitigen Geschehnisse des Missbrauchs sei vom Gericht schlicht ignoriert worden. Wegen der rechtswidrigen Sorgfaltspflichtverletzung der Hebamme habe das Gericht seine Amtsermittlungspflicht verletzt, da es die Mutter des Klägers nicht befragt habe. Er habe ja bereits den Beweis für ein sorgfaltswidriges Verhalten der Hebamme erbracht, in dem er die Schilderung seiner Mutter, bei der Geburt sei ein Sauerstoffmangel entstanden und die Hebamme habe einen Fehler gemacht, dargelegt habe unter Verweis auf medizinische Kausalzusammenhänge.
Der Kläger hat dem Senat einen "Bericht über den Tathergang des an mir jahrelang verübten sexuellen Missbrauchs" von April 2010 vorgelegt.
Mit Schreiben datiert auf den 17.06.2013 (eingegangen am 16.06.2013) hat der Kläger seine Berufung in Bezug auf die Missbrauchsvorwürfe zurückgenommen.
Der Kläger beantragt nunmehr sachdienlich gefasst,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Oktober 2012 teilweise aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 24. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2011 teilweise aufzuheben und festzustellen, dass er durch das Verhalten der Hebamme bei seiner Geburt Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die getroffenen Entscheidungen für richtig.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat die Mutter des Klägers, Frau E. K., schriftlich als Zeugin befragt, welche von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und keine Angaben zur Sache gemacht hat.
Der Kläger hat auf Nachfrage angegeben, sich weder aktuell noch in zurückliegender Zeit in psychiatrischer oder psychologischer/psychotherapeutischer Behandlung befunden zu haben.
Zunächst hat der Kläger am 21.02.2013 Verzögerungsrüge erhoben. Er hat weiter im Wege der einstweiligen Anordnung die Neuversorgung mit Hörhilfen beantragt (L 6 VG 2364/13 ER) und im Wege der Anhörungsrüge eine Aufhebung des Verhandlungstermins begehrt (L 6 VG 2396/13 RG). Mit Beschluss vom 18.06.2013 hat der Senat die Anhörungsrüge als unzulässig verworfen und mit weiterem Beschluss vom 19.06.2013 die einstweilige Anordnung an das SG verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Behördenakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung wurde gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt.
Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Der Kläger erstrebt im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Aufhebung der die Gewährung von Leistungen ablehnenden - und auch einer künftigen Leistungsgewährung entgegenstehenden - Verwaltungsentscheidung des Beklagten sowie die gerichtliche Feststellung, dass er als Opfer einer Gewalttat im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG gesundheitliche Schädigungen erlitten hat. Nachdem der Beklagte insgesamt die Gewährung von Leistungen mangels des Vorliegens der Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 OEG abgelehnt hat, wäre vorliegend in Ermangelung einer vom Beklagten getroffenen Verwaltungsentscheidung über konkrete Entschädigungsleistungen die gerichtliche Geltendmachung eines Leistungsanspruches auf Gewährung von (unbenannten) Versorgungsleistungen nicht zulässig (ständige Senatsrechtsprechung unter Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R - zit. nach juris). Vielmehr ist zunächst die in Rede stehende und vom Beklagten verneinte Voraussetzung möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Einem auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gerichteten Leistungs- und Verpflichtungsantrag käme bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (siehe bereits Senatsurteil vom 09.06.2011 - L 6 VG 3447/10). Nach alledem besteht ein Feststellungsinteresse des Klägers und es ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage auch nicht subsidiär.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nach der teilweisen Berufungsrücknahme nur noch die behauptete Schädigung bei der Geburt durch die Hebamme.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Auch zur Überzeugung des Senats hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung, dass er Opfer einer Gewalttat geworden ist. Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 OEG.
Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtsmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG).
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffes nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 Strafgesetzbuch - StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, zeichnet sich der tätliche Angriff abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor, selbst jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus (BSG, Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVG 4/93 und RVG 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw. SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 zum sexuellen Missbrauch von Kindern). Gewalttat im Sinne des OEG kann daher auch der in "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein.
Im Verhalten der Hebamme bei seiner Geburt liegt kein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 OEG.
Der Senat konnte durch die vom Kläger beantragte Vernehmung seiner Mutter keine Erkenntnisse zu den damaligen Vorgängen gewinnen, da diese von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Somit liegen zur Erkenntnisgewinnung lediglich die Angaben des Klägers vor. Weitere Ermittlungsansätze bestehen nicht, nachdem die Hebamme den Kläger zufolge verstorben ist.
Der Kläger will im Grunde seine angeborene Hörminderung, für die er keine andere Erklärung findet, auf eine Schädigung während der Geburt zurückzuführen, ohne dass es irgendwelche substantiellen Hinweise darauf gibt, dass es zu einer Sauerstoffunterversorgung gekommen ist. Denn diese hätte zum einen eine ärztliche Intervention oder eine Krankenhauseinweisung nach sich ziehen müssen bzw. es wäre mit einer Gehirnschädigung zu rechnen gewesen, wie es dem Senat aus einer Vielzahl anderer Fälle bekannt ist. Der Senat brauchte den Sachverhalt indessen nicht weiter aufzuklären, denn auch bei Unterstellung der Richtigkeit der klägerischen Behauptungen fehlt es in Ermangelung einer vorsätzlichen Tat an einem entschädigungspflichtigen Ereignis im Sinne des § 1 OEG.
Soweit der Kläger pauschal geltend macht, die Hebamme habe eine Sauerstoffunterversorgung nicht erkannt, daher eine Hilfeleistung unterlassen und sich des Straftatbestandes der unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB strafbar gemacht, so stellt eine solche Unterlassung nach der Rechtsprechung des BSG bereits keinen rechtswidrigen, vorsätzlichen tätlichen Angriff im Sinne des OEG dar (BSG, Urteil vom 12.06.2003 - B 9 VG 11/02 B; Urteil vom 10.11.1993 - 9 RVg 2/93). Bezüglich einer der Handlung einer Hebamme vergleichbaren, ärztlichen Behandlung sind nach der Rechtsprechung des BSG zwar durchaus Fälle denkbar, bei denen ein vorsätzlicher Aufklärungsmangel zu einer strafbaren vorsätzlichen Körperverletzung führt, es wegen einer vorhandenen Heilungsabsicht jedoch nicht gerechtfertigt ist, den ärztlichen Eingriff als eine gezielte gewaltsame Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten, mithin als eine feindselige Angriffshandlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, zu bewerten (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R- Rz. 41 zit. nach juris). Für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs müssen deshalb - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Nach Auffassung des BSG wird ein Patient unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dem Vortrag des Klägers ist dies gerade nicht zu entnehmen. Eine (vorsätzliche) feindselige Willensrichtung wird nicht geschildert, vielmehr führt er an, die Hebamme habe fahrlässig ihre Sorgfaltspflichten verletzt.
§ 1 Abs. 1 OEG fordert jedoch, eine vorsätzliche Tatbegehung. Der Vorsatz hat sich insoweit auf die Angriffshandlung - also die in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf den Erfolg - zu beziehen (BSG, Urteil vom 04.02.1998 - B 9 VG 5/96 R). Unterstellt man den Vortrag des Kläger, ist nur von einer nur fahrlässigen Tat auszugehen, welche jedoch keine Entschädigung nach dem OEG begründen kann.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist nur noch streitig, ob der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) wurde, weil die Hebamme bei seiner Geburt eine perinale Asphyxie (Sauerstoffunterversorgung) nicht erkannt hat.
Der am 07.11.1958 geborene Kläger, der an einer beidseitigen angeborenen Innenohrschwerhörigkeit leidet, ist gelernter Industrie-Kaufmann. Zuletzt war er als Programmierer und selbständiger EDV-Berater bis März 2006 tätig, seither ist er arbeitsunfähig. Der Kläger ist seit 1986 mit der an paranoiden Schizophrenie leidenden E. K. verheiratet und Vater einer 1988 geborenen Tochter, zu der kein Kontakt besteht.
Er stellte am 20.04.2010 bei dem Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG mit der Begründung, in der Zeit von 1968 bis 1972 von dem damals in der St. Nikolaus-Gemeinde B. tätigen katholischen Gemeindepfarrer L. B. sexuell missbraucht, vergewaltigt und gezüchtigt worden zu sein.
Der Kläger legte das Schreiben seiner Rechtsanwältin L. vom 14.04.2010 an die Diözese Sp. vor (Bl. 18 - 22 Verw.-A), in dem detailliert die Missbrauchshandlungen aufgelistet wurden.
Der Beklagte trat sodann in Ermittlungen ein und zog die Schwerbehindertenakten des Klägers bei. Mit Bescheid vom 05.07.2010 war bei dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 seit dem 01.04.2006 festgestellt worden. Als Funktionsbeeinträchtigungen hatte das Versorgungsamt eine Schwerhörigkeit beidseits (Einzel-GdB 60), eine Polyneuropathie sowie einen Diabetes mellitus (mit Diät und Insulin einstellbar) anerkannt. Anfragen bei dem Katholischen Pfarramt St. Nikolaus in B., dem Bistum Sp., dem bischöflichen Ordinariat, der Diözese Sp., dem Beauftragten Bischoff A. und der Beauftragten der Bundesregierung zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs brachten ebenso wenig weitere Erkenntnisse, wie die schriftliche Befragung früherer, für den Pfarrer tätiger Messdiener.
Während des Verwaltungsverfahrens erweiterte der Kläger mit Schreiben vom 10.06.2010 seinen Antrag dahingehend, dass er nunmehr auch für die bei ihm vorliegende Innenohrschwerhörigkeit Entschädigung nach dem OEG begehre. Zur Begründung führte er an, diese Schädigung resultiere aus einem pflichtwidrigen Verhalten der bei seiner Geburt verantwortlichen Hebamme. Der länger zurückliegenden Schilderung seiner Mutter, zu der heute kein Kontakt mehr bestehe, entnehme er im Nachhinein, dass die Hebamme gebotene Hilfe unterlassen habe. Er nehme an, dass eine nicht rechtzeitig erkannte postnatale Asphyxie für die damalige Schädigung seines Innenohrhörnervs verantwortlich zu machen sei.
Mit Bescheid vom 24.02.2011 lehnte der Beklagte den Antrag auf Opferentschädigung mit der Begründung ab, der angebliche Missbrauch durch den Pfarrer sei nicht erwiesen Es lägen hierzu ausschließlich die Angaben des Klägers zu den beklagten Übergriffen vor, die aber erstmals Anfang des Jahres 2010 erhoben worden seien. Davor gebe es keine Hinweise auf die geklagten Übergriffe. Weder gegenüber seiner Psychotherapeutin noch im Rahmen mehrerer Begutachtungen durch Ärzte für das Landgericht Landau habe der Kläger über die erlebten sexuellen Übergriffe berichtet. Im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung hätten auch keine Zeugen oder andere Beweismittel ermittelt werden können, die objektiv zur Bestätigung der gegen den Pfarrer erhobenen Vorwürfe hätten beitragen können. Bezüglich der geklagten Sorgfaltspflichtverletzung der Hebamme bei seiner Geburt fände sich aus dem vom Kläger gemachten Sachvortrag kein Hinweis auf ein vorsätzliches oder rechtswidriges Verhalten der Hebamme. Evtl. fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzungen würden keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem OEG begründen.
Seinen hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger unter anderem damit, dass das grob pflichtwidrige und verantwortungslose Handeln bzw. Nichthandeln der Hebamme in seinem Fall zu einer schweren, lebenslänglichen und nur bedingt therapierbaren Hochtoninnenohrschwerhörigkeit geführt habe. Diese sei neben der unmittelbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung Auslöser einer schweren sozialen Isolation und Deprivation gewesen. Wegen des beklagten sexuellen Missbrauchs durch den Pfarrer sei in seinem Fall die Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) anzuwenden. Es sei daher allein auf seine Glaubwürdigkeit abzustellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Widerspruchsbescheid wiederholte der Beklagte im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Bescheid und führte ergänzend aus, dass hinsichtlich der Sorgfaltspflichtverletzung der Hebamme eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG nicht begründen könne, da eine vom Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung getragene Handlung erforderlich sei.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 09.06.2011 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Ergänzend und vertiefend hat er unter anderem ausgeführt, das Verhalten der Hebamme bei seiner Geburt erfülle den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung des § 323c Strafgesetzbuch (StGB), denn sie habe in ihrer Garantenstellung die bei seiner Geburt gebotene Hilfe unterlassen. Auf Nachfrage des SG hat der Kläger ergänzend ausgeführt, im Verlauf des Geburtsvorganges seien erhebliche Komplikationen aufgetreten, die auf eine Fehleinschätzung der Hebamme zurückzuführen gewesen seien und als deren unmittelbare Folge eine perinatale Asphyxie mit einer damit zusammenhängenden Hypoxämie/Hypoxie bei ihm aufgetreten sei. Dies sei mit weiteren schädigenden Folgen nicht nur für die beidseitige hochgradige Innenohrschwerhörigkeit und den daraus resultierenden Sprachfehler ursächlich geworden, sondern auch für alle weiteren von der Norm abweichenden MRT-Befunde seines Gehirns.
Mit Urteil vom 10.10.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Der vom Kläger behauptete sexuelle Missbrauch durch den Gemeindepfarrer sei nicht zur Überzeugung des SG nachgewiesen. Bezüglich der geltend gemachten Schädigung durch die Hebamme bei seiner Geburt sei zum einen nicht ersichtlich, in welcher Handlung bzw. welchem Unterlassen der Hebamme ein solcher vorsätzlicher Angriff liegen solle, zum anderen habe der Kläger selbst vorgetragen, die Hebamme habe fahrlässig gehandelt.
Gegen das ihm am 23.10.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.11.2012 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung hat der Kläger unter anderem angeführt, das SG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Ein von ihm verfasster Bericht über die seinerzeitigen Geschehnisse des Missbrauchs sei vom Gericht schlicht ignoriert worden. Wegen der rechtswidrigen Sorgfaltspflichtverletzung der Hebamme habe das Gericht seine Amtsermittlungspflicht verletzt, da es die Mutter des Klägers nicht befragt habe. Er habe ja bereits den Beweis für ein sorgfaltswidriges Verhalten der Hebamme erbracht, in dem er die Schilderung seiner Mutter, bei der Geburt sei ein Sauerstoffmangel entstanden und die Hebamme habe einen Fehler gemacht, dargelegt habe unter Verweis auf medizinische Kausalzusammenhänge.
Der Kläger hat dem Senat einen "Bericht über den Tathergang des an mir jahrelang verübten sexuellen Missbrauchs" von April 2010 vorgelegt.
Mit Schreiben datiert auf den 17.06.2013 (eingegangen am 16.06.2013) hat der Kläger seine Berufung in Bezug auf die Missbrauchsvorwürfe zurückgenommen.
Der Kläger beantragt nunmehr sachdienlich gefasst,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Oktober 2012 teilweise aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 24. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2011 teilweise aufzuheben und festzustellen, dass er durch das Verhalten der Hebamme bei seiner Geburt Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die getroffenen Entscheidungen für richtig.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat die Mutter des Klägers, Frau E. K., schriftlich als Zeugin befragt, welche von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und keine Angaben zur Sache gemacht hat.
Der Kläger hat auf Nachfrage angegeben, sich weder aktuell noch in zurückliegender Zeit in psychiatrischer oder psychologischer/psychotherapeutischer Behandlung befunden zu haben.
Zunächst hat der Kläger am 21.02.2013 Verzögerungsrüge erhoben. Er hat weiter im Wege der einstweiligen Anordnung die Neuversorgung mit Hörhilfen beantragt (L 6 VG 2364/13 ER) und im Wege der Anhörungsrüge eine Aufhebung des Verhandlungstermins begehrt (L 6 VG 2396/13 RG). Mit Beschluss vom 18.06.2013 hat der Senat die Anhörungsrüge als unzulässig verworfen und mit weiterem Beschluss vom 19.06.2013 die einstweilige Anordnung an das SG verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Behördenakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung wurde gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt.
Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Der Kläger erstrebt im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Aufhebung der die Gewährung von Leistungen ablehnenden - und auch einer künftigen Leistungsgewährung entgegenstehenden - Verwaltungsentscheidung des Beklagten sowie die gerichtliche Feststellung, dass er als Opfer einer Gewalttat im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG gesundheitliche Schädigungen erlitten hat. Nachdem der Beklagte insgesamt die Gewährung von Leistungen mangels des Vorliegens der Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 OEG abgelehnt hat, wäre vorliegend in Ermangelung einer vom Beklagten getroffenen Verwaltungsentscheidung über konkrete Entschädigungsleistungen die gerichtliche Geltendmachung eines Leistungsanspruches auf Gewährung von (unbenannten) Versorgungsleistungen nicht zulässig (ständige Senatsrechtsprechung unter Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R - zit. nach juris). Vielmehr ist zunächst die in Rede stehende und vom Beklagten verneinte Voraussetzung möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Einem auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gerichteten Leistungs- und Verpflichtungsantrag käme bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (siehe bereits Senatsurteil vom 09.06.2011 - L 6 VG 3447/10). Nach alledem besteht ein Feststellungsinteresse des Klägers und es ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage auch nicht subsidiär.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nach der teilweisen Berufungsrücknahme nur noch die behauptete Schädigung bei der Geburt durch die Hebamme.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Auch zur Überzeugung des Senats hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung, dass er Opfer einer Gewalttat geworden ist. Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 OEG.
Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtsmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG).
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffes nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 Strafgesetzbuch - StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, zeichnet sich der tätliche Angriff abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor, selbst jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus (BSG, Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVG 4/93 und RVG 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw. SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 zum sexuellen Missbrauch von Kindern). Gewalttat im Sinne des OEG kann daher auch der in "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein.
Im Verhalten der Hebamme bei seiner Geburt liegt kein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 OEG.
Der Senat konnte durch die vom Kläger beantragte Vernehmung seiner Mutter keine Erkenntnisse zu den damaligen Vorgängen gewinnen, da diese von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Somit liegen zur Erkenntnisgewinnung lediglich die Angaben des Klägers vor. Weitere Ermittlungsansätze bestehen nicht, nachdem die Hebamme den Kläger zufolge verstorben ist.
Der Kläger will im Grunde seine angeborene Hörminderung, für die er keine andere Erklärung findet, auf eine Schädigung während der Geburt zurückzuführen, ohne dass es irgendwelche substantiellen Hinweise darauf gibt, dass es zu einer Sauerstoffunterversorgung gekommen ist. Denn diese hätte zum einen eine ärztliche Intervention oder eine Krankenhauseinweisung nach sich ziehen müssen bzw. es wäre mit einer Gehirnschädigung zu rechnen gewesen, wie es dem Senat aus einer Vielzahl anderer Fälle bekannt ist. Der Senat brauchte den Sachverhalt indessen nicht weiter aufzuklären, denn auch bei Unterstellung der Richtigkeit der klägerischen Behauptungen fehlt es in Ermangelung einer vorsätzlichen Tat an einem entschädigungspflichtigen Ereignis im Sinne des § 1 OEG.
Soweit der Kläger pauschal geltend macht, die Hebamme habe eine Sauerstoffunterversorgung nicht erkannt, daher eine Hilfeleistung unterlassen und sich des Straftatbestandes der unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB strafbar gemacht, so stellt eine solche Unterlassung nach der Rechtsprechung des BSG bereits keinen rechtswidrigen, vorsätzlichen tätlichen Angriff im Sinne des OEG dar (BSG, Urteil vom 12.06.2003 - B 9 VG 11/02 B; Urteil vom 10.11.1993 - 9 RVg 2/93). Bezüglich einer der Handlung einer Hebamme vergleichbaren, ärztlichen Behandlung sind nach der Rechtsprechung des BSG zwar durchaus Fälle denkbar, bei denen ein vorsätzlicher Aufklärungsmangel zu einer strafbaren vorsätzlichen Körperverletzung führt, es wegen einer vorhandenen Heilungsabsicht jedoch nicht gerechtfertigt ist, den ärztlichen Eingriff als eine gezielte gewaltsame Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten, mithin als eine feindselige Angriffshandlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, zu bewerten (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R- Rz. 41 zit. nach juris). Für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs müssen deshalb - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Nach Auffassung des BSG wird ein Patient unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dem Vortrag des Klägers ist dies gerade nicht zu entnehmen. Eine (vorsätzliche) feindselige Willensrichtung wird nicht geschildert, vielmehr führt er an, die Hebamme habe fahrlässig ihre Sorgfaltspflichten verletzt.
§ 1 Abs. 1 OEG fordert jedoch, eine vorsätzliche Tatbegehung. Der Vorsatz hat sich insoweit auf die Angriffshandlung - also die in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf den Erfolg - zu beziehen (BSG, Urteil vom 04.02.1998 - B 9 VG 5/96 R). Unterstellt man den Vortrag des Kläger, ist nur von einer nur fahrlässigen Tat auszugehen, welche jedoch keine Entschädigung nach dem OEG begründen kann.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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