L 11 KR 2003/13 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 2515/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2003/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Aufzeichnungen des Arztes in seinen Praxisunterlagen können
keine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit iSd § 46 Satz 1
Nr 2 SGB V enthalten. Die vom BSG im Urteil vom 10.05.2012
(B 1 KR 20/11 R, BSGE 111, 18) hervorgehobene Unterscheidung
zwischen der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, der
Bescheinigung der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit und der
Meldung der Arbeitsunfähigkeit ändert nichts an der Tatsache, dass
die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in einer schriftlichen
Erklärung verkörpert sein muss, die dem Versicherten, seinem
Arbeitgeber oder der Krankenkasse ausgehändigt wird.
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26.03.2013 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die am 29.04.2013 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG; Eingang beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) am 08.05.2013) eingegangene Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des SG vom 26.03.2013, der ihrem Prozessbevollmächtigten am 27.03.2013 per Fax und am 04.02.2013 im Original zugestellt wurde, ist zulässig. Sie ist auch fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegt worden. Die Beschwerde der Klägerin ist nicht gemäß § 172 Abs 3 Nr 2 SGG in der ab 01.04.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 29 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGBl I 2008, 444) ausgeschlossen und daher statthaft. Das Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat nicht die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe (PKH) verneint, sondern die Bewilligung von PKH wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt; soweit es Ausführungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen macht, hat das SG selbst ausgeführt, es komme hierauf nicht an, da der Antrag mangels Erfolgsaussicht abgelehnt werde.

Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) zu Recht abgelehnt. Gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei sind keine überspannten Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des Senats unter Hinweis auf BVerfG 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 357). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist ua dann regelmäßig zu bejahen, wenn der Ausgang des Rechtsschutzverfahrens als offen zu bezeichnen ist. Zu beachten ist dabei, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu dienen soll, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren zu verlagern. Dieses Verfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (BVerfG 16.01.2013, 1 BvR 2004/10, NJW 2013, 1148; 02.03.2000, 1 BvR 2224/98, NJW 2000, 2098). PKH ist deshalb zu gewähren, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt (vgl BVerfG, Kammerbeschluss, 04.02.2004, 1 BvR 596/03, NJW 2004, 1789, 1790; Bundesgerichtshof (BGH), 10.12.1997, IV ZR 238/97, NJW 1998, 1154; Bundesfinanzhof (BFH), 27.11.1998, VI B 120/98, juris). Wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, kann die Gewährung von PKH allerdings abgelehnt werden, wenn die Beantwortung der Rechtsfrage im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint (BVerfG, 11.03.2010, 1 BvR 365/09, NJW 2010, 1657 mwN). PKH kann des Weiteren verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347).

Für die gemäß § 114 Satz 1 ZPO vorzunehmende Erfolgsprognose ist der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung Entscheidungsgrundlage, wenn alsbald nach Entscheidungsreife entschieden wird (BGH 18.11.2009, XII ZB 152/09, FamRZ 2010, 197). Entscheidungsreife liegt vor, wenn der Antragsteller alle für die Bewilligung der PKH erforderlichen Unterlagen vorgelegt hat, insbesondere gemäß § 117 Abs 2 und 4 ZPO den vollständig ausgefüllten Vordruck über die Erklärung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die entsprechenden Belege, wenn der Gegner gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hat und alle Erhebungen im Sinne von § 118 Abs 2 Sätze 1 bis 3 ZPO zur Klärung der hinreichenden Erfolgsaussicht des PKH-Antrags durchgeführt worden sind (Beschluss des Senats 27.04.2010, L 11 R 6027/09 B, juris; LSG Nordrhein-Westfalen 29.06.2009, L 20 B 6/09 AS, juris).

Entscheidungsreife des am 11.03.2013 gestellten PKH-Antrags ist vorliegend am 25.03.2013 mit Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin eingetreten. Bezogen auf diesem Zeitpunkt bot der Rechtsstreit jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zu diesem Zeitpunkt hatte das SG bereits eine Beweisaufnahme durch Befragung des die Klägerin behandelnden Arztes Dr. F. als sachverständigen Zeugen; die Beteiligten hatten bereits Gelegenheit, zur Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Das Ergebnis der ist daher bei der Beurteilung des Vorliegens hinreichender Erfolgsaussichten iSd § 114 ZPO zu berücksichtigen.

Versicherte haben gemäß § 44 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41 SGB V) behandelt werden. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (§ 46 Satz 1 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bestimmt allein das bei Entstehen eines Krankengeldanspruchs bestehende Versicherungsverhältnis, wer in welchem Umfang als Versicherter Anspruch auf Krankengeld hat (vgl BSG 05.05.2009, B 1 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 4; BSG 02.11.2007, B 1 KR 38/06 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 14). Wird das Krankengeld abschnittsweise gewährt, ist das Vorliegen der leistungsrechtlichen Voraussetzungen des Krankengeldes für jeden weiteren Bewilligungsabschnitt neu zu prüfen (BSG 22.03.2005, B 1 KR 22/04 R, BSGE 94, 247 = SozR 4-2500 § 44 Nr 6 = juris).

Insoweit hat das SG zutreffend festgestellt, dass die Klägerin zwar bis 15.03.2012 mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit konnte gemäß § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V aber erst ab dem Folgetag, mithin dem 17.03.2012, wirken. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin aber nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Auch liegt kein Fall vor, in dem rückwirkend Arbeitsunfähigkeit bescheinigt werden durfte. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Beschluss nimmt der Senat Bezug und weist die Beschwerde aus diesen Gründen als unbegründet zurück (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG). Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das BSG (10.05.2012, B 1 KR 20/11 R, BSGE 111, 18-24 = SozR 4-2500 § 46 Nr 4 = juris RdNr 13) - wie von der Klägerin ausgeführt - entschieden hat, dass eine ärztliche Feststellung aus vorangegangener Zeit, die den weiteren Bewilligungsabschnitt mit umfasse, als für § 46 S 1 Nr 2 SGB V ausreichend anzusehen sei. Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit müsse nicht zwingend durch einen Vertragsarzt erfolgen (BSG aaO mwN). Entsprechendes gelte für die Art und Weise der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Diese erfülle auch dann die Voraussetzungen des § 46 S 1 Nr 2 SGB V, wenn sie nicht auf dem durch § 5 Abs 1 oder § 6 Abs 1 AU-RL dafür vorgesehenen Vordruck (Muster Nr 1 bzw 17) erfolgt sei.

Nach der Rechtsprechung des BSG kann damit zwar Arbeitsunfähigkeit auch anders als durch Verwendung der dafür vorgesehenen Vordrucke festgestellt werden. Doch genügen dafür Aufzeichnungen in der vom behandelnden Arzt geführten Dokumentation nicht. Die vom BSG im Urteil vom 10.05.2012 (aaO) hervorgehobene Unterscheidung zwischen der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, der Bescheinigung der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit und der Meldung der Arbeitsunfähigkeit ändert nichts an der Tatsache, dass die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in einer schriftlichen Erklärung verkörpert sein muss, die dem Versicherten, seinem Arbeitgeber oder der Krankenkasse ausgehändigt wird. Die Ausführungen des BSG beziehen sich nur auf die Form der Bescheinigung, nicht auf die - schon immer bejahte - Notwendigkeit einer solchen. Aufzeichnungen des Arztes in seinen Praxisunterlagen können daher keine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit iSd § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V enthalten. Auf dieser Grundlage und nach eigener Prüfung im Beschwerdeverfahren wie auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Beschwerde- und Berufungsverfahren (L 11 KR 2080/13) konnte der Senat eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit nicht annehmen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 4 Zivilprozessordnung).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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