L 6 SB 407/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 4554/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 407/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Januar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers.

Der 1959 in Spanien geborene und 1982 nach Deutschland übergesiedelte, adipöse (90 kg bei 1,76 cm) Kläger hat keine Berufsausbildung. Seit Mai 2011 arbeitet er als Hausmeister in einer Kanzlei. Er ist verheiratet, ohne Kinder und bewohnt mit seiner Ehefrau ein Eigenheim.

Der Beklagte hatte zuletzt mit Bescheid vom 17.02.2003 einen GdB von 30 seit dem 04.11.2002 wegen Teillähmung des linken Wadenbeinnervs und Gebrauchseinschränkung des linken Fußes festgestellt.

Am 14.03.2011 beantragte der Kläger unter Vorlage von Befundberichten seiner behandelnden Ärzte die Erhöhung des GdB. Nach Beiziehung eines Befundberichtes der behandelnden Allgemeinärztin Dr. O.-R. schlug der Versorgungsarzt Dr. B. einen Gesamt-GdB von 40 seit dem 14.03.2011 vor (Teillähmung des linken Wadenbeinnervs, Gebrauchseinschränkung des linken Fußes [Teil-GdB 30], Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, chronisches Schmerz-Syndrom [Teil-GdB 20], depressive Verstimmung [Teil-GdB 10]). Gestützt auf die Einschätzung von Dr. B. sowie unter Wiederholung der in der versorgungsärztlichen Stellungnahme angeführten Funktionsbeeinträchtigungen änderte der Beklagte den Bescheid vom 17.02.2003 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab, berücksichtigte zusätzlich die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und die depressive Verstimmung und stellte bei dem Kläger einen GdB von 40 seit dem 14.03.2011 fest.

Der Kläger erhob Widerspruch unter Vorlage eines Befundberichtes des behandelnden Neurologen und Psychiaters S. mit der Begründung, die bei ihm vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen seien nicht in ausreichendem Maße gewürdigt, vielmehr sei ein GdB von 70 angemessen. Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K., welcher trotz Erhöhung des Teil-GdB für die Depression auf 20 weiterhin von einem Gesamt-GdB von 40 ausging, zog der Beklagte den Rehabilitations-Entlassungsbericht der St. R.-Kliniken vom 21.03.2011 (stationärer Aufenthalt vom 08.02.2011 bis zum 08.03.2011, rezidivierende Lumboischialgie rechts bei NPP L 4/5, Zustand nach Sprunggelenksfraktur links 2000, leichte Bewegungseinschränkungen, Risikoverhalten: 1 Flasche Wein pro Tag) bei und holte eine erneute versorgungsärztliche Stellungnahme bei Dr. W. ein. Dieser führte aus, da dem vorgelegten Entlassungsbericht keinerlei Paresen der Beine zu entnehmen sei, müsse davon ausgegangen werden, dass der bisherige Teil-GdB von 30 für die Teillähmung des Wadenbeinnervs, sofern überhaupt noch begründbar, deutlich überhöht sei. Der Gesamt-GdB von 40 sei nicht zu erhöhen. Dementsprechend wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2011 den Widerspruch als unbegründet zurück. In den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 17.02.2003 zugrunde lagen, sei eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X insoweit eingetreten, dass ein Wirbelsäulenleiden und eine depressive Verstimmung als weitere Funktionsbeeinträchtigungen hinzugekommen seien. Die vorgenommene Erhöhung des GdB auf 40 gebe das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Änderungen des Gesundheitszustandes wieder. Eine weitere Erhöhung des GdB lasse sich nicht begründen.

Am 04.11.2011 hat der Kläger mit dem Ziel, die Feststellung eines GdB von wenigstens 70 zu erreichen, Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben Zur Begründung hat er vorgetragen, durch die andauernden Depressionen, die chronische Teillähmung des rechten Beinnervs sowie des linken Beines und der damit verbundenen Einschränkungen, den bestehenden Bandscheibenvorfall mit erheblicher Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sowie das chronische Schmerzsyndrom sei er in seiner Teilhabe am Leben extrem eingeschränkt. Er sei nicht nur durch die depressive Verstimmung behindert, sondern leide an einer anhaltenden schweren Depression mit wiederkehrenden Rückfällen trotz regelmäßiger Einnahme von Medikamenten. Er leide insbesondere an Existenzängsten. Gänzlich unberücksichtigt seien die andauernden chronischen Schlafstörungen und Schlaflosigkeit sowie die arterielle Hypertonie geblieben.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen vernommen und ein neurologisch-psychiatrisches und ein orthopädisches Gutachten von Amts wegen eingeholt.

Am 02.03.2012 hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie S. mitgeteilt, der Kläger leide an Depression, generalisierter Angststörung, nichtorganischen Schlafstörungen, Bandscheibenvorfällen und Irritation des Nervus peronaeus links. Bei ihm liege eine gedrückte Stimmungslage, stark eingeengte affektive Schwingungsfähigkeit sowie ein reduzierter Antrieb vor. Bei den elektrophysiologischen Zusatzuntersuchungen habe sich eine massiv verzögerte motorische Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus peronaeus links gezeigt. Neurologische Ausfallerscheinungen lägen jedoch nicht vor. Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Bandscheibenschaden und dem chronischen Schmerz-Syndrom halte er einen Teil-GdB von 30 für angemessen. Für die Depression, welche hochdosiert medikamentös mit Venlafaxin 2 x 150 mg sowie Trimipramin zu Nacht behandelt werde, sei ein Teil-GdB von 20 zu niedrig, da es bereits zu sozialen Rückzugstendenzen gekommen sei. Er halte einen Teil-GdB von 40 für angemessen.

Die Allgemeinmedizinerin Dr. O.-R. hat mit Schreiben vom 13.03.2012 angegeben, der Kläger leide unter Schlafstörungen, Grübelzwang, allgemeiner Leistungsminderung, Angstzuständen, teilweisen Panikattacken, Parästhesien am rechten Bein, Reflexausfall des rechten Beines sowie Muskelschwäche, außerdem unter eingeschränkter Beweglichkeit des linken Beines bei Zustand nach Sprunggelenksfraktur links. Sie habe die Diagnosen einer depressiven Störung als mittelgradige Episode sowie eines chronischen Schmerz-Syndroms gestellt. Die Gesundheitsstörungen seien als mittel bis schwer zu bezeichnen. Nicht berücksichtigt habe man von Seiten des Beklagten die Funktionsbehinderung des rechten Beines und die Bandscheibenläsion. Insgesamt sei der GdB bei dem Kläger mit 50 einzuschätzen.

Im Rahmen der Untersuchung für das fachorthopädische Zusatzgutachten von Dr. von St. am 12.07.2012 hat der Kläger mitgeteilt, er habe Anfang der neunziger Jahre eine Sprunggelenksfraktur links erlitten. Seitdem habe er eine Nervenschädigung am linken Bein in Form einer Fußheberschwäche mit Taubheitsgefühl auf der Vorderseite des linken Unterschenkels. Nach längerem Stehen bestünden eine deutliche Schwellneigung und belastungsabhängige Schmerzen im linken oberen Sprunggelenk. Den ehemals aktiv ausgeübten Tennissport habe er vor einem Jahr einstellen müssen. Zwar sei die Beweglichkeit im oberen und unteren Sprunggelenk konzentrisch links um ein Drittel eingeschränkt, das Gangbild sei indessen relativ normal und gelinge auch mit geschlossenen Augen. Seit 2010 bestünden zusätzlich Schmerzen der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung über die Außenseite des rechten Ober- und Unterschenkels bis zum Fuß mit Taubheitsgefühlen im Schmerzausbreitungsgebiet. Sonstige Beschwerden auf orthopädischem Gebiet von Seiten der großen Körpergelenke lägen nicht vor, diese würden auch nicht seitens internistischer Beschwerden berichtet. Der sich in körperlich gutem Allgemeinzustand befindliche Kläger weise einen überdurchschnittlichen Ernährungszustand auf. Dr. von St. hat in seinem Gutachten bei dem Kläger ein degeneratives Lumbal-Syndrom mit intermittierenden Nervenwurzelreiz- und Kompressionserscheinungen L 5 rechts, beginnender rotatorischer Instabilität und röntgenologischen Anzeichen eines primär engen lumbalen Spinalkanals festgestellt sowie eine Teillähmung des linken Nervus peronaeus mit zusätzlicher posttraumatischer Arthrose des linken Sprunggelenkes nach stattgehabter Syndesmosensprengung und Außenknöchelfraktur mit belastungsabhängigen Schmerzen und Bewegungseinschränkung des linken oberen und unteren Sprunggelenks diagnostiziert. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, dass die bisher festgestellten Behinderungen auf orthopädischem Fachgebiet vollständig erfasst und in ihrem Schweregrad auch ausreichend gewürdigt seien. Der Behinderung im Bereich der Wirbelsäule hat Dr. von St. den Schweregrad schwer, den Veränderungen im Bereich des linken oberen und unteren Sprunggelenks mittel bis schwer, zusammen mit der Teillähmung des Nervus peronaeus links und der damit eingetretenen Fußheberschwäche bei Belastung eine funktionelle schwere Einschränkung zugeordnet. Eine wesentliche Änderung in den festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen hat er darin gesehen, dass das degenerative Wirbelsäulen-Syndrom hinzugetreten sei. Die Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule hat er mit einem Teil-GdB von 20, die Funktionsbehinderung des linken Sprunggelenkes unter Einbeziehung der Wadenbeinnervenlähmung mit einem Teil-GdB von 30 bewertet und den Gesamt-GdB auf orthopädischem Fachgebiet auf 40 ab dem Neufeststellungsantrag eingeschätzt.

Bei dem neurologisch-psychiatrisches Hauptgutachten von Dr. E. vom 15.08.2012 hat der Kläger berichtet, er habe seit 20 Jahren eine Nervenverletzung am linken Bein, die Beschwerden seien seither gleichbleibend. Seit Beginn seiner Arbeitslosigkeit im September 2009 leide er an einer depressiven Verstimmung. 2009 und 2010 habe er auch noch einen Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule erlitten. Im Mai 2011 habe er wieder eine neue Stelle gefunden, sei aber zuletzt von September 2011 bis Juni 2012 wegen Depressionen arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen. Psychotherapie mache er keine, er sei seit Mai 2011 in psychiatrischer Behandlung, wobei er monatlich für 10 Minuten mit dem Psychiater spreche, ansonsten bekomme er Medikamente von diesem verschrieben, welche ihm eigentlich nichts brächten. Er leide vor allem an psychischen Problemen. Seit der Kündigung im September 2009 sei seine Stimmung schlecht, er fühle sich kraftlos und könne sich nicht konzentrieren. Er grübele sehr viel über den Alltag, sorge sich über seine Existenz. Früher habe er mehr Geld gehabt, sei Porsche gefahren und habe Urlaub in der Karibik gemacht, das gehe jetzt nicht mehr. Der Antrieb fehle, alles dauere länger und er müsse jeden Schritt detailliert planen. Sozial habe er sich stark zurückgezogen, er habe früher vier bis fünfmal in der Woche im Verein Tennis gespielt, die Mannschaft sei inzwischen in der Oberliga, wegen seines Rückenleidens könne er jedoch sportlich nicht mehr mithalten. Hobbys habe er kaum noch, er mache Sudoku. Außerdem leide er unter Appetitlosigkeit. Weiterhin hat der Kläger angegeben, täglich einen Liter Weinschorle zu trinken, 2010 das Rauchen aufgegeben und in seiner Jugend täglich regelmäßig Haschisch konsumiert zu haben. Er fahre täglich Fahrrad, gehe ab und zu ins Fitnessstudio und verreise noch, was ihm Freude bereitet habe. Er nehme als Antidepressivum Venlafaxin 150 mg morgens und abends jeweils eine Tablette und Trimipramin 40 mg/ml abends 10 ml ein. Im Rahmen der Blutuntersuchung hat sich ein relevanter Medikamentenspielgel im Blut nicht nachweisen lassen. Die affektive Lage sei zum depressiven Pol verschoben, der Kläger wirke niedergeschlagen und belastet, Antrieb und Psychomotorik seien leicht reduziert. Die Gutachterin hat bei dem Kläger ein chronisches Lendenwirbelsäulen-Syndrom bei NPP L 4/5 und L 5/S 1 sowie eine Protrusion L 3/4 mit rezidivierenden Lumboischialgien ohne wesentliche neurologische Ausfälle, eine Teilschädigung des Nervus peronaeus links und eine depressive Episode, mittelschwer mit somatischem Syndrom diagnostiziert. Da kein relevanter Medikamentspiegel im Blut nachweisbar gewesen sei, sei von einer quasi unbehandelten allenfalls mittelschweren Depression auszugehen. Für eine generalisierte Angststörung gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Bei der durchgeführten neuropsychologischen Testung sei der Befund einer Pseudodemenz bei Depression aufgefallen, weshalb Verdeutlichungstendenzen zu diskutieren seien. Eine wesentliche Änderung zum letzten Bescheid vom 17.02.2003 hat die Gutachterin darin gesehen, dass die Teillähmung des linken Wadenbeinnerves und Gebrauchseinschränkung des linken Fußes aus neurologischer Sicht im Hinblick auf die Teillähmung des Nervus peronaeus nur leichten Ausmaßes sei (Sensibilitätsstörung und geringfügige Bewegungseinschränkung der Fußhebung). Darüber hinaus bestünden jetzt Protrusionen und Bandscheibenvorfälle im Bereich der Lendenwirbelsäule mit chronischem Schmerz-Syndrom ohne klinischen oder elektrophysiologischen Hinweis auf eine akute oder chronische radikuläre Schädigung, ohne Schmerzmedikation oder wesentliche Behandlung. 2010 hätte noch keine wesentliche depressive Symptomatik bestanden, sie habe sich erst 2011 entwickelt. Im Hinblick auf die depressive Symptomatik und die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bestehe Übereinstimmung mit der Einschätzung des Versorgungsärztlichen Dienstes (jeweils Teil-GdB 20). Die Teilschädigung des linken Wadenbeinnervs schätze sie lediglich mit 10 ein. Allerdings könne sie keine Stellungnahme zur Bewegungseinschränkung des linken Fußes aufgrund der posttraumatischen Arthrose abgeben. Diesbezüglich hätte sich der orthopädische Sachverständige dahingehend geäußert, dass eine Arthrose des linken Sprunggelenkes bestehe und hier von einem Teil-GdB von 30 auszugehen sei. Dies führe dann insgesamt zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50, die sonst rein neurologisch/psychiatrisch nicht festzustellen wäre.

Mit Urteil vom 09.01.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand des Klägers sei nur insoweit eingetreten, wie vom Beklagten durch die angefochtenen Bescheide anerkannt. Das SG hat die Teillähmung des linken Wadenbeinnervs sowie Gebrauchseinschränkung des linken Fußes mit einem Teil-GdB von 30 bewertet. Die weiter auf orthopädischem Fachgebiet vorliegende Funktionsbehinderung der Wirbelsäule hat das SG gestützt auf die Befunde des Gutachters Dr. von St. und ausgehend von einem mittelgradigen funktionellen Wirbelsäulen-Syndrom in einem Wirbelsäulenabschnitt mit einem Teil-GdB von 20 bewertet. Die nach Ansicht des SG bei dem Kläger auf nervenfachärztlichem Gebiet vorliegende depressive Episode hat es mit einem Teil-GdB von 20 berücksichtigt und sich hierzu auf die Befunde der Gutachterin Dr. E. gestützt, nach deren Einschätzung die psychische Störung als leicht bis allenfalls mittelschwer einzuschätzen sei. Den Gesamt-GdB hat das SG mit 40 seit dem 14.03.2011 bewertet und bei Feststellung des Gesamt-GdB darauf hingewiesen, dass nicht unberücksichtigt bleiben dürfe, dass der Kläger das von ihm verordnete Antidepressivum Venlafaxin ausweislich des Gutachtens von Dr. E. nicht regelmäßig eingenommen habe und die depressive Episode somit zum Zeitpunkt der Begutachtung quasi unbehandelt gewesen sei. Insoweit sei auch die Aussage des behandelnden Neurologen und Psychiaters S. zu relativieren, der angesichts der hohen Dosierung des Venlafaxin davon ausgegangen sei, dass ein Teil-GdB von 40 angemessen sei. Zum einen seien seinem Bericht keine näheren Beschreibungen der Funktionsstörungen zu entnehmen und zum anderen dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Arzt eben davon ausgegangen sei, der Kläger nehme die von ihm rezeptierten Medikamente tatsächlich ein. Angesichts der ausführlichen Begutachtungen komme den Aussagen der behandelnden Ärzte geringeres Gewicht zu.

Gegen das am 16.01.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.01.2013 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung führt er aus, sowohl die Gutachterin Dr. E. als auch die behandelnde Allgemeinärztin Dr. O.-R. seien der Ansicht, bei ihm läge ein Gesamt-GdB von 50 vor. Überdies seien auch die Funktionsbeeinträchtigungen am rechten Bein in Gestalt von Parästhesien, fehlenden Reflexen und Muskelschwäche nicht berücksichtigt worden. Auch leide er nicht nur an einer depressiven Verstimmung, sondern an Angstzuständen, Panikattacken, einer Depression mit nicht organischen Schlafstörungen sowie einer generalisierten Angststörung, was die Medizinerin Dr. O.-R. und der Mediziner S. bestätigt hätten. Im Übrigen ist er der Ansicht, dass das Urteil des SG ein Überraschungsurteil sei. So habe das erstinstanzliche Gericht zur Urteilsbegründung mündlich ausgeführt, man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, ausschlaggebend für die Klagabweisung sei schließlich gewesen, dass er das ihm verordnete Antidepressivum Venlafaxin nach dem Gutachten von Frau Dr. E. nicht regelmäßig eingenommen habe. Die Maßgeblichkeit dieses Aspekts sei somit erstmals nach der Verkündung des Urteils in den Vordergrund gerückt, obwohl die Annahme nachweislich falsch sei. Seine Ehefrau stelle stets seine Medikamente zusammen und sorge dafür, dass er sie auch einnehme; er selbst sei hierzu aufgrund seiner psychischer Leiden außerstande. Da er nach regelmäßiger Einnahme des Antidepressivums Venlafaxin ständig geistig abwesend gewirkt habe, nicht ansprechbar gewesen und seine Libido in erheblichem Maße gesunken sei, habe sie dies eigenmächtig zum Anlass genommen, die Medikation abzusetzen und ihm stattdessen Placebos (gleichfarbige Vitamintabletten) gegeben. Dies sei ohne seine Kenntnis erfolgt, er habe dies nicht bemerkt.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäss),

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Januar 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19. Mai 2011 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2011 zu verurteilen, den Bescheid vom 17. Februar 2003 abzuändern und bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 50 seit dem 14. März 2011 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass der orthopädische Gutachter Dr. von St. mitgeteilt habe, dass die Behinderungen auf seinem Fachgebiet vollständig erfasst und ihrem Schweregrad nach korrekt gewürdigt worden seien. Dem Gutachten von Dr. E. sei zu entnehmen, dass in Verbindung mit den Klägerangaben Verdeutlichungstendenzen zu diskutieren seien und dass es sich bei dem Kläger nicht um eine starke behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis-und Gestaltungsfähigkeit handele, die mit einem Teil-GdB von 30 bis 40 beziffert werden könnte, sondern vielmehr lediglich um eine leichtere psychische Störung, die einen GdB von 20 erreiche. Soweit auf eine Fremdverantwortung für die Einnahme verordneter Medikamente abgehoben werde, sei dies wenig überzeugend und auch nicht entscheidungsrelevant.

Die Berichterstatterin hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes am 22.05.2013 ausführlich erörtert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß erhobene sowie auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet.

Die Rüge des Klägers, durch ein Überraschungsurteil des SG sei er in seinem Recht auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG verletzt worden, verfängt nicht. Gemäß § 62 SGG ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren. Um Überraschungsentscheidungen zu vermeiden, darf das Urteil nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden, die bisher nicht erörtert worden sind, wenn dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht. Die Beteiligten müssen die Gelegenheit erhalten, sich zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern und sie müssen bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen können, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann (Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Beschluss vom 20.09.2012 - 1 BvR 1633/09 - Juris). Eine solche Überraschungsentscheidung liegt aber nicht vor. Soweit der Kläger vorträgt, die fehlende Medikamenteneinnahme sei erstmals in der mündlichen Urteilsbegründung im Termin zur mündlichen Verhandlung zur Sprache gekommen, so entspricht dies nicht den Tatsachen. Vielmehr hat bereits die Neurologin und Psychiaterin Dr. E. in ihrem Gutachten auf Seite 18 darauf hingewiesen, dass der Kläger zur regelmäßigen Einnahme von Venlafaxin befragt diese zwar bestätigt hat, jedoch ein relevanter Spiegel im Blut des Klägers nicht nachweisbar gewesen ist. Die Gutachterin hat deswegen erhebliche Zweifel an der regelmäßigen Einnahme des Medikamentes geäußert und darauf hingewiesen, dass die vorliegende depressive Symptomatik auch ohne relevante Medikation allenfalls mittelschwer, da sie zum Zeitpunkt der Untersuchung praktisch unbehandelt, gewesen ist. Auf diese Äußerung ist weiter der Versorgungsarzt Dr. Pöschel in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.11.2012 (Bl. 128 der SG-Akte) eingegangen. Auch er hat noch einmal darauf hingewiesen, dass eine regelmäßige Einnahme der Antidepressiva durch Bestimmung des Blutspiegels nicht habe bestätigt werden können. Angesichts dieser ärztlichen Stellungnahmen, welche dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich der erstinstanzlichen Gerichtsakte übermittelt wurden, ist eindeutig, dass die Gesichtspunkte, auf die das erstinstanzliche Gericht sich bei der Entscheidung gestützt hat, zur Sprache gekommen sind und dem Klägervertreter zur Kenntnis gebracht wurden. Eine völlig überraschende Entscheidung mit einer Wendung des Rechtsstreites liegt somit in keinster Weise vor.

Das angefochtene Urteil des SG ist auch in der Sache nicht zu beanstanden, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 und eine entsprechende Abänderung der angegriffenen Bescheide.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Erhöhung des bei ihm festgestellten GdB von 40 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, hier des Bescheides vom 17.02.2003, vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 4 und 6 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).

Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe, wobei das Gericht nur bei der Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (erster Schritt) ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen muss (BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - m. w. N.). Bei der Bemessung der Einzel-GdB und des Gesamt-GdB kommt es indessen nach § 69 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Bei diesem zweiten und dritten Verfahrensschritt hat das Tatsachengericht über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Diese Umstände sind in die als sogenannte antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) in der jeweils gültigen Fassung - zuletzt 2008 - einbezogen worden. Dementsprechend waren die AHP nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten (BSG a. a. O.). Für die seit dem 01.01.2009 an deren Stelle getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 - (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) gilt das Gleiche (BSG a. a. O.).

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und alten Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, d. h. für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, d. h. Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (z. B. "Altersdiabetes", "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen - wie im Falle der Klägerin - mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und in wieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein: Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung kann die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber auch nicht verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den Gesamt-GdB. Die diese Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24.06.1998 - B 9 SB 17/97 R). Der Einzel-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Daher und angesichts der angeführten Abstufung des GdB nach Zehnergraden liegt bei einem nur den Behinderungsgrad betreffenden Neufeststellungbegehren eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X auch erst vor, wenn die Änderung des Gesamt-GdB wenigstens 10 beträgt (vgl. Teil A Nr. 7 Buchst. a Satz 1 der VG).

In Anwendung dieser Grundsätze scheidet die vom Kläger erstrebte weitere Erhöhung des GdB im Ergebnis aus. Sein GdB ist mit 40 angemessen bewertet. Insbesondere besteht keine Bindungswirkung an die Einschätzung der Sachverständigen Dr. E., die unter Berücksichtigung der orthopädischen Funktionseinschränkungen einen Gesamt-GdB von 50 für vertretbar erachtet hat. Zum einen erfolgt die Bemessung des GdB als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die diese nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung unter Zugrundelegung der VG trifft. Zum anderen hat Dr. E. zu Recht den Einzel-GdB von 30 für die Funktionseinschränkung seitens des Sprunggelenks für zu hoch erachtet (dazu siehe unten) und nur unter Zugrundelegung dieser Bewertung einen Gesamt-GdB von 50 für angemessen erachtet.

Im Vordergrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen stehen - abweichend von der Einschätzung der behandelnden Ärzte S. und Dr. O.-Rosch - die orthopädischen Funktionsbeeinträchtigungen.

GdB-relevant ist dabei zunächst das neu hinzugekommene Funktionssystem Rumpf. Die bei dem Kläger vorliegenden Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt sind mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend durch die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung, Minderbelastbarkeit und die Beteiligung anderer Organsysteme bestimmt, wobei sich das Funktionsausmaß der Gelenke nach der Neutral-Null-Methode bemisst. Auch bei Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylosthesis, Spinalkanalstenose und den sogenannten Postdiskotomie-Syndrom) ergibt sich nach den VG, Teil B Nr. 18.9 der GdB primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Dementsprechend beträgt bei Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulen-Syndrome) der GdB 20 und erst mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulen-Syndrome) 30.

Die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule sind zur Überzeugung des Senates mit einem Teil-GdB von 20 ausreichend berücksichtigt. Der Senat legt die von Dr. von St. bei der Untersuchung am 12.07.2012 erhobenen Befunde zugrunde. Einen pathologischen Befund hat Dr. von St. im Bereich der Lendenwirbelsäule erhoben. Bei der Vorneigung entfalteten sich Brust- und Lendenwirbelsäule bis zu einem Finger-Boden-Abstand von 20 cm. Das Zeichen nach Ott war mit 30 zu 31,5 cm, das Zeichen nach Schober mit 10 zu 14 cm im Normbereich. Neurologische Defizite, Atrophien oder Paresen hat der Sachverständige nicht festgestellt. Auch Blasen- oder Mastdarmstörungen sind nicht bekannt. Die Beweglichkeit in der klinischen Untersuchung war im Bereich der Lendenwirbelsäule konzentrisch und nur endgradig schmerzhaft eingeschränkt. Röntgenologisch hat Dr. von St. eine Spondylarthrose der mittleren und unteren Lendenwirbelsäule festgestellt. Die Bandscheibenetagen L 3/4 und L 4/5 sind deutlich aufgebraucht mit körpereigenen Abstützreaktionen. Er hat auch Hinweise auf einen primär engen lumbalen Spinalkanal durch Verkürzung der Bogenwurzeln L 4 und L 5 gefunden. Weiter besteht ein beginnendes Drehgleiten L 3/4, welche den Etagen mit der Hauptabnutzung entspricht. Kernspintomographisch war schon früher ein Bandscheibenvorfall L 4/5 sowie eine Bandscheibenprotrusion L 3/4 und L 5/S 1 nachgewiesen worden. Zu diesem Befund passen auch die vom Kläger beklagten rezidivierende Lumboischialgien. In Übereinstimmung mit Dr. von St. konnte auch die Neurologin und Psychiaterin Dr. E. von der Lendenwirbelsäule ausgehende neurologische Ausfallerscheinungen nicht feststellen. Vielmehr zeigten sich weder klinisch noch elektrophysiologisch Hinweise auf eine akute oder chronische Schädigung, was auch erklärt, dass der Kläger weder eine Schmerzmedikation noch irgendeine wesentliche Behandlung durchführt. Der Senat ist daher zu der Einschätzung gelangt, dass in Übereinstimmung mit dem SG bei dem Kläger eine mittelgradige funktionelle Auswirkung in einem Wirbelsäulenabschnitt vorliegt, welche mit einem Teil-GdB von 20 ausreichend bewertet ist. Diese Einschätzung deckt sich auch mit der des orthopädischen Gutachters.

Die Funktionseinschränkungen im Bereich der linken unteren Extremität sind hingegen zur Überzeugung des Senates nur mit einem Teil-GdB von 20 zu berücksichtigen.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 ist eine Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk mittleren Grades (Heben/Senken 0-0-30 Grad) mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten und Bewegungseinschränkungen im unteren Sprunggelenk mit einem Teil-GdB zwischen 0 und 10.

Aus dem Gutachten von Dr. von St. ergibt sich eine Beweglichkeit des linken oberen Sprunggelenkes von 5-0-30 Grad. Dies entspricht nach den VG einer Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk mittleren Grades und ist mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Der um ca. ein Drittel geminderten Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk links ist ebenfalls mit einem Teil-GdB von 10 Rechnung zu tragen. Röntgenologisch hat Dr. von St. im Bereich des linken Sprunggelenkes auch nur eine beginnende Arthrose feststellen können. Dabei ist weiter die Teillähmung des Nervus peronaeus zu berücksichtigen. Nach den VG, Teil B Nr. 18.14 ist nur ein vollständiger Nervenausfall des Nervus peronaeus communis und profundus mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten.

Aus dem Gutachten von Dr. E. geht hervor, dass im Bereich des Nervus peronaeus die Nervenleitgeschwindigkeit verzögert war. Ein vollständiger Ausfall dieses Nervs ist jedoch nicht dokumentiert, vielmehr besteht nur eine Sensibilitätsstörung und eine Fußheberschwäche geringfügigen Ausmaßes. Die Teillähmung des Nervs hat die Gutachterin daher zutreffend nur mit einem Teil-GdB von 10 bewertet, dem schließt sich der Senat an.

In der Gesamtschau der bei dem Kläger im Bereich der linken unteren Extremität vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen hält der Senat abweichend von Dr. von St. und der versorgungsärztlichen Stellungnahme einen Teil-GdB von 20 für ausreichend. Hierbei berücksichtigt der Senat, dass der Kläger in der Funktionalität seiner linken unteren Extremität nicht so schwer eingeschränkt ist, dass ein höherer GdB angezeigt wäre. Denn auch bei Berücksichtigung der posttraumtischen Arthrose kann der Kläger das Sprunggelenke einsetzten und tut dies auch. Dafür spricht, dass Muskelatrophien oder Umfangsverschmächtigungen von den Gutachtern nicht festgestellt werden konnten. Auch die Gangvarianten hat der Kläger bis auf leichte Einschränkung des Fersenganges links durchführen können. Das Gangbild hat sich bei beiden Untersuchungen unauffällig gezeigt und die Fußsohlenbeschwielung war ausweislich des Gutachtens von Dr. von St. seitengleich unauffällig. Dr. E. hat deswegen zutreffend herausgearbeitet, dass bei einem Teil-GdB von 10 bezogen auf die neurologische Einschränkung die zusätzlich zu berücksichtigende Bewegungseinschränkung einen Teil-GdB von 30 ebenfalls nicht rechtfertigen kann. Der vom Senat angesetzte Teil-GdB von 20 bewegt sich somit im oberen Bereich.

Schließlich leidet der Kläger noch unter GdB-relevanten Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem Gehirn, einschließlich Psyche. Hier beträgt der Einzel-GdB ebenfalls 20.

Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen bei leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der Teil-GdB 0 - 20 und bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der Teil-GdB 30 - 40.

Der Kläger leidet unter einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom. Dies entnimmt der Senat dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von Dr. E ... Nachvollziehbar stützt die Ärztin ihre Diagnose auf den von ihr im Rahmen der Untersuchung festgestellten Befund von Niedergeschlagenheit und leicht reduziertem Antrieb und Psychomotorik. Eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit hat die Gutachterin hingegen nicht festgestellt. Das deckt sich auch mit dem Befund der einmonatigen stationären Rehabilitationsmaßnahme im Frühjahr 2011, wo sogar eine entsprechende Diagnostik angesichts der Anamnese und der geschilderten Beschwerden entbehrlich war. Soweit der behandelnde Neurologe und Psychiater S. von sozialen Rückzugstendenzen spricht, die Hinweis für eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sein können, so sind solche beim Kläger nicht belegt. Denn er ist allein aus gesundheitlichen Gründen, nämlich der Rückenschmerzen und der Einschränkungen im linken Bein, nicht mehr in der Lage aktiv Tennis zu spielen und am Vereinsleben teilzunehmen, nicht jedoch aufgrund seiner psychischen Erkrankung. Dies kann somit nicht als Ausdruck sozialer Rückzugstendenzen gewertet werden, zumal er noch seiner Vollzeitberufstätigkeit ohne aktuelle Arbeitsunfähigkeitszeiten nachgehen kann, sportlich sich weiterhin betätigt (Fahrradfahren und Fitnessstudio) und auch noch mit Freude verreisen kann. Insofern ist er nicht nennenswert eingeschränkt. Für die vom Kläger beklagte Appetitlosigkeit besteht in Anbetracht seiner Adipositas kein Anhaltspunkt. Dass sich sein Leben nach seiner Aussage deutlich gewandelt hat, zieht der Senat nicht in Zweifel. Der Kläger blickt nach seinen Angaben auf eine ereignisreiche Zeit, die er selbst "Disco-Zeit" nennt, zurück. Der vom Kläger gegenüber Dr. E. geschilderte Tagesablauf lässt keine solchen, von ihm wohl geschätzten Ereignisse mehr erkennen. Nichtsdestotrotz bietet der Tagesablauf keinen Anhalt für wesentliche pathologische Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Die Änderungen im Leben des Klägers mögen für diesen enttäuschend sein, sind nach Ansicht des Senates nicht von Krankheitswert bzw. von Krankheit getragen. Nicht unberücksichtigt bleiben kann auch, dass er keine eigentliche nervenärztliche Behandlung durchführt, sondern nur einmal pro Monat für 10 Minuten mit dem Nervenarzt S. spricht. Ausweislich des Befundes von Dr. E. wird er auch nicht ausreichend mit Antidepressiva versorgt, was der Kläger nicht in Abrede stellt. Der Blutspiegel bzw. der Medikamentenspiegel im Blut des Klägers spricht hier eine eindeutige Sprache. Insoweit ist von einer tatsächlich unbehandelten depressiven Erkrankung auszugehen. Diese bringt aber, wie dargestellt, keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im Sinne der VG mit sich. Das macht auch nachvollziehbar, dass ein Behandlungserfolg nach Einschätzung des Neurologen S. ausgeblieben ist, so dass dieser von einer deutlich stärker beeinträchtigenden Störung ausgegangen ist. Der Kläger bestreitet nicht, dass er das Medikament nicht eingenommen hat. Wie sich dies nun tatsächlich zugetragen hat, spielt letztendlich keine Rolle. Entscheidend ist, dass auch nach den Angaben des Klägers die Depression praktisch unbehandelt ist. Dies lässt, wie dargestellt, die Aussage des behandelnden Arztes in einem anderen Licht erscheinen.

Die vom Kläger behauptete Angststörung konnte durch die Gutachterin Dr. E. nicht bestätigt werden. Sie hat keinen dementsprechenden Befund erheben. Die behandelnden Ärzte S. und Dr. O.-R. haben zwar eine solche Diagnose gestellt, jedoch nicht mitgeteilt, worauf sich diese stützt. Der Senat konnte angesichts der detaillierten Untersuchung von Frau Dr. E. keine Anhaltspunkte für eine solche generalisierte Angststörung finden. Auch aus dem Entlassungsbericht aus dem Jahr 2011 ergeben sich diese nicht. Eine solche Angststörung ist somit nicht nachgewiesen. Letztendlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben, da die vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen auf psychiatrischem Gebiet allein anhand ihrer Auswirkungen auf die Funktionen des Klägers im Alltag zu bewerten sind. Diese Funktionsbeeinträchtigungen hat Frau Dr. E. nach Ansicht des Senates voll umfänglich dargestellt.

Der Kläger hat noch angegeben, unter einem Schmerzsyndrom wegen der Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule zu leiden, was von Dr. O.-R. in der Auskunft vom 13.03.2012 bestätigt wird. Ein solches Schmerzsyndrom ist entsprechend den funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen und bei dem Funktionssystem Psyche zu berücksichtigen (Urteil des Senats vom 13.12.2012 - L 6 SB 4838/10). Dr. E. hat ausweislich der obigen Darstellung jedoch keine gravierenden Auswirkungen festgestellt. Gegen besonderen Leidensdruck und damit auch gegen eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit spricht auch, dass weder eine Behandlung noch Medikation stattfindet (ständige Rspr. des Senats, zuletzt Urteil vom 20.06.2013 - L 6 SB 5393/12).

Funktionsbeeinträchtigungen seitens des rechten Beines in Form von Parästhesien und Muskelschwäche sind ebenfalls nicht nachgewiesen. Zwar hat Dr. O.-R. solche berichtet, auf welche Befunde sie diese Diagnose stützt, ist aber nicht ersichtlich. Aus dem Rehabilitations-Entlassungsbericht aus dem Jahr 2011 ergeben sich hierfür keine Hinweise. Auch der behandelnde Neurologe und Psychiater S. nennt dies nicht. Gegenüber den Gutachtern Dr. von St. und Dr. E. hat der Kläger nicht über Einschränkungen des rechten Beines geklagt. Im Bereich der rechten unteren Extremität hat Dr. E. insoweit nur einen ausgefallenen Patellarsehnenreflex als pathologischen Befund festgestellt. Vielmehr konnten die Gangvarianten vom Kläger auf der rechten Seite durchweg vorgeführt werden. Der Senat ist daher der Ansicht, dass GdB-relevante Funktionsbehinderungen in der rechten unteren Extremität nicht vorliegen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse in Gestalt der neu hinzugetretenen Funktionsbeeinträchtigung einer depressive Verstimmung und der Funktionsbehinderungen im Bereich der Wirbelsäule eingetreten und mit zu bewerten ist. In der Zusammenschau führen diesen neuen Funktionsbeeinträchtigungen auch dazu, dass der Gesamt-GdB, auf den allein ein Anspruch auf Feststellung besteht, um 10 von 30 auf 40 seit Stellung des Neufeststellungsantrages zu erhöhen ist. Bezüglich der Teillähmung des Wadenbeinnerves und der Funktionseinschränkungen im linken Fuß ist zu berücksichtigen, dass ausweislich des Berichtes von Dr. O.-R. aus dem Jahr 2002 der Kläger damals das linke Bein nicht mehr anheben konnte. Mittlerweile hat sich die Funktionsbeeinträchtigung insoweit gebessert, als das nur noch von einer Fußheberschwäche auszugehen ist. Eine komplette Lähmung des Nervus peronaeus liegt nicht vor. Die Schwerbehinderteneigenschaft können die bei dem Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen nicht begründen. Auch im Rahmen der Neufeststellung beträgt der Gesamt-GdB nicht mehr als 40. Dabei ist schließlich zu berücksichtigen, dass die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers bei der Gesamtwürdigung nicht - wie aber erforderlich (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. b der VG) - mit Gesundheitsschäden vergleichbar sind, für die in der Tabelle ein fester GdB-Wert von 50 angegeben und bei deren Vorliegen damit die Schwerbehinderung anzuerkennen ist, denn sie sind nicht so erheblich wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislauf-Schäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener Leistungsbeeinträchtigung bereits bei leichter Belastung oder bei Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved