L 5 R 570/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 18 R 5523/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 570/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13.01.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kürzung des Zugangsfaktors bei der Berechnung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1955 geborene Klägerin beantragte am 13.02.2009 die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 18.03.2011 bewilligte die Beklagte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Monat des Erreichens der Regelaltersgrenze. Dabei berücksichtigte die Beklagte insgesamt 40,5952 Entgeltpunkte und setzte einen verminderten Zugangsfaktor von 0,892 an.

Gegen die Absenkung des Zugangsfaktors legte die Klägerin am 05.04.2011 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, nach § 77 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sei der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente gewesen seien, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen werde, um 0,003 niedriger als 1. Beginne eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres, so sei nach Satz 2 der Vorschrift die Vollendung des 62. Lebensjahres maßgeblich. Die Rente der Klägerin sei unter Berücksichtigung dieser Vorschrift berechnet worden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe mittlerweile auch entschieden, dass die Regelung verfassungsgemäß sei.

Am 12.10.2011 hat die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, in den umliegenden europäischen Ländern gebe es keine versicherungsmathematischen Abschläge. Vor dem Hintergrund des Diskriminierungsverbots nach Art. 6 EMRK dürfte ein Verstoß gegen die Gleichbehandlung im europäischen Recht vorliegen. Die Angelegenheit solle vor den EuGH gebracht werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.01.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in Rechten. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0. Es werde auf die zutreffenden Gründe im Widerspruchsbescheid der Beklagten Bezug genommen. Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken bestünden nicht.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 16.01.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 07.02.2012 Berufung eingelegt. Sie hat vortragen lassen, es sei beabsichtigt, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Musterstreitverfahren zur Frage der Rentenabschläge zu führen. Es werde das Ruhen des Berufungsverfahrens angeregt, um ein solches Musterverfahren vorbereiten zu können. Zuletzt hat die Klägerin noch vortragen lassen (Fax v. 05.08.2013), die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die die europäische Menschenrechtskonvention, die für alle Mitgliedstaaten gelte, gleichermaßen unter die deutsche Verfassung stelle, sei nicht vertretbar. Die Schutzwirkung von Art. 14 EMRK gehe Art. 3 GG vor. Auch sei Ziff. 12 der Präambel zur VO (EG) Nr. 883/2004 zu beachten, wonach im Lichte der Verhältnismäßigkeit sichergestellt werden solle, dass der Grundsatz der Gleichstellung von Sachverhalten oder Ereignissen nicht zu sachlich nicht zu rechtfertigenden Ergebnissen oder zum Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art für den selben Zeitraum führt.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13.01.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 18.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2011 zu verurteilen, ihr Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zur Begründung auf den Gerichtsbescheid verwiesen und dem Ruhen des Verfahrens nicht zugestimmt

Die Klägerin hat mit Fax vom 05.08.2013 (Bl. 26 LSG-Akte), die Beklagte mit Fax vom 06.08.2013 einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht bei der Berechnung des Rentenzahlbetrages den Zugangsfaktor von 0,892 zugrunde gelegt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Auszahlung eines Rentenbetrages auf der Grundlage einer Berechnung mit dem ungekürzten Zugangsfaktor 1,0.

Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid vom 29.09.2011 zutreffend dargelegt, aufgrund welcher Vorschriften die Kürzung des Zugangsfaktors erfolgt ist und auf die nunmehr einhellige Rechtsprechung des BSG sowie die zum streitentscheidenden § 77 Abs. 2 SGB VI ergangene Entscheidung des BVerfG (Beschl. V. 11.01.2011 - 1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09, juris) hingewiesen, wonach die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung auch dann mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wenn der Rentenbezug vor der Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt. Das BVerfG hat dies damit begründet, dass die Kürzung des Zugangsfaktors eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung der eigentumsrechtlich geschützten Rentenanwartschaften sei. Nach Einführung der Abschläge bei vorzeitigem Bezug einer Altersrente durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992) vom 18.12.1989 (BGBl I S. 2261) sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass Versicherte anstelle einer gekürzten Altersrente bevorzugt eine Erwerbsminderungsrente beantragen würden. Mit der Einführung von Abschlägen in einem Umfang von höchstens 10,8 % bei der Erwerbsminderungsrente habe im Rahmen eines Gesamtkonzepts die Höhe der Erwerbsminderungsrenten gekürzt und den vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten angepasst werden sollen. Diese Kürzung der Erwerbsminderungsrenten sei auch verhältnismäßig, denn der Gesetzgeber habe, um die Wirkung der neuen Rentenabschläge zu mildern, mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl I S. 1827) die Zeit zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr, die zuvor nur zu einem Drittel angerechnet worden sei, in vollem Umfang als Zurechnungszeit bewertet. Dahinter habe die Überlegung gestanden, dass bei Versicherten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres eine Erwerbsminderungsrente beantragen würden, eine Ausweichreaktion von vornherein ausscheide und diese Versicherten nicht übermäßig mit Kürzungen hätten belastet werden sollen. Wenn die Versicherten, deren Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginnen würde, jedoch nicht von der Absenkung des Zugangsfaktors erfasst würden, hätte aber die gleichzeitige Aufwertung der Zurechnungszeiten bewirkt, dass die Rentenansprüche des betroffenen Personenkreises sogar gestiegen und die Inanspruchnahme von Erwerbsminderungsrente attraktiver geworden wäre. Damit wäre das gesetzgeberische Ziel von Einsparungen zur Verbesserung der Finanzsituation in der Rentenversicherung in sein Gegenteil verkehrt worden.

Auch der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an (so schon Urt. des Senats vom 25.04.2012 – L 5 R 5053/11). Mit seiner Absicht, ein Musterstreitverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot zu führen, hat die Klägerin die Rechtsprechung des BSG und des BVerfG nicht substantiiert in Frage gestellt. Der Senat teilt die Auffassung des SG und nimmt gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen in dem angegriffenen Gerichtsbescheid Bezug.

Auch die Ausführungen im Schriftsatz der Klägerin vom 05.08.2013 geben keinen Anlass, die dargelegte Rechtslage auch nur in Frage zu stellen. Art. 6 EMRK betrifft das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren und ist für die Rechtmäßigkeit der Höhe von Rentenleistungen ersichtlich nicht einschlägig. Art. 14 EMRK postuliert ein umfassendes Diskriminierungsverbot; insoweit ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, wer im Verhältnis zu wem aus welchem Grund eigentlich diskriminiert sein soll. Art. 12 der Präambel zur VO (EU) Nr. 883/2004 beinhaltet keinen Gleichheitssatz, sondern weist im Gegenteil darauf hin, dass bei der Durchführung der Gleichstellung und gegenseitigen Anerkennung rentenrechtlich erheblicher Tatbestände sachlich nicht zu rechtfertigende Ergebnisse vermieden werden sollen. Ein irgendwie bestehender Zusammenhang mit der Problematik des gekürzten Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung ist auch diesbezüglich nicht ersichtlich.

Die Berufung bleibt deshalb erfolglos.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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