L 4 P 945/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 3 P 3541/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 945/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 21. Januar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt ab 1. November 2011 Pflegegeld nach der Pflegestufe II.

Der 1941 geborene Kläger ist versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Pflegekasse. Sie bewilligte auf den (erneuten) Antrag des Klägers vom 27. Januar 2011 ihm ab 1. Januar 2011 Pflegegeld nach der Pflegestufe I (Bescheid vom 10. März 2011). Dem zugrunde lag das Gutachten der Pflegefachkraft K., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), vom 28. Februar 2011, die als pflegebegründende Diagnosen Bewegungseinschränkungen der linken Schulter bei Zustand nach zwölfmaliger Operation mit komplikationsreichem Verlauf, Schmerzen in der rechten Schulter bei Überbelastung, Bewegungseinschränkungen bei starken Schmerzen durch schwerste Coxarthrose beidseits, Adipositas und leichte Dranginkontinenz nannte sowie den täglichen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege auf 52 Minuten schätzte. Zu einem vom Kläger begehrten Umbau eines bereits in seinem als Wohnung genutzten Gebäude, das nach den Angaben der Pflegefachkraft K. in ihrem Gutachten eine "Baustelle" sei, teilte ihm die Beklagte unter dem 10. März 2011 mit, dass allein der Umbau des Bades und der Einbau einer Rampe die Pflegesituation nicht erleichterten, da die übrigen Räume im ersten Obergeschoss lägen.

Am 17. August 2011 erfolgte wegen Coxarthrose die - aufgrund einer Pyoderma gangraenosum (chronisches herdförmiges Hautgeschwür unbekannter Ursache) am rechten Unterschenkel zuvor mehrmals verschobene - Implantation einer zementfreien Hüfttotalendoprothese links mit anschließender stationärer geriatrischer Behandlung vom 30. August bis 20. September 2011. Im Bericht vom 20. September 2011 über diese Behandlung führte Arzt für Geriatrie und Innere Medizin Dr. I. aus, bei der Abschlussuntersuchung sei der Kläger mit dem Behandlungsergebnis insgesamt bedingt zufrieden gewesen. Er gehe inzwischen selbstständig sicher an zwei Unterarmgehstützen mehr als 50 m weit unter Vollbelastung des linken Beins und sei in der Lage, selbstständig Treppen zu überwinden.

Die Beklagte veranlasste eine Nachuntersuchung, die Pflegefachkraft U.-P., MDK, durchführte. In seinem Gutachten vom 6. Oktober 2011 schätzte er den täglichen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege auf 58 Minuten (Körperpflege 32 Minuten, Mobilität 26 Minuten). Als pflegebegründende Diagnosen nannte er Bewegungseinschränkungen der linken Schulter bei Zustand nach mehrmaligen Operationen mit komplikationsreichem Verlauf, Bewegungseinschränkungen bei starken Schmerzen durch schwerste Coxarthrose rechts und Zustand nach Hüft-Totalendoprothese links, eine Adipositas sowie eine Blasendranginkontinenz. Der Kläger könne den Nacken- und Schürzengriff rechts durchführen sowie den linken Arm leicht anheben. Bewegungen aus der Schulter seien nicht möglich. Die grobe Kraft der Hände sei vorhanden. Es bestünden leichte feinmotorische Störungen. Bücken im Sitzen sei nicht möglich. Aufstehen und Zubettgehen sowie das Aufstehen vom Stuhl und der Toilette sei mit Abstützen selbstständig durchführbar. Der Kläger könne kurz frei stehen und mit Gehstöcken in der Wohnung bei schlurfendem Gangbild unsicher und langsam gehen. Der Wechsel der Vorlagen erfolge selbstständig und die Darmentleerung regelmäßig. Die Beklagte unterrichtete den Kläger unter dem 20. Oktober 2011, weiterhin "Leistungen" der ambulanten Pflege der Pflegestufe I zu zahlen.

Unter dem 20. November 2011 beantragte der Kläger die Höherstufung. Dieser Antrag ging bei der Beklagten verloren, woraufhin ihn der Kläger am 29. März 2012 bei der Beklagten erneut einreichte. Er fügte neben dem genannten Bericht des Dr. I. vom 20. September 2009 weitere ärztliche Berichte bei. Als Ursache für vom Kläger geklagte chronische Schmerzen im Bereich der Füße sah Prof. Dr. S., Ärztlicher Direktor der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums T., aufgrund der ambulanten Untersuchung am 29. November 2011 am ehesten eine polyneuropathische Genese für wahrscheinlich sowie eine Lumbalgie als Erklärung der Rückenbeschwerden (Bericht vom 1. Dezember 2011). Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. diagnostizierte eine Polyneuropathie unklarer Genese beider Beine, rechts ausgeprägter als links (Arztbrief vom 6. Dezember 2011). Vom 8. bis 18. Februar 2012 erfolgte wegen eines Schmerzsyndroms sowie einer multifaktoriellen Gangstörung bei Polyneuropathie und Lumboischialgie rechts eine stationäre multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie (Bericht der Assistenzärztin G., Klinik für Neurologie des Marienhospital S., vom 18. Februar 2012).

Pflegefachkraft U.-P., MDK, erstattete das Gutachten vom 23. April 2012 und schätzte den täglichen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege auf 76 Minuten (Körperpflege 50 Minuten, Mobilität 26 Minuten). Als pflegebegründende Diagnosen nannte er Bewegungseinschränkungen, eine Gang- und Standunsicherheit bei degenerativen Gelenksveränderungen, eine Polyneuropathie und eine Blaseninkontinenz. Wie bereits in seinem früheren Gutachten führte er zur Wohnsituation aus, dass Untergeschoss und Erdgeschoss des Hauses des Klägers "wegen Baustelle" nicht bewohnbar seien und der Kläger überwiegend bei der (benannten) Pflegeperson in einem mehrere Kilometer entfernten Ort lebe. Abweichend oder ergänzend zu seinem vorigen Gutachten gab er an, links sei der Nacken- und Schürzengriff nicht möglich. Feinmotorische Störungen der Hände bestünden nicht. Der Kläger könne nicht frei stehen. Bei der Begutachtung sei er mit zwei Gehstützen auf der Ebene schlurfend und kleinschrittig gegangen. Er benötige Hilfe beim Waschen des Rückens, des Intimbereichs und der Waden, abends bei der Intimwäsche, beim Kleiden über Kopf und der Füße sowie bei der Begleitung bei den pflegerelevanten Gängen. Die Beklagte lehnte es ab, Pflegegeld nach der Pflegestufe II zu zahlen (Bescheid vom 7. Mai 2012).

Der Kläger erhob Widerspruch. Zwischenzeitlich war am 25. April 2012 eine Implantation einer Hüfttotalendoprothese rechts erfolgt. Pflegefachkraft O., MDK, bestätigte in ihrem Gutachten (nach Aktenlage) vom 8. Juni 2012 den von Pflegefachkraft U.-P. im Gutachten vom 23. April 2012 geschätzten täglichen Hilfebedarf von 76 Minuten. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 19. September 2012). Zur Begründung verwies der Widerspruchsausschuss auf die eingeholten Gutachten.

Der Kläger erhob am 15. Oktober 2012 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG). Nach der zweiten Hüftoperation habe sich sein Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert. Wie bereits die erste Hüftoperation sei auch diese zweite Hüftoperation schlecht ausgeführt worden. Er könne nicht mehr gehen. Er sei wieder in einer Hautklinik in Behandlung. Er "beantrage" Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegen.

Im Auftrag des SG erstattete Pflegefachkraft M. sein Gutachten vom 6. Dezember 2012, nachdem er den Kläger in seiner häuslichen Umgebung am 3. Dezember 2012 aufgesucht hatte. Er schätzte den täglichen Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 59 Minuten (Körperpflege 31 Minuten, Ernährung acht Minuten, Mobilität 20 Minuten). Nacken- und Schürzengriff seien rechts möglich, links nicht. Der linke Arm sei in allen Richtungen schmerzhaft erheblich und der rechte Arm im Schultergelenk geringgradig eingeschränkt. Das Aufstehen vom Bett sei nach mehrmaligen Versuchen alleine möglich. Der Kläger könne nicht frei stehen und nur kurze Strecken mit zwei Unterarmgehstützen gehen. Es bestehe eine zeitweise Dranginkontinenz, Einlagen würden jedoch nicht getragen. Nachts werde bis zu fünfmal eine Urinflasche genutzt, die von der Schwester (des Klägers) als (nunmehr auch benannten) Pflegeperson morgens entleert werde. Nach Angaben des Klägers und seiner Schwester erfolge morgens Hilfe beim Waschen des Rückens, beider Beine und Füße sowie des rechten Arms. Alleine führe der Kläger das Waschen des Gesichts, des linken Arms, des Oberkörpers vorne, des Intimbereichs, die Zahnpflege, die Rasur und das Kämmen durch. Die Schwester richte die Kleidung und helfe beim Anziehen. Duschen erfolge zweimal wöchentlich. Die Nahrungsaufnahme erfolge selbstständig. Zur Wohnsituation des Klägers führte er aus, das Hochparterre des Hauses des Klägers sei aufgrund einer bereits 1992 begonnenen Baumaßnahme unbewohnbar, das erste Obergeschoss nur über die Baustelle beengt und 16 Stufen erreichbar sowie eine Dusche oder Bad nicht vorhanden. Als Ersatz diene ein Planschbecken für Kinder, der Duschschlauch sei an die Armaturen der Küche angeschlossen. Der Kläger wohne in unregelmäßigen Abständen und in unregelmäßiger Dauer bei einer Bekannten in einem anderen Ort. Die Pflege im häuslichen Bereich des Klägers sei nur bedingt und unter erschwerten Bedingungen sichergestellt.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Januar 2013 ab. Aufgrund des glaubhaften und nachvollziehbaren Gutachtens der Pflegefachkraft M. sei lediglich von einem grundpflegerischen Hilfebedarf bei der Ganzkörperwäsche und der Teilkörperwäsche, beim Duschen, bei der Zahnpflege sowie beim Kämmen, Rasieren, Stuhlgang, Richten der Kleidung, Wasserlassen und Entleeren der Urinflasche von 59 Minuten täglich auszugehen. Der von Pflegefachkraft U.-P. im Gutachten vom 23. April 2012 angegebene Hilfebedarf sei dagegen nicht nachvollziehbar. Der Kläger habe gegen die Feststellungen der Gutachter und Sachverständigen stets nur pauschale Einwendungen erhoben. Rein vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass der Anspruch des Klägers auch daran scheitere, dass seine Pflege im häuslichen Bereich nicht sichergestellt sei. Denn er bewohne ein in wesentlichen Teilen unbewohnbares Haus, welches nicht einmal über ein Bad verfüge. Nicht zulässig sei die Klage, soweit der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld begehre. Insoweit sei er auf den ordentlichen Klageweg zu verweisen und begehre wohl Schadensersatz von der ihn operierenden Klinik, weshalb im vorliegenden Verfahren außerdem der falsche Beklagte angegangen worden sei.

Der Kläger hat am 13. Februar 2013 beim SG Berufung eingelegt. Er hat wiederum dargelegt, durch fehlerhafte ärztliche Behandlungen, auch bei den Operationen und der Hauterkrankung, stark geschädigt zu sein. Er könne nicht mehr gehen. Die am linken Hüftgelenk eingesetzte Prothese habe sich gelockert. Die Gutachten seien unzutreffend. Er hat u.a. den vorläufigen Entlassungsbericht des Privatdozent Dr. He., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Christophsbad G., vom 10. Januar 2013 über die stationäre Behandlung vom 6. Dezember 2012 bis 11. Januar 2013 vorgelegt, welche aufgrund Einweisung bei bekannter rezidivierender depressiver Störung mit akuter Exacerbation der Symptomatik sowie Dekompensation der häuslichen Versorgung erfolgt ist.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 21. Januar 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. November 2011 Pflegegeld nach der Pflegestufe II zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, weil dieser mit der ihm ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Der Kläger hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung. Denn der Kläger begehrt höhere Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II seit 1. November 2011. Denn der zeitliche Hilfebedarf des Klägers hat sich nicht insoweit erhöht, als dass er seit 1. November 2011 mindestens 120 Minuten betragen würde.

1. Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II anstelle des bislang gezahlten Pflegegelds nach der Pflegestufe I ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Wesentlich ist die Änderung, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 55/84 - und 8. September 2010 - B 11 AL 4/09 R -, beide in juris). Zu vergleichen sind nach § 48 Abs. 1 SGB X stets die zum Zeitpunkt der Aufhebung bzw. des Aufhebungstermins bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft worden sind, vorhanden gewesen sind (BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R -, in juris). Die letzte vollständige Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen und damit der maßgebliche Vergleichszeitpunkt ist vorliegend der Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2011, mit welchem die Beklagte verfügt hatte, weiterhin "Leistungen" der ambulanten Pflege der Pflegestufe I zu zahlen. Dem zugrunde lag das Gutachten der Pflegefachkraft U.-P. vom 6. Oktober 2011, welches mithin das maßgebliche Vergleichsgutachten ist.

Eine wesentliche Änderung ist nicht eingetreten. Der Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege beträgt ab 1. November 2011 nicht mindestens 120 Minuten.

Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) anstelle der Pflegesachleistungen ein Pflegegeld erhalten. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Maßgebend für den zeitlichen Aufwand ist grundsätzlich die tatsächlich bestehende Pflegesituation unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des zu Pflegenden, allerdings am Maßstab des allgemein Üblichen. § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die im Einzelfall unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs oder die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG, Urteil 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - in juris). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinie der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinie) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 Begutachtungs-Richtlinie; vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R -, in juris, m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R - in juris).

Beim Kläger bestehen eine Coxarthrose beidseits, die beidseits zu Implantation von Hüfttotalendoprothesen führten (links am 17. August 2011, rechts am 25. April 2012), Bewegungseinschränkungen der linken Schulter nach mehrmaligen Operationen, eine Polyneuropathie, ein chronisches Hautgeschwür unbekannter Ursache am rechten Unterschenkel und eine Dranginkontinenz. Dies entnimmt der Senat den von der Beklagten eingeholten Gutachten der Pflegefachkräfte U.-P. vom 23. April 2012 und O. vom 8. Juni 2012, dem Gutachten des Sachverständigen M. vom 6. Dezember 2012 und den vorliegenden Arztbriefen.

Aufgrund dieser Erkrankungen liegen beim Kläger Funktionseinschränkungen vor. Wegen der Coxarthrose, der Polyneuropathie sowie wegen bestehender Schmerzen besteht eine Gang- und Standunsicherheit. Der Kläger ist nur in der Lage, mit zwei Unterarmgehstützen zu gehen. Die eingeschränkte Beweglichkeit durch die Erkrankungen der Hüfte und die Abhängigkeit von Gehhilfen bestätigt auch der vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegte vorläufige Entlassungsbericht des Privatdozent Dr. He. vom 10. Januar 2013. Wegen der Bewegungseinschränkungen im Bereich des linken Schultergelenks können links weder der Nackengriff noch der Schürzengriff durchgeführt werden. Auch ist das Anheben des Arms nach vorne und zur Seite erheblich eingeschränkt. Im Bereich des rechten Arms sind demgegenüber keine Bewegungseinschränkungen und auch keine feinmotorischen Störungen vorhanden. Dies ergibt sich übereinstimmend aus den genannten Gutachten. Auch die vorliegenden ärztlichen Berichte, insbesondere die Berichte des Dr. I. vom 20. September 2011 und der Assistenzärztin G. vom 18. Februar 2012, enthalten keine davon abweichenden Befunde.

Aufgrund der genannten Funktionseinschränkungen ist ein Hilfebedarf des Klägers bei der Körperpflege und bei der Mobilität vorhanden. Diesen Hilfebedarf haben die Pflegefachkräfte U.-P. und O. sowie der Sachverständige M. in ihren Gutachten in für den Senat nachvollziehbarer und schlüssiger Weise dargelegt. Er ist unter Berücksichtigung der beim Kläger vorliegenden Funktionseinschränkungen nachvollziehbar. Bei der Körperpflege bedarf der Kläger der Hilfe beim Waschen. Aus den eigenen Angaben des Klägers gegenüber dem Sachverständigen M. ergibt sich, dass er die Körperwäsche teilweise noch selbstständig durchführt, weshalb insoweit lediglich ein Bedarf in Form einer teilweisen Übernahme der Verrichtungen durch die Pflegeperson besteht. Wegen der Bewegungseinschränkungen im Bereich des linken Arms kann der Kläger den Rücken, den rechten Arm, den Intimbereich sowie die Beine nicht selbst waschen. Deswegen besteht weiter ein Hilfebedarf beim An- und Entkleiden sowie beim Richten der Bekleidung nach Toilettengängen. Aufgrund der Gang- und Standunsicherheit bedarf der Kläger der Hilfe beim Gehen innerhalb der Wohnung sowie beim Stehen.

Der zeitliche Hilfebedarf des Klägers beträgt 76 Minuten täglich. Der Senat legt diesen von den Pflegekräften U.-P. und O. geschätzten Aufwand zugrunde. Denn die von ihnen genannten Zeiten des Hilfebedarfs für die einzelnen Verrichtungen sind unter Berücksichtigung der Orientierungswerte der Begutachtungs-Richtlinien plausibel. Beispielsweise beträgt bei der Ganzkörperwäsche der Orientierungswert für die vollständige Übernahme dieser Verrichtung 20 bis 25 Minuten täglich (Abschnitt F4.1 Nr. 1 Begutachtungs-Richtlinien). Da beim Kläger nur ein Bedarf einer teilweisen Übernahme beim Waschen besteht, ist der von Pflegefachkräften U.-P. und O. angenommene Zeitaufwand von 14 Minuten täglich angemessen. Die Zeitangaben des Sachverständigen M. zu den einzelnen Verrichtungen, die dann zu einem gesamten Zeitaufwand von täglich 59 Minuten führen, erscheinen dem Senat demgegenüber zum Teil zu gering. Dies gilt insbesondere für die Verrichtung des Gehens, bei welcher der Sachverständige M. lediglich einen Hilfebedarf von fünf Minuten geschätzt hat. Dies erscheint, auch wenn der Sachverständige angegeben hat, dass nur Aufsicht erforderlich sei, zu wenig. Denn es dürften mehr als fünf pflegerelevante Gänge innerhalb der Wohnung anfallen. Demgegenüber hält der Senat die Schätzung der Pflegefachkräfte U.-P. und O. mit 16 Minuten für 16 Gängen (eine Minute pro pflegerelevantem Gang) realistischer.

Dass beim Kläger auch ein Hilfebedarf im Bereich der Ernährung zur mundgerechten Zubereitung der Nahrung besteht, wovon der Sachverständige M. ausgegangen ist, ist für den Senat nicht nachvollziehbar, da weder der Sachverständige noch die weiteren Gutachter eine Kraftminderung der oberen Extremitäten beschreiben. Dies kann aber offen bleiben. Denn auch bei Berücksichtigung dieses Hilfebedarfs mit acht Minuten täglich zuzüglich zu dem Pflegeaufwand von 76 Minuten täglich, mithin insgesamt 84 Minuten täglich, würde der für die Pflegestufe II erforderliche Zeitaufwand von mindestens 120 Minuten täglich bei weitem nicht erreicht.

2. Der Kläger kann den Anspruch auf das von ihm begehrte höhere Pflegegeld nach der Pflegestufe II gegenüber der Beklagten nicht als Schadensersatz wegen der von ihm behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlungen stützen. Insoweit ist der Kläger auf die Geltendmachung entsprechender Ansprüche gegen die behandelnden Ärzte zu verweisen. Da sich die Klage allein gegen die beklagte Pflegekasse errichtet, macht der Kläger solche angeblichen Ansprüche auf Schadensersatz einschließlich Schmerzensgeld gegen die ihn behandelnden Ärzte im vorliegenden Verfahren nicht geltend.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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