Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 R 2603/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2300/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.05.2012 abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.04.2010 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.11.2011 bis 31.10.2014 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab 01.08.2009.
Der 1966 geborene Kläger ist gelernter Fahrzeugpolsterer und Meister der Lagerwirtschaft. Zuletzt war er als Staplerfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 16.01.2009 bezog der Kläger bis zur Erschöpfung des Anspruchs Krankengeld, anschließend bis Mitte 2011 Arbeitslosengeld. In der Zeit vom 10.03. bis 20.05.2009 wurde der Kläger in der W.-P.-Klinik wegen einer depressiven Episode mit somatischem Syndrom stationär behandelt, dort wurde die Gewährung einer Zeitrente empfohlen.
Am 10.07.2009 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Kläger durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. ambulant untersuchen und begutachten. In dem Gutachten vom 03.08.2009 stellte Dr. Sch. eine mittelgradige depressive Episode, ausgeprägte kognitive Störungen und eine derzeit nicht im Vordergrund stehende diffuse Schmerzsymptomatik fest. Zum aktuellen Zeitpunkt sei der Kläger nicht in der Lage, arbeitsmarktüblichen Anforderungen zu genügen. Eine psychosomatische Reha-Maßnahme erscheine sinnvoll. Bei günstigem Verlauf könne mit Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit zumindest für einfache Anforderungen gerechnet werden. Mit Bescheid vom 07.08.2009 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, der Kläger könne nach ärztlicher Feststellung noch mindestens sechs Stunden je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Hiergegen legte der Kläger am 21.08.2009 Widerspruch ein. Für die Zeit vom 29.09. bis 27.10.2009 gewährte die Beklagte dem Kläger eine stationäre Reha-Maßnahme in der K.-Klinik in St. B ... Im Entlassungsbericht wurden die Diagnosen somatoforme Störung, depressiv getönte Anpassungsstörung, Verdacht auf Omarthrose rechts, Adipositas und Hyperurikämie gestellt und eingeschätzt, dass für die letzte berufliche Tätigkeit nach Stabilisierung durch Psychotherapie ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestehe. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten. Im Rehabilitationsverlauf habe sich eher eine Verschlechterung des Zustands des Klägers abgezeichnet. Weiter zog die Beklagte das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zum weiteren Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit vom 08.12.2009 bei, in dem ausgeführt wurde, dass ein ausreichend positives Leistungsvermögen für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen richtet sich die am 14.04.2010 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Der Kläger beruft sich auf das Rentengutachten von Dr. Sch., das von der Beklagten nicht hinreichend gewürdigt worden sei.
Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung des behandelnden Arztes Dr. Schw. als sachverständiger Zeuge. Dieser hat unter dem 25.05.2010 mitgeteilt, es bestehe eine erhebliche depressive Symptomatik mit deutlicher Persönlichkeitsstörung und Aufmerksamkeitsdefizit, der Kläger sei nicht mehr in der Lage, regelrecht einer normalen Arbeit nachzugehen. Zusätzlich hat das Gericht ein nervenärztliches Gutachten bei Dr. H. eingeholt. In dem Gutachten vom 02.09.2010 stellt Dr. H. folgende Gesundheitsstörungen fest: Kombinationskopfschmerz, anhaltende somatoforme Schmerzstörung und depressive Erkrankung, derzeit leichte depressive Episode. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten wenigstens sechs Stunden täglich ausgeübt werden. Im Rahmen der Untersuchung hätten sich keine Störungen der Auffassung und Konzentration gezeigt, der Kläger habe jedoch auch einfache Fragen zum Teil nur verzögert beantwortet. Dies korreliere nicht mit dem Gesamteindruck und spreche für eine ausgeprägte demonstrative Tendenz. Auch im Rahmen der testpsychologischen Zusatzuntersuchung seien ausgeprägte demonstrative Tendenzen aufgefallen. Die schlechten Testergebnisse korrelierten nicht mit dem klinisch-psychiatrischen Gesamteindruck und könnten auch als Eindruck einer fehlenden Motivation verstanden werden und seien damit nicht verwertbar. Auf Antrag des Klägers hat das Gericht zusätzlich ein weiteres nervenärztliches Gutachten bei Prof. Dr. W. eingeholt. Sie stellt in dem Gutachten vom 20.05.2011 folgende Gesundheitsstörungen fest: chronische somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende depressive Episoden, aktuell mittelschwer. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien drei bis unter sechs Stunden täglich möglich. Sie gehe davon aus, dass die fluktuierende Verlangsamung des Klägers und auch seine Klagen über kognitive Störungen, die abgesehen von der Verlangsamung in der Untersuchungssituation nicht nachvollziehbar gewesen seien, Ausdruck der somatoformen Störung seien. Anders als Dr. H. gehe sie nicht von Verdeutlichungstendenzen aus.
Mit Urteil vom 07.05.2012 hat das SG sodann die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei nicht erwerbsgemindert, da er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Hierbei hat sich das SG maßgeblich auf das Gutachten von Dr. H. gestützt. Dieser habe deutliche Aggravationszeichen geschildert. Dem Gutachten von Prof. Dr. W. habe sich das SG hinsichtlich der Leistungseinschätzung nicht anschließen können. Die vom Kläger geschilderten Beschwerden und Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit im sozialen Alltag hätten durch das Gutachten nicht objektiv bestätigt werden können. Auch das Gutachten von Dr. Sch. begründe keine volle Erwerbsminderung, denn Dr. Sch. habe den Kläger für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch für vollschichtig leistungsfähig eingestuft, er sei aufgrund der depressiven Episode nur von einer akuten Leistungsunfähigkeit ausgegangen, so dass es an einer Dauerhaftigkeit der quantitativen Leistungseinschränkung fehle.
Hiergegen richtet sich die am 31.05.2012 eingelegte Berufung des Klägers. Er rügt im Wesentlichen, dass sich das SG allein auf das Gutachten des Dr. H. gestützt habe und die für ihn positiven ärztlichen Unterlagen nicht hinreichend gewürdigt habe. Im Einzelnen wird hierzu auf die ausführliche Berufungsbegründung (insbesondere Blatt 39 bis 59 der Senatsakte) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.05.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.04.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.08.2009 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berichterstatterin hat im Erörterungstermin am 26.02.2013, zu dem der Kläger nicht erschienen ist, einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, dass die Beklagte ausgehend von einem Leistungsfall im Mai 2011 (Gutachten Prof. Dr. W.) dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.12.2011 bis 30.11.2014 gewährt. Die Beklagte hat dem Vergleichsvorschlag mit Schreiben vom 05.04.2013 zugestimmt, der Kläger hat sich hierzu trotz mehrfacher Erinnerung nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, in der Sache auch teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid vom 07.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.04.2010 ist insoweit rechtswidrig, als er den geltend gemachten Rentenanspruch des Klägers insgesamt ablehnt, denn der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.11.2011 bis 31.10.2014.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. Sch., das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. W. (26.04.2011) nur noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in zeitlich eingeschränktem Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich auszuüben. Mit diesem Leistungsvermögen ist der Kläger teilweise erwerbsgemindert, ihm steht jedoch wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird davon ausgegangen, dass der Teilzeitarbeitsmarkt als verschlossen anzusehen ist, wenn - wie hier - kein zumutbarer Arbeitsplatz innegehalten wird (BSG 10.12.1976, GS 2/75 ua, BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr 13). Ein weitergehender Rentenanspruch ist dagegen nicht gegeben, weshalb die Berufung im Übrigen zurückzuweisen ist.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Rentenanspruch sind erfüllt. Der Kläger hat in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung im April 2011 mehr als drei Jahre Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt, denn er hat unmittelbar im Anschluss an die Pflichtbeiträge wegen der versicherungspflichtigen Beschäftigung Krankengeld und danach Arbeitslosengeld bezogen bis über den Eintritt des Leistungsfalls hinaus. Soweit ein Anspruch auf Rente eine bestimmte Anzahl von Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit voraussetzt, zählen hierzu nach § 55 Abs 2 Nr 2 SGB VI auch Pflichtbeiträge gemäß § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI wegen des Bezugs von Krankengeld oder Arbeitslosengeld, wenn - wie hier - im letzten Jahr vor Beginn der Leistung zuletzt Versicherungspflicht bestand. Auch die allgemeine Wartezeit ist mit 318 Monaten Beitragszeiten schon bis 07.08.2009 zweifellos erfüllt (§§ 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 51 Abs 1 SGB VI).
Das berufliche Leistungsvermögen des Klägers ist maßgebend durch eine psychische Erkrankung eingeschränkt. Nach übereinstimmender Einschätzung sowohl des behandelnden Arztes, der Ärzte der W.-P.-Klinik, der K.-Klinik als auch der Gutachter Dr. Sch., Dr. H. und Prof. Dr. W. besteht bei dem Kläger eine somatoforme Störung. Daneben liegt eine rezidivierende depressive Störung vor, die erstmals 2004 dokumentiert ist (Bericht der W.-P.-Klinik über die stationäre Behandlung vom 11.05. bis 26.08.2004) und seither in wechselnder Ausprägung aufgetreten ist. Aufgrund dieser Erkrankung ist der Kläger nachweislich jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. W. im April 2011 (lediglich die Fertigstellung des Gutachtens erfolgte im Mai 2011) nicht mehr in der Lage, vollschichtig einer auch nur leichten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der Senat stützt sich insoweit auf das ausführliche und schlüssige Gutachten von Prof. Dr. W. und macht dies zur Grundlage seiner Beurteilung. Prof. Dr. W. hat unter Berücksichtigung eines totalen sozialen Rückzugs des Klägers überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich belastbar ist. Der von Dr. H. unter Annahme von Simulation und Aggravation getroffenen Beurteilung ist dagegen nicht zu folgen. Auffällig ist, dass Dr. H. abweichend vom Vorgutachten von Dr. Sch. und den Entlassberichten der W.-P.-Klinik sowie der K.klinik nahezu keine glaubwürdigen Funktionseinschränkungen annimmt. Dabei setzt er sich in Widerspruch zu dem Vorgutachten von Dr. Sch. und dem Entlassungsbericht der K.-Klinik, die erst nach erfolgreicher Therapie bzw mittelfristig ein zeitlich uneingeschränktes Leistungsvermögen angenommen haben. Begründet wird diese Abweichung nicht weiter, vielmehr geht Dr. H. trotz der in den Vorbeurteilungen beschriebenen schweren Leistungseinschränkungen von Übereinstimmung aus. Er begründet seine Auffassung im Wesentlichen damit, dass er Simulation und Aggravation auf Seiten des Klägers annimmt. Insoweit hat Prof. Dr. W. darauf hingewiesen, dass der von Dr. H. beschriebene Eindruck ausgeprägt demonstrativer Tendenzen durchaus durch die fluktuierende Verlangsamung und die ausgeprägten Klagen des Klägers über kognitive Störungen, die in der Untersuchungssituation so nicht nachvollziehbar seien, hervorgerufen werden könne. Die nach Prof. Dr. W. in der medizinischen Literatur vertretenen Hinweise auf Aggravation wie gänzlich unplausibele Angaben zur Beschwerdeentstehung, fehlende Anzeichen einer prämorbiden Vulnerabilität und ausgeprägte Inkonsistenzen in der Beschwerdeschilderung und Ausprägung sind hier allerdings - worauf die Gutachterin zutreffend hinweist - nicht zu erkennen. Angesichts der langen Vorgeschichte, insbesondere der umfassend dokumentierten Ergebnisse auch der stationären Behandlungen bzw Rehabilitation hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen nur simuliert und aggraviert werden.
Angesichts des wechselhaften Verlaufs der Erkrankung sieht der Senat eine zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögen des Klägers allerdings erst ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. W. als nachgewiesen an. Ein vergleichbarer oder sogar noch schlechterer Zustand dürfte bereits einmal im Frühjahr/Sommer 2009 bestanden haben, wie sich dem Entlassungsbericht der W.-P.-Klinik vom 04.06.2009 sowie dem Gutachten von Dr. Sch. vom 03.08.2009 entnehmen lässt. Zum damaligen Zeitpunkt lag jedoch noch nicht mit hinreichender Sicherheit eine dauerhafte Einschränkung der Leistungsfähigkeit vor, insbesondere waren die therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten noch nicht annähernd ausgeschöpft. In der Folgezeit dürfte von einer Stabilisierung auszugehen sein, wie auch Prof. Dr. W. in ihrem Gutachten annimmt (Seite 21). Auch wenn dem Gutachten von Dr. H. in der Gesamtbeurteilung nicht gefolgt werden kann, ist doch zu vermerken, dass bei der klinischen Untersuchung im August 2010 Antrieb und Schwingungsfähigkeit nur leicht reduziert waren und Dr. H. insoweit nur von einer aktuell leichten depressiven Episode ausging, im Vergleich zu einer mittelgradigen Ausprägung im August 2009 nach den Ergebnissen des Gutachtens von Dr. Sch ... Nach alledem geht der Senat vom Eintritt des Leistungsfalls jedenfalls zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. W. am 26.04.2011 aus, ein früherer Leistungsfall lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht nachweisen.
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nach § 102 Abs 2 SGB VI auf Zeit geleistet, dabei erfolgt die Befristung für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nach § 101 Abs 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Angesichts des Eintritts des Leistungsfalls am 26.04.2011 ist Rentenbeginn somit der 01.11.2011, die Rente ist bis 31.10.2014 zu befristen.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kommt vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger 1966 und damit nach dem gemäß § 240 Abs 1 Nr 1 SGB VI maßgebenden Stichtag 02.01.1961 geboren ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Die Beklagte erstattet die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab 01.08.2009.
Der 1966 geborene Kläger ist gelernter Fahrzeugpolsterer und Meister der Lagerwirtschaft. Zuletzt war er als Staplerfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 16.01.2009 bezog der Kläger bis zur Erschöpfung des Anspruchs Krankengeld, anschließend bis Mitte 2011 Arbeitslosengeld. In der Zeit vom 10.03. bis 20.05.2009 wurde der Kläger in der W.-P.-Klinik wegen einer depressiven Episode mit somatischem Syndrom stationär behandelt, dort wurde die Gewährung einer Zeitrente empfohlen.
Am 10.07.2009 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Kläger durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. ambulant untersuchen und begutachten. In dem Gutachten vom 03.08.2009 stellte Dr. Sch. eine mittelgradige depressive Episode, ausgeprägte kognitive Störungen und eine derzeit nicht im Vordergrund stehende diffuse Schmerzsymptomatik fest. Zum aktuellen Zeitpunkt sei der Kläger nicht in der Lage, arbeitsmarktüblichen Anforderungen zu genügen. Eine psychosomatische Reha-Maßnahme erscheine sinnvoll. Bei günstigem Verlauf könne mit Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit zumindest für einfache Anforderungen gerechnet werden. Mit Bescheid vom 07.08.2009 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, der Kläger könne nach ärztlicher Feststellung noch mindestens sechs Stunden je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Hiergegen legte der Kläger am 21.08.2009 Widerspruch ein. Für die Zeit vom 29.09. bis 27.10.2009 gewährte die Beklagte dem Kläger eine stationäre Reha-Maßnahme in der K.-Klinik in St. B ... Im Entlassungsbericht wurden die Diagnosen somatoforme Störung, depressiv getönte Anpassungsstörung, Verdacht auf Omarthrose rechts, Adipositas und Hyperurikämie gestellt und eingeschätzt, dass für die letzte berufliche Tätigkeit nach Stabilisierung durch Psychotherapie ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestehe. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten. Im Rehabilitationsverlauf habe sich eher eine Verschlechterung des Zustands des Klägers abgezeichnet. Weiter zog die Beklagte das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zum weiteren Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit vom 08.12.2009 bei, in dem ausgeführt wurde, dass ein ausreichend positives Leistungsvermögen für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen richtet sich die am 14.04.2010 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Der Kläger beruft sich auf das Rentengutachten von Dr. Sch., das von der Beklagten nicht hinreichend gewürdigt worden sei.
Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung des behandelnden Arztes Dr. Schw. als sachverständiger Zeuge. Dieser hat unter dem 25.05.2010 mitgeteilt, es bestehe eine erhebliche depressive Symptomatik mit deutlicher Persönlichkeitsstörung und Aufmerksamkeitsdefizit, der Kläger sei nicht mehr in der Lage, regelrecht einer normalen Arbeit nachzugehen. Zusätzlich hat das Gericht ein nervenärztliches Gutachten bei Dr. H. eingeholt. In dem Gutachten vom 02.09.2010 stellt Dr. H. folgende Gesundheitsstörungen fest: Kombinationskopfschmerz, anhaltende somatoforme Schmerzstörung und depressive Erkrankung, derzeit leichte depressive Episode. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten wenigstens sechs Stunden täglich ausgeübt werden. Im Rahmen der Untersuchung hätten sich keine Störungen der Auffassung und Konzentration gezeigt, der Kläger habe jedoch auch einfache Fragen zum Teil nur verzögert beantwortet. Dies korreliere nicht mit dem Gesamteindruck und spreche für eine ausgeprägte demonstrative Tendenz. Auch im Rahmen der testpsychologischen Zusatzuntersuchung seien ausgeprägte demonstrative Tendenzen aufgefallen. Die schlechten Testergebnisse korrelierten nicht mit dem klinisch-psychiatrischen Gesamteindruck und könnten auch als Eindruck einer fehlenden Motivation verstanden werden und seien damit nicht verwertbar. Auf Antrag des Klägers hat das Gericht zusätzlich ein weiteres nervenärztliches Gutachten bei Prof. Dr. W. eingeholt. Sie stellt in dem Gutachten vom 20.05.2011 folgende Gesundheitsstörungen fest: chronische somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende depressive Episoden, aktuell mittelschwer. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien drei bis unter sechs Stunden täglich möglich. Sie gehe davon aus, dass die fluktuierende Verlangsamung des Klägers und auch seine Klagen über kognitive Störungen, die abgesehen von der Verlangsamung in der Untersuchungssituation nicht nachvollziehbar gewesen seien, Ausdruck der somatoformen Störung seien. Anders als Dr. H. gehe sie nicht von Verdeutlichungstendenzen aus.
Mit Urteil vom 07.05.2012 hat das SG sodann die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei nicht erwerbsgemindert, da er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Hierbei hat sich das SG maßgeblich auf das Gutachten von Dr. H. gestützt. Dieser habe deutliche Aggravationszeichen geschildert. Dem Gutachten von Prof. Dr. W. habe sich das SG hinsichtlich der Leistungseinschätzung nicht anschließen können. Die vom Kläger geschilderten Beschwerden und Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit im sozialen Alltag hätten durch das Gutachten nicht objektiv bestätigt werden können. Auch das Gutachten von Dr. Sch. begründe keine volle Erwerbsminderung, denn Dr. Sch. habe den Kläger für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch für vollschichtig leistungsfähig eingestuft, er sei aufgrund der depressiven Episode nur von einer akuten Leistungsunfähigkeit ausgegangen, so dass es an einer Dauerhaftigkeit der quantitativen Leistungseinschränkung fehle.
Hiergegen richtet sich die am 31.05.2012 eingelegte Berufung des Klägers. Er rügt im Wesentlichen, dass sich das SG allein auf das Gutachten des Dr. H. gestützt habe und die für ihn positiven ärztlichen Unterlagen nicht hinreichend gewürdigt habe. Im Einzelnen wird hierzu auf die ausführliche Berufungsbegründung (insbesondere Blatt 39 bis 59 der Senatsakte) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.05.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.04.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.08.2009 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berichterstatterin hat im Erörterungstermin am 26.02.2013, zu dem der Kläger nicht erschienen ist, einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, dass die Beklagte ausgehend von einem Leistungsfall im Mai 2011 (Gutachten Prof. Dr. W.) dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.12.2011 bis 30.11.2014 gewährt. Die Beklagte hat dem Vergleichsvorschlag mit Schreiben vom 05.04.2013 zugestimmt, der Kläger hat sich hierzu trotz mehrfacher Erinnerung nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, in der Sache auch teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid vom 07.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.04.2010 ist insoweit rechtswidrig, als er den geltend gemachten Rentenanspruch des Klägers insgesamt ablehnt, denn der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.11.2011 bis 31.10.2014.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. Sch., das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. W. (26.04.2011) nur noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in zeitlich eingeschränktem Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich auszuüben. Mit diesem Leistungsvermögen ist der Kläger teilweise erwerbsgemindert, ihm steht jedoch wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird davon ausgegangen, dass der Teilzeitarbeitsmarkt als verschlossen anzusehen ist, wenn - wie hier - kein zumutbarer Arbeitsplatz innegehalten wird (BSG 10.12.1976, GS 2/75 ua, BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr 13). Ein weitergehender Rentenanspruch ist dagegen nicht gegeben, weshalb die Berufung im Übrigen zurückzuweisen ist.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Rentenanspruch sind erfüllt. Der Kläger hat in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung im April 2011 mehr als drei Jahre Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt, denn er hat unmittelbar im Anschluss an die Pflichtbeiträge wegen der versicherungspflichtigen Beschäftigung Krankengeld und danach Arbeitslosengeld bezogen bis über den Eintritt des Leistungsfalls hinaus. Soweit ein Anspruch auf Rente eine bestimmte Anzahl von Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit voraussetzt, zählen hierzu nach § 55 Abs 2 Nr 2 SGB VI auch Pflichtbeiträge gemäß § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI wegen des Bezugs von Krankengeld oder Arbeitslosengeld, wenn - wie hier - im letzten Jahr vor Beginn der Leistung zuletzt Versicherungspflicht bestand. Auch die allgemeine Wartezeit ist mit 318 Monaten Beitragszeiten schon bis 07.08.2009 zweifellos erfüllt (§§ 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 51 Abs 1 SGB VI).
Das berufliche Leistungsvermögen des Klägers ist maßgebend durch eine psychische Erkrankung eingeschränkt. Nach übereinstimmender Einschätzung sowohl des behandelnden Arztes, der Ärzte der W.-P.-Klinik, der K.-Klinik als auch der Gutachter Dr. Sch., Dr. H. und Prof. Dr. W. besteht bei dem Kläger eine somatoforme Störung. Daneben liegt eine rezidivierende depressive Störung vor, die erstmals 2004 dokumentiert ist (Bericht der W.-P.-Klinik über die stationäre Behandlung vom 11.05. bis 26.08.2004) und seither in wechselnder Ausprägung aufgetreten ist. Aufgrund dieser Erkrankung ist der Kläger nachweislich jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. W. im April 2011 (lediglich die Fertigstellung des Gutachtens erfolgte im Mai 2011) nicht mehr in der Lage, vollschichtig einer auch nur leichten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der Senat stützt sich insoweit auf das ausführliche und schlüssige Gutachten von Prof. Dr. W. und macht dies zur Grundlage seiner Beurteilung. Prof. Dr. W. hat unter Berücksichtigung eines totalen sozialen Rückzugs des Klägers überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich belastbar ist. Der von Dr. H. unter Annahme von Simulation und Aggravation getroffenen Beurteilung ist dagegen nicht zu folgen. Auffällig ist, dass Dr. H. abweichend vom Vorgutachten von Dr. Sch. und den Entlassberichten der W.-P.-Klinik sowie der K.klinik nahezu keine glaubwürdigen Funktionseinschränkungen annimmt. Dabei setzt er sich in Widerspruch zu dem Vorgutachten von Dr. Sch. und dem Entlassungsbericht der K.-Klinik, die erst nach erfolgreicher Therapie bzw mittelfristig ein zeitlich uneingeschränktes Leistungsvermögen angenommen haben. Begründet wird diese Abweichung nicht weiter, vielmehr geht Dr. H. trotz der in den Vorbeurteilungen beschriebenen schweren Leistungseinschränkungen von Übereinstimmung aus. Er begründet seine Auffassung im Wesentlichen damit, dass er Simulation und Aggravation auf Seiten des Klägers annimmt. Insoweit hat Prof. Dr. W. darauf hingewiesen, dass der von Dr. H. beschriebene Eindruck ausgeprägt demonstrativer Tendenzen durchaus durch die fluktuierende Verlangsamung und die ausgeprägten Klagen des Klägers über kognitive Störungen, die in der Untersuchungssituation so nicht nachvollziehbar seien, hervorgerufen werden könne. Die nach Prof. Dr. W. in der medizinischen Literatur vertretenen Hinweise auf Aggravation wie gänzlich unplausibele Angaben zur Beschwerdeentstehung, fehlende Anzeichen einer prämorbiden Vulnerabilität und ausgeprägte Inkonsistenzen in der Beschwerdeschilderung und Ausprägung sind hier allerdings - worauf die Gutachterin zutreffend hinweist - nicht zu erkennen. Angesichts der langen Vorgeschichte, insbesondere der umfassend dokumentierten Ergebnisse auch der stationären Behandlungen bzw Rehabilitation hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen nur simuliert und aggraviert werden.
Angesichts des wechselhaften Verlaufs der Erkrankung sieht der Senat eine zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögen des Klägers allerdings erst ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. W. als nachgewiesen an. Ein vergleichbarer oder sogar noch schlechterer Zustand dürfte bereits einmal im Frühjahr/Sommer 2009 bestanden haben, wie sich dem Entlassungsbericht der W.-P.-Klinik vom 04.06.2009 sowie dem Gutachten von Dr. Sch. vom 03.08.2009 entnehmen lässt. Zum damaligen Zeitpunkt lag jedoch noch nicht mit hinreichender Sicherheit eine dauerhafte Einschränkung der Leistungsfähigkeit vor, insbesondere waren die therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten noch nicht annähernd ausgeschöpft. In der Folgezeit dürfte von einer Stabilisierung auszugehen sein, wie auch Prof. Dr. W. in ihrem Gutachten annimmt (Seite 21). Auch wenn dem Gutachten von Dr. H. in der Gesamtbeurteilung nicht gefolgt werden kann, ist doch zu vermerken, dass bei der klinischen Untersuchung im August 2010 Antrieb und Schwingungsfähigkeit nur leicht reduziert waren und Dr. H. insoweit nur von einer aktuell leichten depressiven Episode ausging, im Vergleich zu einer mittelgradigen Ausprägung im August 2009 nach den Ergebnissen des Gutachtens von Dr. Sch ... Nach alledem geht der Senat vom Eintritt des Leistungsfalls jedenfalls zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. W. am 26.04.2011 aus, ein früherer Leistungsfall lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht nachweisen.
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nach § 102 Abs 2 SGB VI auf Zeit geleistet, dabei erfolgt die Befristung für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nach § 101 Abs 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Angesichts des Eintritts des Leistungsfalls am 26.04.2011 ist Rentenbeginn somit der 01.11.2011, die Rente ist bis 31.10.2014 zu befristen.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kommt vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger 1966 und damit nach dem gemäß § 240 Abs 1 Nr 1 SGB VI maßgebenden Stichtag 02.01.1961 geboren ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
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