L 13 AS 2411/13 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 2293/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 2411/13 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Mai 2013 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig vom 22. April bis zum 30. September 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 382,00 EUR zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, insbesondere gemäß § 172 Abs. 3 Ziff. 1 i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG statthaft, und in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Abs. 1 des § 86 b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Verfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, in NVwZ 2005, 927, 928 und in Juris). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003, 2 BvR 311/03, in NVwZ 2004, 95, 96 und in Juris). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.

Die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) setzt neben dem gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland Hilfebedürftigkeit der Erwerbsfähigkeit voraus. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Zwar bestehen aufgrund der durch den Antragsteller vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Zweifel an dessen Erwerbsfähigkeit. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller über eine Arbeitsunfähigkeit hinaus aber außerstande wäre, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, liegen nicht vor. Ob die durch die Antragsgegnerin veranlasste Begutachtung zwischenzeitlich durchgeführt wurde und welches Ergebnis diese erbrachte, ist dem Senat nicht bekannt.

Der Antragssteller hat auch seine Hilfebedürftigkeit hinreichend glaubhaft gemacht. Auf die Aufforderung der Antragsgegnerin vom 3. Mai 2013 (Bl. 43 der SG-Akte), u. a. die Anlage EKS für den Zeitraum 1. Februar bis 31. Juli 2013, die Bilanz der Gesellschaft für das abgeschlossene Jahr 2012 sowie die Kontoauszüge für Privat- und Geschäftskonto ab Januar 2013 lückenlos vorzulegen, hat der Antragsteller mitgeteilt, aus der Mitarbeit aus der Gesellschaft ausgeschieden zu sein und lediglich noch 30,00 EUR Tantieme monatlich zu erhalten. Insoweit hat er auf den bereits vorgelegten GbR-Vertrag vom 2. Juli 2012 Bezug genommen. Da ihm das Konto gekündigt worden sei, könne er auch keine Kontoauszüge vorlegen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben nicht den Tatsachen entsprechen, sind für den Senat bei vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht ersichtlich. Auch gibt es keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller mit Frau H. (zuvor S.) oder Frau W. in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebt und dessen Bedarf durch das Einkommen der Partnerin gedeckt wäre. Allein der Umstand, dass der Antragsteller unter der Adresse von Frau H. einen Zweitwohnsitz gemeldet und mit Frau W. einen Untermietvertrag abgeschlossen hatte, genügt nicht, um die Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu begründen. Sollte sich die Antragsgegnerin hierauf berufen wollen, wären weitere Ermittlungen geboten. Die weitere Ermittlung des Sachverhalts im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes war dem Senat nicht mehr möglich, nachdem die Zeugin H. (derzeit) aus gesundheitlichen Gründen nicht vernommen werden kann.

Der Senat hält es somit im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit nicht für angebracht, sämtliche Ermittlungen im Beschwerdeverfahren nachzuholen und entscheidet - wie in Fällen komplexer, mit den Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu beantwortender Fragestellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art geboten (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai.2005 - 1 BvR 569/05) - im Wege der Folgenabwägung. Hierbei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzubeziehen und zu berücksichtigen, dass die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen. Auf Seiten der Antragsgegnerin ist dessen Interesse zu berücksichtigen, nicht zustehende Leistungen auch nicht zu erbringen und im Falle der vorläufigen Erbringung von Leistungen das Risiko eines Forderungsausfalls, wenn das Hauptsacheverfahren zu Ungunsten des Antragstellers ausgeht und eine Rückforderung scheitert. Im Rahmen der vorläufigen Entscheidung überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Sicherstellung des Existenzminimums, weshalb dem Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen in Höhe der Regelleistung vorläufig zu zusprechen waren.

Nachdem der Antragsteller selbst angegeben hat, derzeit ohne feste Unterkunft zu sein, fehlt es hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, weshalb die Beschwerde diesbezüglich zurückzuweisen war.

Die Dauer der einstweiligen Anordnung berücksichtigt den regelmäßigen Bewilligungszeitraum von sechs Monaten nach § 41 Abs.1 S.4 SGB II. In diesem Zeitraum hat die Antragsgegnerin ausreichend Zeit, die Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit und der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zum Abschluss zu bringen.

Prozesskostenhilfe, die im sozialgerichtlichen Verfahren nur durch Beiordnung eines Rechtsanwalts bewilligt werden kann, war für das Beschwerdeverfahren, nachdem der Antragsteller keinen Anwalt benannt hat, nicht zu gewähren (§ 73a SGG i.V.m. §§ 114 Satz 1, 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved