L 5 R 4074/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 2165/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 4074/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 03.09.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine höhere Rentenzahlung ohne Absenkung der Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 für nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anerkannte Versicherungszeiten.

Der 1945 in R. geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und im Jahr 1986 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Er ist Inhaber des Vertriebenenausweises A.

Auf den Antrag des Klägers vom 28.10.2008 gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 01.12.2008 Altersrente ab dem 01.01.2009 (zunächst vorläufig) in Höhe von monatlich 1.197,65 EUR. Die Berechnung der Rentenhöhe erfolgte unter Multiplikation der Entgeltpunkte für in R. zurückgelegte Zeiten mit dem Faktor 0,6 nach § 22 Abs. 4 FRG. Hiergegen legte der Kläger am 16.12.2008 Widerspruch ein. Unter anderem wandte er sich gegen die 40%ige Absenkung der rumänischen Entgeltpunkte. Vor dem Hintergrund anhängiger Gerichtsverfahren wurde das Widerspruchsverfahren zum Ruhen gebracht und im September 2010 von der Beklagten wieder angerufen. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2012 wies sie den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies die Beklagte auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13.06.2006 (1 BvR 9/00) und 15.07.2010 (1 BvR 1201/10) und die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.10.2009 (B 5 R 38/08 R und B 13 R 61/09 R). Danach sei die Kürzung der FRG-Zeiten verfassungsgemäß.

Am 16.04.2012 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die 40%ige Kürzung verletze ihn in seinen Rechten. Er werde gegenüber anderen Spätaussiedlern aus EU-Ländern benachteiligt. Die Verfassungsmäßigkeit der Absenkung müsse anhand von Art. 3 Grundgesetz (GG) geprüft werden. Für zB p. Spätaussiedler würden besondere Regelungen gelten. Eine Ungleichbehandlung bestünde zudem innerhalb der Gruppe der r. Spätaussiedler, da ältere Jahrgänge besonders bewertet würden. Auch aufgrund der neuen sozialpolitischen Gegebenheiten und Gesetzgebung in Europa sei eine Neugestaltung des FRG erforderlich. Außerdem reiche ihm die zurzeit ausgezahlte Rente nicht. Seine Rente betrage lediglich 28 % der letzten Monatsgehälter. Die 40%ige Kürzung führe zu einem Verlust von 250 bis 300 EUR pro Monat. Ein Vergleich der Entgeltpunkte für Zeiten in R. und Zeiten in Deutschland ergebe eine tatsächliche Kürzung der r. Beschäftigungszeiten von 52%.

Das SG hat den Kläger mit Schreiben vom 08.05.2012 auf die höchstrichterliche Rechtsprechung unter Benennung der einzelnen Entscheidungen hingewiesen und die Rücknahme der Klage angeregt. Nachdem der Kläger mitteilte, dass er die Klage aufrecht halten werde, hat das SG mit Schreiben vom 18.05.2012 (dem Kläger zugestellt am 23.05.2012) darauf hingewiesen, dass die Auferlegung von Missbrauchskosten in Höhe der Pauschgebühr von 150 EUR beabsichtigt sei. Das Gericht habe dargelegt, dass die streitige Rechtsfrage schon vom BVerfG entschieden worden sei. Eine Stellungnahme und Auseinandersetzung mit der angeführten Rechtsprechung sei von Seiten des Klägers nicht erfolgt. Die Fortführung des Klageverfahrens werde daher als missbräuchlich angesehen. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, dass die Entscheidung des BVerfG vom 13.06.2006 hauptsächlich auf der Prüfung von Art. 14 GG beruhe. Die Klage richte sich aber auf eine Verletzung von Art. 3 GG. Es liege eine Ungleichbehandlung mit ehemaligen Bürgern anderer ehemaliger sozialistischer Länder, wie zB P. vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 03.09.2012, zugestellt am 04.09.2012, hat das SG die Klage abgewiesen und dem Kläger Kosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Höhe von 150 EUR auferlegt. Zur Begründung hat das SG auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 15.03.2012 und im Gerichtsschreiben vom 08.05.2012 verwiesen. Darüber hinaus hat es ausgeführt, das Gericht halte die Auferlegung von Kosten in Ausübung seines Ermessens für angebracht. Der Kläger habe den Rechtsstreit fortgeführt, obwohl ihm schriftlich dargelegt worden sei, dass die streitige Rechtsfrage vom BSG und BVerfG geklärt worden sei und daher die Fortführung des Rechtsstreits als missbräuchlich angesehen werde. Dem Gericht seien durch die Fortführung vermeidbare Kosten in Form von allgemeinen Gerichtshaltungskosten und Personalkosten entstanden. Die Kammer halte es für angemessen und ausreichend den Mindestbetrag von 150 EUR festzusetzen.

Am 27.09.2012 hat der Kläger beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung zunächst vorgetragen, er wende sich gegen die Auferlegung von Verschuldenskosten. Die Kostenentscheidung könne gemäß § 192 Abs. 3 SGG durch das Rechtsmittelgericht aufgehoben werden. Auf Nachfrage des LSG (Schreiben vom 17.10.2012), ob sich der Kläger auch gegen die Klageabweisung mit seiner Berufung wende, führte der Kläger unter dem 26.10.2012 aus, es gebe gravierende Unterschiede bei den Rechtsvorschriften der Renten für Spätaussiedler. Bei Spätaussiedlern aus P. werde die 40%ige Kürzung nicht angewandt. Für Spätaussiedler aus anderen Herkunftsstaaten komme eventuell der Fiktivabzug zum Tragen, während Spätaussiedler aus den Nachfolgestaaten der S. keinen Fiktivabzug zu befürchten hätten, da sie nicht der Europäischen Union angehörten. Für ihn als Spätaussiedler aus R. müsse auch aufgrund europäischen Rechts das Gleiche gelten, wie zB für Spätaussiedler aus P.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 03.09.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 01.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2012 zu verurteilen, ihm ab dem 01.01.2009 höhere Rente ohne Kürzung der Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 für nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anerkannte Versicherungszeiten zu gewähren,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat die Beklagte im Wesentlichen auf die angefochtenen Entscheidungen verwiesen.

Mit Schreiben vom 14.11.2012, dem Kläger zugestellt am 17.11.2012, hat der Senat auf die Rechtslage hingewiesen. Allein maßgeblich seien die vom SG genannten nationalen Normen, die keinen Bezug zum europäischen Gemeinschaftsrecht aufwiesen. Die Rechtsverfolgung erscheine missbräuchlich. Es sei beabsichtigt von der Möglichkeit, Verschuldenskosten nach § 192 SGG aufzuerlegen, Gebrauch zu machen. Als verursachter Kostenbetrag gelte mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG (für die zweite Instanz 225 EUR). Der Kläger führte daraufhin aus, die Differenzierung nach Herkunftsgebieten folge aus § 2 FRG, wonach zwischenstaatliche Abkommen unberührt blieben. Daraus resultiere der Sonderstatus polnischer Spätaussiedler. Die Kürzung von 40% sei überhöht. Er erhalte lediglich 34,8 % seines letzten Nettogehalts und weniger als er und sein Arbeitgeber im letzten Beschäftigungsjahr monatlich einbezahlt hätten. Das LSG hat dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 06.12.2012 mitgeteilt, dass es bei dem Hinweis vom 14.11.2012 verbleibe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft. Die Berufung ist auch sonst gem. § 151 SGG zulässig. Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dies hat das SG zutreffend dargelegt. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 01.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Auf die Ausführungen des SG und die zutreffende Begründung des Widerspruchsbescheids der Beklagten (§ 136 Abs. 3 SGG) nimmt der Senat Bezug und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer Begründung ab.

Zum Vortrag im Berufungsverfahren ist ergänzend auszuführen, dass allein die Absenkung der Entgeltpunkte nach § 22 Abs. 4 FRG streitgegenständlich ist. Der vom Kläger in seiner Berufungsbegründung in Bezug genommene Fiktivabzug nach § 31 FRG ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Beklagte hatte im Verfahren beim SG mit Aktenzeichen S 25 R 2774/09 im Wege eines Anerkenntnisses den Bescheid vom 22.12.2008 insoweit aufgehoben.

Nach § 22 Abs. 4 FRG werden die für FRG-Zeiten (nach §§ 15, 16 FRG) ermittelten Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 vervielfältigt, also um 40 v. H. gekürzt. Die Beklagte hat diese Vorschrift, worüber die Beteiligten nicht streiten, zutreffend angewendet. § 22 Abs. 4 FRG ist auch verfassungsgemäß. Das BVerfG hat § 22 Abs. 4 FRG für verfassungsmäßig erklärt und nicht nur eine Verletzung des Art. 14 GG, sondern auch eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ausdrücklich verneint. In die Prüfung eines Verstoßes gegen das Gleichheitsgrundrecht hat das BVerfG neben den Berechtigten mit Anwartschaften aus dem sozialen Sicherungssystem der Deutschen Demokratischen Republik auch die Inhaber von Ansprüchen und Anwartschaften, die dem Deutsch-Polnischen Sozialversicherungsabkommen unterfallen, mit einbezogen. Es hat festgestellt, dass die Ungleichbehandlungen jeweils von hinreichend sachlichen Gründen getragen sind. Die unterschiedliche Behandlung von polnischen Anwartschaften beruht auf dem völkerrechtlichen Grundsatz der Gegenseitigkeit und ist in unterschiedlichen Versicherungsbiographien begründet. Eine Verletzung von Art. 3 GG liegt daher nicht vor. Nur im Hinblick auf den Vertrauensschutz hat das BVerfG eine Übergangsregelung für Berechtigte gefordert, die vor dem 01.01.1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen haben und deren Rente nach dem 30.09.1996 beginnt (Beschl. v. 13.06.2006 – 1 BvL 9/00). Diese Übergangsregelung ist mit Art. 6 § 4a Abs. 2 FANG geschaffen worden. Sie ist ebenfalls verfassungsmäßig (BVerfG Beschl. v. 15.07.2010 – 1 BvR 1201/10; BSG Urt. v. 20.10.2009 – B 5 R 38/08 R). Schließlich ist nicht ersichtlich, weshalb die Anwendung der genannten Vorschriften auf den Kläger gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen sollte. Die genannten nationalen Normen weisen keinen Bezug zum europäischen Gemeinschaftsrecht auf.

Das SG hat dem Kläger auch zu Recht Verschuldenskosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG auferlegt. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht einem Beteiligten ganz oder teilweise Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Die Rechtsverfolgung ist missbräuchlich im Sinne dieser Regelung, insbesondere wenn der Rechtsstreit trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit weitergeführt wird (BT-Drucks. 14/6335 S. 35; BVerfG NJW 1986, 2102). Dabei genügt nach der geltenden Fassung des § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die objektive Aussichtslosigkeit (LSG Baden-Württemberg Urt. v. 26.06.2003 - L 12 AL 3537/02; Hessisches LSG Urt. v. 11.12.2002 - L 6 AL 1000/01; beide juris; Knittel in Hennig, SGG, § 192 Rn. 12; Groß in Hk-SGG, § 192 Rn. 10; aA Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 192 Rn. 9a) dann, wenn die weitere Rechtsverfolgung von jedem Einsichtigen auch als völlig aussichtslos angesehen werden muss. Dies war vorliegend der Fall. Die Vorsitzende hat den Kläger mit Schreiben vom 18.05.2012 darauf hingewiesen, dass die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich geklärt und die Klage deshalb ohne Aussicht auf Erfolg ist. Sie hat auch darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist Verschuldenskosten in Höhe des gesetzlichen Mindestbetrages von 150 EUR festzusetzen.

Die Berufung des Klägers bleibt deshalb erfolglos.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG). Die Übereinstimmung von § 22 Abs. 4 FRG mit Verfassungsrecht ist höchstrichterlich geklärt.
Rechtskraft
Aus
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