L 11 R 5407/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 574/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5407/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.10.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 30.06.2010 hinaus.

Der am 20.10.1956 geborene Kläger besitzt die türkische Staatsangehörigkeit und hat keinen Beruf erlernt. Von 1972 bis 2006 übte er zunächst eine Beschäftigung als Textilarbeiter und zuletzt eine Tätigkeit als Arbeiter in der Qualitätskontrolle aus. Seit dem 25.09.2006 ist der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Vom 18.12.2007 bis zum 15.01.2008 befand sich der Kläger in einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der M.-B.-Klinik in K ... Im Entlassungsbericht vom 18.02.2008 diagnostizieren Prof. Dr. H. und Dr. K. sowie Dr. A. eine Agoraphobie mit Panikstörung, eine mittelgradige depressive Episode, einen Verdacht auf anhaltende, wahnhafte Störungen, Dysmorphophobie, eine arterielle Hypertonie, eine gemischte Hyperlipidämie. Die Entlassung erfolgte als arbeitsunfähig infolge der noch vorhandenen depressiven Symptomatik und Angststörungen. Bei ausreichender Behandlung und Besserung der Angststörungen sei der Kläger in ca drei bis vier Monaten wieder in der Lage, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit sechs Stunden arbeitstäglich auszuüben. Mit Bescheid vom 28.07.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.10.2007 bis 30.06.2008.

Auf den Antrag des Klägers vom 05.02.2010 auf Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30.06.2010 hinaus ließ die Beklagte den Kläger durch Dr. W. nervenärztlich aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 18.03.2010 begutachten. Dr. W. diagnostizierte Angst und depressive Störungen gemischt sowie eine arterielle Hypertonie und hielt den Kläger für in der Lage, mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zu verrichten.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14.04.2010 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte nach Beiziehung einer Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. U. (M7 des medizinischen Teils der Verwaltungsakte) mit Widerspruchsbescheid vom 29.12.2010 zurück.

Der Kläger hat am 27.01.2011 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, sein Gesundheitszustand lasse keine weitere berufliche Tätigkeit mehr zu. Er hat sich auf ein nach Aktenlage erstelltes Gutachten von Dr. S.-S. vom 12.11.2011 der Bundesagentur für Arbeit G. berufen, welches er zu den Akten gereicht hat (vgl Bl 25/26 der SG-Akte).

Das SG hat Befundberichte des behandelnden Hausarztes Dr. U. beigezogen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Bl 28/66 der SG-Akte verwiesen.

Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. S. hat eine schriftliche Aussage als sachverständiger Zeuge am 10.03.2011 abgegeben und darin ausgeführt, dass der Kläger infolge der chronifizierten depressiven Entwicklung mit somatoformen Funktionsstörungen nicht mehr in der Lage sei, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.

Das SG hat Dr. G. mit der Erstellung eines neuro-psychiatrischen Gutachtens von Amts wegen beauftragt. In seinem aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 08.02.2012 erstellten Gutachten kommt Dr. G. zum Ergebnis, dass eine chronifizierte mittelgradige depressive Episode sowie eine Klaustrophobie und wahrscheinlich auch eine Panikstörung vorlägen. Eine zuverlässige Beantwortung der Frage, ob beim Kläger tatsächlich eine für die quantitative berufliche Leistungsfähigkeit relevante Funktionseinbuße vorliege, sei infolge des bei der Untersuchung zu Tage getretenen Aggravationsverhaltens nicht möglich. Zudem seien die Behandlungsmöglichkeiten noch nicht ganz ausgeschöpft.

Das SG hat ein internistisches Gutachten von Dr. S. aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 14.05.2012 sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. S. aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 11.06.2012, welche auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Prüfung der Frage der Arbeitsunfähigkeit in Auftrag gegeben wurden, beigezogen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Bl 146/154 sowie 155/169 der SG-Akte verwiesen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 25.10.2012 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger mit gewissen Funktionseinschränkungen noch in der Lage sei, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auszuüben. Nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von Dr. G. sei eine Aufhebung des quantitativen Leistungsvermögens nicht zu begründen. Auch nach dem Gutachten von Dr. S. liege keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vor, sondern es trübten vielmehr Defizite der Arbeitsmotivation die Weiterarbeitsprognose erheblich ein. In seiner schriftlichen Zeugenaussage habe Dr. S. mitgeteilt, dass der Kläger seit Frühjahr lediglich sechsmal bei ihm in Behandlung gewesen sei. Dies spreche nicht für eine engmaschige nervenärztliche Betreuung. Den gutachterlichen Ausführungen von Dr. G. und Dr. S. sei somit der Vorzug zu geben.

Der Kläger hat gegen das am 30.11.2012 zugestellte Urteil am 28.12.2012 Berufung eingelegt und zur Berufungsbegründung ausgeführt, die Zeugenaussage von Dr. S. sei nicht ausreichend gewürdigt worden. Auch sei die Einschätzung von Dr. G. nicht überzeugend, da er gerade kein Mensch sei, der aggraviere. Vielmehr leide er ständig an so starken Schmerzen, dass er dies eben zum Ausdruck bringe. Er sei nicht in der Lage, auch nur eine Stunde am Tag zu arbeiten. Sein Arbeitsverhältnis sei zwischenzeitlich einvernehmlich aufgelöst worden und in den letzten Jahren habe er nicht mehr arbeiten können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.10.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 aufzuheben und dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.07.2010, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bis auf Weiteres zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sie hat zur Berufungserwiderung auf den Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen.

Der Senat hat Dr. M. mit der Erstellung eines nervenfachärztlichen Gutachtens von Amts wegen beauftragt. In ihrem aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 15.04.2013 sowie am 19.04.2013 erstellten Gutachten kommt Dr. M. zum Ergebnis, dass der Kläger noch in der Lage sei, leichte und zeitweilig mittelschwere Tätigkeiten an sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Dr. M. hat ein leichtes depressives Syndrom sowie eine somatoforme Störung diagnostiziert.

Die Beteiligten sind mit Verfügung vom 27.06.2013 darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückzuweisen, da der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 26.07.2013 gegeben worden. Der Hinweis ist dem Klägervertreter mit Empfangsbekenntnis am 01.07.2013 und der Beklagten am 02.07.2013 zugestellt worden.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch ansonsten statthafte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 14.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.07.2010.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise mit Schreiben vom 27.06.2013 gehört worden.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom SG und vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger noch leichte bis zeitweilig mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Tätigkeiten mit Stress, Druck oder Nachtarbeit, ohne Arbeiten mit hohem Zeitaufwand oder im Akkord sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche verrichten kann. Der Kläger ist damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Der Kläger leidet nach den Feststellungen des Senats an einem leichten depressiven Syndrom sowie einer somatoformen Störung. Diese Erkrankungen haben jedoch keine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens zur Folge. Der Senat schließt dies insbesondere aus dem nervenfachärztlichen Gutachten von Dr. M. aufgrund der ambulanten Untersuchungen am 15.04.2013 und am 19.04.2013. Bei den eingehenden Untersuchungen konnten keine schweren Depressivitätsanzeichen, keine Hinweise auf Reduktion des Anpassungs- und Umstellungsvermögens oder auf konzentrative Probleme oder Gedächtnisstörungen festgestellt werden. Die vom Kläger beklagten Schmerzen, Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen haben noch keine wesentlichen Einschränkung der Tagesgestaltung und Alltagskompetenz zur Folge. Auch ein sozialer Rückzug hat nach den anamnestischen Angaben bislang nicht stattgefunden. Für eine lediglich leichtgradige Symptomatik spricht des Weiteren, dass sich die Behandlungsfrequenz und Behandlungsmethode bei Dr. S. über die Jahre nicht geändert hat. Die von Dr. M. erhobenen Befunde vermögen eine mittel- oder gar schwergradige depressive Erkrankung somit nicht zu begründen. Im Übrigen sind von Dr. M. angesprochenen Inkonsistenzen in der Beschwerdeschilderung und insbesondere in den testpsychologischen Untersuchungen auch bei den vorangegangenen Begutachtungen zu verzeichnen gewesen. Der Senat nimmt insoweit auf das Gutachten von Dr. G. vom 08.02.2012 Bezug. Auch bei der dortigen Exploration sowie bei den testpsychologischen Untersuchungen konnten demonstrative Verhaltensweisen sowie Aggravationsmomente erhoben werden. Soweit Dr. G. eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert, vermag der Senat dem angesichts der aufgezeigten Inkonsistenzen nicht zu folgen. So weist Dr. G. selbst darauf hin, dass das depressive Symptom aufgrund der Beschwerdeschilderung in etwa die diagnostischen Kriterien für eine mittelgradige depressive Episode nach IBC10 erfülle. Allein aufgrund der Beschwerdeschilderung lässt sich jedoch eine zuverlässige Diagnose und insbesondere Einschätzung des Schweregrads angesichts zur Tage getretenen Inkonsistenzen nicht begründen. Dr. G. konnte infolge der Diskrepanzen auch keine sichere Aussage über noch vorhandene Leistungsfähigkeit treffen. Im Übrigen stimmt auch Dr. G. der Ansicht der Gutachterin Dr. M. überein, wonach die Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft seien. Eine höher frequente ambulante Psychotherapie oder eine vollstationäre psychiatrische Behandlung hätten noch nicht stattgefunden. Das von Dr. Sch. erstellte Gutachten ist zwar für die vorliegende Rechtsfrage nur eingeschränkt von Aussagekraft, da es im Wesentlichen zur Frage der Arbeitsunfähigkeit erstellt wurde. Allerdings entnimmt der Senat dem Gutachten, dass eine mittelgradige oder schwere depressive Episode nicht vorliegt. So konnten im Rahmen der Begutachtung Konzentrations- bzw. Merkfähigkeitsstörungen nicht nachvollzogen werden und eine relevante Einengung der affektiven Schwingungsfähigkeit auf eine Verlangsamung des Gedankengangs oder auf depressive Gedankeninhalte sowie vegetative Störungen lagen nicht vor. Im Ergebnis konnte von Dr. Sch. eine Arbeitsunfähigkeit nicht bestätigt werden. Die von Dr. M. zutreffend diagnostizierte leichtgradige depressive Symptomatik und somatoforme Störung ist grundsätzlich nach dem Schweregrad für die Annahme einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens nicht ausreichend und im Übrigen auch therapeutischen Maßnahmen zugänglich. Der wesentliche Schwerpunkt der Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen liegt auf dem nervenärztlichen Fachgebiet. Weitere Erkrankungen von erwerbsmindernder Relevanz auf weiteren Fachgebieten sind nicht ersichtlich. Der Senat nimmt hierzu auf das internistische Gutachten von Dr. S. vom 14.05.2012 Bezug. Darin konnten bis auf einen Bluthochdruck, eine Fettleber ohne inflamatorische Zeichen, Übergewicht und Harnsäureerhöhung keine schwerwiegenden Diagnosen auf internistischem oder orthopädischem Fachgebiet gestellt werden. Entsprechend kommt Dr. S. zum Ergebnis, dass dem Kläger noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschicht und ohne besonderen Zeitdruck zumutbar seien. Auch bei der Begutachtung durch Dr. W. im Verwaltungsverfahren konnten relevante Funktionseinschränkungen nicht festgestellt werden. Wie bei den Gutachten von Dr. G. und Dr. M. werden von Dr. W. demonstrative Tendenzen berichtet. Die von Dr. W. erhobenen Befunde reichen jedoch zur Überzeugung des Senats nicht aus um eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens anzunehmen.

Durch die vom SG und vom Senat durchgeführte Beweiserhebung ist die Leistungseinschätzung der behandelnden Ärzte Dr. U. und Dr. S. widerlegt. Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach st Rspr des Senats (vgl Urteil vom 17.01.2012, L 11 R 4953/10) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens idR keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Die häufig auch an die behandelnden Ärzte gerichtete Frage nach der Erwerbsfähigkeit eines Versicherten dient in erster Linie dazu, dem Gericht die Entscheidung über weitere Beweiserhebungen von Amts wegen zu erleichtern. Ist selbst nach Meinung der behandelnden Ärzte eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit ausgeschlossen, kann häufig auf die (nochmalige) Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtet werden. Soweit Dr. S. in seinen mehrfachen Berichten eine nicht gebesserte Symptomatik attestiert und infolge dessen eine Erwerbsminderung annimmt, folgt ihm der Senat nicht. Diesbezüglich hat insbesondere Dr. M. nach Auffassung des Senats schlüssig dargelegt, dass die therapeutischen Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind und erhebliche Inkonsistenzen zu verzeichnen sind. Selbst dem Bericht über die teilstationäre Behandlung in der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in N. vom 20.08.2007 ist zu entnehmen, dass zwar eine depressive Symptomatik vorliege, diese jedoch zeitweise sicherlich auch durch Aggravation verdeutlicht sei. Es habe nicht abgeklärt werden können, inwieweit kulturelle Unterschiede oder der doch deutliche primäre oder sekundäre Krankheitsgewinn für den wirklich herstellbaren Zugang zum Kläger ursächlich gewesen seien. Dementsprechend wird auch eine erneute Rehabilitationsmaßnahme nur bei Veränderung der Motivationslage für hilfreich gehalten.

Der Senat konnte sich somit davon überzeugen, dass die von Dr. W., Dr. G., Dr. Sch., Dr. S. und Dr. M. genannten Gesundheitsstörungen vorliegen. Diese Gesundheitsstörungen führen aber nicht zu einem in zeitlicher Hinsicht eingeschränkten Leistungsvermögen des Klägers für leichte bis zeitweilig mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen und Einschätzungen der Gutachten von Dr. W., Dr. S., Dr. Sch., Dr. G. und Dr. M. an. Der Kläger ist mithin in der Lage, unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche auszuüben.

Bei der noch vorhandenen Leistungsfähigkeit des Klägers - leichte Arbeiten mindestens 6-stündig - muss dem Kläger eine konkrete Tätigkeit, die er noch verrichten kann, nicht benannt werden. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit, die der Versicherte mit seinem Leistungsvermögen noch auszuüben vermag, wird von der Rechtsprechung des BSG jedenfalls in den Fällen für erforderlich gehalten, in denen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG Großer Senat (GS) BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8). Für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, gibt es keinen konkreten Beurteilungsmaßstab. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Daher ist eine genaue Untersuchung erforderlich, welche Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen durch die beim Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen ausgeschlossen sind (BSG Urteile vom 19. August 1997 - 13 RJ 55/96 - und vom 30. Oktober 1997 - 13 RJ 49/97). Die Pflicht zur konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit hängt von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss dargelegt werden, welche Tätigkeiten der Versicherte noch verrichten kann.

Der Kläger kann zwar nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen bestimmte Tätigkeiten nicht mehr durchführen. Diese sog qualitativen Einschränkungen gehen aber nicht über das hinaus, was bereits mit der Begrenzung des Leistungsvermögens auf nur noch leichte Arbeiten erfasst wird. Die beim Kläger bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen, die sämtlich nicht ungewöhnlich sind, lassen keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass dieser noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Aus den bestehenden Einschränkungen ergeben sich damit weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG 11.03.1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Der Kläger ist auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies geht aus den Gutachten von Dr. W., Dr. G., Dr. Sch., Dr. S. und Dr. M. hervor. Die dort erhobenen Befunde haben keine Einschränkung der Wegefähigkeit erbracht

Der Kläger ist damit nach Überzeugung des Senats noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und unter Beachtung der dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen zumindest leichte bis zeitweilig mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten. Dieses Leistungsvermögen besteht nach Überzeugung des Senats seit dem 01.07.2010 und seither durchgehend. Mit diesem Leistungsvermögen ist der Kläger nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI); er hat damit keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser bzw voller Erwerbsminderung.

Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) steht dem Kläger nicht zu. Der Kläger, der keinen Beruf erlernt hat und zuletzt als angelernter Qualitätskontrolleur tätig war, kann auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden. Solche Tätigkeiten kann er- wie dargelegt - noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Die vorliegenden Gutachten von Dr. G., Dr. Sch., Dr. S. und Dr. M. und dem Verwaltungsgutachten von Dr. W. haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbare inhaltliche Widersprüche und geben keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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