L 5 R 3174/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 2921/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3174/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.07.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1955 geborene Klägerin (GdB 20) hat keinen Beruf erlernt. Nach der Einreise nach Deutschland (1970) war sie als Strickerin, als Montagehelferin und zuletzt von 2002 bis 2008 als Servicekraft im Café und Kiosk der Klinik B. versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 18.2.2009 beantragte die Klägerin erstmals Rente wegen Erwerbsminderung. Zuvor hatte sie vom 18.11.2008 bis 30.12.2008 eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der K.-Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, St. B., absolviert. Im Entlassungsbericht vom 8.1.2009 sind die Diagnosen rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradige Episode, Alkoholabhängigkeit (abstinent seit 14 Jahren), Morbus Osler und HWS-Syndrom festgehalten. Als Bedienung könne die Klägerin nur unter 3 Stunden täglich arbeiten, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen: keine Arbeiten mit Publikumsverkehr wegen interkurrent häufig eintretendem Nasenbluten bei Morbus Osler) aber 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Eine weitere stationäre Rehabilitationsbehandlung fand vom 6.8.2009 bis 17.9.2009 in der Psychosomatischen Fachklinik, Bad D., statt. Im Entlassungsbericht vom 21.9.2009 sind die Diagnosen rezidivierende depressive Störung, pathologische Eifersucht, dependente Persönlichkeitsstörung, Morbus Osler und chronische Eisenmangelanämie festgehalten. Als Bedienung in einer Cafeteria könne die Klägerin nur unter 3 Stunden täglich arbeiten, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen: u.a. bei häufigem Nasenbluten negatives Leistungsbild für Publikumsverkehr) aber 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Die Beklagte erhob das Gutachten des Lungenarztes und Sozialmediziners Dr. H. vom 28.4.2009. Dieser diagnostizierte eine weiterhin bestehende rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode, Morbus Osler, Refluxösophagitis, HWS-Syndrom ohne neurologische Ausfälle, Alkoholabhängigkeit, seit 14 Jahren trocken. Bei der Klägerin liege auch weiterhin eine starke Depressivität vor im Sinne einer mittelgradigen Episode. Sie habe immer Angst vor Nasenbluten. Etwa jeden zweiten Tag habe sie entweder minimales Nasenbluten, das dann wieder sistiere, von Zeit zu Zeit müsse sie auch zum HNO-Arzt, der die Nase mitunter auch für kurze Zeit tamponiere. Die Laboruntersuchung habe als Minimalbefund eine minimale Reduktion von Hämoglobin und Hämatokrit ergeben. Die derzeit weiterhin vorliegende mittelgradige depressive Episode sollte intensiviert nervenärztlich behandelt werden. Bei regelmäßiger Einnahme von Antidepressiva müsse es möglich sein, die jetzigen Beschwerden positiv zu beeinflussen. Als Bedienung in einer Cafeteria könne die Klägerin nur unter 3 Stunden täglich arbeiten, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) aber 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Mit Bescheid vom 30.4.2009 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Den dagegen am 9.10.2009 eingelegten Widerspruch der Klägerin behandelte die Beklagte als Überprüfungsantrag (§ 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch, SGB X). Mit Bescheid vom 21.10.2009 lehnte sie die Rücknahme des (Ablehnungs-)Bescheids vom 30.4.2009 ab; dieser sei rechtmäßig. Auf den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin erhob die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahmen durch Dr. H. (u.a. vom 26.11.2009: Nasenblutungen etwa dreimal wöchentlich; Angebot einer laserchirurgischen Therapie bzw. operative Behandlungen durch Septodermatoplastik oder Nasenverschluss nach Young abgelehnt). Mit Widerspruchsbescheid vom 25.2.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Klage wurde nicht erhoben.

Am 2.8.2010 beantragte die Klägerin erneut Rente wegen Erwerbsminderung, worauf die Beklagte das (weitere) Gutachten des Dr. H. vom 1.9.2010 mit psychiatrischem Zusatzgutachten der Psychiaterin und Sozialmedizinerin Dr. H. vom 26.8.2010 erhob.

Dr. H. führte im Gutachten vom 26.8.2010 aus, hinsichtlich der Medikation habe die Klägerin angegeben, ein Antidepressivum habe sie abgesetzt und nehme derzeit ein Johanniskraut-Präparat; sie wolle nicht so viele Medikamente einnehmen. Hinsichtlich einer (neuerlichen) Psychotherapie habe sie bislang 10 Stunden absolviert. Eine stationäre (auch tagesklinische) Behandlung habe noch nicht stattgefunden. Ihre psychischen Probleme hingen mit der (Nasen-)Blutungskrankheit zusammen; sie habe fast jeden Tag 1- bis 2-mal Blutungen, manchmal 2- bis 3-mal am Tag. Bei der Erhebung des psychischen Befunds fand Dr. H. die Klägerin stimmungsmäßig leicht gedrückt; die Grundstimmung sei jedoch allenfalls subdepressiv bei guter affektiver Schwingungs- und Modulationsfähigkeit. Die Klägerin erscheine insgesamt eher etwas unzufrieden und resigniert als tiefergehend depressiv verstimmt. Der Antrieb sei weitgehend unauffällig; die Klägerin wirke keineswegs antriebsarm oder stark antriebsgemindert. Die Gutachterin diagnostizierte eine anamnestisch bekannte rezidivierende depressive Störung, ggf. allenfalls leicht ausgeprägte depressive Symptomatik auf dem Boden einer akzentuierten Persönlichkeit mit ängstlich-vermeidenden und abhängigen Zügen. Eine zeitliche Leistungseinschränkung bestehe nicht; leidensgerechte Tätigkeiten ohne Publikumsverkehr und ohne besondere Anforderungen an das Konzentrationsvermögen könne die Klägerin vollschichtig verrichten.

Dr. H. diagnostizierte im Gutachten vom 1.9.2010 zusätzlich Morbus Osler ohne Hinweise auf eine Anämie, ein rezidivierendes HWS-Syndrom, weiterhin ohne neurologische Ausfälle, sowie Alkoholabhängigkeit, seit 15 Jahren trocken. Die Problematik hinsichtlich des Morbus Osler sei gegenüber der Vorbegutachtung (28.4.2009) in etwa gleich geblieben. Etwa 3-mal wöchentlich bis einmal täglich komme es zu Nasenbluten, das etwa 10 Minuten dauere. Danach sistiere die Blutung wieder. Eine Veränderung des Blutbildes liege nicht vor (Hämoglobin, Hämatokrit und Thrombozyten im Normbereich). Eine Argon-Plasmabehandlung lehne die Klägerin ab; das würde nichts nützen. Als Bedienung in einer Cafeteria könne die Klägerin nur unter 3 Stunden täglich arbeiten, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) aber 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Mit Bescheid vom 1.9.2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, die Häufigkeit des Nasenblutens habe zugenommen. Sie habe nunmehr jeden Tag, manchmal sogar 2-mal am Tag Nasenbluten für 10 bis 15 Minuten. Sie müsse die Arbeit dann unterbrechen. Sie leide außerdem unter schweren Depressionen und werde deswegen engmaschig nervenärztlich behandelt. Unter betriebsüblichen Bedingungen könne sie wegen des Nasenblutens nicht arbeiten.

Die Beklagte zog den Abschlussbericht des Integrationsfachdienstes K. vom 2.3.2011 bei (Betreuung der Klägerin vom 2.7.2010 bis 1.1.2011: während einer betrieblichen Trainingsmaßnahme mehrfach täglich Nasenbluten, deshalb Fortführung abgebrochen) und erhob das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 3.5.2011. Darin ist ausgeführt, die Klägerin konsultiere seit zwei Jahren vielleicht einmal, vielleicht auch zweimal (so die Klägerin) im Monat den Psychotherapeuten Dr. G.; außerdem suche sie einmal im Monat die Nervenärztin Dr. A. auf. Die Klägerin nehme ein Johanniskraut-Präparat, gelegentlich Ferro Sanol, außerdem ein pflanzliches Medikament gegen Wechseljahrbeschwerden. Der Gutachter diagnostizierte bei dem Eindruck eines nicht unerheblichen "Agierens" der Klägerin und einem Desinteresse an der Klärung von Therapieoptionen (auch hinsichtlich beklagter Depressionen) sowie durchaus lebendiger Antriebslage und dysthymem Grundtenor eine Dysthymie, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dependenten und histrionischen Zügen, einen Verdacht auf CTS beidseits (klinisch ohne überdauernde sensomotorische Ausfälle), Agoraphobie bei gleichzeitig auch anklingender leichter Angststörung, Morbus Osler, angegebene weitere Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparats, nicht mit neurologischen Ausfällen assoziiert und einen Zustand nach Alkoholabhängigkeit oder längerem Alkoholabusus ohne Anhalt für überdauernde alkoholtoxische Folgeschäden. Das offenbar regelmäßig auftretende Nasenbluten sei zwar phobisch überlagert (Erwartungsängste), umgekehrt sei auch hier jedoch kein Interesse erkennbar, die Beschwerden für sich irgendwie näher zu erklären. Über die somatisch begründete Problematik hinaus bestünden offenbar auch nicht unerhebliche Instrumentalisierungen. Als Bedienung im Café könne die Klägerin nur unter 3 Stunden täglich arbeiten, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts aber nach wie vor 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.6.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf die Klägerin am 8.7.2011 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe erhob. Ergänzend trug sie vor, sie habe sich im Klinikum M. wegen des Nasenblutens stationär behandeln lassen müssen. Der dort vorgenommene Eingriff habe zu keiner deutlichen Besserung geführt. Auch die nervliche Befundsituation sei unverändert. Außerdem bestehe eine Arthrose in den Händen.

Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte.

Die Neurologin und Psychiaterin Dr. A. teilte im Bericht vom 27.9.2011 Behandlungstermine (2011: 12.1.; 1.3.; 30.3.; 9.5.; 9.9.) und Diagnosen (auf ihrem Fachgebiet u.a. rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode) mit. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten halbtags verrichten. Ganz im Vordergrund stehe der Morbus Osler, weswegen die Klägerin nahezu täglich heftigste Blutungen aus der Nase habe, die nur schwer gestoppt werden könnten und die zu erheblichem Blutverlust bis hin zu Blutarmut führten. Die Klägerin nehme täglich Eisentabletten. Die Blutarmut führe zu ständiger Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Aus diesen internistischen Gründen könne die Klägerin im wettbewerbsorientierten Rahmen nicht mehr arbeiten. Wegen des Nasenblutens würde sie kein Arbeitgeber einstellen. Das für die berufliche Leistungsfähigkeit maßgebliche Leiden liege eindeutig auf internistisch/hausärztlichem Fachgebiet wegen des Morbus Osler.

Die Orthopädin Dr. H. gab im Bericht vom 30.9.2011 an, die Klägerin könne eine leichte Tätigkeit mindestens 6 Stunden täglich verrichten.

Der Allgemeinarzt Dr. St. führte im Bericht vom 6.10.2011 aus, bei Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin zu Häufigkeit und Stärke des Nasenblutens sei eine regelmäßige Arbeit mit festen Arbeitszeiten nicht möglich. Um dies endgültig beurteilen zu können, benötige man entsprechende Aufzeichnungen über Stärke und Häufigkeit der Blutungen sowie einen aktuellen aussagekräftigen HNO-ärztlichen Befund bzw. ein fachärztliches Gutachten.

Der HNO-Arzt Dr. E. teilte im Bericht vom 17.10.2011 mit, bei der Klägerin bestehe rezidivierendes Nasenbluten bei Morbus Osler. Die Blutungen hätten zugenommen, was zur operativen Intervention geführt habe. Wenn die Anzahl der Blutungen nach erfolgter Argon-Plasma-Koagulation deutlich reduziert sei, könne die Klägerin leichte Tätigkeiten mindestens 6 Stunden täglich verrichten.

Die Beklagte legte hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. Pf. vom 19.12.2011 vor. Diese führte aus, im Vordergrund stehe der Morbus Osler mit einer rezidivierenden Epistaxis. Im August 2011 habe eine entsprechende Koagulation im Bereich beider Nasenhaupthöhlen stattgefunden. Über die Häufigkeit der Blutungen nach erfolgter Koagulation lägen keine konkreten Angaben vor. Nach wie vor sei jedoch eine quantitative Leistungsminderung nicht nachvollziehbar. Ein angegebener Hämoglobin-Abfall im März 2011 könne als einmaliges Ereignis anhand der Unterlagen festgemacht werden. Der festgestellte Wert habe auch nicht zur Notwendigkeit von Transfusionen geführt; ggf. auftretende Schwächen führten zu Arbeitsunfähigkeit ohne längerfristige Leistungsminderung.

Nachdem die Klägerin geltend gemacht hatte, sie habe mehrfach im Krankenhaus behandelt werden müssen, erhob das Sozialgericht den Bericht des Universitätsklinikum M. (Universitäts-HNO-Klinik) vom 14.3.2012. Darin heißt es, die Klägerin sei nach stationärer Behandlung vom 25.8.2011 bis 29.8.2011 entlassen worden. Nach einer notfallmäßigen Vorstellung am 20.12.2011 habe man bereits am Folgetag eine für Dezember vorgesehene Verödung der Nase vorgenommen. Danach habe sich die Klägerin nicht mehr vorgestellt. Man habe (u.a.) eine rezidivierende Epistaxis bei bekanntem Morbus Osler diagnostiziert. Schwankungen im Hämoglobinwert hätten bislang keine Transfusionen erforderlich gemacht. In der Regel spreche nichts gegen eine leichte körperliche Tätigkeit von mindestens 6 Stunden täglich. Jedoch müsse immer wieder mit spontanem Nasenbluten gerechnet werden. Der Morbus Osler sei nicht heilbar. Es könnten lediglich die blutungsfreien Zeitintervalle durch eine immer wieder durchgeführte Behandlung verlängert werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 9.7.2012 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin könne Erwerbsminderungsrente nicht beanspruchen. Sie sei nicht erwerbsgemindert, da sie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne (§ 43 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI). Das gehe aus den vorliegenden Rentengutachten der Dres. H., H. und B. überzeugend hervor. Betriebsunübliche Pausen seien wegen des Morbus Osler bzw. des darauf beruhenden gehäuften Nasenblutens nicht erforderlich; dies könne mit den Verteilzeiten aufgefangen werden. Die von Dr. A. attestierte mittelschwere Depression bzw. darauf beruhende rentenberechtigende Leistungseinschränkungen hätten die Gutachter Dres. H. und B. nicht bestätigen können. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) komme für die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt breit verweisbare Klägerin nicht in Betracht.

Auf den ihr am 13.7.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24.7.2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung bekräftigt sie ihr bisheriges Vorbringen. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts sei für sie nicht nachvollziehbar. Nasenbluten trete jeden Tag und jede Nacht mindestens 3- bis 4-mal auf. Die Koagulation habe nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Wegen des ständigen Blutverlusts fühle sie sich schlapp, müde und ausgelaugt. Ihr stehe Rente auch wegen der Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet zu; Dr. A. habe das im Bericht vom 27.9.2011 bestätigt. Außerdem bestünden die bereits im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geltend gemachten Schmerzzustände. Wegen des Nasenblutens seien betriebsunübliche Arbeitsbedingungen erforderlich. Das Sozialgericht hätte weitere Ermittlungen durchführen müssen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9.7.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 1.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2011 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, ab 1.8.2010 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat behandelnde Ärzte ergänzend befragt.

Der Orthopäde Dr. B. hat im Bericht vom 5.3.2013 mitgeteilt, der Klägerin sei (nach Verordnung von physikalischen Maßnahmen mit Manualtherapie und Krankengymnastik) zumutbar, eine leichte Tätigkeit mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Voraussetzung sei, dass eine selbstständige, regelmäßige krankengymnastische Therapie durchgeführt werde.

Der HNO-Arzt Dr. E. hat mit Schreiben vom 12.4.2013 ausgeführt, bei der Klägerin sei jederzeit spontan, auch ohne körperliche Anstrengung, rezidivierendes Nasenbluten möglich. Eine tägliche Arbeitsbelastung von 6 Stunden mit körperlich leichten Arbeiten sei aus HNO-ärztlicher Sicht derzeit vertretbar. Aufgrund der rezidivierenden Blutungen erschienen Arbeiten mit Kundenkontakt weniger sinnvoll.

Am 31.7.2013 hat eine Erörterungsverhandlung stattgefunden. Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Sie hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§§ 43, 240 SGB VI) das Rentenbegehren der Klägerin zu beurteilen ist, und weshalb ihr danach Rente nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren anzumerken:

Auch der Senat ist der Auffassung, dass die Klägerin (jedenfalls) leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das geht aus den Rentengutachten der Dres. H., H. und B. - gestützt durch die Entlassungsberichte der K.-Klinik, St. B., und der Fachklinik Bad D. über die von der Klägerin im November/Dezember 2008 und im August/September 2009 absolvierten stationären Rehabilitationsbehandlungen - überzeugend hervor. Der abweichenden Auffassung von Dr. A. kann sich der Senat nicht anschließen; er teilt die Beweiswürdigung des Sozialgerichts.

In orthopädischer Hinsicht liegen rentenberechtigende Leistungseinschränkungen nicht vor. Das geht (neben den Rentengutachten des Dr. H. vom 28.4.2009 und vom 1.9.2010) aus den Berichten der behandelnden Orthopäden Dr. H. und Dr. B. vom 30.9.2011 bzw. 5.3.2013 hervor. Beide Ärzte haben die Klägerin für fähig erachtet (ggf. bei begleitender krankengymnastischer Behandlung), leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten.

Die Klägerin stützt ihr Rentenbegehren - neben der Morbus-Osler-Erkrankung - in erster Linie auch auf Erkrankungen des psychiatrischen Fachgebiets. Rentenberechtigende Leistungseinschränkungen sind aber auch insoweit nicht festzustellen. Das ergibt sich aus den Rentengutachten der Dres. H. und B. vom 26.8.2010 bzw. vom 3.5.2011. Beide Rentengutachter haben eine hinreichend schwerwiegende und dauerhafte Depressionserkrankung mit sozialmedizinisch (rentenrechtlich) beachtlichen Folgewirkungen für das zeitliche Leistungsvermögen, etwa hinsichtlich des Antriebs oder des zeitlichen Durchhaltevermögens, nicht gefunden. Dr. H. hat bei weitgehend unauffälligem Antrieb und allenfalls subdepressiver Stimmung und guter affektiver Schwingungs- und Modulationsfähigkeit eine leicht ausgeprägte depressive Symptomatik festgestellt. Dr. B. hat bei (ebenfalls) durchaus lebendiger Antriebslage (lediglich) eine Dysthymia diagnostiziert. Ins Gewicht fällt zudem, dass weder hinsichtlich einer Depressionserkrankung noch hinsichtlich einer (damit zusammenhängenden) behaupteten Schmerzerkrankung eine leitliniengerechte Therapie stattfindet. In medikamentöser Hinsicht nimmt die Klägerin lediglich ein Johanniskraut-Präparat ein; hinzukommen nicht engmaschig stattfindende Therapiegespräche. Wenn (tatsächlich) eine sozialmedizinisch (rentenrechtlich) beachtliche Erkrankung des depressiven Formenkreises vorliegt, finden - schon wegen des entsprechenden Leidensdrucks - regelmäßig angemessene und multimodale psychopharmakologische, psychotherapeutische bzw. psychiatrische Behandlungen (ambulant bzw. auch teilstationär und stationär) statt. Depressionserkrankungen führen auch nicht unbesehen zur Berentung. Sie sind vielmehr behandelbar und auch zu behandeln, bevor Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI angenommen werden kann (vgl. auch Senatsurteil vom 11.5.2011, - L 5 R 1823/10 -). Wie aus den Leitlinien der Beklagten für die sozialmedizinische Begutachtung (Stand August 2012, Leitlinien) hervorgeht, bedingt eine einzelne mittelgradige oder schwere depressive Episode in den meisten Fällen vorübergehende Arbeitsunfähigkeit und erfordert eine Krankenbehandlung, stellt jedoch in Anbetracht der üblicherweise vollständigen Remission keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit dar. Eine ungünstige Prognose bezüglich der Erwerbsfähigkeit kommt danach (erst) in Betracht, wenn mehrere der folgenden Faktoren zusammentreffen: Eine mittelschwer bis schwer ausgeprägte depressive Symptomatik, ein qualifizierter Verlauf mit unvollständigen Remissionen, erfolglos ambulante und stationäre, leitliniengerecht durchgeführte Behandlungsversuche, einschließlich medikamentöser Phasenprophylaxe (z.B. Lithium, Carbamazepin, Valproat), eine ungünstige Krankheitsbewältigung, mangelnde soziale Unterstützung, psychische Komorbidität, lange Arbeitsunfähigkeitszeiten und erfolglose Rehabilitationsbehandlung (Leitlinien S. 101 f.). Eine Fallgestaltung dieser Art besteht bei der Klägerin nicht, wie aus deren Begutachtung im Verwaltungsverfahren bzw. den Erkenntnissen der Klinikärzte der K.-Klinik für Psychosomatik, St. B., und der Psychosomatischen Fachklinik Bad D. hervorgeht.

Dr. A. hat in ihrem Bericht vom 27.9.2011 eine aus Befunden nachvollziehbar begründete sozialmedizinische Leistungseinschätzung nicht abgegeben. Ihre Auffassung, wonach die Klägerin nur halbtags arbeiten könne, kann angesichts der schlüssigen Leistungseinschätzung der Rentengutachter Dres. H. und B. nicht überzeugen. Entsprechendes gilt für den Bericht von Dr. St. vom 6.10.2011. Dr. A. hat außerdem das für die berufliche Leistungsfähigkeit maßgebliche Leiden mit dem Morbus Osler nicht ihrem (dem psychiatrischen), sondern dem internistisch/hausärztlichen Fachgebiet zugeordnet; Dr. St. hat die Einschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit ebenfalls von HNO-ärztlichen Befunden abhängig gemacht. Der Morbus Osler bzw. die darauf beruhenden rezidivierenden Nasenblutungen - ebenso Müdigkeitserscheinungen infolge von Blutarmut oder der Einnahme von Eisentabletten - begründen dauerhafte (mindestens 6 Monate anhaltende - vgl. etwa jurisPK-SGB VI/Freudenberg, § 43 Rdnr. 93.) rentenberechtigende zeitliche Leistungseinschränkungen indessen nicht, können allenfalls zu vorübergehender Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn (§§ 44 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V) führen. Das geht neben den Rentengutachten des Dr. H. aus dem Bericht des behandelnden HNO-Arztes Dr. E. vom 12.4.2013, dem Bericht der Universitäts-HNO-Klinik M. vom 14.3.2012 und der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Pf. vom 19.12.2011 hervor. Wegen des gehäuften Nasenblutens sind (lediglich) nicht zur Berentung führende qualitative Leistungseinschränkungen, wie der Ausschluss von Tätigkeiten mit Publikumsverkehr, veranlasst (so auch Dr. E. im Bericht vom 12.4.2013).

Die Klägerin kann die ihr danach zumutbaren Beschäftigungen auch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts i. S. d § 43 SGB VI verrichten. Dieser ist ihr nicht wegen des Erfordernisses betriebsunüblicher Pausen verschlossen.

Dem Versicherten kann der Arbeitsmarkt verschlossen sein, wenn er für die Ausübung einer Vollzeittätigkeit zusätzliche, in den gesetzlichen Vorschriften nicht vorgesehene, Pausen benötigt und wenn Arbeitnehmer in der betrieblichen Praxis zu solchen Bedingungen nicht eingestellt werden (BSG, Urt. v. 30.5.1984, - 5a RKn 18/83 -; Urt. v. 30.10.1997, - 13 RJ 49/97 -). Maßstab für das Erfordernis betriebsunüblicher Pausen sind die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG). Gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. ArbZG ist Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. § 4 Satz 1 bis 3 ArbZG sieht vor, dass die Arbeit durch im Voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden insgesamt zu unterbrechen ist. Die Ruhepausen können in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten und nach näherer Maßgabe der §§ 4 und 7 ArbZG auch in kleinere Zeitabschnitte aufgeteilt werden. Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen Arbeitnehmer nicht ohne Ruhepause beschäftigt werden. Zu berücksichtigen sind außerdem die so genannten sachlichen und – hier von Belang- persönlichen Verteilzeiten. Verteilzeiten sind Zeiten, die nicht auf den Arbeitsprozess selbst verwendet werden, also nicht wertschöpfend sind, aber dennoch zur Arbeitszeit gerechnet werden (vgl. etwa Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, 6. Auflage 2003, herausgegeben vom VDR, S. 52 m. w. N.). Als sachliche Verteilzeiten gelten u.a. Zeiten der Einrichtung des Arbeitsplatzes, Arbeitsvorbereitungen (wie Materialbeschaffungen) oder Besprechungen. Persönliche Verteilzeiten sind Zeiten, in denen persönliche Belange wahrgenommen werden, wie Besprechungen in persönlichen Angelegenheiten, Toilettengänge, aber auch Erholungs- und Entspannungszeiten in Gestalt einer unproduktiven Anwesenheit am Arbeitsplatz. Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden gelten bspw. im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als die Arbeitszeit verkürzende Pausen. Für Büroarbeiten hat das Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie die von den Arbeitgebern zugestandene persönliche Verteilzeit mit etwa 12% der tariflich festgesetzten Arbeitszeit angesetzt (Senatsbeschluss vom 26.10.2010, - L 5 R 2916/10 - m. w. N.; auch LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.1.2012, - L 3 R 355/10 -).

Nach Maßgabe dessen kann die Klägerin die ihr möglichen Tätigkeiten unter Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Vorgaben für Arbeitspausen bzw. unter Inanspruchnahme der (arbeitsmarktüblichen) persönlichen Verteilzeiten vollschichtig (mindestens 6 Stunden täglich) verrichten. Nach ihren Angaben (zuletzt im Vorbringen zur Begründung der Berufung) trete Nasenbluten (nunmehr) jeden Tag und jede Nacht mindestens 3- bis 4-mal auf. Dies betrifft indessen die gesamte Tageszeit (und ggf. Nachtzeit) und nicht allein die rentenrechtlich maßgebliche Arbeitszeit von täglich 6 Stunden; das (unregelmäßig) über den Tag verteilte Nasenbluten konzentriert sich nicht ausschließlich auf die Arbeitszeit. Dem in dieser Zeit auftretenden Nasenbluten kann mit den genannten Pausen und Verteilzeiten ausreichend Rechnung getragen werden. Außerdem hat die Universitäts-HNO-Klinik M. im Bericht vom 14.3.2012 darauf hingewiesen, dass die blutungsfreien Zeitintervalle durch immer wieder durchgeführte Behandlungen verlängert werden können. Die Klägerin hat wegen des Morbus Osler bzw. des gehäuften Nasenblutens der Sache nach auch wesentlich auf die damit verbundenen (nachvollziehbaren) psychischen Belastungen verwiesen; diese begründen nach den vorstehenden Darlegungen bzw. den Erkenntnissen der (psychiatrischen) Rentengutachter jedoch keinen Rentenanspruch.

Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen, insbesondere weitere Begutachtungen, angesichts der vorliegenden Arztberichte und Gutachten nicht auf.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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