L 5 KR 3486/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 2403/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 3486/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 18.07.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme.

Der 1930 geborene Kläger leidet an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung und einem Zustand nach bösartigen Neubildungen der Prostata und des Kolons. Zuletzt absolvierte der Kläger im Jahr 2005 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme.

Am 25.06.2010 verordnete der Hausarzt des Klägers, Dr. V., medizinische Rehabilitationsleistungen. Im Verordnungsformular gab Dr. V. an, der Kläger leide unter einer Belastungsdyspnoe, Husten, Rückenschmerzen und "heißen Füßen". Als rehabilitationsrelevante Schädigungen liege eine eingeschränkte körperliche Leistungsbreite und eine limitierte Lungenfunktion vor. Der Kläger stünde in hausärztlicher und urologischer Behandlung. Es erfolge eine medikamentöse Dauertherapie der Hypertonie und der Lungenerkrankung. Heilmittel seien in den letzten zwölf Monaten nicht verordnet worden. Die Rehabilitationsmaßnahme ziele auf die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, evtl. mit COPD-Schulung, Atemgymnastik und physiotherapeutischen Maßnahmen. Im Haushalt benötige er personelle Hilfe. In seiner Selbstauskunft vom 04.06.2010 gab der Kläger gegenüber der Beklagten an, die Rehabilitation werde wegen des Asthmas beantragt. Seine Beweglichkeit sei durch diese Erkrankung eingeschränkt. Zur körperlichen Leistungsfähigkeit gab der Kläger ua an, er könne ohne Begleitung eine Stunde lang spazieren gehen, 30 min lang ohne Unterbrechung stehen, eine Treppe über mehrere Etagen hinaufgehen und 10 kg heben (zB Sprudelkiste). Er könne sich allein pflegen, an- und auskleiden, essen und trinken. Außerdem gab er an, nicht regelmäßig Sport zu treiben.

Die Beklagte befragte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Notwendigkeit der beantragten Leistung. In der Stellungnahme vom 06.07.2010 gelangte Dr. H.-M. zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Rehabilitationsmaßnahme nicht erfüllt seien. Da beim Kläger im letzten Jahr keine akuten Exazerbationen aufgetreten seien, keine motorischen Einschränkungen vorlägen und eine wesentlich eingeschränkte Belastbarkeit nicht bestehe, könne die Therapie der COPD weiter im ambulanten Rahmen erfolgen. Der Kläger sei in das "DMP-Programm COPD" eingeschrieben. Die medikamentöse Behandlung sei leitliniengerecht. Eine spezielle COPD-Schulung sei als nicht erforderlich beurteilt worden. Empfohlen werde die Teilnahme an einer Lungensportgruppe.

Mit Bescheid vom 16.07.2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab und gab zur Begründung an, nach dem Grundsatz "ambulant vor stationär" seien zunächst die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten am Wohnort auszuschöpfen. Hiergegen legte der Kläger am 12.08.2010 Widerspruch ein und verwies auf seinen Gesundheitszustand, der sich im letzten Jahr verschlechtert habe. Anfang des Jahres 2010 sei Prostatakrebs festgestellt worden, der seither behandelt werde. Außerdem habe er sich zwei Augenoperationen unterziehen müssen und Schädelverletzungen infolge eines Sturzes erlitten. Für den MDK nahm Dr. W. sodann nochmals Stellung und führte am 13.09.2010 aus, es könne weiterhin keine Indikation für die beantragte Leistung gesehen werden. Es bestünden keine deutlichen Beeinträchtigungen der Aktivität oder Teilhabe. Einzig im Bereich des häuslichen Lebens benötige er personelle Hilfe. Die erwünschten Ziele mit Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, Atemgymnastik und physiotherapeutischen Maßnahmen ließen sich auch im ambulanten Rahmen erreichen. Mit Bescheid vom 14.09.2010 entschied die Beklagte, dass es bei der Ablehnung der begehrten Maßnahme bleibe. Der Widerspruch werde "als erledigt" betrachtet.

Am 24.09.2010 hat der Kläger beim Sozialgericht Konstanz (SG) Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, die Prostatakarzinomerkrankung mit Operation und Bestrahlungen mache eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme dringend erforderlich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2010 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, aus den vorliegenden Unterlagen gehe eindeutig hervor, dass der Rehabilitationsantrag nicht auf eine Krebsnachsorgekur abziele, sondern auf die Behandlung der Lungenerkrankung. Zu deren Behandlung seien die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten nicht annähernd ausgeschöpft.

Das SG hat die Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Der Hausarzt Dr. V. gab am 20.01.2011 an, dass zum Zeitpunkt der letzten Untersuchung am 07.09.2010 eine stabile Erkrankungssituation vorgelegen habe. Der Patient sei unter der medikamentösen Behandlung weitgehend beschwerdefrei gewesen. Rehabilitative Maßnahmen seien sicherlich sinnvoll. Zum Zeitpunkt der Beantragung und auch unter Berücksichtigung der Erkrankungssituation im September 2010 sei eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme aber nicht zwingend erforderlich gewesen. Der Urologe des Klägers Dr. B. teilte am 04.05.2011 mit, beim Kläger liege ein hochmaliges Prostatakarzinom vor. Auf die durchgeführte operative Behandlung und Bestrahlung von Mai bis Juli 2009 habe der Kläger gut angesprochen.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.07.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid der Beklagten vom 16.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2010 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Die Voraussetzungen der §§ 11 Abs. 2, 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 iVm § 40 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) lägen nicht vor. Für die mit der beantragten Maßnahme verfolgten Ziele, die Leistungsfähigkeit zu verbessern und den Einschränkungen durch die Lungenerkrankung entgegenzuwirken, sei die Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme nicht unbedingt erforderlich. Zwar bestünden krankheitsbedingte Einschränkungen der Belastbarkeit und ein gewisser Behandlungsbedarf. Aus den Behandlungsunterlagen und den Auskünften der Ärzte ergebe sich jedoch nicht, dass die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten nicht ausreichten. Vor der Antragstellung seien keinerlei Heilmittelbehandlungen durchgeführt worden. COPD-Schulungen hätten nicht stattgefunden. Der Kläger sei auch nicht in lungenfachärztlicher Behandlung. Nach der Aussage des Hausarztes sei der Kläger medikamentös gut eingestellt. Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei auch nach Einschätzung des Hausarztes nicht zwingend erforderlich. Der Kläger habe zudem im Selbstauskunftsbogen eine gute körperliche Leistungsfähigkeit angegeben. Schließlich könne auch nicht aus den Befundunterlagen zur Prostatakarzinomerkrankung auf die Notwendigkeit einer Rehabilitation geschlossen werden.

Der Kläger hat gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 27.07.2012 zugestellten Gerichtsbescheid am 14.08.2012 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung vortragen lassen, bei der Schwere der Vorerkrankungen sei eine stationäre Rehabilitation die einzige Möglichkeit für den Kläger, eine Verbesserung seiner Leistungsfähigkeit und seiner Einschränkung durch die Lungenerkrankung durch Atemgymnastik, Physiotherapie und Schulungen zu erreichen. Der Kläger sei noch lange nicht "über den Berg", so dass möglichst rasch die beantragte Leistung bewilligt werden solle. Die Ablehnung sei auch deshalb unverständlich, weil in vergleichbaren Fällen bei anderen Patienten eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme bewilligt werde.

Der Kläger beantragt sinngemäß

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 18.07.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 16.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die beantragte stationäre Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide und den Gerichtsbescheid des SG.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung der beantragten stationären Rehabilitationsmaßnahme.

Rechtsgrundlage für die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen durch die Krankenkasse ist § 11 Abs. 2 SGB V iVm § 40 SGB V.

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Reicht bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht aus, um diese Ziele zu erreichen, erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen gem. § 40 Abs. 1 SGB V in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111c SGB V besteht, bzw. in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 72 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI). Reichen (auch) ambulante Rehabilitationsleistungen dieser Art nicht aus, erbringt die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer nach § 20 Abs. 2a Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zertifizierten Rehabilitationseinrichtung, mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht (§ 40 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Wie alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen sie dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Der Kläger kann keine stationäre Rehabilitationsmaßnahme beanspruchen, da die gem. § 40 Abs. 1 bis 3 SGB V vorrangig wahrzunehmende ambulante Krankenbehandlung und Heilmittelanwendung zur Erreichung der Rehabilitationsziele (§ 11 Abs. 2 Satz 1 SGB V) ausreichend und zweckmäßig, eine stationäre Rehabilitationsbehandlung daher nicht erforderlich ist. Das SG hat das in seinem Urteil zutreffend dargelegt. Der Senat teilt die Beweiswürdigung des SG. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten im Berufungsverfahren auszuführen: Die Beweisaufnahme des SG hat nicht ergeben, dass eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme die einzige Möglichkeit für den Kläger ist, seine Leistungsfähigkeit zu verbessern und die Einschränkungen durch die Lungenerkrankung zu vermindern. Atemgymnastik, Physiotherapie und COPD-Schulungen können auch im Rahmen einer ambulanten Krankenbehandlung durchgeführt werden. Die Notwendigkeit einer Komplexbehandlung unter stationären Bedingungen ergibt sich weder aus den Antragsunterlagen noch aus den Auskünften der befragten Ärzte. Die Ärzte des MDK legen in ihren Stellungnahmen vom 06.07.2010 und 13.09.2010 für den Senat schlüssig und nachvollziehbar dar, dass die Durchführung einer stationären Rehabilitation nicht erforderlich ist. Die Therapie der COPD kann im Rahmen einer ambulanten Krankenbehandlung erfolgen. Zuletzt sind keine akuten Exazerbationen aufgetreten. Es liegt auch weder eine motorische Einschränkung noch eine wesentlich eingeschränkte Belastbarkeit vor. Der Hausarzt des Klägers bestätigt schließlich, dass der Kläger unter der medikamentösen Behandlung der COPD weitgehend beschwerdefrei ist und eine rehabilitative Behandlung unter stationären Bedingungen nicht zwingend erforderlich ist. Aus den Angaben des Urologen ergeben sich insoweit keine hiervon abweichenden Erkenntnisse. Der Kläger hat gut auf die Behandlung der Prostatakarzinomerkrankung angesprochen. Die kombinierte Behandlung wurde vom Kläger gut toleriert.

Weitere Ermittlungen, insbesondere die Erhebung von Gutachten, drängen sich dem Senat angesichts der vorliegenden Arztberichte und MDK-Stellungnahmen nicht auf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved