L 5 R 4355/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 2509/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 4355/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18.09.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die (Nach-)Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw. Berufs- oder Erwerbsunfähige (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI a. F.) als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns (im Folgenden: Versicherter) für Mai 2000 bis April 2005.

Die 1943 geborene Klägerin war mit dem am 7.4.1940 geborenen und am 24.11.2006 verstorbenen Versicherten verheiratet. Dieser bezog ab 4.12.1986 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Rechtsvorgängerin der Beklagten (Bescheide vom 26.1.1987 und 20.7.1987). Die Rente ruhte teilweise wegen des gleichzeitigen Bezugs einer Verletztenrente vom zuständigen Unfallversicherungsträger (Maschinenbau und Metall BG). Mit Bescheid vom 15.2.2005 bewilligte die Beklagte dem Versicherten Regelaltersrente ab 1.5.2005 (686,26 EUR monatlich). Der Rentenberechnung legte sie im Wege der Umwertung aus der Erwerbsunfähigkeitsrente ermittelte Entgeltpunkte von 40,9315 zugrunde; diese waren höher als die für die Regelaltersrente ermittelten Entgeltpunkte von 38,0769. Die Klägerin bezieht seit 1.12.2006 große Witwenrente (Bescheid vom 12.1.2007).

Unter dem 20.10.2009 beantragte die Klägerin, den Bescheid vom 15.2.2005 über die Gewährung von Regelaltersrente an den Versicherten zu überprüfen (§ 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch, SGB X). Die Regealtersrente des Versicherten sei etwa doppelt so hoch ausgefallen wie die ihm zuvor gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente, was die Beklagte erläutern möge; es würden Überprüfungsanträge jedweder Art (im Hinblick auf die Rentenanpassungsbescheide) gestellt. Auf das Erläuterungsschreiben der Beklagten vom 15.12.2009 machte die Klägerin (deren Bevollmächtigter) mit Schriftsatz vom 20.1.2010 u.a. geltend, es werde nunmehr (außerdem) geltend gemacht dass der Versicherte bei Vollendung des 60. Lebensjahrs im April 2000 die Voraussetzungen für die Gewährung von Rente für schwerbehinderte Menschen erfüllt habe. Es werde im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die Nachzahlung dieser Rente beantragt.

Die nach erfolglosem Verwaltungsverfahren (Bescheid vom 26.5.2010/Widerspruchsbescheid vom 14.2.2011) beim Sozialgericht Freiburg erhobene Klage (Verfahren S 19 R 1449/11) nahm die Klägerin in der Erörterungsverhandlung des Sozialgerichts vom 7.9.2011 zurück. Gleichzeitig beantragte sie, ihr nach Maßgabe des § 44 SGB X als Rechtsnachfolgerin des Versicherten Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw. Berufs- oder Erwerbsunfähige (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI a.F.) ab 1.5.2000 in Höhe der dem Versicherten (ab. 1.5.2005) gezahlten Regelaltersrente (nach-)zugewähren. Dem Versicherten habe ab dem 60. Lebensjahr (April 2000) eine höhere Rente als die bis dahin gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente, nämlich Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw. Berufs- oder Erwerbsunfähige, zugestanden. Diese müsse genauso hoch sein wie die Regelaltersrente ab dem 65. Lebensjahr.

Mit Bescheid vom 11.11.2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen des §§ 44 SGB X seien nicht erfüllt. Der an den Versicherten gerichtete Bescheid vom 15.2.2005 sei rechtmäßig gewesen; die (Nach-)Gewährung der begehrten Rente ab 1.5.2000 komme nicht in Betracht. Seinerzeit habe man Aufklärungspflichten (§ 115 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI) nicht verletzt. Auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.

Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.5.2012 zurück. Zur Begründung führte sie (ergänzend) aus, die jetzt begehrte Rente sei seinerzeit nicht beantragt worden (§ 99 Abs. 1 SGB VI). Beratungspflichten habe man nicht verletzt.

Am 21.5.2012 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg. Sie trug (sinngemäß) vor, die Beklagte habe ihre Beratungspflichten verletzt, weshalb ihr die Nachzahlung der begehrten Rente ab 1.5.2000 auch ohne damals (rechtzeitig) gestellten Rentenantrag (des Versicherten) nach Maßgabe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zustehe. Die Fristvorschrift des §§ 44 Abs. 4 SGB X sei insoweit nicht anzuwenden.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.9.2012 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz, SGG) ergänzend aus, auch wenn die Beklagte - was offen bleiben könne - seinerzeit Beratungspflichten verletzt haben sollte und der Klägerin deswegen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zustehen würde, könnten etwaige (Renten-)Leistungen entsprechend § 44 SGB X nur für einen Zeitraum von 4 Jahren rückwirkend beansprucht werden (BSG, Urt. v 27.3.2007, - B 13 R 58/06 R -). Der Vierjahreszeitraum sei hier ab 7.9.2011 (nachträgliche Beantragung der jetzt begehrten Rente in der Erörterungsverhandlung des Sozialgerichts im Verfahren S 19 R 1449/11) zu berechnen. Die Nachzahlung von Rente für die Zeit von Mai 2000 bis April 2005 komme daher nicht in Betracht.

Auf den ihr am 25.9.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 18.10.2012 Berufung eingelegt. Die Beklagte habe entgegen der Vorschrift des § 115 Abs. 6 SGB VI es gegenüber dem Versicherten unterlassen, einen sinnvollen Hinweis auf eine Antragstellung zu geben, der Versicherte hätte dann einen höhere Rente erhalten können.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18.9.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2012 zu verurteilen, ihr als Rechtsnachfolgerin des Versicherten Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw. Berufs- oder Erwerbsunfähige (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI a.F.) für die Zeit von Mai 2000 bis April 2005 (nach-)zugewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Klägerin hat mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 30.08.2013, die Beklagte bereits unter dem 01.08.2013 das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG))

Die Berufung der Klägerin ist gem. §§ 143, 144, 155 SGG statthaft und auch sonst zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf (Nach-)Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw. Berufs- oder Erwerbsunfähige (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI a.F.) als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten für die Zeit von Mai 2000 bis April 2005. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Dem (allein) auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch bzw. die (behauptete) Verletzung einer Beratungspflicht der Beklagten gestützten Anspruch auf Rentennachgewährung für die Zeit ab Mai 2000 bis zum Beginn der Regelaltersrente des Versicherten am 1.5.2005 steht, wie das Sozialgericht zutreffend angenommen hat, jedenfalls die Regelung des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X entgegen. Danach werden bei Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB (auch Renten, § 11 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, SGB I) längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB X). Kann aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine Leistung rückwirkend verlangt werden, gilt nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 27.3.2007, - B 13 R 58/06 R -), der sich der Senat anschließt (vgl. auch etwa LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 7.6.2012, - L 22 R 381711 -), in entsprechender Anwendung des § 44 SGB X (ebenfalls) eine Ausschlussfrist von vier Jahren.

Gem. § 99 Abs. 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird. Der Versicherte hat (unstreitig) einen Antrag auf Gewährung von Rente für schwerbehinderte Menschen bzw. Berufs- oder Erwerbsunfähige nicht gestellt. In der Erörterungsverhandlung des Sozialgerichts im Verfahren S 19 R 1449/11 am 7.9.2011 waren sich die Beteiligten (auch der Bevollmächtigte der Klägerin) ausweislich der Sitzungsniederschrift darüber einig, dass auch die Klägerin bislang einen konkreten Antrag auf (Nach-)Gewährung dieser Rente nicht gestellt hat. Bezugspunkt für die Berechnung der vierjährigen Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X wäre dann (entsprechend § 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X) der Beginn des Jahres 2011 und eine Rentennachgewährung für die Zeit bis April 2005 käme nicht in Betracht. Dabei bliebe es auch, wenn man (anders als das Sozialgericht) für die Nachholung des seinerzeit (im Jahr 2000) vom Versicherten nicht gestellten Antrags auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw. Berufs- oder Erwerbsunfähige nicht auf die Antragstellung der Klägerin am 7.9.2011, sondern auf den Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 21.1.2010, in dem erstmals die Nachzahlung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab Vollendung des 60. Lebensjahrs des Versicherten gelten gemacht worden ist, abstellen würde. Bezugspunkt für die Berechnung der Vierjahresfrist für die Rentennachgewährung nach Maßgabe eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bzw. der darauf gestützten Annahme rechtzeitiger Antragstellung i. S. d § 99 Abs. 1 SGB VI wäre dann nicht entsprechend § 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X der Beginn des Jahres 2011, sondern der Beginn des Jahres 2010. Rentennachzahlungen für die Zeit bis April 2005 müssten auch dann ausscheiden. Der gegen den Altersrentenbescheid vom 15.2.2005 (und gegen nachfolgende Anpassungsbescheide) gerichtete Überprüfungsantrag der Klägerin vom 20.10.2009 hatte nicht die Gewährung einer anderen Rente (nämlich von Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw. Berufs- oder Erwerbsunfähige), sondern die Berechnung des Zahlbetrags der dem Versicherten gewährten Regelaltersrente zum Gegenstand.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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