L 9 R 505/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 1031/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 505/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. November 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1958 geborene Klägerin hat in der Türkei drei Jahre lang die Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Im Jahr 1970 kam sie in die Bundesrepublik Deutschland und war von 1972 bis 1981 als Arbeiterin in einer Schreinerei und von 1981 bis 1988 als Maschinenarbeiterin in einem metallverarbeitenden Betrieb beschäftigt.

Im November 1988 wurde bei der Klägerin ein Schilddrüsenkarzinom festgestellt, das im November und Dezember 1988 operativ entfernt und anschließend mit Radio-Jod-Therapie behandelt wurde.

Auf ihren Rentenantrag vom 18.10.1989 gewährte die Beklagte der Klägerin aufgrund eines Leistungsfalls vom 14.11.1988 mit Bescheid vom 29.11.1989 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vom 01.10.1989 bis 31.12.1991. Diese Rente wurde dann jeweils befristet bis 28.02.2005 weiter gewährt.

Den Rentenantrag der Klägerin von November 2004 lehnte die Beklagte nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahme bei dem Internisten H. vom 30.12.2004, der die eingeholten ärztlichen Unterlagen ausgewertet hatte, mit Bescheid vom 24.02.2005 ab. Den Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung von Gutachten auf internistischem, chirurgisch-orthopädischem und nervenärztlichem Gebiet mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 zurück. Die Klage hiergegen wies das Sozialgericht Karlsruhe (SG) nach Einholung von Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet (PD Dr. W. vom 01.02.2006) chirurgisch-ortho-pädischem Gebiet (Dr. S. vom 05.08.2006) und nervenärztlich-psychosomatischem Gebiet (Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz [SGG] von Dr. W. vom 14.02.2007) mit Urteil vom 25.04.2007 (S 14 R 2720/05) ab. Die Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 22.08.2007 (L 10 R 2813/07) zurück.

Am 12.09.2007 beantragte die Klägerin, bei der seit 11.03.1994 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt ist, nachdem zuvor ein GdB von 80 festgestellt war, erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme bei Dipl. med. G., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 05.10.2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 20.11.2007 ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2008 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 06.03.2008 Klage zum SG (S 14 R 1031/08) erhoben, mit der sie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgt.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.

Der Orthopäde Dr. S. hat unter dem 21.04.2008 erklärt, in der gefragten Zeit ab 2007 habe er die Klägerin an drei Terminen im Januar und Februar 2008 wegen Schmerzen in der linken Schulter behandelt. Aus orthopädischer Sicht könne die Klägerin Tätigkeiten vollschichtig verrichten. Das Hauptproblem bestehe in der Adipositas und der – psychiatrisch diagnostizierten – schweren Depression.

Der Neurologe und Psychiater Dr. W. hat am 14.05.2008 über Behandlungen der Klägerin seit 05.08.2005, dabei über 15 Behandlungen der Klägerin vom 27.06.2006 bis 09.04.2008 berichtet. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich seit 2006 nicht geändert. Seines Erachtens sei die Klägerin nur noch unter halbschichtig einsetzbar. Das maßgebliche Leiden liege auf nervenärztlichem Gebiet. Er hat einen Arztbrief über die Behandlungen der Klägerin in der D. Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik vom 17.10.2007 (Behandlungen vom 08.10.2007 bis 12.10.2007) vorgelegt.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. W. hat am 09.05.2008 mitgeteilt, er behandle die Klägerin seit 1984. Der Schwerpunkt der Klagen und Befunde liege auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet. Die Beschwerdesymptomatik habe im letzten Jahr zugenommen.

Vom 17.04.2008 bis 08.05.2008 ist die Klägerin stationär in der M.-Klinik behandelt und arbeitsunfähig entlassen worden. Eine angebotene Verlängerung des stationären Aufenthaltes hatte die Klägerin abgelehnt.

Das SG hat zunächst Dr. E., Arzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Ärztlicher Direktor des Klinikums N. C., mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dieser hat im Gutachten vom 07.10.2008 bei der Klägerin eine chronifizierte depressive Entwicklung und Ängste – aktuell mittelschwere Symptomatik –, somatoforme Beschwerden bei einer ängstlich unsicheren Persönlichkeit mit stark hypochondrischer Akzentuierung, degenerative Veränderungen im Halswirbelsäulenbereich (HWS-Bereich) und in beiden Kniegelenken sowie eine Adipositas diagnostiziert. Er hat ausgeführt, aufgrund der genannten Gesundheitsstörungen sowie der negativen Körper- und Belastungswahrnehmung sei sowohl die Durchhaltefähigkeit als auch die Leistungsfähigkeit der Klägerin deutlich reduziert. Sie benötige lange Ruhephasen und sei nicht in der Lage, konsequent und kontinuierlich eine entsprechende Leistung abzurufen. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu 10 kg könne sie drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten. Die zeitliche Grenze beruhe auf einer raschen Erschöpfbarkeit und Einschränkung des gesamten Leistungsvolumens. Zu vermeiden seien Zwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an laufenden Maschinen, mit geistiger Beanspruchung, z.B. längerer Konzentration, mit erhöhter oder hoher Verantwortung und nervlicher Belastung. Betriebsunübliche Pausen seien bei einer Arbeitszeit von drei bis unter sechs Stunden nicht erforderlich. Der festgestellte Gesundheitszustand liege mit hoher Wahrscheinlichkeit seit der Untersuchung der Klägerin durch Dr. W., das heißt seit Anfang 2007, vor.

Nach Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie Dr. H. vom 07.01.2009, die eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin – bei unverändertem psychosomatischem Zustand – nicht als erwiesen ansah, hat Dr. E. am 12.05.2009 ausgeführt, bei der Klägerin lägen typische Symptome einer depressiven Erkrankung vor. Es bestehe eine grundsätzliche Problematik der Messbarkeit einer depressiven Störung. Aus diesem Grund seien bei der Begutachtung differenzierte psychometrische Testverfahren eingesetzt worden, um auch die weiteren Beschwerden (wie z.B. Vergesslichkeit, Konzentrationsstörung) differentialdiagnostisch einzuordnen. Ausgehend von einer mittelschweren depressiven Symptomatik halte er an der von ihm vorgenommenen Leistungseinschätzung (Leistungsvermögen drei bis unter sechs Stunden) fest.

Das SG hat daraufhin ein weiteres Gutachten bei Dr. S., Arzt für Innere Medizin, Neurologie und Psychiatrie, eingeholt. Dieser hat im Gutachten vom 03.02.2010 unter Mitberücksichtigung eines psychologischen Zusatzgutachtens der (türkisch-sprachigen) Diplom-Psychologin K. vom 29.01.2010 ausgeführt, bei der Klägerin hätten keine Störungen des Bewusstseins, der Orientierung, der Auffassung und des Konzentrationsvermögens vorgelegen. Gedächtnisstörungen ließen sich nicht nachweisen. Im Antrieb sei die Klägerin leicht verhalten gewesen; eine signifikante Antriebsminderung oder psychomotorische Hemmung sei nicht ersichtlich gewesen. In der Grundstimmung sei sie subdepressiv, hoffnungslos, ängstlich wirkend und klagsam gewesen. Die affektive Resonanzfähigkeit sei eingeschränkt und zum negativen Pol verschoben, aber nicht aufgehoben gewesen. Das formale Denken sei folgerichtig und nicht verlangsamt gewesen. Inhaltliche Denkstörungen, Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen sowie dissoziative Störungen seien nicht vorhanden gewesen. Es hätten sich Hinweise für Somatisierungsstörungen ergeben. Die Klägerin habe ein somatisch und psychisch orientiertes Krankheitsgefühl. Der soziale Radius sei entsprechend ihren Angaben vor allem auf die Familie beschränkt. In ihrer Grundpersönlichkeit wirke die Klägerin wenig introspektions- und reflexionsfähig sowie passiv veranlagt. Für eine Persönlichkeitsstörung von Krankheitswert habe sich kein Anhalt ergeben. Die Intelligenz sei nach dem klinischen Eindruck durchschnittlich. Bei der Laboruntersuchung hätten sich weder die Wirksubstanz des Antidepressivums CiatalonR, Citalopram noch der Metabolit Desmetyl-citalopram nachweisen lassen. Es sei somit davon auszugehen, dass das Antidepressivum in den Tagen vor der Untersuchung nicht eingenommen worden sei. Diese lasse zum einen Rückschlüsse auf den subjektiven psychischen Leidensdruck und zum anderen auf die Authentizität der anamnestischen Angaben zu. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hat er eine Dysthymia mit Somatisierungstendenzen, Spannungskopfschmerzen und eine leicht ausgeprägte Polyneuropathie unklarer Ursache und ohne motorische Ausfälle diagnostiziert. Als sonstige Diagnosen hat er Kniegelenksbeschwerden beidseits, Schultergelenksbeschwerden beidseits, rechts ausgeprägter als links, ein HWS-Syndrom ohne signifikante sensomotorische Ausfälle sowie einen Zustand nach Operationen bei Schilddrüsenkarzinom und anschließender Radio-Jod-Therapie ohne Hinweise auf ein Tumorrezidiv genannt. Er ist zum Ergebnis gelangt, die Klägerin könne leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Zu vermeiden seien Wirbelsäulenzwangshaltungen, gehäufte Überkopfarbeiten, durchgehende Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten unter vermehrtem Zeitdruck, verstärkten Akkordbedingungen, mit vermehrten Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen, mit uneingeschränkter Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit, mit vermehrten emotionalen Belastungen sowie Nachtarbeiten. Das von ihm beschriebene Leistungsvermögen bestehe seit der letzten Rentenantragstellung. Für eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes der Klägerin im laufenden Rentenverfahren ergebe sich kein Anhalt.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG hat das SG Dr. Ö., Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 25.06.2010 hat er bei der Klägerin auf seinem Fachgebiet eine passiv-abhängige Persönlichkeitsstruktur und eine mittelgradige depressive Störung diagnostiziert. Aufgrund der Funktionsstörungen des Bewegungsapparates seien der Klägerin selbst leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Gegenständen bis 2 kg nicht mehr zumutbar. Vermeiden müsse sie häufiges Bücken und Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Akkordarbeiten. Die noch möglichen Tätigkeiten könne die Klägerin drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten, wobei er eher von einem Leistungsvermögen von drei Stunden ausgehe. Bei einer längeren Tätigkeit sei mit einer Zunahme von Schmerzen und mit einem Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit zu rechnen. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin habe sich nach seiner Auffassung gewandelt. Nachdem am Anfang die Schilddrüsen-Karzinom-Operation mit der somatischen Funktionsbeeinträchtigung im Vordergrund gestanden habe, habe sich im Verlauf eine zunehmende Chronifizierung entwickelt. Belastend sei auch die massive Gewichtszunahme von insgesamt 25 kg. Die Klägerin sei über 18 Jahre berentet gewesen. Nach der zweiten Klageerhebung habe sich die Leistungsfähigkeit nicht deutlich verändert.

Dr. H. hat in der Stellungnahme vom 19.08.2010 ausgeführt, das Gutachten von Dr. Ö. enthalte in der Zusammenschau zu viele Inkonsistenzen, um mit der erforderlichen Sicherheit eine quantitative Leistungsminderung der Klägerin anzunehmen. Dagegen erscheine das Gutachten von Dr. S., der testpsychologische Untersuchungen mit Beschwerdevalidierung habe durchführen lassen und der auch als Internist das komplexe psychosomatische Krankheitsbild differenziert beurteilen könne, plausibel und widerspruchsfrei. Bei einem seit Jahren unverändertem psychosomatischem Zustandsbild sei weiterhin von einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszugehen.

Mit Urteil vom 04.11.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe weder Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung noch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Nach dem Ergebnis des Verfahrens und der Beweisaufnahme lasse sich zur Überzeugung des SG nicht hinreichend sicher belegen, dass das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin für jegliche, selbst körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auf unter sechs Stunden täglich herabgesunken sei. Dies ergebe sich aus dem im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten des Psychiaters, Neurologen und Internisten Dr. S. und der Psychotherapeutin K., den ärztlichen Stellungnahmen des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten sowie den Angaben des behandelnden Orthopäden Dr. S. Die gegenteiligen Leistungseinschätzungen der Sachverständigen Dr. E. und Dr. Ö. begegneten Zweifeln. Denn beide Sachverständigen hätten ihre Einschätzung, dass das Leistungsvermögen der Klägerin auf drei bis unter sechs Stunden täglich abgesunken sei, maßgeblich auf Beeinträchtigungen gestützt, die in den erhobenen Befunden keine hinreichende Stütze fänden. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Als ungelernte Arbeiterin müsse sich auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 01.03.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin schon am 03.02.2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, sowohl Dr. E. als auch Dr. Ö. hätten in ihrem Gutachten ein unter vollschichtiges Leistungsvermögen bei ihr angenommen und damit einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bejaht. Dr. Ö. habe ausgeführt, dass die Ergebnisse der von Dr. E. vorgenommenen Testungen mit denen, die er vorgenommen habe, nahezu deckungsgleich seien. Es fänden sich Hinweise auf eine mittelschwere depressive Symptomatik. Dr. S. habe dagegen die Wechselwirkungen mit anderen Fachgebieten nicht ausreichend gewürdigt. Sie sei nicht in der Lage, auch nur leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. November 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. September 2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunktes zuließen. Sie verweise auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nur erfüllt, wenn die Leistungsminderung spätestens im März 2009 eingetreten wäre.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nur erfüllt wären, wenn der Leistungsfall bis spätestens 31.03.2009 eingetreten wäre (vgl. Versicherungsverlauf vom 23.02.2012).

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit - §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht besteht, weil die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht gehindert ist, wenigstens sechs Stunden täglich zu arbeiten und nicht berufsunfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass auch der Senat nicht festzustellen vermag, dass das Leistungsvermögen der Klägerin bis spätestens 31.03.2009, dem Zeitpunkt, zu dem letztmalig die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt waren, auf unter sechs Stunden täglich für körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten herabgesunken ist. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere der nervenärztlichen Gutachten von Dr. S. vom 28.05.2005, PD Dr. W. vom 01.02.2006, Dr. W. vom 14.02.2007, Dr. E. vom 07.10.2008, Dr. S. vom 03.02.2010 und Dr. Ö. vom 25.06.2010 sowie der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. W., des Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin K. vom 29.01.2010, der Arztbriefe der D.-Klinik vom 17.10.2007 und der M.-Klinik vom 16.06.2008, der beratungsärztlichen Stellungnahmen des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 26.03.2007, von Dipl. med. G. vom 05.10.2007 und der Psychiaterin Dr. H. vom 07.01.2009 und 19.08.2010.

Nach den den Senat überzeugenden Beurteilungen von Dr. W. im Gutachten vom 01.02.2006 und Dr. S. im Gutachten vom 03.02.2010 und Diplom-Psychologin K. im Gutachten vom 29.01.2010 liegt bei der Klägerin eine Dysthymia vor. Hierbei handelt es sich nach der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD 10) um eine chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung zu erfüllen (F34.1).

Für diese Diagnose sprechen die bei der Klägerin auf psychiatrischem Gebiet erhobenen Befunde. So konnte PD Dr. W. bei der gutachterlichen Untersuchung der Klägerin am 30.01.2006 keine Zeichen einer schweren depressiven Erkrankung, insbesondere kein Morgentief, keine versteinerte Mimik und keine Anhaltspunkte für Suizidalität feststellen. Vielmehr war die Klägerin äußerlich gepflegt, in der Kontaktaufnahme aufgeschlossen und freundlich zugewandt. Sie war bei klarem Bewusstsein, zeitlich, örtlich, zur Person orientiert. Die wichtigen Daten in ihrer Biografie konnte sie prompt schildern, in angemessener Mimik und einer etwas zurückhaltenden Gestik. Wiederholt bekräftigte sie ihre Ängste, dass ihre Krebskrankheit rezidiviere und dass sie deshalb auch traurig sei. Dabei kam eine weiche Emotionalität mit guter emotioneller Resonanzfähigkeit zum Ausdruck. Trotz der Schilderung der Klägerin, sie sei antriebslos, grüblerisch und traurig, vermochte PD Dr. W. keine Zeichen einer schweren depressiven Erkrankung festzustellen. Eine Minderung der kognitiven und mnestischen Funktionen fand sich nicht. Der Denkablauf war geordnet, ohne formale und inhaltliche Denkstörungen.

Seit den von PD Dr. W. im Jahr 2006 erhobenen Befunden ist zumindest bis März 2009, dem letztmaligen Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, keine wesentliche Änderung und insbesondere keine wesentliche Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten, wie sich für den Senat aus der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. W. vom 14.05.2008 und den Gutachten von Dr. S. vom 03.02.2010 sowie dem Zusatzgutachten von Diplom-Psychologin K. vom 29.01.2010 ergibt.

Bei den gutachterlichen Untersuchungen durch Dr. S. und Diplom-Psychologin K. waren Gestik und Mimik lediglich leicht gemindert. Die Klägerin war auskunftsbereit und kooperativ. Störungen des Bewusstseins, der Orientierung, der Auffassung und der Konzentration sowie Gedächtnisstörungen waren nicht vorhanden. Während der dreistündigen Exploration durch die Diplom-Psychologin K. zeigte sich kein signifikantes Schwanken oder Nachlassen der Konzentration; vielmehr war die Klägerin während der gesamten Untersuchung aufmerksam. In den Leistungstests zeigte die Klägerin, die in der Türkei lediglich drei Jahre die Schule besuchte und seit November 1988 nicht mehr berufstätig war, niedrige Werte, lag aber noch im Normbereich und erledigte die gestellten Aufgaben in angemessener Zeit. Der Antrieb der Klägerin war leicht verhalten, eine signifikante Antriebsstörung oder eine psychomotorische Störung lag nicht vor. Die Grundstimmung war subdepressiv und hoffnungslos, wobei die Klägerin ängstlich und klagsam wirkte. Die Resonanz war eingeschränkt und zum negativen Pol verschoben, aber nicht aufgehoben. Das formale Denken war folgerichtig und nicht verlangsamt. Inhaltliche Denkstörungen, Sinnestäuschungen, Ich-Störungen oder eine dissoziative Störung lagen nicht vor. Der soziale Radius war auf die Familie beschränkt. Eine tiefergehende depressive Stimmungslage war bei der Klägerin nicht vorhanden. Außerdem konnte bei den Laboruntersuchungen die Wirksubstanz der Antidepressiva nicht nachgewiesen werden, was dafür spricht, dass die Klägerin in den Tagen vor der Untersuchung die Antidepressiva nicht eingenommen hat.

Ausgehend von dem oben beschriebenen Befund sowie den von PD Dr. W. und Dr. S. gestellten Diagnosen gelangt der Senat – wie das SG in den Urteilen vom 04.11.2010 und 25.04.2007 und das LSG im Urteil vom 22.08.2007 – zum Ergebnis, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nach dem Ende der Erwerbsminderungsrente zum 28.02.2005 bzw. ab der erneuten Rentenantragstellung am 12.09.2007 zumindest bis zum 31.03.2009 nicht gehindert war, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten sechs Stunden täglich zu verrichten.

Den hiervon abweichenden Beurteilungen von Dr. E. und Dr. Ö. sowie zuvor Dr. W. vermag sich der Senat – ebenso wie das SG – nicht anzuschließen. Wesentlich abweichende Befunde haben diese Ärzte nicht erhoben.

Dr. W. hat bei der Klägerin eine chronifizierte ängstlich-depressive Verstimmung mit hypochondrischen Zügen und Somatisierung, nicht jedoch eine rezidivierende depressive Störung mit mittelgradiger oder schwerer Episode diagnostiziert. Angesichts dessen hält der Senat seine Einschätzung, dass die Klägerin nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten könne, nicht für überzeugend. So hat Dr. G. in der ärztlichen Stellungnahme vom 26.03.2007, die als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbar ist, nachvollziehbar dargelegt, dass Dr. W. zwar ausgeführt hat, dass die Klägerin nicht gut schlafe, in ihrer Stimmung gedrückt und ängstlich besorgt um ihre Gesundheit und die Gesundheit ihrer Kinder wirke, aber über einen gut strukturierten Tagesablauf verfüge, größtenteils den Haushalt versorge, auch koche, selbst mit dem Auto in die Stadt fahre, insgesamt auch gut sozial integriert erscheine und in den Alltagsverrichtungen nicht wesentlich beeinträchtigt sei.

Das Gutachten von Dr. E. vom 07.10.2008 vermag den Senat ebenfalls nicht zu überzeugen, zumal auch er keine Hinweise auf Merkfähigkeitsstörungen gefunden, intakte mnestische und intellektuelle Funktionen festgestellt und altersentsprechende kognitive Leistungen bei der Klägerin vorgefunden hat. Der Umstand, dass die Klägerin nicht akzeptieren kann, dass sie nach 16 Jahren keine Rente mehr erhält, obwohl sich nach ihrem Empfinden ihr Gesundheitszustand nicht gebessert hat, belegt ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen nicht.

Der Beurteilung von Dr. Ö. folgt der Senat ebenfalls nicht. Denn der von ihm erhobenen psychischen Befund ist relativ dürftig und belegt keine wesentliche Verschlimmerung im Vergleich zu dem von PD Dr. W. und Dr. S. erhobenen psychischen Befund. Soweit Dr. Ö. eine mittelgradige depressive Störung annimmt, beruht diese Annahme, wie Dr. H. in der Stellungnahme vom 19.08.2010 nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat, lediglich auf den subjektiven Angaben der Klägerin im Rahmen des Hamilton-Depressionstests. Darüber hinaus wäre – wie Dr. H. nachvollziehbar ausführt – die Zunahme einer depressiven Symptomatik mit einer regelmäßigen Einnahme der Antidepressiva zu beheben bzw. zu vermeiden. Durch den Mini-Mental-Test wie auch durch den von PD Dr. W., Dr. S. sowie Diplom-Psychologin K. erhobenen Befund ist die von Dr. Ö. angenommene Aufmerksamkeitsstörung widerlegt.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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