L 12 AS 1588/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 2538/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1588/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufungen der Kläger gegen die Urteile des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.01.2012 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für die Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Hinsichtlich der Erstattung außergerichtlicher Kosten für die erstinstanzlichen Klageverfahren verbleibt es bei den Kostenentscheidungen des Sozialgerichts.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Kläger begehren für die Zeiten vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 und vom 01.07.2011 bis 31.12.2011 die Bewilligung höher Leistungen unter Zugrundelegung höherer Regelsätze.

Mit Bescheid vom 17.12.2010 bewilligte der Beklagte den Klägern für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 1.059,86 EUR monatlich. Hierbei berücksichtigte der Beklagte für die Kläger jeweils eine Regelleistung in Höhe 323,00 EUR. Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger mit Schreiben vom 17.01.2011 Widerspruch; der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2011 zurück.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid haben die Kläger am 24.02.2011 zunächst getrennt voneinander Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Die Klägerin zu 2. hat darüber hinaus geltend gemacht, ihr seien die bewilligten Leistungen nicht vollständig ausgezahlt worden. Mit Beschluss vom 28.03.2011 hat das SG die beiden ursprünglich unter den Aktenzeichen S 12 AS 560/11 und S 12 AS 561/11 geführten Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 12 AS 560/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Während der Klageverfahren hat der Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2011 die den Klägern für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 bewilligten Leistungen unter Zugrundelegung eines Regelsatzes in Höhe von jeweils 328,00 EUR neu festgesetzt. Mit Urteil vom 16.01.2012 hat das SG den Beklagten verurteilt, der Klägerin zu 2. für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.04.2011 weitere Leistungen in Höhe von 10,36 EUR auszuzahlen. Im Übrigen hat das SG die Klagen abgewiesen.

Für die Zeit vom 01.07.2011 bis 31.12.2011 bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 14.06.2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und berücksichtigte dabei weiterhin eine Regelleistung in Höhe von jeweils 328,00 EUR. Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger am 15.07.2011 Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2011 zurückwies.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.07.2011 haben die Kläger am 22.08.2011 wiederum zunächst getrennt voneinander Klage beim SG erhoben. Mit Beschluss vom 28.11.2011 hat das SG die beiden ursprünglich unter den Aktenzeichen S 12 AS 2538/11 und S 12 AS 2540/11 geführten Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 12 AS 2538/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Urteil vom 16.01.2012 hat das SG die Klagen abgewiesen.

Gegen beide ihnen gemäß Empfangsbekenntnissen am 22.02.2012 zugestellten Urteile haben die Kläger am 10.04.2012 schriftlich beim SG Berufung eingelegt. Sie tragen vor, ihre Berufung richte sich ausschließlich gegen die Höhe der Regelleistung; sie machen geltend, die den streitgegenständlichen Bewilligungsbescheiden zugrunde gelegten Regelsätze gewährleisteten das sozio-kulturelle Existenzminimum nicht und seien deshalb verfassungswidrig.

Mit Beschluss vom 18.04.2013 hat der Senat die ursprünglich unter den Aktenzeichen L 12 AS 1588/12 und L 12 AS 1589/12 geführten Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen L 12 AS 1588/12 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.01.2012 (S 12 AS 560/11) abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 17.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2011 sowie des Bescheids vom 19.04.2011 zu verurteilen, ihnen höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 zu gewähren,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.01.2012 (S 12 AS 2538/11) aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 14.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2011 zu verurteilen, ihnen höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.07.2011 bis 31.12.2011 zu gewähren,

hilfsweise,

die Rechtsachen gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Er hält seine Entscheidungen für rechtmäßig und die angegriffenen Urteile des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, die Klageakten des SG und die Berufungsakten des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die Berufungen der Kläger haben keinen Erfolg.

Die Berufungen sind statthaft, da Berufungsausschließungsgründe nicht eingreifen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in der hier anzuwendenden ab 1. April 2008 geltenden Fassung) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurden die maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) beachtet. Die Berufungen sind jedoch unbegründet; es bestand auch kein Anlass, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Vereinbarkeit von § 19 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 SGB II in der mit Wirkung vom 01.01.2011 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) vom 29.03.2011 (BGBl. I S. 453; im Folgenden: n.F.) mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG einzuholen.

Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähig. Es steht insoweit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gleich. Bei dem Jobcenter handelt es sich vorliegend um eine gemeinsame Einrichtung (§ 44b Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende [GrSiWEntG]) vom 03.08.2010 [BGBl. I S. 1112]). Gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1 SGB II tritt die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle des bisherigen Trägers; dies gilt auch für laufende Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Dieser kraft Gesetzes eingetretene Beteiligtenwechsel stellt keine unzulässige Klageänderung dar (vgl. dazu Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 99/10 R - SozR 4-4200 § 37 Nr. 5).

Gegenstand der zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden Verfahren ist zum einen der Änderungsbescheid vom 19.04.2011, mit dem der Beklagte den Klägern für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Abzug der Warmwasserpauschale und unter Zugrundelegung einer Regelleistung in Höhe von jeweils 328,00 EUR gewährt hat. Dieser Bescheid hat den für diesen Bewilligungsabschnitt ursprünglich ergangenen und im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage angefochtenen Bewilligungsbescheid vom 17.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2011 ersetzt und ist damit gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des beim SG (zuletzt) unter dem Aktenzeichen S 12 AS 560/12 geführten Klageverfahrens geworden.

Streitgegenständlich ist darüber hinaus der den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die (nachfolgende) Zeit vom 01.07.2011 bis 31.12.2011 bewilligende und beim SG (zuletzt) unter dem Aktenzeichen S 12 AS 2538/12 angegriffene Bescheid vom 14.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2011. In zeitlicher Hinsicht beschränkt sich der Streitgegenstand damit insgesamt auf die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.12.2011. Die Bewilligungsentscheidungen wegen der Folgezeiträume sind nach ständiger Rechtsprechung des BSG und des erkennenden Senats nicht Gegenstand des Klage- bzw. Berufungsverfahrens geworden (vgl. dazu § 96 Abs. 1 SGG und BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 242).

In sachlicher Hinsicht haben die Kläger ihre Berufungen zulässigerweise auf die Sicherung des Lebensunterhalts ohne die Bedarfe für Unterkunft und Heizung beschränkt. Dies hat der Bevollmächtigte der Kläger im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 16.04.2013 nochmals ausdrücklich erklärt. Die vorgenommene Beschränkung des Streitgegenstands ist statthaft, nachdem es sich bei der Entscheidung über die Bewilligung von Kosten der Unterkunft und Heizung um eine eigenständige, von der Regelleistung (einschließlich - hier nicht in Betracht kommender - Mehrbedarfe [vgl. dazu BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr. 10 m.w.N.]) abgrenzbare Verfügung handelt (dazu grundlegend: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 242). Dementsprechend stehen Kosten der Unterkunft und Heizung nicht im Streit.

Die Bescheide vom 19.04.2011 und vom 14.06.2011 (letzterer in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2011) erweisen sich aber auch hinsichtlich der verfügten Regelleistung als rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in subjektiven Rechten. Der Beklagte hat die den Klägern insoweit bewilligten Leistungen - hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit - für die streitgegenständliche Zeit vom 01.01.2011 bis 31.12.2011 zutreffend nach Maßgabe der §§ 19 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 SGB II n.F. berechnet. Wegen Mehrbedarfen nach §§ 19 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, 21 SGB II n.F. haben die Kläger schon deshalb keinen Anspruch auf höhere Leistungen, weil die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs nicht vorliegen. Letztlich besteht aber auch kein Anspruch auf höhere monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Zugrundelegung eines von den Vorgaben der §§ 19 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 SGB II n.F. abweichenden Regelbedarfs. Die durch das RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG normierte Regelleistung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden.

Maßstab für die vorzunehmende verfassungsrechtliche Prüfung ist wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers eine zurückhaltende materielle Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelung dahingehend, ob die Leistungen evident unzureichend sind (BSG, Urteil vom 28.03.2013 - B 4 AS 12/12 R - SozR 4-4200 § 20 Nr. 18). Da eine Ergebniskontrolle am Maßstab des Grundrechts auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG) nur begrenzt möglich ist, muss darüber hinaus geprüft werden, ob die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu rechtfertigen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - BVerfGE 125, 175).

Der Regelbedarf der Kläger leitet sich nach § 20 Abs. 4 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 2 RBEG von dem eines Alleinstehenden in einem Einpersonenhaushalt ab. Der Regelbedarf eines solchen alleinstehenden Erwachsenen ist durch das RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden. Der erkennende Senat hat bereits mit Urteilen 10.06.2011 (L 12 AS 1077/11) und vom 21.10.2011 (L 12 AS 3445/11 - beide veröffentlicht in Juris) entschieden, dass gegen die Bemessung des Regelbedarfs für alleinstehende Personen nach der zum 01.01.2011 in Kraft getretenen Fassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. An dieser Rechtsprechung, auf die zur weiteren Begründung ergänzend Bezug genommen wird, hält der Senat fest. Beide Senatsentscheidungen sind nachgehend durch den 14. Senat des BSG bestätigt worden (Urteil vom 12.07.2012 - B 14 AS 153/11 R - BSGE 111, 211; Urteil vom 12.07.2012 - B 14 AS 189/11 R - veröffentlicht in Juris); die Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des BSG wurden nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschlüsse vom 20.11.2012 und vom 27.12.2012 - 1 BvR 2203/12 und 1 BvR 2471/12 - beide nicht veröffentlicht).

Die Höhe des Regelbedarfs ab 01.01.2011 ist auch insoweit nicht verfassungswidrig zu niedrig bemessen worden, als von der Neuregelung Erwachsene, die - wie die Kläger - in einem Paarhaushalt zusammenleben, betroffen sind. Auch diesbezüglich hat der Gesetzgeber den ihm zugewiesenen Auftrag, das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, erfüllt und den Umfang des konkreten gesetzlichen Anspruchs auch in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt. Damit hat er den Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (a.a.O.) nach realitätsgerechten sowie nachvollziehbaren Festsetzungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren in hinreichendem Maße Rechnung getragen. Der Gesetzgeber durfte sich dabei auch des vom BVerfG gebilligten Statistikmodells bedienen. Innerhalb dieses Ansatzes hat er, ausgehend von der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008, die Referenzgruppe anhand der unteren Einkommensgruppen bestimmt, ohne seinen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum zu überschreiten (BSG, Urteil vom 28.03.2013 - B 4 AS 12/12 R - SozR 4-4200 § 20 Nr. 18 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des 14. Senats des BSG [a.a.O.]). In den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 28.03.2013 (a.a.O.) hat der 4. Senat des BSG hierzu ergänzend ausgeführt:

"Dies gilt auch, soweit in der Literatur vorgebracht wird, der Gesetzgeber sei seinem Auftrag, auch die "versteckt Armen" aus der Regelbedarfsberechnung auszunehmen, nicht hinreichend nachgekommen (s. nur Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011, 20 ff.). Es überzeugt den Senat nicht, wenn unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BVerfG deswegen die Höhe des Regelbedarfs als nicht mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar bewertet wird (so Münder, SozSich, Sonderheft September 2011, 70 ff.). Das BVerfG hatte den Verzicht auf eine Schätzung des Anteils der "verdeckt Armen" durch den Gesetzgeber in Ermangelung hinreichend sicherer empirischer Grundlagen durch die EVS 2003 für die Vergangenheit für vertretbar gehalten (BVerfG a.a.O. Rdnr. 169). An dem Mangel der Möglichkeit, methodisch unzweifelhaft und ohne Setzungen die "verdeckt Armen" aus den Referenzhaushalten auszuschließen, hat sich auch bei der Auswertung der EVS 2008 nichts geändert. Dies gilt zumindest für den hier zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen. Durch diesen wird der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers mitbestimmt. Aufgrund der an den Gesetzgeber gerichteten Umsetzungsverpflichtung der Entscheidung des BVerfG bis zum 31.12.2010 (BVerfGE a.a.O. Rdnr. 216) stand ein Zeitraum von nicht einmal einem Jahr für die Neufestsetzung der Regelbedarfe zur Verfügung und die Ergebnisse der EVS 2008 lagen erst im Herbst 2010 vollständig vor. In der Begründung zum RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG wird daher eine Korrektur der Referenzgruppen um die "verdeckt Armen" u. a. mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Einkünfte von Haushalten hätte eine Einzelfallauswertung der Haushalte erfolgen müssen. Diese wäre jedoch weder durch die Wissenschaft noch durch das Statistische Bundesamt zu leisten gewesen (BT-Drucks. 17/3404, S 88). Auch insoweit wird zwar in der Literatur Kritik angebracht, insbesondere an dem über "das Notwendige hinausgehende Anforderungsprofil" des Gesetzgebers. Dadurch würden die Grenzen des Datensatzes der EVS zwangsläufig erreicht. Es werden daher Vorschläge zur methodischen Identifizierung der "verdeckten Armut" gemacht (s. zusammenfassend Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011, 24), die einen weniger großen Genauigkeitsgrad aufweisen (Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011, 22). Ob der Gesetzgeber sich jedoch entschließt, angesichts der Vorgaben des BVerfG derartige offene "Ungenauigkeiten" in seine Berechnung einzubeziehen, muss seiner Entscheidung im Rahmen seines Gestaltungsspielraums vorbehalten bleiben. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei den Vorschlägen um wissenschaftlich noch nicht abschließend diskutierte Ansätze handelt, ein sachgerechtes Verfahren zu entwickeln oder weiterzuentwickeln, um so eine statistisch zuverlässig über der Sozialhilfeschwelle liegende Referenzgruppe zu ermitteln (Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011, 21). Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Gesetzgeber bei der Auswertung der EVS 2013 der ihm vom BVerfG auferlegten Pflicht zur Fortentwicklung des Bedarfsermittlungssystems nachkommen muss und darauf zu achten haben wird, dass Haushalte, deren Nettoeinkommen unter dem Niveau der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von SGB II und SGB XII liegt, aus der Referenzgruppe ausgeschieden werden (BVerfGE, a.a.O. Rdnr. 169). Dies hat der Gesetzgeber jedoch auch selbst erkannt. Er hat in § 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 10 Abs. 2 Nr. 1 RBEG eine Verpflichtung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) bestimmt, dem Bundestag u. a. für die Weiterentwicklung der Methoden zur Abgrenzung der Referenzhaushalte nach § 3 Abs. 1 RBEG hinsichtlich der Bestimmung von Haushalten der EVS Vorschläge zu unterbreiten, die nicht als Referenzhaushalte zu berücksichtigen sind, weil deren eigene Mittel nicht zur Deckung des jeweils zu unterstellenden Bedarfs nach dem SGB II und SGB XII ausreichen.

Der erkennende Senat ist ebenso wie der 14. Senat des BSG ferner davon überzeugt, dass die im Rahmen des Statistikmodells begründete Herausnahme einzelner Positionen durch den Gesetzgeber nicht zu beanstanden ist. Er folgt dem 14. Senat, wenn dieser ausführt, die regelbedarfsrelevanten Ausgabenpositionen und -beträge seien so bestimmt, dass ein interner Ausgleich möglich bleibe. Auch bei der Kennzeichnung einzelner Verbrauchspositionen als bedarfsrelevant und dem Ausschluss bzw. der Kürzung anderer Verbrauchspositionen hat der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Zutreffend hat er sich schließlich bei der Regelung eines Fortschreibungsmechanismus an seiner Entscheidung für das Statistikmodell orientiert."

Diese Begründung macht sich auch der erkennende Senat zu eigen und nimmt hierauf zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug. Letztlich ist auch die Festsetzung eines - im Vergleich zu alleinstehenden Erwachsenen - niedrigeren Regelbedarfs für die Kläger aufgrund des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft (§ 20 Abs. 4 SGB II n.F.) nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass durch das gemeinsame Wirtschaften Aufwendungen erspart werden und deshalb zwei zusammenlebende Partner einen finanziellen Mindestbedarf haben, der unter dem Doppelten des Bedarfs eines Alleinwirtschaftenden liegt (BSG, Urteil vom 28.03.2013 - B 4 AS 12/12 R - SozR 4-4200 § 20 Nr. 18). Da aufgrund des Zusammenlebens anzunehmen ist, dass beide Partner "aus einem Topf" wirtschaften, ist es auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber für beide Partner einen gleich hohen Bedarf in Ansatz bringt (vgl. BVerfG a.a.O. Rdnr. 154).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei war für den Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens ausschlaggebend, dass die Rechtsverfolgung der Kläger im Berufungsverfahren ohne Erfolg geblieben ist. Hinsichtlich der erstinstanzlichen Klageverfahren sieht der Senat keine Veranlassung, von den Kostenentscheidungen des SG abzuweichen.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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