L 9 R 3997/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 2026/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3997/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung unter Berücksichtigung eines vor dem 01.06.2001 eingetretenen Versicherungsfalles.

Der 1954 geborene Kläger absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner, welche er im September 1974 abgeschlossen hatte. Nach einer kurzen Tätigkeit im Ausbildungsberuf war er bis zum 31.03.1975 arbeitslos. Im Anschluss daran schulte er erfolgreich zum Masseur und medizinischen Bademeister um (vgl. Urkunde des Regierungspräsidiums Freiburg vom 28.12.1979). Vom 08.11.1976 an war er als Masseur und später auch als Pflegehelfer, unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit, beschäftigt. Es schloss sich eine Beschäftigung als Pflegehelfer bzw. Beschäftigungsbetreuer bei der Arbeiterwohlfahrt vom 11.07.1994 bis 30.06.1995 an. Bereits vom 12.06.1995 an war er arbeitsunfähig krank und bezog bis zum 09.12.1996 Krankengeld, später - nach der Aussteuerung aus dem Krankengeldbezug - Arbeitslosengeld I vom 10.12.1996 bis 30.04.1999. Anfang des Jahres 1999 machte sich der Kläger als Masseur selbstständig. Diese Tätigkeit übte er bis zum 14.05.2003 aus, nachdem er im Dezember 2002 einen Insolvenzantrag stellen musste. Nach eigenen Angaben war er nach Verkauf seiner Massagepraxis in der Zeit vom 15.05.2003 bis 02.05.2004 noch geringfügig als Masseur beschäftigt. Die Beklagte lehnte mit bestandskräftigem Bescheid vom 18.01.2006 die Anerkennung der Zeiten vom 15.05.2003 bis 31.03.2004 und 01.04.2004 bis 02.05.2004 als Beitragszeiten ab. Vom 15.06.2004 bis 25.07.2004 bezog der Kläger nochmals Krankengeld. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Versicherungsverlauf der Beklagten vom 29.06.2006 (Bl. 13 der Sozialgerichtsakten) verwiesen.

Der Kläger beantragte erstmals am 29.09.1996 eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die LVA R.-P. mit Bescheid vom 05.01.1998 ab. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 29.11.1998). Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (Vermerk der Beklagten auf Bl. 110 und 120 der Verwaltungsakten). Der Entscheidung lagen das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 31.10.1994, erstellt zur Frage, ob berufsfördernde Leistungen zu erbringen sind, das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Reuter vom 20.03.1997 (Diagnose: schwere Persönlichkeitsstörung, multiple cerebrale Aneurysmen [ohne Nachweis durch einen kernspintomographischen Befund], ohne Hinweise auf eine endogene paranoide Psychose oder hirnorganisch bedingte Leistungsminderung; den Beruf als Masseur oder einen Beruf im sozialen Bereich könne der Kläger aufgrund der beschriebenen Persönlichkeitsauffälligkeiten nicht mehr ausüben, leichte Tätigkeiten seien vollschichtig zumutbar) sowie eine Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der LVA Rheinland-Pfalz unter Berücksichtigung einer Stellungnahme des Psychotherapeuten Dr. C. und des Nervenarztes Dr. K. (Auszugweise wieder gegeben im Vermerk der Abteilung Rechtsmittel und Außendienst vom 11.08.1998, Bl. 97ff der Akten) zugrunde. Ferner fand Berücksichtigung der Bericht der Hardtwaldklinik Bad Z. vom 08.05.1995, wo sich der Kläger vom 31.03.1995 bis 21.04.1995 in stationärer Behandlung befand (Diagnosen: Verdacht auf endogene Psychose, Cerebralarterienaneurysmen, Hypertonie).

Am 24.06.2005 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte gab ein Gutachten bei der Augenärztin Dr. P. sowie beim Arzt für Nervenheilkunde Dr. G. in Auftrag. Dr. P. ging in ihrem Gutachten vom 12.09.2005 unter Berücksichtigung einer Hermeralopie, einer Aphakie, Amblyopie, Hyperopie, Astigmatismus und Presbyopie davon aus, dass eine Tätigkeit als angestellter Masseur aufgrund der Augenerkrankung durchaus noch möglich sei. Die Arbeit in selbstständiger Praxis sei durch das schlechte Sehen jedoch beeinträchtigt, weil insoweit auch Computer- und Büroarbeiten anfielen. Dr. G. beschrieb in seinem Gutachten vom 25.10.2005 eine schwere Persönlichkeitsstörung, einen Zustand nach depressiver Episode mit Suizidversuch, cerebrale Aneurysmen, einen Zustand nach Lungenembolie bei Cor pulmonale, eine koronare Eingefässerkrankung sowie ein diskretes Carpaltunnelsyndrom. Er war der Auffassung, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer wesentlichen Tätigkeit nachzugehen.

Mit Bescheid vom 17.11.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung ab. Der Kläger sei seit 17.01.2005 voll erwerbsgemindert. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente seien jedoch nicht erfüllt, weil es an den notwendigen drei Jahren Pflichtbeiträgen in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit fehle. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass schon 1995 mehrere Gutachten die Berufsunfähigkeit unterstrichen und eine Rente befürwortet hätten. Unter Berücksichtigung einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 17.02.2006 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2006 zurück. Sie verwies darauf, dass im Entlassungsbericht nach dem stationären Aufenthalt von März bis April 1995 zwar ein aufgehobenes Leistungsvermögen festgestellt worden sei, sich dieses aber nur auf Tätigkeiten im psychosozialen Bereich bezogen habe. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe jedoch seit Januar 1998 ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Nach Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit als Masseur am 31.03.2004 sei der Versicherungsfall des aufgehobenen Leistungsvermögens ab der Arbeitsaufgabe und damit ab April 2004 anzunehmen. Unter Berücksichtigung dessen lägen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger am 27.04.2006 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben.

Er hat darauf hingewiesen, dass aufgrund einer Untersuchung zur Gewährung von berufsfördernden Leistungen im Oktober 1994 im neurologisch-psychiatrischen Gutachten die Verdachtsdiagnose einer blande verlaufenden endogenen Prozesspsychose gestellt und aus psychiatrischer Sicht eine Umschulungsfähigkeit verneint worden sei. Im Entlassungsbericht der Hardtwaldklinik Bad Z. sei ausgeführt worden, dass bei der Schwere der Persönlichkeitsstörung mit einer erhöhten Neigung zu aggressiven Durchbrüchen und Kontrollverlusten bzw. verletzenden Verhaltensweisen zu rechnen sei. In der derzeitigen Tätigkeit in der Altenpflege sei eine Gefährdung von Schutzbefohlenen nicht auszuschließen, aus diesen Gründen sei die Ausübung einer Tätigkeit im psychosozialen therapeutischen Bereich auszuschließen. Darüber hinaus habe der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Reuter in seinem Gutachten vom 20.03.1997 diese Diagnose bestätigt und ausgeführt, dass der Kläger aufgrund seiner Persönlichkeitserkrankung und unter Berücksichtigung der soziographischen Anamnese in seinem erlernten Beruf als Masseur und anderen sozialen Berufen nicht mehr arbeiten könne. Er gehe davon aus, dass er bereits im Jahre 1994 oder jedenfalls Anfang 1995 in seinem erlernten und zuletzt ausgeübten Beruf aus medizinischen Gründen berufsunfähig gewesen sei und bereits zu dieser Zeit die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente hätten gegeben sein müssen. Jedenfalls sei der Eintritt des Versicherungsfalls spätestens mit der Entlassung aus der Hardtwaldklinik am 21.04.2005 eingetreten. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Der Kläger hat Behandlungsaufstellungen über verschiedene Behandlungsverläufe vorgelegt, aus denen sich aber die Namen der jeweils behandelnden Ärzte nicht entnehmen lassen (Bl. 75 bis 78 der SG-Akten). Ferner hat der Kläger einen Bericht des Radiologen Dr. K. vom 27.06.1994 (drohende Rhizarthrosen beidseits, leichte Daumengrundgelenksarthroseen beidseits und leichte Daumenendgelenksarthrosen links), einen Bericht des Kardiologen Dr. S ... vom 2. Juli 2002 (Hypertensive Herzerkrankung mit segmentaler kardialer Dysfunktion bei hoher Belastung im ventralen Septum, DD: zusätzlich zur hypertensiven Herzerkrankung koronare Durchblutungsstörung im LAD-Bereich, zur Abklärung: Koronarangiographie), ein ärztliches Gutachten für die Agentur für Arbeit Pirmasens des leitenden Medizinaldirektors L. vom 04.02.1997 (verminderte psychische Belastbarkeit bei psychoneurotischer Fehlentwicklung mit Neigung zu depressiven Verstimmungen und Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Arthrose im Bereich der Daumengrundgelenke und Sattelgelenke, funktionelle Einäugigkeit rechts, der Kläger sei für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Masseur nicht geeignet; eine vollschichtige Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung näher dargelegter qualitativer Einschränkungen sei aber gegeben) sowie ein Gutachten für den medizinischen Dienst der Krankenkassen Pirmasens von Dr. A ... vom 31.10.1995 (AU-Diagnose: Hypertonus. Anamnestisch mehrfache Hirngefäßananeurysmata, Anamnestisch Aorten- und Nierenarterienaneurysmen, DD: Persönlichkeitsstörung, Verdacht auf endogene Psychose) vorgelegt.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen sachverständiger Zeugenaussagen beim Neurologen und Psychiater Dr. Klees und Facharzt für Allgemeinmedizin R ... Dr. K. (Aussage vom 22.01.2009) berichtete über die Behandlung des Klägers am 21.04. und 13.05.1998 mit den Diagnosen: Depressive Verstimmung, Schwierigkeiten der Affektkontrolle bei Verdacht auf akzentuierte Persönlichkeit, Katarakt und Hypertonie. Der Facharzt für Allgemeinmedizin R. hat angegeben, den Kläger von 1998 bis Ende 2004 ca. drei- bis viermal jährlich behandelt zu haben. Der Kläger habe Atemprobleme, psychische Probleme, Bluthochdruckprobleme, klage über Luftnot und Wirbelsäulenschmerzen. Er halte den Kläger für nicht arbeitsfähig. Alle Unterlagen seien dem Patienten wegen Arztwechsels ausgehändigt worden.

Das SG hat ferner Beweis erhoben durch das Einholen eines Gutachtens beim Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. L., M. Dieser hat in seinem Gutachten vom 15.07.2009 eine schwere Persönlichkeitsstörung am ehesten vom narzisstischen Typus mit antisozialen Merkmalen, rezidivierende mittelgradige depressive Reaktionen mit mehrfachen Suizidversuchen angegeben und anamnestisch über cerebrale Aneurysmen, einen Zustand nach Lungenembolie bei Cor pulmonale, eine Katarakt, einen Zustand nach mehrmaliger Operation wegen Melanom, eine koronare 1-Gefäßerkrankung, über Polyneuropathie, einen Diabetes mellitus, derzeit diätetisch führbar, eine arterielle Hypertonie, eine Kataraktaphakie beidseits und Astigmatismus berichtet. Der Kläger könne den Beruf des Masseurs nicht mehr ausüben. Der Beruf erfordere erhebliche positive soziale Interaktionen, Einfühlungsvermögen sowie Rücksichtnahme auf die Klienten. Auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erscheine er nicht mehr einsetzbar, da hier ebenfalls ein Minimum an sozialen Kompetenzen erforderlich sei.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11.06.2010 hat er nochmals unter Darlegung der maßgeblichen Vorbefunde ausgeführt, er ginge davon aus, dass der Beginn der aktuellen Situation auf das Jahr 2004 zu datieren sei.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.07.2010 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Er sei zwar seit dem 30.04.2004 erwerbsgemindert, hierfür fehle es aber an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, weil ein Leistungsfall nicht vor dem 31.05.2001 eingetreten sei. Es schloss sich insoweit den Ausführungen des gehörten Sachverständigen an, wonach die Fähigkeit des Klägers, die bestehenden Einschränkungen zu kompensieren, mit fortschreitendem Alter abgenommen habe. Darüber hinaus seien bis Dezember 2004 verschiedene biographische Belastungen, wie insbesondere das Scheitern der selbstständigen Tätigkeit im Jahre 2003, die Anmeldung der Insolvenz sowie daraufhin der zwischenzeitliche Auszug der Ehefrau aus der Wohnung zu berücksichtigen. Der Kläger sei in der Lage gewesen, über das Jahr 2001 hinaus eine Massagepraxis selbstständig zu führen und einen Angestellten zu beschäftigen. Die selbständige Tätigkeit sei über vier Jahre hinweg und damit über einen erheblichen Zeitraum ausgeübt worden. Vor diesem Hintergrund sei es nicht überzeugt, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers bereits vor Mai 2001 auf unter sechs Stunden täglich durchgehend eingeschränkt gewesen sei. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Leistungsfähigkeit bereits im Entlassungsbericht der Hardtwaldklinik für den Beruf des Masseurs als eingeschränkt bzw. aufgehoben angesehen worden sei. Diese Einschätzung stehe im Widerspruch zu dem kurz zuvor erstellten Gutachten von Dr. B ... Dieser habe den Kläger noch als in der Lage gesehen, seinen Beruf als Masseur und Bademeister vollschichtig verrichten zu können. Ein früherer Eintritt des Leistungsfalles ergebe sich auch weder aus dem Gutachten von Dr. A. noch von Herrn L. noch von Dr. R ... In diesen Gutachten sei die Leistungsfähigkeit des Klägers für seinen Beruf als Masseur als aufgehoben angenommen worden. Diese Einschätzung sei aber durch die tatsächliche Berufsausübung widerlegt worden, insbesondere durch seine vier Jahre währende selbstständige Tätigkeit als Masseur. Hierdurch hätten sich die Prognosen der Gutachter über das entfallene bzw. reduzierte zeitliche Leistungsvermögen als unrichtig erwiesen. Anderes ergebe sich auch nicht durch das Gutachten der Dr. P. und aus den eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen. Der Neurologe und Psychiater Dr. G. habe zudem in seinem Gutachten vom 25.10.2005 die Einschätzung von Dr. L. bestätigt.

Gegen den ihm am 27.07.2010 zugestellen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23.08.2010 Berufung eingelegt. Unter Vertiefung und Wiederholung des bisherigen Vortrages hält er daran fest, dass ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zustehe. Die Schlussfolgerung des Gerichts, er sei vier Jahre lang als Masseur tätig gewesen, was seine Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt belege, sei nicht gerechtfertigt. Hiervon könne man allenfalls dann ausgehen, wenn die Selbstständigkeit von wenigstens einem gewissen Maß an wirtschaftlichem Erfolg gekrönt gewesen wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20. Juli 2010 sowie den Bescheid vom 17. November 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2006 aufzuheben und ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat die Einkommenssteuerbescheide der Finanzverwaltung Rheinland-Pfalz für die Jahre 2000 bis 2003 vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Darüber hinaus ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand März 2013, § 43 SGB VI Rn. 58 und 30 ff.).

Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind: 1. Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, 2. Berücksichtigungszeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr. 1 oder 2 liegt, 4. Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung. Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

Anrechnungszeiten sind u.a. Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einer deutschen Agentur für Arbeit (früher Arbeitsamt) als Arbeitssuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen haben oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI), wenn dadurch u.a. eine versicherte Tätigkeit unterbrochen ist (§ 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).

Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung sind gemäß § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit 1. Beitragszeiten 2. beitragsfreien Zeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nr. 4, 5 oder 6 liegt, 4. Berücksichtigungszeiten, 5. Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder 6. Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992 (Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich (§ 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Nach Maßgabe der vorgenannten rechtlichen Grundlagen hat der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, weil im maßgeblichen Zeitraum vor Eintritt der Erwerbsminderung Pflichtbeiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht in ausreichender Zahl nachgewiesen sind.

Der Senat stellt fest, dass - wie noch auszuführen sein wird - volle Erwerbsminderung im Januar 2004 eingetreten ist, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aber nur dann erfüllt sind, wenn der Versicherungsfall spätestens am 31.05.2001 eingetreten wäre. Nach dem Versicherungsverlauf vom 29.06.2006 liegen ein Sozialleistungsbezug (Krankengeld) mit Pflichtbeiträgen vom 01.07.1995 bis 09.12.1996 und von der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Zeiten von Dezember 1996 (10.12.1996 bis 31.12.1996) bis 30.04.1999 vor. Pflichtbeiträge sind danach erst wieder ab dem 03.05.2004 vermerkt. Aufgrund der zwischen April 1999 und Mai 2004 ausgeübten selbstständigen Tätigkeit liegen keine Verlängerungstatbestände in oben dargestellten Sinne vor, sodass die sog. 3/5 - Belegung mit Pflichtbeitragszeiten nur dann erfüllt ist, wenn der Versicherungsfall spätestens im Mai 2001 eingetreten wäre. Entsprechend sind auch die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI nicht erfüllt, weil zwischen April 1999 und dem Eintritt des Leistungsfalles nicht jeder Kalendermonat vom 01. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit den oben genannten Zeiten belegt ist. Trotz Hinweises der LVA R.-P. mit Schreiben vom 27.09.2000 (Bl. 121 d. Akten) hat der Kläger von der Möglichkeit, freiwillige Beiträge zu entrichten, keinen Gebrauch gemacht. Die Erwerbsminderung ist auch nicht aufgrund eines Tatbestandes eingetreten, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig als erfüllt gilt (§ 43 Abs. 5 i.V.m. § 53 SGB VI).

Der Leistungsfall der vollen bzw. teilweisen Erwerbsminderung ist beim Kläger auch nach Überzeugung des Senats nicht vor Januar 2004 eingetreten. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid vom 20.07.2010. Eine dauerhaft eingetretene Erwerbsminderung vor diesem Datum auf weniger als sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünftagewoche lässt sich auch nach Prüfung durch den Senat nicht belegen. Der Senat schließt sich dabei der vorgenommenen Wertung des SG in vollem Umfang an und folgt der schlüssigen und überzeugenden Einschätzung des gehörten Sachverständigen Dr. L. in dessen Gutachten vom 15.07.2009 sowie dessen ergänzender Stellungnahme vom 11.06.2010 und dem Gutachten von Dr. G. vom 25.10.2005, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet. Das SG hat sich dabei ausführlich mit den vorliegenden anderslautenden Einschätzungen (Entlassungsbericht der Hardtwaldtkliniken vom 08.05.1995, Gutachten Dr. B. 31.10.1994, Gutachten Dr. A. vom 31.10.1995) auseinandergesetzt. Es besteht nach eigener Prüfung durch den Senat keine Veranlassung, hiervon abzuweichen, weshalb sich der Senat, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, diese Ausführungen in vollem Umfang zu Eigen macht und insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absieht (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass dahingestellt gestellt bleiben kann, ob tatsächlich ein Leistungsfall im Rahmen der Antragstellung im September 1996 oder am 31.10.1994, wie mit der Klage geltend gemacht, eingetreten war und ob ggfs. die erfolgten Ablehnungen und Entscheidungen rechtswidrig gewesen sein könnten. Rückblickend lässt sich der Nachweis für eine seitdem andauernde und ununterbrochene Erwerbsminderung nicht führen. Vielmehr ist der Senat ebenso wie das SG davon überzeugt, dass der Kläger in der Lage gewesen ist, seinen erlernten Beruf als Masseur und medizinischer Bademeister ohne Gefährdung der Gesundheit in der Zeit von Mai 1999 zumindest bis Ende 2003 auszuüben. Dies auch durchaus gewinnbringend, wenn man berücksichtigt, dass für das Jahr 2000 50.000,00 DM (= 25.564,59 EUR) an Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit zu versteuern waren, wie sich dem Bescheid vom 07.11.2002 der Finanzverwaltung Rheinland-Pfalz vom 07.11.2002 entnehmen lässt. Dass das zu versteuernde Einkommen in den folgenden Jahren - nach Anmeldung der Verbraucherinsolvenz - niedriger ausgefallen ist, belegt nicht, dass hierfür gesundheitliche Gründe maßgebend gewesen sind. Schließlich waren auch für 2001 noch Einkünfte in Höhe von 23.700,00 DM (= 12.117,62 EUR) und auch für 2002 noch in Höhe von 11.029,00 EUR zu versteuern. Unter Berücksichtigung der von Dr. G. in dessen Gutachten geschilderten Ehekrise 2004 und des notwendig gewordenen Verkaufes der Praxis 2005 ist eine erhebliche Verschlimmerung der bislang gut kompensierten psychischen Verfassung des Klägers plausibel und nachvollziehbar, sodass dieser ab diesem Zeitpunkt, wie dies von Dr. L. auch in dessen vier Jahre später erstelltem Gutachten angegeben wurde, also ab Anfang 2004 nicht mehr in der Lage war, die Tätigkeit als Masseur und medizinischer Bademeister auszuüben.

Wegen der zu diesem Zeitpunkt fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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