L 13 R 2947/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 4536/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 2947/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Stationäre Rehabilitationsleistungen im Sinne der §§ 9, 10 SGB VI sind in der Regel nicht subsidiär gegenüber einer ambulanten Therapie vor Ort.

Dringend erforderlich ist aber eine vorzeitige Rehabilitationsleistung im Sinne von § 12 Abs. 2 Satz 1 SGB VI nur dann, wenn eine weitere Minderung der Leistungsfähigkeit droht und ambulante Maßnahmen nicht ausreichen.
Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 24. Mai 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten für einen Aufenthalt am Toten Meer als Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Höhe von 2.678,98 EUR.

Die 1975 geborene Klägerin ist als Eventmanagerin versicherungspflichtig beschäftigt und bei der Beklagten gesetzlich rentenversichert. Sie leidet seit ihrem 13. Lebensjahr an chronischer Psoriasisarthritis, die regelmäßig durch Aufenthalte am Toten Meer behandelt wurde, zuletzt im August 2007; die Kosten hierfür wurden nachträglich durch die gesetzliche Krankenkasse erstattet.

Am 19. Mai 2010 wurde durch den Hausarzt der Klägerin Dr. Bä. eine Leistung zur Rehabilitation eingeleitet mit der Begründung, eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme erscheine aussichtsreich. Eine Einschränkung der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft drohe oder sei bereits gegeben. Durch die Krankenkasse wurde der Antrag am 25. Mai 2010 an den Vertragsarzt zurückgegeben, da ein anderer Versicherungsträger zuständig sei. Die Klägerin stellte dann am 17. Juni 2010 bei der Beklagten unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung von Dr. Bä. einen Antrag auf stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Sie gab an, beim Tippen am PC Schmerzen in den Fingergelenken zu haben. Außerdem habe sie bei längerem Sitzen Rückenschmerzen, sodass sie am Arbeitsplatz ständig zwischen Sitzen und Stehen wechseln müsse. Ferner leide sie an Asthma und Sinusitis, beides derzeit durch Allergien verstärkt. Dr. Bä. gab in seinem Befundbericht zum Rehabilitationsantrag an, die Klägerin leide unter Psoriasisarthritis; es bestehe eine eingeschränkte Beweglichkeit der Finger, Rückenschmerzen, Knieschmerzen, Kraftlosigkeit in den Knien und Schmerzen beim Treppensteigen und Gehen. Die Rehabilitationsmaßnahme am Toten Meer solle zur Erhaltung der Arbeitskraft stattfinden. Weiter legte die Klägerin ein Gutachten von PD Dr. Hei. und Dr. Las. vom 12. September 2008 vor, welches dem Sozialgericht Mannheim (SG) im Rahmen eines Klageverfahrens (Az. S 11 KR 3276/07) der Klägerin gegen ihre Krankenkasse erstattet worden war. Die Gutachter führen hierin insbesondere aus, aufgrund der klimatischen Bedingungen am Toten Meer sei der Therapieerfolg dort besonders hoch. Bei der Klägerin sei der Einsatz von Immunsuppressiva nicht unproblematisch. Ferner reichte die Klägerin Berichte von Dr. Is. vom 2. November 2006 und Dr. Bö. vom 12. Juli 1994 ein.

Die Beklagte holte eine von Frau Ju. erstellte beratungsärztliche Stellungnahme vom 6. Juli 2010 ein. Diese vertrat die Auffassung, dass eine ambulante Therapie ausreichend sei.

Mit Bescheid vom 14. Juli 2010 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin seien nicht so erheblich, dass eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation erforderlich sei. Eine ambulante fachärztliche Behandlung sei ausreichend. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei nicht gemindert oder gefährdet; Rehabilitationsbedürftigkeit bestehe daher nicht.

Den hiergegen am 27. Juli 2010 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie seit dem 13. Lebensjahr an Psoriasisarthritis leide und bis 2007 insgesamt elf Mal zur Behandlung am Toten Meer in Israel gewesen sei. Diese Maßnahmen seien von ihrer Krankenkasse jeweils übernommen worden. Die stationäre Behandlung am Toten Meer im Sommer 2007 sei so erfolgreich gewesen, dass sie in den darauf folgenden drei Jahren keine ambulante fachärztliche Behandlung und keine medikamentöse Therapie benötigt habe. Durch eine kontinuierlich am Wohnort durchgeführte orthopädische Therapie und privates Funktionstraining habe sie den Behandlungserfolg festigen können, so dass sie für einen sehr langen Zeitraum schmerzfrei gewesen sei. In den Monaten vor der Antragstellung habe sich ihr Zustand jedoch wieder verschlimmert. Aufgrund ihres Asthmas werde die Behandlung ihrer Psoriasisarthritis in Deutschland erschwert. Der Einsatz von Immunsupressiva sei nicht unproblematisch, da die Familienplanung noch nicht abgeschlossen sei. Insoweit berief sich die Klägerin insbesondere auf das Gutachten von Dr. Las. Eine Behandlung ihrer Erkrankung sei immer dann notwendig, wenn entzündliche Schübe aufträten. Bleibe eine Behandlung aus, würden die befallenen Gelenke in Mitleidenschaft gezogen. Bei ihr seien vor allem die Rücken-, sowie die Finger- und Kniegelenke betroffen gewesen. Ohne eine Behandlung am Toten Meer hätte ihre Erkrankung immer wieder zu Arbeitsausfällen führen können, so dass ihr Arbeitsplatz gefährdet gewesen sei. Vor allem führe aber ein Fortschreiten ihres Psoriasisgelenkbefalls mit zunehmender Destruktion der Gelenke und Einschränkung der Gelenkbeweglichkeit zu einer erheblichen Einschränkung ihrer beruflichen Tätigkeit mit der Gefahr, dass sie diese nicht mehr ausüben könne. Da sie inzwischen beim Arbeiten aufgrund ihrer erheblichen Rückenbeschwerden ständig zwischen sitzender und stehender Position habe wechseln müssen, habe sie sich gezwungen gesehen, die Behandlung in Israel zunächst auf eigene Kosten im Rahmen ihres Jahresurlaubs vom 27. Juli bis zum 17. August 2010 durchzuführen. Aus gesundheitlichen und beruflichen Gründen sei die Durchführung zu einem späteren Zeitpunkt nicht möglich gewesen. Zur Begründung ihres Widerspruchs legte sie weiter ein ärztliches Attest von Dr. Bä. vom 21. Juli 2010 vor, in dem dieser angab, durch Überlastungen am Arbeitsplatz hätten orthopädische Behandlungen und in Eigenleistung erbrachtes Funktionstraining nicht mehr ausgereicht. Die Klägerin habe unter erheblichen Schmerzschüben mit Chronifizierungstendenz gelitten. Ihre Erwerbsfähigkeit sei gefährdet gewesen. Eine antirheumatische Immuntherapie sei aufgrund der Nebenwirkungen bei hyperreagiblem Bronchialsystem im Sinne eines Asthma bronchiale und bei nicht abgeschlossener Familienplanung nicht durchführbar gewesen. Dass die chronische Polyarthritis zur Deformierung von Gelenken führe und damit die Erwerbsfähigkeit der Klägerin in der Zukunft schwerwiegend gefährde, sei hinreichend bekannt.

Für den in der Zeit vom 27. Juli bis 17. August 2010 im Rehabilitationszentrum am Toten Meer (DMZ) durchgeführten Rehabilitationsaufenthalt wandte die Klägerin insgesamt 2.678,98 EUR auf, wovon 1.807,50 EUR auf Flug, Unterkunft und Verpflegung (Rechnung der Häckel Reisen GmbH Bl. 14 der SG-Akte) sowie 871,48 EUR auf medizinische Untersuchungen und Heilmittelanwendungen (Rechnung des DMZ Bl. 16/16 der SG-Akte) entfielen. Im Entlassungsbericht des Rehabilitationszentrums am Toten Meer vom 28. Juli 2010 (Bl. 24/25 der SG-Akte) gab Dr. Ha. u.a. an, bei der Eingangsuntersuchung sei die Haut erscheinungsfrei gewesen, seitens der Gelenke hätten massive, schmerzhafte Funktions- und Bewegungseinschränkungen an der gesamten Wirbelsäule, an beiden Kniegelenken sowie an den PIP- und DIP-Gelenken des rechten Mittelfingers sowie des linken Mittel- und Ringfingers bestanden. Der Klägerin seien sieben Mal Massage, zehn Mal Schwefelbad, zehn Mal Heißschlammpackung und zwei Mal 20 Minuten täglich Kaltschlammapplikation auf die betroffenen Gelenke verordnet und eine intensive Nutzung der Klimaheilfaktoren Heliotherapie, Luft- und Solebäder im Toten Meer empfohlen worden. Bei der Abschlussuntersuchung sei eine deutliche Befundverbesserung festzustellen gewesen. Die Gelenkbeschwerden und die Beweglichkeit hätten sich deutlich gebessert. Die Klägerin habe über wesentlich weniger Schmerzzustände berichtet. Die morgendliche Gelenksteifigkeit sei vollkommen aufgehoben. Während des Aufenthalts sei es nur zu einer Asthma-Attacke gekommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine nachträgliche Kostenübernahme für eine selbst begonnene und durchgeführte Rehabilitationsleistung sei nicht möglich, da es für die Beklagte keine Möglichkeit der Entscheidung mehr gegeben habe. Die entstandenen Kosten für die Behandlung in Israel könnten daher nicht erstattet werden. Außerdem werde die von der Klägerin in Anspruch genommene Rehabilitationseinrichtung von der Beklagten nicht belegt. Darüber hinaus habe die Klägerin die Voraussetzungen für eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme nicht erfüllt. Für die bei der Klägerin festgestellte gesundheitliche Einschränkung – Psoriasisarthritis – sei eine ambulante orthopädische Therapie angezeigt.

Hiergegen hat die Klägerin am 21. Dezember 2010 Klage beim SG erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen die bisherigen Ausführungen wiederholt und vertieft hat. Der Aufenthalt am Toten Meer sei die einzige Maßnahme, die ihr helfe und ihre Erwerbsfähigkeit sichere. Dies ergebe sich auch aus dem Gutachten von Dr. Las. vom 12. September 2008. Ein Aufschub sei nicht hinnehmbar gewesen, es sei im vorliegenden Fall daher von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen gewesen. Ferner hat die Klägerin die Belege über die Kosten für die stationäre Klima-Heilbehandlung und den Entlassungsbericht des DMZ von Dr. Ha. (Bl. 13 ff der SG-Akte) vorgelegt. Die Klägerin hat ein ärztliches Attest von Dr. Bä. vom 12. Juli 2011 (Bl. 31 der SG- Akte) vorgelegt, in der er mitgeteilt hat, der Aufenthalt am Toten Meer sei die einzig richtige Maßnahme gewesen, die nicht zu umgehen gewesen sei.

Die Beklagte hat im Wesentlichen auf ihren Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt, zur Erstattung von Kosten für eine selbst beschaffte Leistung sei sie nur dann verpflichtet, wenn die Rehabilitation in der gewählten Form die einzige Möglichkeit gewesen sei, um das Rehabilitationsziel zu erreichen. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null sei vorliegend nicht gegeben. Eine Rehabilitation hätte auch in einer deutschen Rehabilitationseinrichtung (Bad Bentheim, Bad Salzschlirf, Davos, Borkum, Norderney, Sylt) angeboten werden können. Es stehe nicht fest, dass Leistungen am Toten Meer überhaupt nach Qualität und Wirtschaftlichkeit den Einrichtungen der Beklagten im Inland gleichwertig oder so viel besser seien, dass hierdurch Leistungen im Inland auszuschließen seien. Dies könne jedoch dahinstehen, da der Rentenversicherungsträger im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens grundsätzlich frei sei, zwischen mehreren geeigneten Einrichtungen zu wählen. Für drei der aus Sicht der Beklagten zur Verfügung stehenden Alternativkliniken wurden Behandlungskonzepte vorgelegt (Bl. 36/103 der SG-Akte).

Das SG hat im Rahmen der Beweisaufnahme Dr. Bä. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt, der angegeben hat, die Klägerin leide unter chronischer Polyarthritis mit Psoriasis und Sicca-Syndrom, Skoliose der Wirbelsäule und unter einem hyperreagiblen Bronchialsyndrom bei Milbenallergie. Im Frühjahr 2010 seien erhebliche Allergie- und Rückenprobleme und ein starker psychischer Leidensdruck am Arbeitsplatz. Die Medikation habe in antiallergischen Tabletten und einem Kombinationsmedikament aus einem Coticoidspray und einem lang wirksamen, entkrampfenden Medikament für die Bronchien bestanden. Wegen der polyarthritischen Rückenbeschwerden sei regelmäßig Physiotherapie verordnet worden. Für eine Besserung der Beschwerden durch den Aufenthalt am Toten Meer gebe es keine laborchemischen oder röntgentechnischen Nachweise; die Schmerzen hätten sich nach den Angaben der Klägerin gebessert.

Mit Urteil vom 24. Mai 2012 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2010 verurteilt, der Klägerin 2.678,98 EUR zu bezahlen. Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch sei § 15 Abs. 1 Satz 3 und 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Die Beklagte habe den Antrag der Klägerin zu Unrecht abgelehnt. Die Klägerin erfülle sowohl die persönlichen als auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Wie sich aus dem Entlassungsbericht der Rehabilitationseinrichtung ergebe, sei die Erwerbsfähigkeit der Klägerin erheblich gefährdet gewesen. Im Sommer 2010 habe die erhebliche Gefahr bestanden, dass die Klägerin ihre Tätigkeit als Eventmanagerin, eine überwiegend sitzende Tätigkeit nicht länger werde ausüben können. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit habe durch die Rehabilitationsmaßnahme abgewendet werden können. Die Gelenkbeschwerden und die Beweglichkeit der Klägerin hätten sich durch die Rehabilitationsmaßnahme deutlich verbessert. Unerheblich sei, ob dieses Ergebnis auch mit einer ambulanten fachärztlichen Behandlung am Wohnort hätte erreicht werden können. §10 SGB VI kenne, anders als § 40 Abs.1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), keinen Grundsatz der Subsidiarität von Rehabilitationsleistungen gegenüber ambulanten Therapieformen vor Ort. Ungeachtet dessen habe Dr. Bä. schlüssig und überzeugend dargelegt, dass die in den Monaten vor der Rehabilitationsmaßnahme durchgeführten ambulanten fachärztlichen Maßnahmen ohne Erfolg geblieben seien. Die Klägerin erfülle auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Schließlich sei die Rehabilitationsleistung auch nicht nach § 12 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ausgeschlossen. Da die Klägerin zuletzt im Jahr 2007 zu Lasten ihrer Krankenkasse eine Rehabilitationsleistung in Anspruch genommen habe, habe sie sich die streitgegenständliche Rehabilitationsmaßnahme zwar innerhalb der Vierjahresfrist des § 12 Abs. 2 Satz 1 SGB VI selbst beschafft, dies sei im Hinblick auf die massiven Einschränkungen aber dringend erforderlich gewesen. Das Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert gewesen aufgrund des Umstands, dass die Beklagte die von der Klägerin beantragte Maßnahme in vollem Umfang wegen zu Unrecht angenommener fehlender Gefährdung der Erwerbsfähigkeit rechtswidrig abgelehnt habe. Die von der Klägerin selbst beschaffte Rehabilitationsmaßnahme sei auch sparsam und wirtschaftlich gewesen.

Gegen das ihr am 14. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10. Juli 2012 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, den bei Antragstellung vorliegenden medizinischen Unterlagen sei eine Gefährdung oder gar Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben nicht zu entnehmen. Die Klägerin sei nicht arbeitsunfähig gewesen, eine rheumatologische Mitbehandlung habe nicht stattgefunden. Im ärztlichen Befundbericht vom 9. Juni 2010 werde lediglich "Kraftlosigkeit" in den Knien als von der Norm abweichender Befund angegeben. Davon könne keine besondere Dringlichkeit abgeleitet werden, die das Abwarten des regulären Widerspruchsverfahrens unmöglich gemacht hätte; Gefahr im Verzug hätte nicht vorgelegen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 24. Mai 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie im Wesentlichen Bezug auf den bisherigen Vortrag sowie die Entscheidung des SG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; sie ist auch im Übrigen zulässig, da sie unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden ist. Die Klage ist auf eine Geldleistung von mehr als 750,00 EUR gerichtet (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die in der Zeit vom 27. Juli bis zum 17. August 2010 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme.

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist § 15 Abs. 1 Satz 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach haben Leistungsberechtigte einen Anspruch auf Erstattung der Kosten einer selbstbeschafften medizinischen Rehabilitation, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Diese Vorschrift findet - sei es unmittelbar oder im Wege der Analogie - auch im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung Anwendung; sie normiert trägerübergreifend Kostenerstattungsansprüche für selbstbeschaffte Leistungen zur Rehabilitation (BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R, Urteil vom 21 August.2008 - B 13 R 33/07 R, Juris). Der Erstattungsanspruch nach § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX - wie auch die Parallelvorschrift des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB IX - reicht dabei nicht weiter als der Sachleistungsanspruch. Der Kostenerstattungsanspruch richtet sich nach Art und Umfang des Primäranspruchs und besteht nur insoweit, als der Rehabilitationsträger nach den für ihn maßgeblichen Vorschriften leistungspflichtig gewesen wäre. Ein Anspruch auf Kostenerstattung ist damit nur unter den folgenden Voraussetzungen gegeben: Bestehen eines Naturalleistungsanspruchs des Versicherten und dessen rechtswidrige Nichterfüllung, Ablehnung der Naturalleistung durch den Versicherungsträger, Selbstbeschaffung der entsprechenden Leistung durch den Versicherten, Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung, Notwendigkeit der selbst beschafften Leistung und (rechtlich wirksame) Kostenbelastung durch die Selbstbeschaffung (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 2/08 R, Juris). Diese zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ergangene Rechtsprechung ist auch auf den Bereich der Rentenversicherung übertragbar, da der Kostenerstattungsanspruch nach § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX der Regelung in § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V entspricht (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. August 2012 - L 11 R 5319/11, Juris).

Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht erfüllt. Entgegen der im Widerspruchsbescheid vertretenen Auffassung der Beklagten steht dem Anspruch nicht entgegen, dass die Klägerin sich die Leistung vor der Entscheidung der Beklagten beschafft hat. Der Aufenthalt am Toten Meer begann am 27. Juli 2010 und damit nach dem Erlass des Ablehnungsbescheids am 14. Juli 2010. Die stationäre Leistung zur Rehabilitation ist als einheitlicher Vorgang zu betrachten, der nicht in einzelne Zeitabschnitte aufgeteilt werden kann. Für die Beurteilung, ob und zu welchem Zeitpunkt sich die Klägerin die Behandlung selbst verschafft hat, ist daher auf den Beginn der Maßnahme abzustellen. Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse oder den Rentenversicherungsträger einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten. Zwischen dem die Haftung des Versicherungsträgers begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn der Versicherungsträger vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre. Eine vorherige Entscheidung des Versicherungsträgers wäre selbst dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens - etwa auf Grund von Erfahrungen aus anderen Fällen - von vornherein feststünde (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R, Juris). Vorliegend war die Beklagte vor Beginn der Maßnahme mit dem Begehren der Klägerin befasst und hatte bereits einen ablehnenden Bescheid erlassen. Den Erlass eines Widerspruchsbescheids musste die Klägerin nicht abwarten.

Die Beklagte hat die Bewilligung einer Maßnahme der stationären medizinischen Rehabilitation in Form einer Klimatherapie am Toten Meer aber nicht zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 9 SGB VI erbringt die Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Entsprechende Rehabilitationsleistungen können erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, § 9 Abs. 2 SGB VI. An der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 SGB VI bestehen vorliegend keine Zweifel. Die Klägerin hat in den letzten zwei Jahren vor Antragstellung sechs Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit. Dies ergibt sich aus dem Gesamtkontenspiegel der Klägerin (Bl. 8/12 der Verwaltungsakte), ist zwischen den Beteiligten nicht strittig und bedarf daher keiner weiteren Darlegung.

Die Klägerin erfüllt auch die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 SGB VI. Bei der Klägerin ist nach den vorliegenden Befundunterlagen die Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet; die erhebliche Gefährdung kann durch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation abgewendet werden. Die erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ergibt sich zum einen aus der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. Bä. gegenüber dem SG vom 10. Dezember 2011 und seinem Attest im Verwaltungsverfahren vom 21. Juli 2010, zum anderen aus dem von Dr. Ha. erstellten Entlassungsbericht des DMZ vom 28. Juli 2010. Ausweislich des Entlassungsberichts bestanden zum Zeitpunkt der Eingangsuntersuchung am 28. Juli 2010 seitens der Gelenke massive, schmerzhafte Funktions- und Bewegungseinschränkungen an der gesamten Wirbelsäule, an beiden Kniegelenken, an den PIP- und DIP-Gelenken des rechten Mittelfingers sowie an den PIP- und DIP-Gelenken des linken Mittel- und Ringfingers. Diese Funktionsbeeinträchtigungen erklären auch die seitens der Klägerin geschilderten Beeinträchtigungen im Rahmen der Berufstätigkeit. Demnach litt sie unter erheblichen Rückenbeschwerden, die sie zwangen, ständig die Position zu wechseln und zu Schwierigkeiten beim Schreiben am PC führten. Ferner litt sie beim Schreiben am Computer aufgrund des Gelenkbefalls des rechten Mittelfingers sowie des linken Mittel- und Ringfingers an Schmerzen. Dass im Sommer 2010 die erhebliche Gefahr bestand, die überwiegend sitzende Tätigkeit als Event-Managerin nicht mehr ausüben zu können, ergibt sich auch aus dem Attest von Dr. Bä. vom 21. Juli 2010. Der behandelnde Arzt legt dar, dass die Klägerin unter erheblichen Schmerzschüben mit Chronifizierungstendenz gelitten hat.

Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit konnte auch im Sinne des § 10 Abs. 1 Ziff. 2 a SGB VI durch eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme abgewendet werden. Wie sich aus dem Bericht von Dr. Ha. ergibt, hatten sich zum Zeitpunkt der Entlassung die Gelenkbeschwerden und die Beweglichkeit deutlich gebessert. Die morgendliche Gelenksteifigkeit war vollkommen aufgehoben und die Schmerzzustände hatten abgenommen. Entgegen der von der Beklagten im vertretenen Auffassung ist unerheblich, ob dieses Ergebnis auch mit einer ambulanten Maßnahme am Wohnort hätte erreicht werden können. Für eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit ist nicht erforderlich, dass ambulante Maßnahmen vor Ort nicht ausreichen. Denn einen Grundsatz der Subsidiarität von Rehabilitationsleistungen gegenüber ambulanten Therapieformen vor Ort kennt das Gesetz nicht (Luthe in jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 10 Rdnr. 51).

Die Rehabilitationsleistung war aber nach § 12 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ausgeschlossen, da sie nicht vor Ablauf von vier Jahren dringend erforderlich war. Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht vor Ablauf von vier Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen zur Rehabilitation erbracht, deren Kosten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden sind. Die Klägerin hat zuletzt im Jahr 2007 und damit innerhalb der Vier-Jahres-Frist eine Rehabilitationsleistung zu Lasten ihrer Krankenkasse in Anspruch genommen, diese vorzeitige Leistung war nicht aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich. Dringend erforderlich bedeutet, dass ohne die vorzeitige Wiederholung mit einer weiteren Minderung der Leistungsfähigkeit vor Ablauf der Vierjahresfrist zu rechnen ist. Voraussetzung ist ein höherer Grad der Gefährdung als "erheblich gefährdet" in § 10 Nr. 1 SGB VI. Dringend erforderlich sind vorzeitige Leistungen beispielswiese, wenn eine nicht nur unerhebliche Verschlimmerung der der vorherigen Rehabilitationsleistung zugrunde liegenden Krankheit eingetreten ist, neue eingetretene Krankheiten vorliegen, die Krankheit aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer erheblichen Erwerbsminderung führt, die ohne vorzeitige Behandlung eine Erwerbsminderungsrente zur Folge hat oder eine Anschlussheilbehandlung der Rentenversicherung nach Krankenhausbehandlung angezeigt ist (Kater in Kassler Kommentar, 78. Ergänzungslieferung 2013, § 12 SGB VI Rdnr. 21, Luthe in jurisPK-SGB VI, a.a.O., § 12 Rdnr. 59 ff). Dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Frühjahr 2010 im Sinne des § 10 SGB VI erheblich gefährdet war, wurde bereits dargelegt. Die darüber hinausgehende dringende Notwendigkeit einer vorzeitigen Rehabilitationsmaßnahme ist aus Sicht des Senats nicht gegeben. Diese folgt auch nicht aus den Stellungnahmen von Dr. Bä ... In seiner Stellungnahme vom 10. Dezember 2011 führt er aus, dass die Klägerin im Frühjahr 2010 unter erheblichen Allergieproblemen, erheblichen Rückenproblemen und einem starken psychischen Leidensdruck am Arbeitsplatz litt. Diese Gesundheitsstörungen in Verbindung mit den durch Dr. Ha. beschriebenen erheblichen Bewegungseinschränkungen führten auch nach Auffassung des Senats zu einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit, nicht aber zu der dringenden Notwendigkeit, eine Rehabilitationsmaßnahme vorzeitig durchzuführen. Die Fortführung der Medikation mit antiallergischen Tabletten in Verbindung mit einer inhalativen Behandlung und einem langwirksamen entkrampfenden Medikament für die Bronchien sowie regelmäßige Physiotherapie wäre ausreichend gewesen. Der Senat verkennt nicht, dass zur Vermeidung einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation eine Rehabilitationsmaßnahme sinnvoll war, sieht diese zum damaligen Zeitpunkt aber nicht als dringend erforderlich an; ambulante Therapien wären zur Stabilisierung der gesundheitlichen Situation ausreichend gewesen. Insoweit folgt der Senat der Aussage der Beratungsärztin Ju ...

Der Klägerin sind daher die ihr tatsächlich entstandenen Kosten in Höhe von 2.678,08 EUR nicht zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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