Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 5797/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1123/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28.02.2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Die 1948 geborene Klägerin stellte am 11.04.2011 einen Antrag auf Altersrente. Sie war ab 05.04.1967 erwerbstätig gewesen. Vom 01.01.1983 bis 13.04.2003 war die Klägerin privat krankenversichert. Nachdem die Rentenversicherung den Rentenantrag zur Prüfung des Zugangs zur Pflichtversicherung der Rentner der Beklagten gemeldet hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.04.2011 den Zugang zur KVdR wegen fehlender Vorversicherungszeiten ab und bot zugleich eine freiwillige Mitgliedschaft an.
Mit Schreiben vom 18.05.2011 erhob die Klägerin Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren wurde die Klägerin über die Unterschiede der Beitragsbemessung zwischen einem pflichtversicherten und einem freiwillig versicherten Rentner sowie mögliche weitere Versicherungsformen nach Ende der Beschäftigung informiert. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin in der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens (vom 09.04.1989 bis 11.04.2011) zur Erfüllung der notwendigen Vorversicherungszeit mindestens 19 Jahre, 9 Monate und 25 Tage an gesetzlichen Krankenversicherungszeiten zurückgelegt haben müsste. Nachgewiesen seien jedoch nur 7 Jahre, 11 Monate und 28 Tage, so dass die Vorversicherungszeit nicht erfüllt sei. Der Widerspruchsbescheid enthielt folgende Rechtsbehelfsbelehrung: "Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Zustellung Klage beim Sozialgericht Freiburg erhoben werden. Die Klage ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts einzureichen." Er wurde der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 29.09.2011 durch persönliche Übergabe zugestellt.
Am 02.11.2011 hat die Klägerin zum Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, wegen unzureichender Rechtsmittelbelehrung laufe eine Klagefrist von einem Jahr. In der Sache sei es nicht hinzunehmen, dass der Gesetzgeber die KVdR an lange Vorversicherungszeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung geknüpft habe. Hätte sie dies seinerzeit ahnen können, hätte sie sich nicht für eine private Krankenversicherung entschieden.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.02.2013 hat das SG die Klage abgewiesen unter Hinweis auf die Versäumung der Klagefrist. Die Klage hätte spätestens am Montag, 31.10.2011 erhoben werden müssen, sie sei jedoch erst am 02.11.2011 und damit verspätet bei Gericht eingegangen. Vorliegend laufe nicht die Jahresfrist nach § 66 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Rechtsmittelbelehrung im Widerspruchsbescheid vollständig und nicht irreführend gewesen sei. Aus der Belehrung sei auch für den rechtsunkundigen Bürger hinreichend sicher zu erkennen gewesen, dass die Klage beim SG zu erheben und binnen eines Monats dort einzureichen gewesen sei. Eingereicht sei ein Schriftsatz schon vom allgemeinen Wortverständnis her erst, wenn er bei der entsprechenden Stelle eingegangen sei. Andernfalls hätte es heißen müssen, die Klage sei binnen der Frist an das Gericht zu adressieren, aufzugeben oder zu richten. Die Kammer könne sich nicht der Kommentarliteratur anschließen, wonach immer der Hinweis gegeben werden müsse, dass die Klage innerhalb der genannten Frist bei Gericht eingegangen sein müsse (unter Hinweis auf Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 66 RdNr 9; Littmann in Lüdtke, SGG, § 66 RdNr 5). Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet, da die notwendigen Vorversicherungszeiten für die KVdR nicht erfüllt seien. Dass der Gesetzgeber den Zugang zur KVdR an längere Vorversicherungszeiten gekoppelt habe, liege in seinem Gestaltungsspielraum; die Klägerin, die eine private Krankenversicherung vorgezogen habe, könne eine Gleichstellung nicht verlangen.
Hiergegen richtet sich die am 12.03.2013 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie ist weiter der Auffassung, dass die Rechtsmittelbelehrung im Widerspruchsbescheid fehlerhaft gewesen sei und nimmt insoweit Bezug auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH 04.08.1955, 2 StR 250/55, NJW 1955, 1526). Diese müsse, egal in welchem Zusammenhang sie getroffen worden sei, auch in ihrem Fall anwendbar sein. Erforderlich sei daher ein Hinweis auf den Eingang des schriftlichen Einspruchs innerhalb der Frist, ansonsten sei die Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft und die Jahresfrist gelte. Vor dem Hintergrund der Privatisierung der Post mit den hinlänglich bekannten Folgen der Ausdünnung der Dienstleistungen gerade im ländlichen Raum sei die Entscheidung des BGH aktueller denn je zuvor.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28.02.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2011 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin ab 11.04.2011 versicherungspflichtig in der KVdR ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass die Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid den Vorgaben des Gesetzgebers entspreche. Auch in der Kommentierung (Peters/Sautter/Wolff zu § 66 SGG) werde die Auffassung vertreten, dass ein Hinweis, dass der Rechtsbehelf innerhalb der Frist eingegangen sein müsse, nicht erforderlich sei. Auch die Hinweise des SG in der Sache zum abgelehnten Zugang zur KVdR seien zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG entscheiden kann, hat keinen Erfolg.
Die nach §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig wegen Versäumung der Klagefrist abgewiesen.
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 20.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2011. Hierin ist verfügt, dass die Klägerin nicht der KVdR angehöre. Die Klägerin kann ihr Klageziel - Zugehörigkeit zur KVdR ab Rentenantragstellung - daher nur im Wege der kombinierten Anfechtungs- (§ 54 Abs 1 SGG) und Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG) erreichen, denn die Versicherungspflicht tritt kraft Gesetzes ein, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Nach § 87 Abs 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, beginnt die Frist nach § 87 Abs 2 SGG mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. Die Klage ist bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben (§ 90 SGG). Die Klagefrist hat die Klägerin mit der am 02.11.2011 schriftlich erhobenen Klage nicht gewahrt, es liegen auch keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor.
Der Widerspruchsbescheid vom 28.09.2011 wurde der Klägerin am 29.09.2011 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt (§ 85 Abs 2 Satz 3 SGG, § 3 Abs 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG)). Bei der Zustellung nach § 3 VwZG ist die Zustellung in dem Zeitpunkt erfolgt, in dem sie tatsächlich bewirkt worden ist; eine Dreitagesfrist wie in § 4 VwZG gibt es nicht (Engelhardt/App, VwZG, 9. Aufl, § 3 RdNr 51). § 37 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit der Fiktion des Zugangs am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post (vgl dazu BSG 06.05.2010, B 14 AS 12/09 R, SozR 4-1300 § 37 Nr 1) findet ebenfalls keine Anwendung, da sich die Vorschrift nur auf die Bekanntgabe mit einfachem Brief bezieht (Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 37 RdNr 11). Nach § 64 Abs 1 Satz 1, Abs 2 SGG beginnt der Lauf der Frist mit dem Tag nach der Zustellung. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt - hier also die Zustellung - fällt (§ 64 Abs 2 Satz 1 SGG); fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (Abs 3 aaO). Danach endete die Klagefrist, da der 29.10.2011 ein Samstag war, am Montag, den 31.10.2011. Eingegangen ist die Klage ausweislich des Eingangsstempels erst am 02.11.2011 und damit verfristet.
Vorliegend gilt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG, da der Widerspruchsbescheid mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung iS des § 66 SGG versehen war. Zwar wird in der Belehrung nicht darauf hingewiesen, dass die Klage innerhalb eines Monats beim SG eingegangen sein muss, dies ist jedoch auch nicht erforderlich. § 66 Abs 1 SGG fordert für den Beginn des Fristlaufs nur, dass der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Damit sind allein die gesetzlich geforderten Angaben ausreichend für eine die Frist in Gang setzende Rechtsbehelfsbelehrung (vgl Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) 21.01.1972, IV C 40/70, NJW 1972, 1435). Nichts anderes folgt aus der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des BGH (04.08.1955, 2 StR 250/55, NJW 1955, 1526). Diese Rechtsprechung betraf § 140 Abs 3 Strafprozessordnung (StPO) aF zur einwöchigen Frist zur Beantragung der Bestellung eines Verteidigers. Aufgrund der in strafprozessualen Angelegenheiten häufig kürzeren Fristen als im allgemeinen Verwaltungsverfahrens- und Sozialrecht sind die dort vertretenen strengeren Anforderungen an den Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung nicht für die einmonatige Klagefrist nach § 87 SGG zu übernehmen. Auch das BVerwG hat nur im Wehrdisziplinarrecht, das auf die StPO verweist, einen Hinweis auf den Eingang der Klageschrift bei Gericht innerhalb der Frist gefordert (BVerwG 14.11.1969, II WDB 28.69, BVerwGE 43, 26). Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG braucht im allgemeinen Verwaltungsverfahren in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht darauf hingewiesen werden, dass der Rechtsbehelf innerhalb der angegebenen Frist bei der genannten Behörde oder dem Gericht eingegangen sein muss (BVerwG 21.01.1972, aaO; BVerwG 03.09.1981, 7 B 177/81, juris). Die maßgeblichen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung und des SGG stimmen insoweit überein, so dass kein Grund ersichtlich ist, für die Fristen nach dem SGG strengere Anforderungen zu stellen über den Gesetzeswortlaut hinaus. Soweit die Kommentarliteratur (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 66 RdNr 9; Littmann in Lüdtke, SGG, 4. Aufl, § 66 RdNr 5) allein die Entscheidung des Wehrdienstsenates des BVerwG aus dem Jahr 1969 zur Stützung ihrer Rechtsauffassung zitiert, überzeugt sie daher nicht.
Wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung kann der Klägerin auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Wiedereinsetzung ist (nur) zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Dies ist dann der Fall, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt aufgewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten sind (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 67 RdNr 3 mwN). Die irrige Ansicht, für die fristgerechte Klageerhebung sei die rechtzeitige Absendung innerhalb der Frist ausreichend, stellt keinen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dar (Bayerisches Landessozialgericht (LSG) 17.01.2006, L 3 U 419/04, juris).
Eine Prüfung des klägerischen Begehrens in der Sache ist dem Senat mithin verwehrt. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 Nr 11 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), wonach versicherungspflichtig Personen sind, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens 9/10 der 2. Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren, offensichtlich nicht erfüllt sind. Die entsprechenden Vorversicherungszeiten erfüllt die Klägerin, die die meiste Zeit privat versichert war, bei weitem nicht. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen werden (§§ 153 Abs 1, 136 Abs 3 SGG). Die Regelung ist auch nicht verfassungswidrig (vgl Hessisches LSG 21.10.2004, L 1 KR 737/03, juris; LSG Berlin-Brandenburg, 22.03.2011, L 1 KR 353/09, juris jeweils mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Die 1948 geborene Klägerin stellte am 11.04.2011 einen Antrag auf Altersrente. Sie war ab 05.04.1967 erwerbstätig gewesen. Vom 01.01.1983 bis 13.04.2003 war die Klägerin privat krankenversichert. Nachdem die Rentenversicherung den Rentenantrag zur Prüfung des Zugangs zur Pflichtversicherung der Rentner der Beklagten gemeldet hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.04.2011 den Zugang zur KVdR wegen fehlender Vorversicherungszeiten ab und bot zugleich eine freiwillige Mitgliedschaft an.
Mit Schreiben vom 18.05.2011 erhob die Klägerin Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren wurde die Klägerin über die Unterschiede der Beitragsbemessung zwischen einem pflichtversicherten und einem freiwillig versicherten Rentner sowie mögliche weitere Versicherungsformen nach Ende der Beschäftigung informiert. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin in der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens (vom 09.04.1989 bis 11.04.2011) zur Erfüllung der notwendigen Vorversicherungszeit mindestens 19 Jahre, 9 Monate und 25 Tage an gesetzlichen Krankenversicherungszeiten zurückgelegt haben müsste. Nachgewiesen seien jedoch nur 7 Jahre, 11 Monate und 28 Tage, so dass die Vorversicherungszeit nicht erfüllt sei. Der Widerspruchsbescheid enthielt folgende Rechtsbehelfsbelehrung: "Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Zustellung Klage beim Sozialgericht Freiburg erhoben werden. Die Klage ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts einzureichen." Er wurde der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 29.09.2011 durch persönliche Übergabe zugestellt.
Am 02.11.2011 hat die Klägerin zum Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, wegen unzureichender Rechtsmittelbelehrung laufe eine Klagefrist von einem Jahr. In der Sache sei es nicht hinzunehmen, dass der Gesetzgeber die KVdR an lange Vorversicherungszeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung geknüpft habe. Hätte sie dies seinerzeit ahnen können, hätte sie sich nicht für eine private Krankenversicherung entschieden.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.02.2013 hat das SG die Klage abgewiesen unter Hinweis auf die Versäumung der Klagefrist. Die Klage hätte spätestens am Montag, 31.10.2011 erhoben werden müssen, sie sei jedoch erst am 02.11.2011 und damit verspätet bei Gericht eingegangen. Vorliegend laufe nicht die Jahresfrist nach § 66 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Rechtsmittelbelehrung im Widerspruchsbescheid vollständig und nicht irreführend gewesen sei. Aus der Belehrung sei auch für den rechtsunkundigen Bürger hinreichend sicher zu erkennen gewesen, dass die Klage beim SG zu erheben und binnen eines Monats dort einzureichen gewesen sei. Eingereicht sei ein Schriftsatz schon vom allgemeinen Wortverständnis her erst, wenn er bei der entsprechenden Stelle eingegangen sei. Andernfalls hätte es heißen müssen, die Klage sei binnen der Frist an das Gericht zu adressieren, aufzugeben oder zu richten. Die Kammer könne sich nicht der Kommentarliteratur anschließen, wonach immer der Hinweis gegeben werden müsse, dass die Klage innerhalb der genannten Frist bei Gericht eingegangen sein müsse (unter Hinweis auf Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 66 RdNr 9; Littmann in Lüdtke, SGG, § 66 RdNr 5). Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet, da die notwendigen Vorversicherungszeiten für die KVdR nicht erfüllt seien. Dass der Gesetzgeber den Zugang zur KVdR an längere Vorversicherungszeiten gekoppelt habe, liege in seinem Gestaltungsspielraum; die Klägerin, die eine private Krankenversicherung vorgezogen habe, könne eine Gleichstellung nicht verlangen.
Hiergegen richtet sich die am 12.03.2013 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie ist weiter der Auffassung, dass die Rechtsmittelbelehrung im Widerspruchsbescheid fehlerhaft gewesen sei und nimmt insoweit Bezug auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH 04.08.1955, 2 StR 250/55, NJW 1955, 1526). Diese müsse, egal in welchem Zusammenhang sie getroffen worden sei, auch in ihrem Fall anwendbar sein. Erforderlich sei daher ein Hinweis auf den Eingang des schriftlichen Einspruchs innerhalb der Frist, ansonsten sei die Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft und die Jahresfrist gelte. Vor dem Hintergrund der Privatisierung der Post mit den hinlänglich bekannten Folgen der Ausdünnung der Dienstleistungen gerade im ländlichen Raum sei die Entscheidung des BGH aktueller denn je zuvor.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28.02.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2011 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin ab 11.04.2011 versicherungspflichtig in der KVdR ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass die Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid den Vorgaben des Gesetzgebers entspreche. Auch in der Kommentierung (Peters/Sautter/Wolff zu § 66 SGG) werde die Auffassung vertreten, dass ein Hinweis, dass der Rechtsbehelf innerhalb der Frist eingegangen sein müsse, nicht erforderlich sei. Auch die Hinweise des SG in der Sache zum abgelehnten Zugang zur KVdR seien zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG entscheiden kann, hat keinen Erfolg.
Die nach §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig wegen Versäumung der Klagefrist abgewiesen.
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 20.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2011. Hierin ist verfügt, dass die Klägerin nicht der KVdR angehöre. Die Klägerin kann ihr Klageziel - Zugehörigkeit zur KVdR ab Rentenantragstellung - daher nur im Wege der kombinierten Anfechtungs- (§ 54 Abs 1 SGG) und Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG) erreichen, denn die Versicherungspflicht tritt kraft Gesetzes ein, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Nach § 87 Abs 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, beginnt die Frist nach § 87 Abs 2 SGG mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. Die Klage ist bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben (§ 90 SGG). Die Klagefrist hat die Klägerin mit der am 02.11.2011 schriftlich erhobenen Klage nicht gewahrt, es liegen auch keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor.
Der Widerspruchsbescheid vom 28.09.2011 wurde der Klägerin am 29.09.2011 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt (§ 85 Abs 2 Satz 3 SGG, § 3 Abs 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG)). Bei der Zustellung nach § 3 VwZG ist die Zustellung in dem Zeitpunkt erfolgt, in dem sie tatsächlich bewirkt worden ist; eine Dreitagesfrist wie in § 4 VwZG gibt es nicht (Engelhardt/App, VwZG, 9. Aufl, § 3 RdNr 51). § 37 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit der Fiktion des Zugangs am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post (vgl dazu BSG 06.05.2010, B 14 AS 12/09 R, SozR 4-1300 § 37 Nr 1) findet ebenfalls keine Anwendung, da sich die Vorschrift nur auf die Bekanntgabe mit einfachem Brief bezieht (Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 37 RdNr 11). Nach § 64 Abs 1 Satz 1, Abs 2 SGG beginnt der Lauf der Frist mit dem Tag nach der Zustellung. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt - hier also die Zustellung - fällt (§ 64 Abs 2 Satz 1 SGG); fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (Abs 3 aaO). Danach endete die Klagefrist, da der 29.10.2011 ein Samstag war, am Montag, den 31.10.2011. Eingegangen ist die Klage ausweislich des Eingangsstempels erst am 02.11.2011 und damit verfristet.
Vorliegend gilt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG, da der Widerspruchsbescheid mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung iS des § 66 SGG versehen war. Zwar wird in der Belehrung nicht darauf hingewiesen, dass die Klage innerhalb eines Monats beim SG eingegangen sein muss, dies ist jedoch auch nicht erforderlich. § 66 Abs 1 SGG fordert für den Beginn des Fristlaufs nur, dass der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Damit sind allein die gesetzlich geforderten Angaben ausreichend für eine die Frist in Gang setzende Rechtsbehelfsbelehrung (vgl Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) 21.01.1972, IV C 40/70, NJW 1972, 1435). Nichts anderes folgt aus der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des BGH (04.08.1955, 2 StR 250/55, NJW 1955, 1526). Diese Rechtsprechung betraf § 140 Abs 3 Strafprozessordnung (StPO) aF zur einwöchigen Frist zur Beantragung der Bestellung eines Verteidigers. Aufgrund der in strafprozessualen Angelegenheiten häufig kürzeren Fristen als im allgemeinen Verwaltungsverfahrens- und Sozialrecht sind die dort vertretenen strengeren Anforderungen an den Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung nicht für die einmonatige Klagefrist nach § 87 SGG zu übernehmen. Auch das BVerwG hat nur im Wehrdisziplinarrecht, das auf die StPO verweist, einen Hinweis auf den Eingang der Klageschrift bei Gericht innerhalb der Frist gefordert (BVerwG 14.11.1969, II WDB 28.69, BVerwGE 43, 26). Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG braucht im allgemeinen Verwaltungsverfahren in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht darauf hingewiesen werden, dass der Rechtsbehelf innerhalb der angegebenen Frist bei der genannten Behörde oder dem Gericht eingegangen sein muss (BVerwG 21.01.1972, aaO; BVerwG 03.09.1981, 7 B 177/81, juris). Die maßgeblichen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung und des SGG stimmen insoweit überein, so dass kein Grund ersichtlich ist, für die Fristen nach dem SGG strengere Anforderungen zu stellen über den Gesetzeswortlaut hinaus. Soweit die Kommentarliteratur (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 66 RdNr 9; Littmann in Lüdtke, SGG, 4. Aufl, § 66 RdNr 5) allein die Entscheidung des Wehrdienstsenates des BVerwG aus dem Jahr 1969 zur Stützung ihrer Rechtsauffassung zitiert, überzeugt sie daher nicht.
Wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung kann der Klägerin auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Wiedereinsetzung ist (nur) zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Dies ist dann der Fall, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt aufgewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten sind (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 67 RdNr 3 mwN). Die irrige Ansicht, für die fristgerechte Klageerhebung sei die rechtzeitige Absendung innerhalb der Frist ausreichend, stellt keinen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dar (Bayerisches Landessozialgericht (LSG) 17.01.2006, L 3 U 419/04, juris).
Eine Prüfung des klägerischen Begehrens in der Sache ist dem Senat mithin verwehrt. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 Nr 11 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), wonach versicherungspflichtig Personen sind, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens 9/10 der 2. Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren, offensichtlich nicht erfüllt sind. Die entsprechenden Vorversicherungszeiten erfüllt die Klägerin, die die meiste Zeit privat versichert war, bei weitem nicht. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen werden (§§ 153 Abs 1, 136 Abs 3 SGG). Die Regelung ist auch nicht verfassungswidrig (vgl Hessisches LSG 21.10.2004, L 1 KR 737/03, juris; LSG Berlin-Brandenburg, 22.03.2011, L 1 KR 353/09, juris jeweils mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved