L 9 U 171/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 1478/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 171/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Oktober 2010 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23.02.2003.

Der 1968 geborene Kläger ist seit 1996 bei der Firma S. Haus KG in der Abteilung Kraftwerk tätig. Bis 2009 arbeitete er als Heizer bzw. Kesselwärter im Kesselhaus eines Kraftwerks. Bis zuletzt war er nach in¬nerbetrieblicher Umsetzung - weiterhin in Vollzeit - als Schichtführer tätig.

Der Kläger erlitt am 23.02.2003 einen Arbeitsunfall, als sich bei Reinigungsarbeiten im Innern des Kessels ein großes Stück Schlacke von der Decke löste und ihm auf den Kopf fiel, wodurch sich der Sicherheitshelm vom Kopf löste. Kurze Zeit später fielen weitere größere Schlacketeile, insgesamt ca. 40 bis 50 kg, von der Decke und trafen den Klä¬ger im Bereich des Kopfes, der Halswirbelsäule und der linken Schulter. Der Kläger wurde in das Klinikum am Steinenberg, Chirurgische Klinik, Reutlingen, gebracht, wo ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades, eine Schlüsselbeinfraktur links, Kopf¬platzwunden, eine Schürfwunde am Hals links und eine Halswirbelsäulen-Distorsion di¬agnostiziert wurden. Die Kopfplatzwunden wurden genäht. Wegen der Schlüsselbeinfraktur erhielt der Kläger einen Rucksackverband. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 17.03.2003 war der Kläger nach dem Unfall nicht bewusstlos, es bestand jedoch eine retrograde Amnesie (Gedächtnislücke) bezüglich des Unfalls. Der Kläger wurde am 26.02.2003 nach komplikationslosem Verlauf bei annähernder Beschwerdefreiheit entlassen.

Am 13.03.2003 stellte sich der Kläger ambulant in der Sana-Klinik Z. in Albstadt wegen bewegungsabhängiger Schmerzen mit dem Gefühl der Krepitation vor, wo er vom 23.03. bis 29.03.2003 stationär behandelt wurde. Dabei wurde eine Pseudarthrose im Bereich des Schlüsselbeines operativ osteosynthetisch versorgt (Rekonstruktionsplatte und Kleinfragmentschraube), Am 08.04.2003 diagnostizierte der Zahnarzt Dr. W. beim Kläger ein cranio-faciales Schmerzsyndrom durch multiple Verspannungen im Nacken-Schulter-Bereich nach dem Trauma. Der Kläger habe seit dem Unfall akute Beschwerden im Bereich der Kaumuskulatur und der Kiefergelenke.

Am 12.05.2003 nahm der Kläger die Tätigkeit bei seinem Arbeitgeber wieder auf, stellte sich aber auch in der Folgezeit regelmäßig in der Sana-Klinik Albstadt wegen fortbestehender Beschwerden, insbesondere bei starker körperlicher Arbeit, vor. Am 15.12.2003 gab der Kläger dort Schmerzen im Bereich der linken Schulter bis in den Hals ausstrahlend mit Bewegungsstörung bei Linksdrehung sowie ein be¬lastungsabhängiges Knacksen im Schultergelenk an, außerdem Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und Kopfschmerzen. Eine neurologische Kontrolle beim Neurologen und Psychiater Dr. R. am 27.01.2004 erbrachte keinen krankhaften Befund. Dr. R. fand von Seiten der Neurologie keine Ursache für die geklagten kurzzeitigen Bewusstseinsstörungen mit Schwarzwerden vor den Augen, die er am ehesten auf Kreislaufschwankungen zurückführte.

Bei einer weiteren Untersuchung am 19.04.2004 stellte der Neurologe und Psychiater Dr. M. postcommotionelle Kopfschmerzen und Schwindelerscheinungen, einen Zustand nach HWS-Trauma fest und äußerte den Verdacht auf leichte Armplexusirritation links im Rahmen einer Schlüsselbeinfraktur.

Nach operativer Entfernung des einliegenden Osteosynthesematerials am 23.04.2004 stellte sich der Kläger wieder in der Sana-Klinik A. vor wegen anhaltender Schmerzen im Bereich des Schultereckgelenks links. Nachdem die konservative Behandlung keine Besserung erbrachte, wurde die linke Schulter aufgrund der Diagnosestellung subacromiales Impingement und AC-Gelenksarthrose am 21.01.2005 operativ versorgt mit offener Acromioplastik und AC-Gelenkresektion links.

In der Zeit vom 09.03. bis 13.04.2005 wurde der Kläger in der Reha-Klinik Bad S. wegen eines subacromialen Impingements links, AC-Gelenkarthrose links und einem Zustand nach offener Acromioplastik und AC-Gelenkresektion links stationär behandelt. Im Entlassungsbericht vom 12.04.2005 berichten Prof. Dr. S., Dr. B. und Dr. R. von während des Aufenthalts unverändert anhaltenden Kopfschmerzen sowie stärkstem Ziehen im Bereich der HWS, zeitweise mit Pelzigkeitsgefühl der linken Hand. Eine Computertomographie am 17.03.2005 habe keinen Nachweis einer knöchernen Verletzungsfolge im Bereich der HWS ergeben. Bei der Abschlussuntersuchung wurden vereinzelt noch druckdolente Myogelosen beidseits der paravertebralen Muskulatur sowie ein zunehmender Schiefhals linksseitig bei eingeschränkter HWS-Rotation rechts/links (80-0-50°) festgestellt.

Eine CT-Abklärung der HWS durch den Radiologen Dr. R. vom 22.03.2005 ergab keinen Hinweis für knöcherne Verletzungen. Es wurden jedoch offenbar schon vorbestehende Retroosteophytenbildungen in Höhe C3 und C4 mit auch Neuroforameneinengungen in diesen Höhen links geringeren Grades festgestellt, zudem eine leicht skoliotische Fehlhaltung der Halswirbelsäule.

Bei einer kernspintomographischen Untersuchung der Halswirbelsäule am 16.04.2005 stellte der Radiologe Dr. S. linksbetonte degenerative Neuroforamenstenosen C3/4 bis C5/6 mit dorsalen Bandscheibenprotrusionen fest, außerdem eine geringe dorsale Bandscheibenprotrusion bei C6/C7 ohne wesentlichen Kompressionseffekt. Bei einer weiteren Untersuchung diagnostizierte Dr. M. am 02.05.2005 eine cervikogene Hemikranie sowie Cervikobrachialgie links ohne sonstige neurologische oder psychopathologische Auffälligkeiten und empfahl die Fortführung konservativer Therapiemaßnahmen im Bereich der HWS.

In seinem Zwischenbericht vom 06.06.2005 empfahl Prof. Dr. G.-Z. (Ärztlicher Direktor Sana-Klink) wegen der weiterhin bestehenden mittelgradigen Bewegungseinschränkung der linken Schulter die Einleitung beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen. Am 27.06.2005 begann der Kläger eine Belastungserprobung an seinem alten Arbeitsplatz und arbeitete ab 25.07.2005 trotz fortbestehender Beschwerden dort wieder vollschichtig.

Die Beklagte holte sodann ein unfallchirurgisches und ein neurologisches Gutachten zur Abklärung der Folgen des Unfalls ein. Im unfallchi¬rurgischen Gutachten vom 12.09.2005 führten Prof. Dr. H. und Dr. L., Katharinenhospital S., aus, der Kläger habe von der Einnahme von Schmerzmitteln berichtet (3 mal in der Woche Ibuhexal sowie 30 Tropfen Tramal bei Bedarf gegen die Schmerzen sowie alle 2 bis 3 Tage Aspirin) und über ständige Nackenbeschwerden, Beschwerden im Bereich des linken Schultergelenkes und gelegentliche Kopfschmerzen geklagt. Prof. Dr. H. stellte bei der Untersuchung deutliche Verhärtungen im Bereich des Nackens, links mehr als rechts mit zum Teil Druckempfindlichkeit, ein posttraumatisches Impingement im Bereich der linken Schulter sowie eine endgradige Bewe¬gungseinschränkung der HWS mit muskulären HWS-Verspannungen bei unfallunabhängigen degenerativen Neuroforamenstenosen C3/4 und C4/5 im Bereich der HWS mit dorsaler Bandscheibenprotrusion fest. Der Unfall sei alleinige Ursache der Veränderungen der linken Schulter bzw. im Bereich der linken Clavikula. Die erlittene Distorsion der HWS vom Schweregrad II sei zwischenzeitlich folgenlos abgeheilt, die noch bestehenden Beschwerden im Bereich der HWS seien unfallunabhängig auf die degenerativen Leiden zurückzuführen. Es handle sich um eine vorübergehende Verschlimmerung einer vorbestehenden Schadensanlage. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab Eintritt der Arbeitsfähigkeit (04.08.2005) 10 v.H., ab 29.08.2005 für ein halbes Jahr vermutlich 10 v.H., auf Dauer vermutlich unter 10 v.H.

In einem auf Anforderung der Beklagten erstatteten neurologischen Gutachten berichtet Dr. K. unter dem 14.10.2005, die vorgetragenen Kopfschmerzen seien im Sinne einer vertebragenen Cephalgie zu werten und durch die vorbestehenden degenerativen Veränderungen der HWS bedingt. Es bestünden keinerlei Hinweise für eine Läsion des oberen und unteren Armplexus links, auch sonst lägen keinerlei neurologische Ausfälle vor. Ein diskretes Carpaltunnelsyndrom links sei unfallunabhängig. Die MdE we¬gen des unfallabhängigen Supraspinatus-syndroms im Bereich der linken Schulter sei auf unfall¬chirurgischem Gebiet einzuschätzen. Auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet bestehe keine MdE.

Mit Bescheid vom 13.12.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente we¬gen der Folgen des Versicherungsfalles vom 23.02.2003 ab, da eine MdE im rentenbegründenden Umfang nicht vorliege. Als Folgen des Versiche¬rungsfalls wurden anerkannt: AC-Gelenkresektion und subacromiale Dekompression nach ope¬rativ versorgter Claviculafraktur links mit posttraumatischer AC-Gelenksveränderung, Impinge¬ment linke Schulter, folgenlos ausgeheilte HWS-Distorsion und folgenlos verheilte Gehirnerschüt¬terung. Nicht als Folgen des Versicherungsfalls wurden anerkannt: Degenerative Veränderun¬gen der Wirbelsäule insbesondere auf Höhe C3/4 und C4/5, endgradige Bewegungseinschränkung der HWS mit muskulären HWS-Verspannungen. Kopfschmerzen. Der vom Kläger dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2006 zu¬rückgewiesen.

Am 21.04.2006 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, die bestehenden Beschwerden seien auf den Unfall und nicht auf degenerative Veränderungen der HWS zurückzuführen. Er habe vor dem Unfall keinerlei Beschwerden im Bereich der HWS gehabt und sei deswegen auch nicht krankgeschrieben gewesen.

Der vom SG als sachverständiger Zeu¬ge gehörte Unfallchirurg Dr. E. hat unter dem 01.01.2007 beim Kläger die Diagnosen Zustand nach Pseudarthrosenosteosynthese links Clavikula, Zustand nach traumatischer AC-Sprengung Tossy 1-2 links mit persistierender Distraktion, Zustand nach Schulterarthroskopie links mit offener Neerplastik und Resektion der lateralen Clavikula und (unter anderem) "Verschüttungstrauma-Psyche?" gestellt. Wegen des nicht mehr geschlossenen Schultergürtels sei die Belastbarkeit des Armes und des gesamten Schulter¬gürtels unfallbedingt erheblich herabgesetzt. Eine MdE in Höhe von 20 v.H. liege in jedem Fall vor.

Das SG hat sodann ein unfallchirurgisches Gutachten bei Oberarzt Dr. S., Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirur¬gie V.-S., eingeholt. Im Gutachten vom 18.06.2007 hat dieser ausgeführt, der Kläger klage über Schmerzen in der linken Schulter und sei in der Beweglichkeit eingeschränkt. Er könne den linken Arm zwar anheben, müsse sich dabei aber konzentrieren. Er verspüre außerdem ein "Krachen" in der linken Schulter. Er könne wegen seiner Kopfverletzungen auch keinen Druck um den Kopf haben. Als Motorradfahrer falle es ihm schwer, einen Helm zu tragen. Auch bei der Arbeit könne er nur mit Mühe einen Schutzhelm tolerieren. Er sei auf die Einnahme von Schmerzmitteln angewie¬sen. Dr. S. hat weiter ausgeführt, bei Betrachtung von vorne und hinten falle eine Seitneigung des Kopfes nach links auf. Die Prüfung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule habe eine seitengleiche Beweglichkeit nach rechts und links ergeben. Es lägen aber degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit Osteophytenbildung, eine Einengung der Neuroforamina sowie Bandscheibenprotrusionen im Bereich C3-C5 vor. Die posttraumatisch aufgetretenen Veränderungen an der linken Schulter mit der Bewegungseinschränkung seien auf den Unfall zurückzuführen. Die hierbei ebenfalls erlittene Zerrung bzw. Distorsion der Halswirbelsäule sei folgenlos ausgeheilt. Die Veränderungen an der Halswirbelsäule (muskuläre Verspannung der Halsmuskulatur, geringe Bewegungs¬einschränkung der HWS) seien auf die degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule mit Osteophytenbildung zurückzuführen. Die MdE betrage auf unfallchirurgischem Fachgebiet 10 v.H.; auf neurologischem Fachgebiet liege keine MdE vor.

Auf Antrag des Klägers hat das SG sodann nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein orthopädisches Gut¬achten bei Prof. Dr. G.-Z. eingeholt. Dieser hat im Gutachten vom 13.03.2008 ein ausgeprägtes Hals-Schulter-Arm-Syndrom linksseitig mit Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule sowie der linken Schulter und entsprechende Cervicocephal- und Cervicobrachialgien sowie einen Status nach Clavicafraktur festgestellt, außerdem Degenerationen der Halswirbelsäule mit Bandscheibenprotrusion C5 bis C6 linksseitig sowie degenerative Neuroforamenstenosen C3/C4 und C5/C6 linksseitig. Die Schlüsselbeinfraktur sowie die Commotio cerebri und die HWS-Distorsion seien unmittelbare Unfallfolgen, die Folgeoperationen im Schulter- und Claviculabereich auf der linken Seite seien die Folge davon und stünden im direkten Zusammenhang mit dem Unfall. Die degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule hätten sicherlich schon zum Unfallzeitpunkt bestanden und seien durch diesen nicht ausgelöst worden. Er gehe mit der Beurtei¬lung der Vorgutachter konform. Es müsse jedoch darauf hingewiesen werden, dass hier eine schwierige argumentatorische Kette vorliege. Aufgrund der degenerativen Veränderungen an der Halswirbelsäule sei zum einen davon auszugehen, dass die HWS-Beschwerden ebenfalls durch eine Gele¬genheitsursache hätten ausgelöst werden können. Hierdurch sei eine wesentliche Ursache nicht mehr gegeben. Gleichwohl seien die Beschwerden im konkreten Fall natürlich nicht durch eine Gelegenheitsursache verursacht worden. Der Grad der MdE sei auf unfallchirurgischem Fachgebiet nicht anders als mit 10 v.H. zu bewerten. Auf neurologischem Fachgebiet liege den entsprechenden Gutachten und Befundberichten folgend keine MdE vor. Unabhängig davon sei in je¬dem Fall die Intensivierung der konservativen Therapie angezeigt.

Der Kläger hat weiter den Bericht von PD Dr. S. (Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Tübingen) vom 24.10.2007 vorgelegt. Danach hat der Kläger von Beschwerden im Bereich der linken oberen Körperhälfte in Form von konstanten Schmerzen im Nackenbereich bis unter das linke Schulterblatt, manchmal auch mit Ausstrahlung in den linken Arm berichtet. Bei der Arbeit sei er eingeschränkt, da er als Heizer auch schwerere Dinge heben müsse. Es zeigte sich bei der Untersuchung eine auffällige deutliche Oberkörperschiefhaltung mit Schulterhochstand links und deutlichem Hartspann im Bereich oberhalb der Schulter. Neurologisch zeigte sich allerdings ein unauffälliger Befund. Es wurde zu einer nochmaligen stationären Rehabilitation mit intensiver Physiotherapie geraten.

Die Beklagte hat daraufhin die Vorstellung des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen (BG) Un¬fallklinik Tübingen veranlasst. Nach dem ambulanten Untersuchungsbericht mit fachärztlicher Stellungnahme vom 21.11.2008 hat Prof. Dr. W. eine erneute stationäre Aufnahme zur Ab-klärung von bestehenden Unfallfolgen mit intensiver psychologischer und psychotherapeutischer sowie spezieller schmerztherapeutischer Mitbehandlung empfohlen. Im Bericht wird eine deutliche Be¬schwerdesymptomatik, welche wahrscheinlich von dem Torticollis (Schiefhals) nach axialem Stauchungstrauma der HWS herrühre, beschrieben. Bei der Entlassung wurde mit dem Kläger die Vorstellung in der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie zur Bio-Feedback-Therapie sowie eine Fortführung der begonnenen Botox-Therapie in der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen vereinbart.

In der Zeit vom 09.12.2008 bis 27.01.2009 hat sich der Kläger zur stationären Rehabilitation mit schmerztherapeutischer Mitbehandlung und Medikamentenentzug in der BG Unfallklinik T. aufgehalten. Unter dem 19.01.2009 haben Prof. Dr. K. und Dr. F. (Abteilung Rehabilitation und Prävention) berichtet, eine CT-Diagnostik der HWS vom 12.12.2008 habe die Theorie der Vorgutachter nicht bestätigt, dass degenerative Veränderungen für die Schiefhaltung des Kopfes verantwortlich seien. Es habe sich ein altersentsprechender, regelgerechter Befund mit geringgradigen degenerativen Veränderungen gezeigt. In einer Narkoseuntersuchung am 12.01.2009 habe sich eine freie Beweglichkeit der Halswirbelsäule gezeigt. Dabei seien die im Wachzustand des Patienten sonst typischen Anspannungen der Muskulatur nicht mehr tastbar gewesen. Trotz der massiven Sedierung sei jedoch eine persistierende Schmerzwahrnehmung des Patienten in Narkose aufgefallen. Es liege ein posttraumatischer Torticollis mit Fehlkonditionierung und daraus resultierender Fehlhaltung des Halses und Kopfes vor.

Am 19.12.2008 hat Prof. Dr. S. den Kläger untersucht. In seinem neurologisch-psychiatrischen Befundbericht vom 22.12.2008 wird unter Berücksichtigung der testpsychologischen Untersuchung durch Dipl.-Psychologin S. an 22.12.2008 ausgeführt, der Kläger habe angegeben, er habe den Schiefhals seit dem Unfall. Vor dem Unfall habe er diesbezüglich keine Beschwerden gehabt. Der Kläger habe den Schädel während der Exploration und der Untersuchung in wechselnder Ausprägung nach links schräg gehalten, dabei die linke Schulter hochgehalten. Bei Ablenkung stehe der Kopf gerade. Auf neurologischem Fachgebiet sei kein objektiv krankhafter Befund zu erheben. Eine Schädigung des Armnervengeflechts liege nicht vor, ebenso keine Dystonie, denn es lägen keine dystonen Bewegungsabläufe vor. Auch bestehe keine Muskelhypertrophie, wie dies bei einer andauernden unwillkürlichen Muskelkontraktion unweigerlich zu erwarten wäre. Ebenso bestehe keine krankhafte Muskelanspannung aufgrund einer peripheren Nervenschädigung, denn bei Ablenkung lasse die Anspannung des M. trapezius wie auch die Kopfschiefhaltung nach. Aufgrund des demonstrativen Charakters der dargebotenen Muskelverspannung sei die wahrscheinlichste Erklärung die einer willkürlich herbeigeführten Symptomatik. Auch auf psychiatrischem Fachgebiet seien keine krankhaften Befunde erhoben worden, wobei der Kläger die Bearbeitung der befindlichkeitsdiagnostischen Testverfahren abgebrochen habe. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 06.02.2009 führt Prof. Dr. S. aus, es seien weder auf neurologischem noch auf psychiatrischem Fachgebiet krankhafte Befunde zu erheben. Die vom Kläger zeitweilig dargebotenen Verspannungen und Bewegungen im linken Schultergelenk seien medizinisch unerklärlich, bedürften aber auch keiner weiteren Therapie. Es handele sich am ehesten um eine demonstrative Darbietung von Krankheitszeichen, wobei objektiv keine Krankheit, insbesondere weder eine Dystonie noch eine Schädigung des Armnervengeflechts vorliege. Von einem Unfallzusammenhang sei nicht auszugehen.

Im Befundbericht vom 22.01.2009 hat Dr. A. (Universitätsklinik Tübingen, Neurologische Klinik) ausgeführt, der Kläger habe angegeben, nach dem Unfall habe nach initialen Schmerzen praktisch sofort eine Schulterelevation und eine schmerzhafte Kopfzwangshaltung mit Neigung nach links bestanden, die sich nach dem Unfall nicht gebessert habe. Klinisch-neurologisch habe sich ein altersentspechender Normalbefund ergeben bis auf eine ausgeprägte, extrem schmerzhafte Schulterelevation links sowie eine Kopf/Halsneigung ebenfalls nach links. Es liege eine posttraumatische Dystonie nach Arbeitsunfall mit Trauma des Schädels sowie der linken Schulter vor. Therapie der Wahl sei hier eine Botulinumtoxin-Injektionstherapie, die durchgeführt worden sei. In einem weiteren Befundbericht hat Dr. Asmus unter dem 27.02.2009 berichtet, das Brennen in der Schulter habe mit einer Latenz von einer Woche sistiert, die unwillkürliche Schulterelevation sei nur geringfügig gebessert.

Auf Antrag des Klägers hat das SG ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG eingeholt. Im neurologischen Gutachten vom 25.06.2009 hat Oberarzt Dr. H., Universitätsklinik Tübingen, Neurologische Klinik in dem von Prof. Dr. M. mitunterzeichneten Gutachten ausgeführt, es lägen keine Unfall¬folgen auf neurologischem Fachgebiet vor. Der aktuelle psychiatrische Befund sei ebenfalls re¬gelrecht gewesen. Eine Erklärung der Kopfschiefhaltung könne von neurologischer Seite nicht gegeben werden. Eine Dystonie sei bei fehlendem Ansprechen auf Botulinus-Therapie nicht zu sichern. Eine Unfallabhängigkeit sei mit der in der gesetzlichen Unfallversicherung notwendigen Sicherheit in keinem Fall festzustellen, insbesondere bestehe kein zeitlicher Zu¬sammenhang. Diese Beschwerden seien erstmals im März 2005 aktenkundig geworden. Nach ei¬genen Angaben des Klägers habe sich die Situation erst im Jahr 2008 erheblich verschlechtert. Bis dahin ha¬be der Kläger auch gearbeitet. Eine MdE auf neurologischem Gebiet aufgrund von Unfallfolgen bestehe nicht.

Mit Bescheid vom 01.09.2009 hat die Beklagte daraufhin die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen wegen der geltend gemachten Schiefhalsproblematik abgelehnt. Mit Bescheid vom 06.10.2009 hat sie zudem die Zahlung von Verletztengeld mit Ablauf des 15.10.2009 eingestellt. Der Kläger hat daraufhin die Tätigkeit bei seinem Arbeitgeber vollschichtig wieder aufgenom¬men.

Nach Vorlage weiterer Befundberichte (BG Unfallklinik T., Befundberichte vom 16.04.2009, 29.04.2009, 22.05.2009, 23.06.2009,22.07.2009, 21.09.2009: unveränderte Beschwerdesymptomatik bei Verdacht auf posttraumatischen Torticollis, bspw. Dystonie nach stattgehabter Claviculafraktur links sowie Prellung des Schultergürtels links und Schädelprellung; Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Befundbericht vom 28.05.2009: Diagnosen: ICD-10 S 42.00: Fehlhaltung Hals und Kopf bei posttraumatischer Dystonie der linksseitigen Schultergürtelmuskulatur mit Fehlkonditionierung bei Zustand nach stattgehabter Claviculafraktur links sowie Prellung des Schultergürtels links und Schädelprellung; Befundbericht vom 24.09.2009: weitere Diagnose: ICD-10 F 45.8: Verdacht auf sonstige somatoforme Störungen (psychogener Schiefhals)) hat das SG von Amts wegen ein weiteres Gutachten bei Dr. G., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Vincenz von Paul Hospital Rottweil, eingeholt. Dr. G. hat im Gutachten vom 01.03.2010 berichtet, nach Auskunft des Klägers habe weder die Bio-Feedback-Therapie noch die Botolinum-Therapie zu einer nachhaltigen Besserung der Beschwerden geführt. Am meisten habe er von den durchgeführten therapeutischen Gesprä¬chen profitiert. Während der stationären Rehabilitation in Tübingen sei durch den Schmerzmit¬telentzug eine Verschlimmerung der Symptomatik eingetreten. Inzwischen sei er in schmerzthe¬rapeutischer Behandlung bei Dr. Molnar. Vor dem Unfall sei er leidenschaftlicher Motorradfah¬rer gewesen, was er ebenso wie seine sonstigen sportlichen Betätigungen (Skifahren und Schwimmen) nicht mehr ausüben könne. Er wirke aber noch aktiv mit in einer Hexenzunft während der Fasnet. Er verspüre weiterhin Einschränkungen, beispielsweise auch beim H. machen im Wald, wo er wegen seiner Schmerzen im Schulter- und Halsbereich allenfalls noch Hilfstätigkeiten ausführen könne und ansonsten auf die Hilfe von Dritten angewiesen sei. Neurologisch hätten sich bis auf umschriebene Sensibilitätsstörungen im Bereich der linken Clavicula sowie einen erhöhten Blutdruck keine wesentlichen Auffälligkeiten bei mehreren reizlosen Narben im Bereich des Hinterkopfes sowie der linken Clavicula-Schulterregion links gefunden. Unter Berücksichti¬gung der Aktenlage und der Zusammenschau von Exploration, Untersuchung und Verhaltensbe¬obachtung hätten vor dem Unfall keine wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen bestan¬den, nach dem Unfall zunächst "übliche" Schmerzen, die jedoch nicht erwartungsgemäß nach Heilung der somatischen Ur¬sachen verschwanden, sondern persistierten und über die Jahre chronifizierten. Schließlich sei es zu einer funktionellen Fehlhaltung der Halswirbelsäule gekommen, die bereits im Dezember 2003 in einem Bericht der Sana-Klinik angedeutet worden und in der Folgezeit mehr oder weniger stark ausgeprägt erschienen sei. Die abnorme ungünstige Entwicklung sei durch einen hohen Leidensdruck, her¬vorgerufen durch existenzielle Ängste, möglicherweise auch durch die Persönlichkeitsstruktur des Klägers mit einer hohen Leistungsmotivation begünstigt worden. Der Kläger sei nach relativ kurzer Zeit wieder an den Arbeitsplatz zurückgekehrt. Dies sei jedoch nur unter Einnahme gro¬ßer Mengen von Schmerzmitteln möglich gewesen. Zusätzlicher psychischer Druck sei erzeugt worden, als im Herbst 2009 Zahlungen seitens der Beklagten gestrichen worden seien. Dadurch habe sich eine somatoforme Störung entwickelt. Es gebe keinen Zweifel daran, dass die geklagten Beeinträchtigungen tatsächlich im geklagten Umfang bestünden. Es gebe keinen Anhalt für Simulation, bei der Präsentation der Beschwer¬den sei allerdings eine gewisse Aggravationstendenz bei der körperlichen Untersuchung zu ver¬muten. Gleichwohl gebe es wenig Anlass anzunehmen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen bewusst oder bewusstseinsnah zur Durchsetzung eigener Wünsche eingesetzt würden. Die somatoforme Schmerzstörung sei Folge des Unfalles vom 23.02.2003. Hierfür spreche der Umstand, dass sich die Störung erst durch die körperlichen Un¬fallfolgen entwickelt habe. Dies bedeute, dass den unfallbedingten Faktoren mindestens eine mit¬ursächliche Bedeutung zukomme, insbesondere da der Kläger im Vorfeld des Unfalles keine entsprechende Störung gehabt habe. Selbstverständlich könne eine gewisse Disposition dazu nicht ausgeschlossen werden. Dies sei jedoch bei einem hohen Anteil in der Bevölkerung der Fall. Auch der vorliegende Schmerzmittelmissbrauch sei Folge des Unfalles. Die MdE auf nervenärztlichem, speziell psychiatrischem Fachgebiet betrage 20 v.H. Die Abweichungen von den vorangegangenen neurologischen Gutachten resultierten daraus, dass dort der psychoreaktive Anteil der Gesamtsymptomatik bislang nicht gebührend berück¬sichtigt worden sei.

Dem Kläger sind am 15.03.2010 und 26.04.2010 Stimulationselektroden zur epiduralen Dauerstimulation und Schmerz¬reduzierung implantiert worden (Befundbericht der Oberschwabenklinik Wangen vom 25.04.2010).

Mit Urteil vom 28.10.2010 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 13.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2006 verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer somatoformen Schmerzstörung als Folge des Arbeitsunfalls vom 23.02.2006 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu bewilligen. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass der Kläger unter Funktionseinschränkungen im Be¬reich des linken Schultergelenkes leide, die auf den Unfall zurückzufuhren seien. Die bei dem Unfall erlittene Schlüsselbeinfraktur sei nicht komplikationslos verheilt, sondern habe wegen der festge¬stellten Falschgelenkbildung osteosynthetisch versorgt werden müssen. Durch die Verletzung und die anschließende Behandlung sei das Schultereckgelenk (AC-Gelenk) in Mitleidenschaft gezo¬gen worden, weshalb nach erfolgloser konservativer Behandlung am 21.01.2005 eine weitere Operation notwendig geworden sei. Auf unfallchirurgischem Fachgebiet sei daher die operativ versorgte Claviculafraktur links mit posttraumatischer AC-Gelenksveränderung und Impingement der linken Schul¬ter, wie sie die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid als Unfallfolge anerkannt habe, bei der Bemessung der MdE jedenfalls zu berücksichtigen. Insoweit liege eine MdE um 10 v.H. auf Dauer vor, wie sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. H. vom 12.09.2005 ergebe. Diese Bewer¬tung sei während des gerichtlichen Verfahrens sowohl durch den von Amts wegen bestellten Gutachter Dr. S. als auch durch den gemäß § 109 SGG gehörten Gutachter Prof. Dr. G.-Z. bestätigt worden. Sie stimme mit den sozialmedizinischen Erfahrungssätzen überein. Da¬nach führe ein Impingementsyndrom der Schulter in der Regel zu einer MdE um 10 v.H. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten seien jedoch auch die muskulären Verspannungen der Halsmuskulatur, die Bewegungseinschränkung der HWS mit Entwicklung eines Schiefhalses und die damit einhergehenden Beschwerden als Unfallfolgen anzuerkennen. Die bei dem Unfall erlittenen Verletzungen seien zur Überzeugung des Gerichts zumindest eine wesentliche Teilursache für diese Befunde. Nachdem die Diagnose einer posttraumatischen Dystonie nicht gesi¬chert werden konnte, sei nach Überzeugung des Gerichts die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung zu stellen. Zu diesem Ergebnis komme das Gericht aufgrund der nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. G., dem auch in seiner Beurteilung zu folgen sei, dass diese Befunde - trotz der seit dem Unfall vergangenen langen Zeit - noch als rechtlich wesentlich durch den Unfall verursacht an¬zusehen seien. Es sei davon auszugehen, dass die anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit Schiefhals sich ohne den Unfall vom 23.02.2003 nicht entwickelt hätte und daher eine Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne vorliege. Die HWS-Beschwerden und die ein-geschränkte Beweglichkeit der HWS seien seit dem Unfall mehr oder weniger ausgeprägt vor-handen. Dem Ereignis komme auch neben den in Betracht kommenden konkurrierenden Ursachen - den degenerativen HWS-Veränderungen sowie der Persönlichkeitsstruktur des Klägers - eine wesentliche Bedeutung zu.

Gegen das ihr am 22.10.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.01.2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, das Urteil des SG könne keinen Bestand haben. Der im Wesentlichen erst im Jahr 2008 aufgetretene Schiefhals könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf den Unfall vom 23.02.2003 zurückgeführt werden. Hierfür reiche es nicht aus, dass bei dem Unfall eine Torsion der Halswirbelsäule stattgefunden habe und vor diesem Unfall angeblich keine Halswirbelbeschwerden vorlagen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Oktober 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. L., Neurologische Klinik der Universitäts- und Rehabilitationskliniken U ... Im gemeinsam mit Dr. R., Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, erstellten Gutachten vom 27.12.2011 wird ausgeführt, der Kläger habe berichtet, er habe seit dem Unfall kontinuierliche Schmerzen im Bereich des Kopfes und der Schulter, die sich erst nach der Implantation von zwei SCS-Sonden im Jahr 2010 gebessert hätten. Im Jahr 2011 sei es infolge eines häuslichen Sturzes zu einer Verschiebung der Sonden gekommen, was eine Revisionsoperation nach sich gezogen habe. Bei einer neurologischen Untersuchung haben Prof. Dr. L. und Dr. Rosenbohm einen in etwa 40-Gradstellung gehaltenen Schiefhals festgestellt, bei dem unter Druck eine deutliche Verschlechterung eingetreten sei. Der Schiefhals habe während der Anamnese, Untersuchung und auch davor und danach in unbeobachteten Momenten bestanden. Beim passiven Geraderücken des Kopfes und auch beim willkürlichen Geradehalten des Kopfes habe ein sofortiges Anspannungszittern der beidseitigen Gesichts- und Halsmuskulatur eingesetzt; diese Haltung habe vom Kläger maximal zwei Sekunden eingenommen werden können. Hiervon ausgehend haben Prof. Dr. L. und Dr. R. als Unfallfolgen (neben einer HWS-Distorsion, commotio cerebri, postoperativem Impingementsyndrom der linken Schulter, im weiteren Verlauf sensibler Schädigung des N. suprascapularis links) eine posttraumatische cervikale Dystonie der linken Schulter-Hals-Region und ein posttraumatisches Kausalgie-Dystonie-Syndrom der linken Schulter-Hals-Region diagnostiziert und dazu ausgeführt, in keinem der bisherigen Gutachten auf chirurgischem oder neurologischem Gebiet sei (im Gegensatz zu den ausführlichen Befundberichten von Dr. A.) eine ausführliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem bekannten Krankheitsbild des posttraumatisches Kausalgie-Dystonie-Syndroms bzw. der posttraumatischen cervikalen Dystonie erfolgt. In der Wissenschaft gehe man davon aus, dass bei der posttraumatischen Dystonie eine Störung der sensomotorischen Integration zugrunde liege. Hinsichtlich der gutachterlichen Aspekte finde sich nur ein einziger Artikel (Hummel und Lücking 2001), der sich mit dem Krankheitsbild ausführlich auseinander setze. Hinsichtlich der Kausalität zum Unfall würden als diagnostische Kriterien gefordert, dass die Verletzung so schwer sein müsse, dass sie lokale Symptome wie Schmerzen, Schwellung, Hämatom für mindestens zwei Wochen nach sich ziehe, dass die Bewegungsstörung innerhalb von einigen Tagen oder Wochen bis zu einem Jahr nach der Verletzung beginne und die Lokalisation der Bewegungsstörung einen anatomischen Bezug zur verletzten Region haben müsse. Diese Kriterien seien beim Kläger erfüllt, er berichte sogar von einem Hämatom des gesamten Brust-Rückenbereichs nach dem Unfall und seither andauernden Schmerzen. Ob eine Prädisposition möglicherweise auch genetischer Art zur Entwicklung von Dystonien vorliege, sei für die Begutachtung irrelevant, da der Patient im Sozialrecht in dem Zustand versichert sei, wie er den Unfall erlitten habe. Die fehlende Dokumentation des Schiefhalses nach dem Trauma könne auf die anfänglich zusätzlich bestehende Bewegungseinschränkung der linken Schulter bis zur Operation am 21.01.2005 zurückgeführt werden, da die Symptomatik in der ersten Zeit immer einer Schulterverletzung zugeschrieben worden sei. Der Kläger berichte aber von einem Beginn innerhalb von Tagen nach dem Trauma und einer deutlichen Intensivierung über die Jahre. Dr. G. verschiebe die Krankheitsursache eher in den psychosomatischen Bereich, was als häufiges Phänomen bei solchen Störungen vorkomme, die als psychische Erkrankungen fehlinterpretiert würden. Eine somatoforme Schmerzstörung habe im Gegensatz zu Dr. G. nicht diagnostiziert werden können. Da keine eindeutig fassbaren diagnostischen Prozeduren wie Bildgebung etc. existierten und das Krankheitsbild auf der Annahme einer zentralen Regulationsstörung bei verändertem afferentem Eingangssignal in Form von Schmerzen beruhe, sei von einer neurologischen Störung auszugehen. Die von Dr. S. vorgebrachte willkürliche Aggravation bzw. Simulation könne nicht bestätigt werden. Auch das Nichtansprechen auf die Botox-Behandlung spreche nicht gegen das Krankheitsbild. Von den neurologischen Gutachtern K., H. und S. werde dahingehend abgewichen, dass das fehlende neurologische Defizit bzw. die geringfügigen Sensibilitätsstörungen in der Nähe der Operationsnarben zwar auch von den Unterzeichnern anerkannt werde, darüber hinaus aber die Kriterien einer posttraumatischen Dystonie, teilweise auch die Kriterien einer Kausalgie, erfüllt seien. Diese Diagnosen seien von den Vorgutachtern nicht diskutiert bzw. die Beschwerden in den subjektiven oder vorgetäuschten Beschwerderahmen eingeordnet worden. Neben der aktenkundigen MdE von 10 v.H. auf chirurgischem Gebiet betrage die MdE auf neurologischem Gebiet 40 v. H., die Gesamt-MdE betrage 40 v.H ...

Unter Würdigung weiterer ihnen übersandter Röntgen- und CT-Aufnahmen aus der Zeit zwischen März 2003 und Mai 2005 haben Prof. Dr. L. und Dr. R. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 14.05.2012 an ihren Diagnosen festgehalten und dazu ausgeführt, die durchgeführten orthopädischen Messungen zu den Bewegungsausmaßen der HWS seien für die Fragestellung nicht hilfreich, da unter Überwindung von Schmerzen der Bewegungsumfang zunehme. Ein objektives Maß der Fehlhaltung der Halswirbelsäule wie bei Dystonie könne daraus nicht abgeleitet werden. Die fehlende Dokumentation des Schiefhalses und des Schulterhochstands links nach dem Trauma über Jahre werde darauf zurückgeführt, dass die bestehende Bewegungseinschränkung bis 2005 zunächst auf die knöchernen Veränderungen und das Impingement-Syndrom an der linken Schulter zurückgeführt und deshalb nicht einem neurologischen Krankheitsbild zugeordnet worden sei. Des Weiteren müsse bedacht werden, dass vom Kläger kontinuierlich immer Schmerzen lokalisatorisch im linken Schulter-HWS-Bereich angegeben wurden. Es sei davon auszugehen, dass sich die Fehlhaltung aus den Schmerzen heraus entwickelt habe. Eine ätiologisch dem Gehirn in seiner integrativen Funktionsweise zuzuordnende Störung mit zentraler Fehlwahrnehmung von Schmerz und Dystonie sei keinem knöchernen Prozess zuzuordnen. Die beigebrachten Röntgen- und CT-Bilder könnten deshalb keine Änderung an der neurologischen Einschätzung erbringen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 23.02.2003 zu, da keine rentenberechtigende MdE von mindestens 20 v.H. besteht.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Voraussetzung für die Anerkennung bzw. Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls, der hier am 23.02.2003 eingetreten und von der Beklagten auch anerkannt ist, und auch ihrer Berücksichtigung bei der Gewährung von Leistungen ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein (Vollbeweis, siehe oben). Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17= BSGE 96, 196-209).

Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente, denn die durch den Arbeitsunfall vom 23.02.2003 bedingte MdE erreicht nicht den rentenberechtigenden Mindestgrad von 20 v.H.

Der Senat teilt die Auffassung des SG, soweit dieses die unfallbedingte MdE des Klägers auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet mit 10 v.H. beurteilt hat. Diese Einschätzung rechtfertigt sich auf der Grundlage des schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens von Prof. Dr. H. und Dr. Lorenz, welches urkundsbeweislich verwertbar ist und der hiermit übereinstimmenden gerichtlichen Sachverständigengutachten von Dr. S. und Prof. Dr. G.-Z ... Danach bestehen als Unfallfolgen ein posttraumatisches Impingement im Bereich der linken Schulter, ein Zustand nach AC-Gelenkresektion und AC-Plastik, ein Zustand nach Clavikula-Fraktur sowie eine endgradige Bewe¬gungseinschränkung der HWS mit muskulären HWS-Verspannungen, was insgesamt zu einer MdE auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet von 10 v.H. führt. Demgegenüber sind die Neuroforamenstenosen C3/4 und C4/5 im Bereich der HWS mit dorsaler Bandscheibenprotrusionen degenerativer Natur und somit unfallunabhängig. Dass beim Kläger unfallunabhängige degenerative Veränderungen im Bereich der HWS vorliegen, wird nicht nur durch die genannten Gutachten belegt, sondern auch durch die Berichte der Radiologen Dr. R. vom 22.03.2005 (kein Hinweis für knöcherne Verletzungen, offenbar schon vorbestehende Retroosteophytenbildungen in Höhe C3 und C4 mit auch Neuroforameneinengungen in diesen Höhen links geringeren Grades, zudem eine leicht skoliotische Fehlhaltung der HWS) und Dr. Schwamborn vom 16.04.2005 (linksbetonte degenerative Neuroforamenstenosen C3/4 bis C5/6 mit dorsalen Bandscheibenprotrusionen). Soweit der vom SG als sachverständiger Zeuge befragte Chirurg Dr. E. die MdE aufgrund der infolge des nicht mehr geschlossenen Schultergürtels herabgesetzten Belastbarkeit des linken Armes und des gesamten Schulterbereichs als um 20 v.H. gemindert angesehen hat, ist dem nicht zu folgen. Hiergegen spricht schon die trotz des Unfalls erhalten gebliebene aktive Beweglichkeit im Bereich beider Schultergelenke, wie sie unter Anderem im Gutachten von Prof. Dr. H. und Dr. L. auf der Grundlage der dortigen Messergebnisse beschrieben wird.

Entgegen der Auffassung des SG vermag der Senat allerdings nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass sich beim Kläger auch auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet eine relevante MdE und daraus folgend eine Gesamt-MdE von (mindestens) 20 v.H. ergibt.

Der Senat stellt hierzu fest, dass beim Kläger nach dem Unfall zu keinem Zeitpunkt neurologische Ausfälle oder Unfallfolgen festgestellt wurden. Dies gilt sowohl für die unfallnah durchgeführten Untersuchungen (Klinkum am S. vom 17.03.2003: kein peripheres neurologisches Defizit) als auch für spätere Untersuchungen (Sana-Klink Albstadt vom 16.12.2003: orientierende neurologische Untersuchung unauffällig; Dr. R., Neurologischer Befundbericht vom 20.12.2004 aufgrund von Untersuchung vom 27.01.2004: kein neurologischer Befund; ebenso Dr. M. vom 19.04.2004 und 03.05.2005). In gleicher Weise haben der im Verwaltungsverfahren tätige Dr. K. (Gutachten vom 14.10.2005) und der vom SG nach § 109 SGG beauftragte Dr. H. klinisch-neurologisch und psychiatrisch regelgerechte Befunde ohne krankhafte Veränderungen oder Auffälligkeiten erhoben, was sich mit dem Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. S. vom 22.12.2008 deckt, der ebenfalls keinen objektiv krankhaften Befund feststellte. Hiervon ausgehend ist auch die Schlussfolgerung der genannten Gutachter, wonach auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet keine MdE vorliegt, schlüssig und nachvollziehbar.

Demgegenüber lässt sich weder die von Dr. G. im Gutachten vom 01.03.2010 diagnostizierte somatoforme Schmerzstörung, die einhergehen soll mit einem funktionellen Torticollis spasmodicus (psychogener Schiefhals) noch die von Prof. Dr. L. und Dr. R. diagnostizierte posttraumatische cervikale Dystonie der linken Schulter-Hals-Region DD bzw. das posttraumatische Kausalgie-Dystonie-Syndrom zur Überzeugung des Senats mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dem Unfallereignis vom 23.02.2003 als hierdurch wesentlich verursacht zuordnen. Gegen die Beurteilung von Dr. G. spricht schon, dass (allein) der Umstand, dass der Kläger im Vorfeld des Unfalls eine entsprechende Störung nicht hatte und auch keine Beschwerden in der Schulter-Nacken-Region, diese aber nach dem Unfall auftraten - was Dr. G. als wesentlichen Gesichtspunkt für die Kausalitätsbeurteilung heranzieht - die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verursachung nicht zu begründen vermag. Zudem kommen für die von Dr. G. auf psychiatrischem Gebiet angenommene Schmerzstörung angesichts des Fehlens messbarer neurologischer Ausfälle durchaus unfallunabhängige Ursachen in Betracht. So hat der Neurologe Dr. K. die vorgetragenen Kopfschmerzen auf die vorbestehenden degenerativen Veränderungen zurückgeführt, und selbst Dr. G. - der zudem auch Aggravationstendenzen beim Kläger festgestellt hat - hat eingeräumt, dass für die Ausprägung der angenommenen Schmerzstörung anlagebedingte Faktoren, wie eine entsprechende Disposition des Patienten, eine Rolle spielen. Eine Wesentlichkeit des Unfalls für die somatoforme Schmerzstörung - die im Übrigen auch Prof. Dr. L. nicht bestätigen konnte - lässt sich daher nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sichern.

Auch die von Prof. Dr. L. und Dr. R. gestellte Diagnose einer posttraumatischen cervikalen Dystonie der linken Schulter-Hals-Region bzw. eines posttraumatischen, dem Unfallereignis vom 23.02.2003 zuzuordnenden Kausalgie-Dystonie-Syndroms, vermag den Senat nicht zu überzeugen. Hierbei bedarf keiner abschließenden Beurteilung, ob bzw. ab welchem Zeitpunkt eine Dystonie in Form eines Schiefhalses (Torticollis) beim Kläger überhaupt objektivierbar ist, was etwa Prof. Dr. S. in seinem Befundbericht vom 22.12.2008 aufgrund seiner Beobachtung, wonach die Anspannung des oberen Anteiles des M. trapezius und des Schiefhalses bei Ablenkung nachlässt, was für einen demonstrativen Charakter der dargebotenen Muskelverspannung und eine willkürlich herbeigeführte Symptomatik spricht, verneint hat. Denn die kausale Zuordnung der cervikalen Dystonie der linken Schulter-Hals-Region zu dem Unfall vom 23.02.2003 rechtfertigt sich schon nach den von Prof. Dr. L. und Dr. Rosenbohm selbst aufgeführten Kriterien für dieses Krankheitsbild nicht. So soll nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft eine Kausalität zwischen peripherem Trauma und Dystonie (unter Anderem) dann anzunehmen sein, wenn der zeitliche Abstand zwischen Trauma und Dystoniebeginn einige Tage oder Wochen bis (maximal) zu einem Jahr beträgt. Dieser Zeitraum ist vorliegend bei Weitem überschritten, da sich die Diagnose eines Schiefhalses bzw. eines Schulterhochstandes links erstmals im Entlassungsbericht der Sana-Klinik vom 12.04.2005 findet. Allein die subjektive Beschwerdeschilderung des Klägers gegenüber den Gutachtern, wonach die Schmerz- und Schiefhalsproblematik schon unmittelbar nach dem Unfall begonnen habe, vermag eine dahingehende objektive Diagnosestellung nicht zu ersetzen. Unter dieser Anknüpfung (allein) an die subjektive Beschwerdeschilderung leidet auch die Diagnose einer posttraumatischen Dystonie durch Dr. Asmus vom 22.01.2009.

Nicht zu überzeugen vermag auch das Argument von Prof. Dr. L. und Dr. R., die fehlende Dokumentation des Schiefhalses nach dem Trauma könne auf die anfänglich zusätzlich bestehende Bewegungseinschränkung der linken Schulter bis zur Operation am 21.01.2005 zurückgeführt werden, da die Symptomatik in der ersten Zeit immer einer Schulterverletzung zugeschrieben worden sei. Denn anhand der diversen engmaschigen Untersuchungen des Klägers nach dem Unfall auf verschiedenen Fachgebieten hätte die Diagnose einer Dystonie im Falle ihres (objektivierbaren) früheren Auftretens vermutlich zeitnah gestellt werden können. Hinzu kommt, dass sich entsprechende einseitige Bewegungseinschränkungen des Klägers ausweislich der vorliegenden orthopädischen Gutachten nicht traumanah nachweisen lassen. Neben der im Gutachten von Prof. Dr. H. und Dr. L. vom 12.09.2005 beschriebenen aktiven Beweglichkeit im Bereich beider Schultergelenke sind dort auch keine relevanten Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule dokumentiert. Prof. Dr. H. und Dr. L. maßen bei ihrer Begutachtung eine seitengleiche Beweglichkeit der Halswirbelsäule beim Seitneigen des Kopfes rechts/links von 65-0-65 Grad, wobei insoweit kein Anhaltspunkt für einen Schiefhals beschrieben ist. Bei der Begutachtung durch Dr. S. am 02.05.2007 fiel diesem eine Seitneigung des Kopfes nach links auf, die Beweglichkeit der Halswirbelsäule beim Seitneigen des Kopfes rechts/links war aber wiederum seitengleich bei (noch) 30-0-30 Grad. Hiervon nur geringfügig weicht der Befund von Prof. Dr. G.-Z. ab, der am 19.02.2008 einen ausgeprägten Schulterhochstand links bei einer Beweglichkeit der Halswirbelsäule beim Seitneigen des Kopfes rechts/links von 30-0-25 Grad beschrieb.

Unzutreffenderweise kritisieren Prof. Dr. L. und Dr. R. auch, die Vorgutachter hätten sich ausgehend vom fehlenden messbaren neurologischen Defizit beim Kläger nicht mit der Dystonie-Problematik befasst. So haben sich Prof. Dr. M. und Dr. H. im Gutachten vom 25.06.2009 explizit hiermit auseinandergesetzt, aufgrund des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs zwischen erstmaligem Auftreten der äußeren Symptomatik (März 2005) und dem Unfallereignis sowie dem Nichtansprechen des Klägers auf die Botulinum-Therapie die Unfallabhängigkeit aber nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen vermocht, was keinen Bedenken unterliegt. Auch Prof. Dr. S. hat eine mögliche Dystonie thematisiert, diese aber verneint, da nach seiner Einschätzung keine dystonen Bewegungsabläufe vorlagen, und auch keine Muskeldystrophie, wie dies bei einer andauernden unwillkürlichen Muskelkontraktion unweigerlich zu erwarten wäre.

Nach alledem vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass beim Kläger eine dem Trauma vom 23.02.2003 kausal zuzuordnende Dystonie oder die vom SG festgestellte somatoforme Schmerzstörung eine sonstige unfallbedingte Erkrankung vorliegt, die seine Erwerbsfähigkeit auf neurologischem oder psychiatrischem Fachgebiet in relevantem Umfang beeinträchtigt.

Das zusprechende Urteil des SG konnte daher keinen Bestand haben. Auf die Berufung der Beklagten musste das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved