L 8 SB 394/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 24 SB 4525/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 394/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.12.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger auf seinen Erstantrag vom 19.11.2007 hin ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 zuzuerkennen ist.

Der 1952 geborene Kläger, p. Staatsangehöriger, bezieht seit 2012 eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung.

Am 19.11.2008 beantragte der Kläger beim Landratsamt R. (LRA) die (Erst-) Feststellung eines GdB. Hierzu verwies er auf einen extremen Erschöpfungszustand - psychosomatisch -, Wirbelsäulenschmerzen (Dauerverspannung), migräneähnliche Zustände, einen epilespsieähnlichen Anfall (tiefe Bewusstlosigkeit), ein Herzversagen (Schrittmacher implantiert) sowie eine Depression - Konzentrationsschwäche, Belastungsstörung, Vergesslichkeit.

Unter Berücksichtigung - eines übersetzten Berichts der Klinik P. P. der medizinischen Universität P. , Lehrstuhl und Klinik für Hypertensiologie, Angiologie und der inneren Krankheiten, über einen Aufenthalt vom 24.07.2007 bis 02.08.2007, - eines übersetzten Informationsblatt über eine Krankenhausbehandlung vom 04.07. bis 24.07.2007 der Abteilung Neurologie des Städtischen Krankenhauses P. mit den Diagnosen (Zustand nach dem ersten epilepsieähnlichen Anfall, Herzrhythmusstörungen, Kopfschmerzen, alter, abgeheilter Kompressionsbruch Th 12, Retrpflexion L3/L4 Io, Syndrom unruhiger Beine und Hypercholesterinämie sowie - von Dr. Bo. , dem Hausarzt des Klägers, vorgelegter ärztlicher Berichte, - einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.12.2007 (Dr. H. ), - beigezogenen Unterlagen der Rehabilitationsklinik K., N. , wo der Kläger vom 11.12.2007 bis 15.01.2008 auf Kosten der Deutschen Rentenversicherung eine stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation (Diagnosen im Entlass-Bericht vom 17.01.2008: anhaltende somatoforme Schmerzstörung, depressive Neurose, Zustand nach Schrittmacherimplantation am 24.04.2007 bei AV-Block 3. Grades und vorheriger Synkope mit krampfartigem Erscheinungsbild am 04.07.2007, Restless-legs Syndrom, chronisches Cervicalsyndrom bei degenerativen HWS-Veränderungen, Hypercholesterinämie) und - einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.02.2008 (Dr. F. ) stellte das LRA mit Bescheid vom 19.02.2008 einen GdB von 20 seit 19.11.2007 fest (zugrundeliegende Funktionsbeeinträchtigungen: Depressive Verstimmung, funktionelle Organbeschwerden, Migräne, Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule, Herzschrittmacher).

Mit seinem Widerspruch vom 17.03.2008 machte der Kläger geltend, nicht berücksichtigt seien die Folgen des epileptischen Anfalls und der Herzschrittmacherimplantation, auch nicht die Folgeerscheinungen der unterbrechenden Sauerstoffzufuhr ins Hirn, weswegen er massive psychische und physische Probleme habe. Der Kläger legte hierzu ein Attest der Dipl.-Psychologin Z. vom 25.02.2008 vor. Aus dem Attest ergibt sich, dass bis zur Episode am 04.07.2007 mit Bewusstseinsverlust, dessen Umstände unklar geblieben seien, Medikamente dem Kläger jahrelang ermöglicht hätten, seinen Alltag und seinen Beruf zu bewältigen. Der Zusammenbruch habe in der Folge zu einer rapiden Verschlechterung des allgemeinen gesundheitlichen Zustandes geführt. Bei den Beschwerden handele es sich um unerklärte, sehr belastende Nervenschmerzen, Schwindelgefühle, Konzentrationsstörungen mit Kopfschmerzen und Antriebslosigkeit sowie um begleitende Ängste mit Depression, die zu einem Erschöpfungszustand (körperlich und psychisch) geführt hätten und im Endeffekt zu extremer Unbelastbarkeit. Der psychische Befund schildert den Kläger als depressiv und resigniert wirkend.

Auf Grundlage einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 08.04.2008, die einen Gesamt-GdB von 30 (zugrundeliegende Funktionsbeeinträchtigungen: Depressive Verstimmung, funktionelle Organbeschwerden, Migräne: Teil-GdB 30; Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule: Teil-GdB 10; Herzschrittmacher: Teil-GdB 10) vorschlug, stellte das LRA mit Teilabhilfe-Bescheid vom 18.04.2008 (Blatt 47, 48 der Verwaltungsakte des Beklagten) einen GdB von 30 seit dem 19.11.2007 fest. Nachdem der Kläger seinen Widerspruch nicht zurücknahm, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2008 zurück.

Am 01.07.2008 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und darauf hingewiesen, die bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen seien - insbesondere im orthopädischen Bereich - nicht umfassend erfasst und nicht sachgerecht gewürdigt worden. Der Zustand habe sich durch den erstmaligen epileptischen Anfall in P. im Jahr 2007 während eines Urlaubs dramatisch verschlechtert. Nach der Implantation des Herzschrittmachers sei es zu einem weiteren Anfall gekommen.

Der Kläger hat neben den schon im Verwaltungsverfahren vorgelegten Berichten aus P. - ein Kontrollblatt der Krankenkartei vom 23.10.2007, - einen Bericht des Arztes für Radiologie Ha. vom 05.08.2005, - einen Bericht der Diagnostischen Radiologie, Dr. E. , vom 03.04.2007, - einen Bericht des Facharztes für Orthopädie, Chirotherapie/Sportmedizin Dr. He. vom 18.04.2008 samt Kopien von Aufnahmen, - einen Beipackzettel für das Medikament Tilidin 150/12 retard - 1 A Pharma. vorgelegt.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der den Kläger behandelnden Ärzten als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 64, 65 bis 70, 71 bis 73 sowie 75 bis 95 der SG-Akte Bezug genommen.

Der Internist und Kardiologe Dr. Kl. hat dem SG mitgeteilt (Schreiben vom 30.01.2009), beim Kläger bestünden ein Sinusknotensyndrom bei Zustand nach Schrittmacherimplantation im Februar 2007. Die Gesundheitsstörung sei als geringfügig zu qualifizieren. Er teile die versorgungsmedizinische Einschätzung eines Einzel-GdB von 10.

Der Arzt für Neurologie W. hat dem SG am 03.02.2009 geschrieben, der Kläger leide anamnestisch an generalisierten Körperschmerzen und depressiven Zuständen. Bei einer Urlaubsreise sei es im Juli 2007 zu einem epileptischen Anfall gekommen, bisher ohne weitere Ohnmachtsanfälle.

Der Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie/Sportmedizin Dr. He. hat in seiner Auskunft vom 12.02.2009 ausgeführt, er schätze den GdB auf orthopädischem Fachgebiet auf 20 und den Gesamt-GdB auf 40.

Dr. Bo. , Arzt für Allgemeinmedizin, hat dem SG im Schreiben vom 05.04.2009 depressive Verstimmungen mit Neigung zu somatoformen Schmerzstörungen, chronische Wirbelsäulenleiden und einen Zustand nach Herzschrittmacherimplantation beschrieben. Das Wirbelsäulenleiden sei mit einem Teil-GdB von mindestens 30, der Gesamt-GdB mit 50 zu bewerten.

Das SG hat des weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens bei Dr. B.-S ... Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 108 bis 125 der SG-Akte Bezug genommen.

Die Fachärztin für Orthopädie Dr. B.-S. hat in ihrem Gutachten vom 01.09.2009 angegeben, beim Kläger bestünden rezidivierende Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule, ausstrahlend in den Bauch mit dann anschließend auftretender Migräne, bei radiologisch degenerativen Veränderung im Segment L 3/4 und geringer Skoliose (GdB 20), rezidivierende Halswirbelsäulenbeschwerden bei freier Funktion und radiologisch geringen degenerativen Veränderungen ohne Nervenwurzel-Reizsymptome (GdB 10), nächtlich einschlafende Hände bei Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom, ein Spreizfuß beidseits und leichte Rotationseinschränkung der linken Hüfte bei radiologisch unauffälligem Befund (jeweils GdB 0). Der GdB auf orthopädischem Fachgebiet betrage 20.

Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens eingeholt. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 140 bis 157 der SG-Akte Bezug genommen.

Der Neurologe und Psychiater Prof. Dr. T. hat in seinem Gutachten vom 08.03.2010 unter Einschluss einer neuropsychologischen Zusatzuntersuchung festgestellt, beim Kläger bestehe eine gewisse Somatisierungskomponente (Teil-GdB 10) mit reaktiven depressiven Anteilen (Teil-GdB 10) sowie Durchblutungsstörungen der kleinen Hirngefäße mit leichter Erschöpfbarkeit und Ermüdung und kognitiver Teilleistungsschwäche (Teil-GdB 10). Der Gesamt-GdB sei mit 40 zu bemessen.

Der Beklagte hat daraufhin zunächst als Vergleichsangebot, später nach Nichtannahme des Vergleichsangebotes als Teilanerkenntnis angeboten, den GdB seit 19.11.2007 auf 40 festzustellen. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis des Beklagten angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen fortgeführt.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 30.12.2010 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40. Beim Kläger stünden orthopädische und nervenärztliche Gesundheitsstörungen im Vordergrund. In orthopädischer Hinsicht leide er im Wesentlichen an rezidivierenden Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit davon ausgehender Migräne sowie an leichten Halswirbelsäulenbeschwerden ohne Funktionseinschränkung und ohne Nervenwurzelreizsymptome. Offengelassen könne bleiben, ob die Wirbelsäulenleiden einen Einzel-GdB von 20 - so Dr. He. in seiner Auskunft vom 12.02.2009 und Dr. B.-S. in ihrem Gutachten vom 01.09.2009 - oder nur von 10 - so Versorgungsarzt D. in seiner Stellungnahme vom 22.07.2009 und Versorgungsarzt Dr. Be. in seiner Stellungnahme vom 30.11.2009 - bedinge. Die divergierenden Voten bewegten sich in dem Bewertungsrahmen, den die VG in Teil B Nr. 18.9 vorgeben würden. Im Fall des Klägers wirke sich dies bei der Bildung des Gesamt-GdB in den Grenzen des Verbots der reformatio in peius und des Teilanerkenntnisses des Beklagten jedenfalls nicht aus. Das Gericht sei davon überzeugt, dass ein höherer Gesamt-GdB als 40 unter keinen erdenklichen Umständen in Betracht komme. In nervenärztlicher Hinsicht bestünden Somatisierungsneigungen mit reaktiven depressiven Anteilen sowie Durchblutungsstörungen der kleinen Hirngefäße mit leichter Erschöpfbarkeit, Ermüdung und kognitiver Teilleistungsschwäche. In neurologischer Hinsicht hätte auch gerade die Untersuchung des Neurologen W. im Wesentlichen Normalbefunde ergeben. Auch die behaupteten epileptischen Anfälle seien nicht belegt. Der Vortrag, nach Implantation des Herzschrittmachers wieder einen Ohnmachtsanfall erlitten zu haben, stehe im Widerspruch zur Angabe seines Neurologen W ... Für die nervenärztlichen Leiden könne insgesamt gemäß Teil B Nr. 3.1.2. und Nr. 3.7 VG kein höherer (Einzel-)GdB als 10 veranschlagt werden. Nach Würdigung aller Umstände sei das Gericht mit Prof. Dr. T. , Dr. Kl. , Dr. He. und dem Versorgungsarzt Dr. Wo. davon überzeugt, dass beim Kläger jedenfalls kein höherer Gesamt-GdB als 40 gerechtfertigt sei.

Das LRA hat mit Bescheid vom 18.01.2011 das angenommene Teilanerkenntnis umgesetzt und einen GdB von 40 seit 19.11.2007 festgestellt (Blatt 61, 62 der Verwaltungsakte des Beklagten; berücksichtigte Funktionsbeeinträchtigungen: Kognitive teilleistungsschwäche, depressive Verstimmung, funktionelle Organbeschwerden, Migräne, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Herzschrittmacher).

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 05.01.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25.01.2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung erhoben. Das SG habe in Bezug auf die starken Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden mit davon ausgehender Migräne nur einen Teil-GdB von 20 angenommen. Dabei sei nicht auf den Hinweis eingegangen worden, dass er bei der Untersuchung bei Frau Dr. B.-S. starke opiatische Schmerzmittel eingenommen gehabt habe, ohne die er zum Teil gar nicht mehr auskommen könne. Er bewege sich mit der ständigen Einnahme von Schmerzmitteln im dem Bereich der Suchtabhängigkeit. Des Weiteren sei der Befund des Neurologen W. außer Acht gelassen worden. Auf jeden Fall sei eine Verschlechterung im Bereich der Halswirbelsäule nicht ausreichend gewürdigt. Es handele sich eindeutig um eine mittelgradige funktionelle Auswirkung zweier Wirbelsäulenabschnitte, die einen GdB von 40 zur Folge habe. Angesichts der Erschöpfungs- und Schwächesituation im Zusammenhang mit den allgemeinen Körperschmerzen, die stark von der Wirbelsäule bedingt würden, sei ein GdB von 40 nicht ausreichend.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart. vom 30.12.2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids des Landratsamts R. vom 19.02.2008 in der Fassung dessen Bescheids vom 18.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 12.06.2008 in der Fassung des Bescheids des Landratsamts R. vom 18.01.2011 zu verurteilen, einen GdB von mindestens 50 seit 19.11.2007 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 29.03.2011 u.a. darauf hingewiesen, es bestünden in allen drei Ebenen der Wirbelsäule sehr starke Abnutzungserscheinung, dazu Skoliose und ein Bandscheibenvorfall.

Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung des behandelnden Orthopäden Dr. He ... Dieser hat in seiner Auskunft vom 12.05.2011 mitgeteilt, es seien keine wesentlichen neuen Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet hinzugekommen. Insoweit sei der Teil-GdB mit 20 einzuschätzen.

Auf schriftliche Befragung durch den Senat hat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie K. mit Schreiben vom 13.10.2011 mitgeteilt, der Kläger beklage eine gedrückte Grundstimmung, Freudlosigkeit, innere Unruhe und Anspannung, Gedankenkreisen begleitet von Zukunftsängsten, Grübelneigung und Schlafstörungen. Es liege eine reduzierte Belastbarkeit, niedrige Stresstoleranz, ein reduzierter Antrieb, eine erschöpfbare Konzentrationsfähigkeit, eine depressive Grundstimmung mit Tendenz zum sozialen Rückzug und formale Denkstörungen i.S. von Grübeln und Gedankenkreisen vor. Es handele sich um eine mittelgradige Episode einer wiederkehrenden depressiven Störung.

Mit Schreiben vom 26.01.2012 hat der Kläger mitgeteilt, eine Wiedereingliederungsmaßnahme ab dem 01.12.2011 sei wegen unerträglicher Rückenbeschwerden abgebrochen worden. Er werde am 01.02.2012 am großen Bandscheibenvorfall operiert. Hierzu hat der Kläger Berichte der Neurochirurgin S. und von Prof. Dr. Ho. über die Feststellung eines extraforaminalen Bandscheibenvorfalls L5/S1 rechts vorgelegt. Darüber hinaus hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13.07.2012 ein im Verfahren S 5 R 2067/11 eingeholtes nervenärztliches Gutachten von Dr. P. vom 16.05.2012 vorgelegt. Darin hat Dr. P. angegeben, der Kläger sei wegen eines Schmerzsyndroms nach Nukleotomie Bandscheibenvorfall LWK5/SWK1 rechts am 01.02.2012 mit persistierender L5-Symptomatik rechts, einem Restless-leg-Syndrom, Spannungskopfschmerz, depressiver Anpassungsstörung bei psychosozialer Belastungssituation und mangelnden existenziellen Ressourcen nicht mehr in der Lage, auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Zusätzlich hat der Kläger einen Bericht von Prof. Dr. Ho. vom 02.04.2012 über eine erste Routinekontrolle nach der Bandscheibenoperation am 01.02.2012 vorgelegt, aus dem sich die Verdachtsdiagnose eines ISG-Syndroms ergibt. In der Folge wurde eine ISG-Blockierung durchgeführt.

Der Senat hat daraufhin Beweis erhoben durch schriftliche Befragung des Facharztes für Chirurgie Dr. St. als sachverständigen Zeugen. Dieser hat in seiner Auskunft vom 05.12.2012 (Blatt 99 bis 109 der Senatsakte) angegeben, beim Kläger bestehe eine chronische Lumboischialgie rechts sowie ein Bandscheibenvorfall L5/S1. Die Beschwerden seien stark ausgeprägt.

Darüber hinaus hat der Senat ärztliche Berichte bei Dr. Bo. (Blatt 110 bis 122 = 123 bis 135 der Senatsakte) beigezogen und ein orthopädisches Gutachten bei Dr. He. eingeholt.

Der Orthopäde, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Chirotherapie, Naturheilverfahren, Dr. He. hat in seinem Gutachten vom 08.03.2012 (Blatt 139 bis 160 der Senatsakte) angegeben, beim Kläger liege eine schmerzhafte Funktionsstörungen der Lendenwirbelsäule mit ausstrahlenden Schmerzen und Empfindungsstörung in der rechten unteren Gliedmaße bei überdurchschnittlich ausgeprägten diffusen degenerativen Bandscheibenveränderungen in der gesamten Lendenwirbelsäule nach operativer Entfernung eines extraforaminalen Bandscheibenvorfalls L5/S1 rechts, zusätzlich variable Empfindungsstörungen in beiden Händen in den Fingern ll-IV - offenbar aufgrund eines Carpaltunnelsyndroms -, leichte Dauerschmerzen in der Schulter- Nackenregion bei überdurchschnittlichem Verschleiß in den Halswirbelsäulenbandscheiben sowie Zeichen beginnender Arthrosen im linken Daumengrundgelenk und im linken Kniegelenk ohne gravierende Funktionsstörungen vor. Dr. He. schätzte den Teil-GdB für die Funktionsbeeinträchtigungen der LWS auf GdB 20, für die Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund des Carpaltunnelsyndroms auf 10, für die Funktionsbeeinträchtigungen an der HWS auf 0, für die Funktionsbeeinträchtigungen im linken Daumengelenk auf 10 und für die Funktionsbeeinträchtigungen in Folge der leichten Verformung des linken Kniegelenkes ohne eigenständige Beschwerdesymptomatik auf 0. Unter Berücksichtigung der fachfremden Erkrankungen (seelische Störung, Migräne, Herzrhythmusstörungen mit Herzschrittmacher) hat er aktuell einen Gesamt-GdB von 40 für angemessen gehalten. Im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik K. vom 17.01.2008 würden keine massiven Schmerzen in der Lendenwirbelsäule beschrieben. Damals seien die wirbelsäulenbezogenen Beschwerden mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Bei zusätzlichem Teil-GdB von 20 für die seelische Verstimmung und die Migräne und einen Teil-GdB von 10 für den Herzschrittmacher ergäbe sich bei wohlwollender Betrachtung ein Gesamt-GdB von 30. Nach dem radiologischen Nachweis des extraforaminalen Bandscheibenvorfalls L5/S1 rechts sei ab diesem Zeitpunkt bis zur Operation am 01.02.2012 von einem Teil-GdB der LWS-Beschwerden von 30 ausgehen, der Gesamt-GdB erhöhe sich dadurch auf 40. Nach dem operativen Teilerfolg seien die Wirbelsäulenbeschwerden wieder mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Aufgrund der zusätzlichen Beschwerden im Rahmen eines Carpaltunnelsyndroms und einer Schmerzsymptomatik im linken Daumengrundgelenk würde sich aber der Gesamt-GdB bei wohlwollender Betrachtung nicht verringern.

Der Kläger hat mitgeteilt, einen Antrag nach § 109 SGG nicht zu stellen. Der Beklagte hat unter Vorlage einer Stellungnahme von Dr. Wo. ausgeführt, soweit der Gutachter für die Zeit vor dem 01.02.2012 einen Teil-GdB von 30 angenommen habe sei dies durch Funktionseinschränkungen objektiv ebenso wenig nachgewiesen wie bei der Bewertung des Teil-GdB von 10 für das Karpaltunnelsyndrom und die Funktionsstörungen im linken Daumengelenk.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 166, 167 der Senatsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet.

Zwar war der Bescheid des LRA vom 19.02.2008 in der Fassung des Bescheids vom 18.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 12.06.2008 nur teilweise rechtmäßig, denn der Kläger hatte Anspruch auf Feststellung eines GdB von 40, doch hat sich insoweit der Rechtsstreit erledigt. Denn mit dem vom Kläger angenommenen entsprechenden Teilanerkenntnisses ist der Beklagte dem insoweit teilbaren Begehren des Klägers nachgekommen, weshalb sich der Rechtsstreit insoweit erledigt hat (§ 101 Abs. 2 SGG). Über den im angenommenen Teilanerkenntnis zuerkannten Gesamt-GdB von 40 seit 19.11.2007 hinaus hat der Kläger keinen weitergehenden Anspruch.

Der Bescheid des LRA vom 18.01.2011, mit dem dieses das vor dem SG vom Beklagten abgegebene und vom Kläger angenommene Teilanerkenntnis vollzogen hat, ist mangels eigenen Regelungsgehalts kein ersetzender Verwaltungsakt im Sinne von § 96 SGG (Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 31 Rn. 30). Der ergangene Ausführungsbescheid wird von der Berufung des Klägers gegen den diesen Sachverhalt regelnden Gerichtsbescheid erfasst, ohne dass es hierzu einer Klage nach §§ 153 Abs. 1, 96 SGG bedürfte, über die der Senat gesondert zu befinden hätte (vgl. Leitherer in Meyer Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 96 Rn. 7 und 4b, jeweils m.w.N.). Der Senat hat dementsprechend den Berufungsantrag des Klägers sachdienlich gefasst und nur aus Gründen der Klarstellung den Ausführungsbescheid aufgenommen.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91, BSGE 72, 285; BSG 09.04.1997 - 9 RVs 4/95, SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R, BSGE 19091, 205; BSG 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89; BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandt wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R, RdNr 27, 30 mwN). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG 30.09.2009, SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19; BSG 23.4.2009, aaO, RdNr. 30).In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Der Senat nimmt zur Begründung seiner eigenen Entscheidung auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung vom 30.12.2010 Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend wird vor dem Hintergrund der vom SG und dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme auf Folgendes hingewiesen:

Die internistischen Erkrankungen, dort insbesondere die kardiologischen Erkrankungen, des Klägers sind mit dem vom SG und dem Beklagten mit 10 angenommenen Teil-GdB für den Herzschrittmacher ausreichend und zutreffend bewertet. Weder der Hausarzt Dr. Bo. noch einer der anderen behandelnden Ärzte konnten eine darüber hinausgehende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigung darlegen. Insbesondere hat der Internist und Kardiologe Dr. Kl. nicht nur in seiner Zeugenauskunft gegenüber dem SG (Blatt 64 der SG-Akte) nur geringfügige Funktionsbeeinträchtigungen darstellen können. Aus den vorliegenden Kontrollberichten vom 20.08.2007 (Blatt 16 der Verwaltungsakte des Beklagten = 93 der SG-Akte), vom 10.10.2007 (Blatt 17 der Verwaltungsakte des Beklagten = Blatt 92 der SG-Akte), vom 12.09.2008 (Blatt 78 der SG-Akte), vom 22.03.2012 (Blatt 115 = 128 der Senatsakte) und vom 12.10.2012 (Blatt 121 = 134 der Senatsakte) ergeben sich vielmehr eine gute Schrittmacher- und Herzfunktion, normale systolische Kontraktion, normale Kavitäten, keine relevanten Vitien bzw. gute Messwerte. Dies wird auch bestätigt durch die EKG-Werte, die im Rahmen der Rehabilitation in der Rehabilitationsklinik K. im Jahr 2007/2008 erhoben worden sind (dazu vgl. Blatt 33 der Senatsakte = Blatt 26 der Verwaltungsakte des Beklagten). Wesentliche Einschränkungen der Herzleistung konnten von nirgends berichtet werden. Nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen ist aber der GdB von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig (B Nr. 9.1.2 VG bzw. 26.9 AHP), sodass - was zuletzt auch bei den Beteiligten außer Streit stand - der Teil-GdB mit 10 ausreichend und umfassend bewertet ist (dazu vgl. B Nr. 9 VG; 26.9 AHP).

Auch auf nervenärztlichem Gebiet ist der vom SG und dem Beklagten angenommene Teil-GdB von 40 für die Funktionsstörungen "Kognitive Teilleistungsschwäche, Depressive Verstimmung, Funktionelle Organbeschwerden, Migräne" (dazu vgl. Blatt 164 der SG-Akte) ausreichend und zutreffend bewertet. Prof. Dr. T. konnte insoweit keine weitergehenden Störungen beschreiben. Soweit der Arzt für Neurologie W. gegenüber dem SG eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis-. und Gestaltungsfähigkeit - ausdrücklich ohne soziale Integrationsprobleme bei Arbeit und Familie - dargestellt hatte, weist dies gerade auf das Vorliegen der vom Beklagten und dem SG angenommenen stärker behindernden Störungen (B Nr. 3.7 VG bzw. 26.3 AHP) hin. Für eine weitergehende, schwere Störung haben auch Herr W. oder Frau K. keine Anhaltspunkte mitteilen können; letztere ging insoweit von einer mittelgradigen Episode einer wiederkehrenden depressiven Störung mit Affektarmut, Interesselosigkeit, Freudlosigkeit und einer Tendenz zum sozialen Rückzug (Blatt 45, 56 der Senatsakte) aus, doch war ein sozialer Rückzug weder erfolgt, noch waren sonstige Umstände mitgeteilt worden, die auf eine nicht bloß stärker behindernde, sondern eine schwere Störung. hinweisen würden. Gerade der von Dr. P. und Prof. Dr. T. berichtete Tagesablauf mit Besuchen der Tochter und der Kirche, aber auch der Umstand, dass der Kläger bis 2012 immer wieder Arbeitsversuche unternommen hat, sprechen gegen einen sozialen Rückzug. Auch der Tod des Sohne im Jahr 1999, der den Kläger und seine Ehefrau stark belastet hatte, hat beim Kläger keine schwere Störung verursacht. Gleiches gilt für die Schmerzzustände; einen Schmerzmittelabusus bzw. eine Abhängigkeit konnte keiner der Ärzte bestätigen. Zwar hat der Hausarzt Dr. Bo. die Schmerzzustände des Klägers in Verbindung mit der Wirbelsäulenerkrankung mit einem Teil-GdB von 30 bewertet (Blatt 75 bis 77 der SG-Akte), doch konnte er zur nervenärztlichen Problematik keine einen höheren GdB, als vom SG und dem Beklagten angenommen, rechtfertigende Befunde mitteilen; vielmehr hat er in seiner Auskunft gerade im Hinblick auf die psychische Erkrankung ausgeführt, die Behandlung der nervenärztlichen Betreuung überlassen zu haben und daher zur GdB-Bewertung keine detaillierte Aussage machen zu können (Blatt 77 der SG-Akte). Auch ergibt sich aus dem Attest von Dipl.-Psychologin Z. vom 25.02.2008 (Blatt 68, 69 der SG-Akte) nichts anderes. Auch konnten epileptische Anfälle o.ä. nicht festgestellt werden. Soweit der Kläger epilepsieähnliche Anfälle angibt bzw. auch ein solcher in den Krankenhausberichten aus P. aus dem Jahr 2007 mitgeteilt wurde (Blatt 9 der Verwaltungsakte des Beklagten), konnte jedenfalls eine Wiederholung nicht festgestellt werden. Im Ergebnis ist der Senat damit zu der Überzeugung gelangt, dass die Bewertung des GdB am oberen Rahmen für stärker behindernde Störungen (B Nr. 3.7 VG bzw. 26.3 AHP) unter Einschluss der auch aus dem Bereich der LWS resultierenden deutlichen Schmerzen ausreichend und zutreffend ist.

Die orthopädischen Funktionsstörungen konnte der Senat auf Grundlage des Gutachtens von Dr. He. vorliegend, zeitlich gestaffelt bewerten. An der Wirbelsäule bestanden zuletzt Funktionsbeeinträchtigungen durch eine schmerzhafte Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule mit ausstrahlenden Schmerzen und Empfindungsstörungen in der rechten unteren Gliedmaße bei überdurchschnittlich ausgeprägten diffusen degenerativen Bandscheibenveränderungen in der gesamten Lendenwirbelsäule nach operativer Entfernung eines extraforaminalen Bandscheibenvorfalls L5/S1 rechts. Bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung konnte der Senat aber das Vorliegen eines extraforaminalen Bandscheibenvorfalls L5/S1 rechts noch nicht feststellen. Dieser wurde erst am 20.01.2012 (Blatt 53, 54 der Senatsakte) - Dr. He. geht von einer Feststellung im September 2011 aus, ohne jedoch hierzu Anhaltspunkte zu liefern Wa. noch im Mai 2011 gegenüber dem Senat hiervon nichts berichten konnte (Blatt 27 bis 32 der Senatsakte), sich aus dem Bericht des Radiologen Ha. über eine CT-Untersuchung lediglich eine Protrusion L5/S1 ergibt (Blatt 35 der Senatsakte) und auch Frau K. aus der Behandlung am 27.09.2011 keinerlei negative Veränderungen der Schmerzproblematik bzw. der psychischen Verfassung, die auf eine Zunahme der Wirbelsäulenschmerzen/-problematiken schließen ließe, angeben konnte. Darüber hinaus ist aus dem vom Kläger vorgelegten Gutachten von Dr. P. ersichtlich, dass der Kläger im gerichtlichen Rentenverfahren noch im Dezember 2011 hat vortragen lassen, er habe zum 01.12.2011 eine Arbeitsstelle in der allgemeinen Metallverarbeitung mit 20 Stunden pro Woche aufgenommen; dies spricht deutlich gegen das Bestehens eines ausgeprägten L5/S1-Vorfalles zu diesem Zeitpunkt. Vor diesem Hintergrund, den im Gutachten von Dr. B.-S. vom 01.09.2009 mitgeteilten Bewegungsausmaßen (dazu Blatt 113, 114 der SG-Akte), die eine freie Beweglichkeit der Wirbelsäule bei FBA 15 cm, Schober 10/15 cm, Ott 30/35 cm, eine Rückneigung sowie Seitneigung um jeweils 20 Grad, Rotation rechts/links 80/70 Grad, Reklination der HWS von 30 Grad, Drehung bzw. Seitneigung von 50 bzw. 40 Grad dargestellt hatte, lässt sich insoweit ein Teil-GdB von mehr als 10 nicht feststellen. Zwar hatte Dr. Wa. , Dr. B.-S. und Dr. He. hier einen Teil-GdB von 20 vorgeschlagen, doch konnte der Senat dem angesichts fehlender Nachweise erheblicher Einschränkungen der Bewegungsausmaße, auch trotz der wohl schon damals bestehenden Schmerzen, nicht folgen (dazu vgl. B Nr. 18.9 VG bzw. 26.18 AHP); der Senat folgt insoweit der versorgungsärztlichen Einschätzung von Dr. Be. vom 30.11.2009 (Blatt 132, 133 der SG-Akte) und Dr. Wo. vom 09.06.2010 und vom 28.03.2009 (Blatt 164, 165 der SG-Akte, Blatt 164, 165 der Senatsakte), wobei die Schmerzen bereits im nervenärztlichen Teil-GdB erhöhend berücksichtigt wurden. In der Zeit vom 20.01.2012 (Feststellung des L5/S1-Vorfalls) bis zum Zeitpunkt der Operation am 01.02.2012 hatte Dr. He. einen Teil-GdB der LWS-Beschwerden von 30 vorgeschlagen. Dem könnte sich der Senat grds. anschließen. Da die Beschwerden und Funktionseinschränkungen aber insoweit keine sechs Monate überdauerten, führt dieser Zustand nicht zu einer Erhöhung des Teil-GdB (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, A Nr. 2 f) VG). Für die Zeit seit der Operation des L5/S1-Vorfalles am 01.02.2013 ist der Teil-GdB für die LWS-Beschwerden mit 10 zu bewerten. Zwar hatte Dr. He. einen Teil-GdB von 20 vorgeschlagen, doch ist der Senat bei der Bewertung, bei der es sich um einer rechtliche Bewertung handelt, nicht an die Bewertung des Gutachters gebunden. Vielmehr ist anhand seiner Befunde, zu denen auch die Bewegungsausmaße gehören, eine rechtliche Bewertung durch den Senat vorzunehmen. Dr. He. hatte in seinem Gutachten mitgeteilt, Halswirbelsäule und Kopfgelenke seien nach allen Richtungen frei beweglich. Bei der Seitneigung der gesamten Wirbelsäule zeige sich beidseits ein angedeutetes C. Bei fixiertem Becken sei die Seitneigung beidseits bis etwa 20 Grad möglich, endgradig würden keine Schmerzen empfunden. Das Vornüberneigen der Wirbelsäule erfolge etwas zögerlich, es verbleibe ein FBA von 25 cm; jedoch konnte der Kläger beim Entkleiden den Rumpf bis 70 Grad vorbeugen. Die Wirbelsäule entfalte sich hierbei vollständig. Das Zeichen nach Ott wurden mit 30/31 cm, das Zeichen nach Schober mit 10/15 cm, angegeben. Eine gravierende Einschränkung der globalen Wirbelsäulenbeweglichkeit sei auch bei der Beobachtung von Komplexbewegungen wie z. B. beim Hinsetzen oder Aufstehen aus dem Sitzen sowie beim Auskleiden nicht aufgefallen. Es hätten sich aber Blockierungen (Th5 und Th8 links, Th4, Th7, Th9, Th10 und Th12 rechts, S1 rechts, C3 links) gezeigt. Als Bewegungsausmaße hat Dr. He. angegeben: - Kopf vorneigen/rückneigen 20-0-20 (Kinn-Sternum 4/17 cm) - HWS-Seitneigung rechts/links 20-0-20 - Drehung des Kopfes rechts/links 60-0-60 - Seitneigung Gesamtwirbelsäule rechts/links 20-0-20 - Drehung bei fixiertem Becken rechts/links 40-0-40 - Rückneigung im Stehen , 15 Auch hat Dr. He. lediglich einen leichten diffusen Druck- und Klopfschmerz über den Dornfortsätzen der HWES- und BWS gefunden, einen deutlichen Druckschmerz in den unteren Lumbalsegmenten, wo auch die Muskulatur deutlich verspannt sei (zum Ganzen vgl. Blatt 148, 150 der Senatsalte = Seite 10, 11 des Gutachtens). Eine wesentliche Seitverbiegung der Wirbelsäule, mithin eine Skoliose, konnte Dr. He. nicht feststellen (Blatt 148 der Senatsakte = Seite 10 des Gutachtens). Diese vom Gutachter erhobenen Befunde rechtfertigen nach objektiver Lage keine mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome), schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) oder gar mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (B Nr. 18.9 VG bzw. 26.18 AHP) hin, sodass eine Bewertung mit einem Teil-GdB von 20 ausscheidet. Die vom Kläger angegebenen deutlichen Schmerzen, die Dr. Wa. und Dr. He. zum Anlass genommen haben, den Teil-GdB mit 20 zu bewerten, sind aber bereits bei der Bewertung der psychischen Funktionsbehinderungen stark berücksichtigt, sodass sich insoweit keine weitere Erhöhung des orthopädischen Teil-GdB ergibt.

Bei dieser Bewertung des Funktionssystems der Wirbelsäule sind auch die leichten Dauerschmerzen in der Schulter- Nackenregion bei überdurchschnittlichem Verschleiß in den Halswirbelsäulenbandscheiben (HWS-Syndrom) i.S. einer Zugehörigkeit zum Funktonssystem berücksichtigt. Diese Funktionsbeeinträchtigungen hat Dr. He. als geringfügig bezeichnet und ihnen einen Teil-GdB von 0 zugedacht. Dr. He. hat nur geringe funktionelle Auswirkungen gefunden. Insbesondere die bereits zuvor dargestellten Bewegungsausmaße der Wirbelsäule zeigen, dass trotz radiologisch offenbar ungewöhnlich ausgeprägten degenerativen Strukturschäden funktionell nur geringe Bewegungs- und Funktionseinschränkungen vorliegen. Dr. He. geht funktionell sogar von einem eher alterstypischen Zustand aus. Es liegen somit auch unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkungen der LWS keine mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor. Damit kann weder ein eigenständiger Teil-GdB ausgewiesen werden (B 18.9. VG bzw. 26.18 AHP), noch führt dies zu einer Erhöhung des für das Funktionssystem der Wirbelsäule zuzuerkennenden Teil-GdB.

Die von Dr. He. als mit geringfügigen Funktionsbeeinträchtigungen verbunden gesehenen variablen Empfindungsstörungen in beiden Händen in den Fingern II-IV - wohl aufgrund eines Carpaltunnelsyndroms - sind allenfalls mit einem GdB von 10 zu bewerten, was jedoch bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht relevant ins Gewicht fällt.

Soweit Dr. He. die Zeichen beginnender Arthrosen im linken Daumengrundgelenk und im linken Kniegelenk ohne gravierende Funktionsstörungen als im Schweregrad eher gering angesehen hat und hier einen Teil-GdB von 10 (linkes Daumengelenk) bzw. 0 (linkes Knie) angesetzt hat, führte dies - selbst wenn der Senat wegen der im linken Daumengelenk verursachten Schmerzen einen Teil-GdB von 10 annehmen würde - bei der Gesamtbewertung zu keiner Erhöhung des Gesamt-GdB.

Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, die einen Teil-GdB von mindestens 10 bedingen, liegen beim Kläger nicht vor.

Der Beklagte hatte bereits vor dem SG einen Gesamt-GdB von 40 seit Antragstellung (19.11.2007) anerkannt. Der Senat konnte keine Umstände feststellen, die jedenfalls einen höheren Gesamt-GdB begründen könnten.

Die Bemessung des Gesamt-GdB erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP bzw. der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Das ist beim Kläger im gesamten Zeitraum nicht der Fall. Zwar hatte Dr. Bo. gegenüber dem SG den Gesamt-GdB auf 50 eingeschätzt, doch konnten weder er noch die sonstigen behandelnden Ärzte dies rechtfertigende Befunde mitteilen. Auch bei den verschiedenen Begutachtungen konnten die Sachverständigen keine Befunde mitteilen, die in der Gesamtschau eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen rechtfertigen könnten. Alle Gutachter haben den Gesamt-GdB auf 40 eingeschätzt. Dies ist für den Senat, insbesondere unter integrativer Berücksichtigung der sowohl das orthopädische als auch das nervenärztliche Fachgebiet betreffenden, von der LWS ausgehenden deutlichen Schmerzen, überzeugend. Dass der Kläger mittlerweile eine Rente der Gesetzlichen Rentenversicherung bezieht oder wegen der Schmerzen bzw. des L5/S1-Vorfalles arbeitsunfähig bzw. erwerbsgemindert ist, bedeutet nicht, dass der Gesamt-GdB zu erhöhen wäre (vgl. z.B. A Nr. 2 d) VG).

Damit hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung eines höheren Gesamt-GdB als 40 seit dem 19.11.2007. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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