L 9 AS 2967/13 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 1609/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2967/13 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 25. Juni 2013 wird verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes war ursprünglich zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (§§ 173, 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Dabei geht der Senat davon aus, dass der Antragsteller Beschwerde im Sinne des § 172 Abs. 1 SGG erheben will. Eine sofortige Beschwerde kennt das sozialgerichtliche Verfahren nicht. Die Beschwerde war zudem nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 SGG beschränkt, da der angegriffene Verwaltungsakt nicht auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung gerichtet ist und damit der wirtschaftliche Wert des Beschwerdegegenstands nicht maßgeblich ist. Die Beschwerde war wertmäßig unbeschränkt zulässig.

Die Beschwerde ist jedoch durch Zeitablauf unzulässig geworden. Der Streitgegenstand des Eilverfahrens erledigt sich durch Zeitablauf, wenn der Zeitraum, für den der Verwaltungsakt Geltung beansprucht, während des Eilverfahrens verstrichen ist (vgl. Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 23. August 2011, L 5 AS 435/10 B ER; Bayerisches LSG, Beschluss vom 15. Juli 2009, L 7 AS 243/09 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 19 AS 344/11 B ER, L 19 AS 345/11 B ER, alle in Juris). Soweit ersichtlich sind aufgrund der durch Verwaltungsakt ersetzten Eingliederungsvereinbarung keine Sanktionen verhängt worden. Jedenfalls lässt sich anderes den vorliegenden Verwaltungsakten nicht entnehmen. Entsprechendes haben die Beteiligten auch nicht vorgetragen. Es hätte dem Antragsteller zudem oblegen, sich gegen etwaige Sanktionsbescheide mit den ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten (Widerspruch, Klage, ggfs. Eilverfahren) auch hiergegen zu wehren. Die vom angegriffenen Bescheid ausgehenden Belastungen, die dem Antragsteller Verhaltenspflichten auferlegt haben, sind mit Ablauf des 13. August 2013 entfallen. Ab dem 14. August 2013 hatte der Antragsteller daher kein rechtlich schützenswertes Interesse mehr an der Fortführung des Beschwerdeverfahrens. Für einen "Fortsetzungsfeststellungsantrag" analog § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG besteht im Eilverfahren kein Raum (vgl. Beschluss des erkennenden Senats v. 1. Oktober 2013, L 9 AS 3289/ER-B, Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. Oktober 2012, L 7 AS 685/12 B ER). Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen.

Es bleibt jedoch darauf hinzuweisen, dass der Antrag vom SG zu Recht als unbegründet abgelehnt wurde und die Beschwerde vor dem 14. August 2013 zwar zulässig, aber unbegründet gewesen ist.

§ 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG sieht keinen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage vor. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin ist aufgrund von § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86b Rdnr. 12). Das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen (Krodel, Der sozialgerichtliche Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 453). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber im Einzelfall auch zu Gunsten des Betroffenen ausfallen. Die gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 27. Oktober 2008 - L 13 AS 4562/08 ER-B - in Juris, Rz 4). Unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben, der Schwere der Belastung und das Maß späterer Abänderbarkeit (BVerfGE 37,150 [153]; 46, 166 [178f]), sind hierbei i.S. einer dynamischen Betrachtung die Anforderungen an die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs umso so geringer, je schwerer die Behördenentscheidung wirkt (vgl. Beschluss des erkennenden Senats v. 1. März 2012, L 9 AS 592/12 ER-B). Umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht zu überspannen, wenn keine schwerwiegende Betroffenheit gegeben ist. Bei der zu treffenden Abwägung der Interessen sind daher vor allem die Natur, die Schwere und die Dringlichkeit der dem Betroffenen auferlegten Belastung und die Möglichkeit (oder Unmöglichkeit) einer etwaigen späteren Rückgängigmachung der Maßnahme und ihrer Folgen zu berücksichtigen. Auf eine entsprechende Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen stellt auch die vom Antragsteller zitierte Rechtsprechung des 7. Senats des LSG Baden-Württemberg ab. Die vermeintliche Rechtswidrigkeit einer Regelung ist auch dort nur ein Kriterium, das im Rahmen der Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu messen ist.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Antragsteller keine Rechtsverletzungen geltend gemacht, die bei einer vom Senat als offen bewerteten Rechtslage ein Absehen von dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Vorrang des Vollzugsinteresses begründen könnte. Die aufschiebende Wirkung der Klage wäre daher auch dann nicht anzuordnen gewesen, wenn über die Beschwerde vor Ablauf der Geltungsdauer des angefochtenen Bescheides entschieden worden wäre. Die Geltendmachung der vom Antragsteller erhobenen Einwendungen gegen die Eingliederungsvereinbarung bzw. deren Ersetzung durch Verwaltungsakt vermögen unter Umständen in der Tat die Rechtswidrigkeit von Teilen dieser Eingliederungsvereinbarung begründen können. Insbesondere unterliegen insoweit die widersprüchlichen Ausführungen des Antragsgegners Bedenken, der einerseits auf einer eigenständigen Seite (4), die er mit Rechtsfolgenbelehrung überschrieben hat, eine detaillierte am Gesetz orientierte Belehrung über eintretende Rechtsfolgen vorgenommen hat. Andererseits enthält Seite 2 des Bescheides unter "Rechtsfolgen bei Nichterfüllung der Rechte und Pflichten" eine nur verkürzte und unvollständige Wiedergabe der Rechtsfolgen einer Verletzung von Pflichten und die letzte Seite des Bescheides (dort am Ende) eine unter Hinweis auf § 31 SGB II gänzlich unzutreffende Belehrung (Verlust des Anspruches auf Grundsicherung für Arbeitsuchende), wobei diese letztlich nicht erkennen lassen, welche dieser Hinweise nun Geltung haben und welche nicht. Insbesondere der auf der letzten Seite wiedergegebene Hinweis auf den Verlust des Anspruches auf Grundsicherung, wenn sich der Antragsteller weigern sollte, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nachzukommen, könnte - da unter dem Abschnitt "Pflichten des Klienten" gefasst - Anlass zu der Frage geben, ob mit der Eingliederungsvereinbarung bzw. deren Ersetzung gesetzliche Regelungen abbedungen werden.

Der Vorrang des Vollzugsinteresses ergibt sich daraus, dass die dem Antragsteller im Ersetzungsbescheid vom 12. März 2013 auferlegten Belastungen weder unzumutbar noch offensichtlich gesetzeswidrig sind. Das SG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es in diesem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutz vorrangig um die Ausgestaltung der dem Antragsteller auferlegten Verpflichtungen gehen kann und muss. Insoweit stellt der Senat fest, dass der angefochtene Bescheid dem Kläger zunächst lediglich aufgibt, alle Möglichkeiten zu nutzen, um den eigenen Lebensunterhalt und den der unterhaltsberechtigten Angehörigen aus eigenen Kräften und Mitteln zu bestreiten und an allen zumutbaren Maßnahmen zur Eingliederung mitzuwirken. Damit wiederholt der Antragsgegner im Wesentlichen das, was das Gesetz in § 2 Abs. 1 SGB II bereits vorgibt, ohne dies an dieser Stelle weiter zu konkretisieren. Selbst wenn man hieraus eine konkrete Verpflichtung des Klägers entnehmen wollte, besteht deswegen kein Grund, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, da der Bescheid jedenfalls nicht mehr verlangt, als der Gesetzgeber ohnehin als Programmsatz (Grundsatz des Forderns) vorgibt.

Die Konkretisierung dieser gesetzlichen Vorgaben hat der Antragsgegner vielmehr in der als Anlage zum Bescheid enthaltenen Zielvereinbarung (Integration in den 1. Arbeitsmarkt) festgehalten. Insoweit wurde dem Antragsteller aufgegeben, monatlich mindestens drei Bewerbungen um sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnisse vorzulegen und hierüber Nachweise zu dem dort genannten Termin vorzulegen. Dies ist weder unzumutbar noch rechtswidrig (vgl. Bundessozialgericht, Urteil v. 15. Dezember 2010 - B 14 AS 92/09 R -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 27. Mai 2013 - L 19 AS 434/13 B ER, alle in Juris). Gleiches gilt, wenn dem Antragsteller aufgegeben wird, sich zeitnah, spätestens am dritten Tage nach Erhalt des Stellenangebotes auf Vermittlungsvorschläge, die er vom Antragsgegner erhält, zu bewerben und hierüber Nachweise vorzulegen. Die Regelung über die Kostenerstattung für Bewerbungskosten vermag darüber hinaus ebenfalls kein überwiegendes Aussetzungsinteresse zu begründen. Denn bei einem Geltungszeitraum der vorliegenden Eingliederungsvereinbarung von sechs Monaten und der vom Jobcenter geforderten drei Bewerbungen pro Monat ist nicht erkennbar, dass der Betrag von 260 EUR nicht ausreichend hoch bemessen worden ist. Unklarheiten im Hinblick auf die Angemessenheit von Kosten beabsichtigter Bewerbungen und der Fahrtkosten lassen sich grds. im Rahmen der ohnehin erforderlichen vorherigen Beantragung nach Rücksprache mit dem Sachbearbeiter klären. Insoweit ist im Hauptsacheverfahren zu klären, ob es sich um mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbare Regelungen handelt. Ein unzumutbarer Eingriff in Rechte des Klägers ist hiermit jedoch nicht verbunden, weshalb der Senat keine Veranlassung hat, schon deswegen einen Vorrang des Aussetzungsinteresses anzunehmen.

Unter Berücksichtigung des Zieles einer Eingliederungsvereinbarung, nämlich der Eingliederung in Arbeit, lassen sich aus den getroffenen Regelungen in der Eingliederungsvereinbarung bzw. dessen ersetzenden Verwaltungsakt weder eine besondere Dringlichkeit, noch Schwere oder unzumutbare Belastungen des Antragstellers feststellen, die es erfordert hätten, im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes den angefochtenen Bescheid ganz oder teilweise außer Vollzug zu setzen. Ob die im angefochtenen Bescheid enthaltenen einzelnen Regelungen tatsächlich Bestand haben können, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Es kann auch nicht Aufgabe des Eilverfahrens sein, eine Klärung der Frage herbeizuführen, ob eine teilweise Rechtswidrigkeit des die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheides die Rechtswidrigkeit des gesamten Verwaltungsaktes nach sich zieht. Dies gilt zumindest dann, wenn die in einem solchen Verwaltungsakt enthaltenen Belastungen, die vom Antragsteller ein Handeln, Tun oder Unterlassen fordern, nicht unzumutbar in dessen Rechte eingreifen. Soweit der Antragsteller auf die rückwirkende Geltungsdauer der Ersetzung der Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt abstellt, ist im Hinblick auf die auferlegten Belastungen darauf hinzuweisen, dass unter "Pflichten des Klienten" ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass während der Gültigkeitsdauer der Eingliederungsvereinbarung drei Bewerbungen um sozialversichungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse erst "beginnend mit dem Datum der Unterzeichnung" gefordert wurden. Auch wenn der diese Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt es versäumt hat, die Sprachregelung an die bescheidmäßige Festsetzung anzupassen, kommt dennoch hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass Bewerbungsbemühungen für die Vergangenheit und Nachweise für die Vergangenheit gerade nicht gefordert worden sind. Auch aus diesem Grund vermag der Senat ein vorrangiges Aussetzungsverlangen nicht zu erkennen. Unabhängig von der Frage, ob allgemeine Hinweise zur Ortsabwesenheit und damit zusammenhängende Verpflichtungen im konkreten Fall in einem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt aufgenommen werden können, enthalten diese Hinweise keine dem Gesetz widersprechende Verhaltenspflichten, sodass auch deshalb einem Aussetzungsantrag nicht zu entsprechen war. Der Antragsteller verkennt darüber hinaus, dass die Nachbesserungsmöglichkeit auf Seite 1 unter "Rechtsfolgen bei Nichterfüllung der Rechte und Pflichten" zugunsten des Antragstellers auf 14 Tage beschränkt wurde. Demnach kann der Antragsteller seine Rechte aus der Eingliederungsvereinbarung gegenüber dem Jobcenter einfordern, wobei dem Jobcenter insoweit nur eine Frist von 14 Tagen zur Nachbesserung eingeräumt werden muss. Diese Regelung ist daher deutlich günstiger als die vom Antragsteller zitierten Vorgaben der Durchführungshinweise, die hierfür vier bis sechs Wochen vorsehen.

Soweit der Antragsteller anzweifelt, Beratungsgespräche hätten im Vorfeld der Eingliederungsvereinbarungen nicht (in ausreichendem Maße) stattgefunden, vermag dies ebenfalls eine Rechtsverletzung des Antragstellers im Hinblick auf ein die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigendes Verhalten nicht zu begründen, da der Antragsteller in diesem Zusammenhang nicht substantiiert dargelegt hat, die Richtigkeit seiner Einlassung unterstellt, welche ungerechtfertigten Belastungen ihm durch die Eingliederungsvereinbarung auferlegt worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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