Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 1711/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4312/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 5. September 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1960 geborene Kläger kam 1967 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland. Er hat keinen Beruf erlernt und war seit 1977 mit Unterbrechungen als Hilfsarbeiter, Kellner, Lagerist, Staplerfahrer und Maschinist beschäftigt. Von 1998 bis 2005 war er selbstständig tätig, wobei er zwei Gaststätten betrieb. Ab Januar 2005 bezog er Arbeitslosengeld II, wobei er vom 01.06.2007 bis 15.09.2008 eine versicherungsfreie Tätigkeit ausübte.
Im Oktober 2005 und September 2006 wurde beim Kläger ein Bandscheibenvorfall im Bereich LWK 5/S1 rechts operativ behandelt. Aus dem anschließenden Heilverfahren vom 05.10.2006 bis 24.10.2006 wurde der Kläger ohne ärztliches Einverständnis vorzeitig und arbeitsunfähig entlassen. Das Leistungsvermögen des Klägers wurde für die Tätigkeit als selbstständiger Gastronom auf unter drei Stunden täglich und für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Heben und Tragen von Lasten, ohne Zwangshaltungen und ohne häufiges Bücken auf sechs Stunden und mehr eingeschätzt.
Im November 2006 fand eine weitere operative Revision des Bandscheibenvorfalls statt. Vom 19.12.2006 bis 09.01.2007 wurde ein weiteres Heilverfahren durchgeführt. Die dortigen Ärzte schätzten das Leistungsvermögen des Klägers für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sowie für die Tätigkeit als Gastronom auf täglich sechs Stunden und mehr ein.
Am 17.07.2009 beantragte der Kläger, bei dem seit dem 01.06.2006 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und seit 26.10.2009 von 60 festgestellt ist, die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen, u.a. das Gutachten des Arztes der Agentur für Arbeit Dr. W. vom 16.05.2007 (vollschichtiges Leistungsvermögen für gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen), bei und ließ den Kläger gutachterlich untersuchen.
Der Orthopäde Dr. R. stellte beim Kläger im Gutachten vom 10.12.2009 folgende Diagnosen: • Chronifiziertes Halswirbelsäulensyndrom (HWS-Syndrom) bei Bandscheibenschaden C5/6 operativ dekomprimiert und Schaden C6/7, derzeit mit Bewegungseinschränkung und muskulären lokalen Reizzuständen ohne objektivierbare neurologische Ausfallserscheinungen • Bandscheibenschaden L5/S1 bei Rezidiv-Bandscheibenvorfall und dreimaliger Operation, letztmalig 2006 sowie Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 mit belastungsabhängiger ischialgieformer Schmerz- und Reizsymptomatik rechts, derzeit ohne objektivierbare neurologische Ausfallserscheinungen • Angedeutete linkskonvexe Thorakalseitverbiegung ohne Funktionseinschränkung der Beweglichkeit und belastungsabhängiger Schmerz- und Reizsymptomatik. Er gelangte zum Ergebnis, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit des Gaststättenbetreibers sei ausgehend von reinen Verwaltungstätigkeiten vollschichtig, das heißt täglich sechs Stunden und mehr, zumutbar. Bei mitarbeitender Tätigkeit bestünden qualitative Funktionseinschränkungen, so dass das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden täglich herabgesunken sei. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten leichte körperliche Tätigkeiten ohne wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne häufiges Bücken, ohne Tätigkeiten in Rumpfvorneige täglich sechs Stunden und mehr verrichtet werden. Tätigkeiten, die eine erhöhte Gang- und Standsicherheit erfordern, sowie Tätigkeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten seien nicht mehr zumutbar. Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit liege nicht vor; betriebsunübliche Pausen müssten nicht gewährt werden.
Mit Bescheid vom 11.01.2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Hiergegen legte der Kläger am 19.01.2010 Widerspruch ein und verwies darauf, dass er ein weiteres Mal an der Wirbelsäule operiert werden müsse. Die Beklagte zog den Arztbrief der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Kreiskrankenhauses Buchen über die dynamische Stabilisierung im Bereich L5/S1 sowie die mikrochirurgische Dekompression der L5-Wurzel rechts bei und wies den Widerspruch nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme bei Dr. Graf vom 18.02.2010 mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2010 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 11.05.2010 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, mit der er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgt hat.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.
Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. M. hat unter dem 02.08.2010 erklärt, er habe den Kläger von 1993 bis 1998 sowie seit 2006 behandelt. Aufgrund der Schmerzen, der schmerzbedingten Schlafstörungen sowie der reaktiven Depression und der Einnahme von starken Schmerzmitteln halte er den Kläger nicht mehr für in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Dr. R. Arzt für Neurochirurgie am Kreiskrankenhaus Buchen, hat bei seiner Zeugenvernehmung vor dem SG am 11.11.2010 Befundberichte überreicht und erklärt, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne der Kläger noch verrichten. Er habe jedoch Zweifel, ob er dies sechs Stunden täglich könne.
Dr. H. hat in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16.12.2010 ausgeführt, die zu würdigenden Gesundheitsirritationen seien ausführlich dargestellt. Tätigkeiten ohne körperliche Zwangshaltung sowie ohne mittelschwere körperliche Dauerbelastung und ohne Gefahren könne der Kläger täglich mindestens sechs Stunden verrichten.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.09.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vom Gutachter Dr. R. genannten Diagnosen rechtfertigten keine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens des Klägers. Die Einschätzung des Zeugen Dr. M. habe das SG nicht zu überzeugen vermocht. Die beim Kläger vorliegende Schmerzmedikation und auch die Schmerztherapie seien vom Gutachter Dr. R. in seiner Beurteilung berücksichtigt worden. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da er sich auf sämtliche ungelernte Tätigkeiten verweisen lassen müsse.
Gegen den am 09.09.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 05.10.2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG hätte sich nicht ausschließlich auf das Verwaltungsgutachten stützen dürfen, sondern hätte ein weiteres neurochirurgisches Gutachten einholen müssen. Der Kläger hat einen Befundbericht über eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Hüftgelenks links vom 08.12.2011 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 5. September 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01. Juli 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Vom 20.03.2012 bis 06.04.2012 hat der Kläger ein Heilverfahren in der Rosentrittklinik absolviert. Die dortigen Ärzte haben im Entlassungsbericht vom 11.04.2012 folgende Diagnosen genannt: • Hüftkopfnekrose, links ) rechts • Zementfreie Hüft-Totalendoprothese (Hüft-TEP) links am 08.03.2012 • Degeneratives Wirbelsäulen-Syndrom (OLE C5/6 09/09; Nucleotomie L5/S1, Spondylodese L5/S1 01/10). Sie führten aus, leichte Tätigkeiten in wechselnder bzw. überwiegend sitzender Körperhaltung mit Heben und Tragen von Lasten bis 15 kg, ohne Zwangshaltungen, ohne Bücken, ohne Stoß- und Erschütterungsbelastungen, ohne Klettern und Steigen und ohne kniende Tätigkeiten könne der Kläger mindestens täglich sechs Stunden und mehr verrichten. Die Tätigkeit als Hausmann sei ebenfalls täglich sechs Stunden und mehr möglich.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Gutachten bei Professor Dr. B., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, eingeholt. Dieser hat im Gutachten vom 28.11.2012 folgende Diagnosen gestellt: • Zustand nach mehrfachen operativen Eingriffen in den Bereichen der Hals- und Lendenwirbelsäule wegen fortgeschrittener degenerativer Veränderungen • Einbringung einer Hüft-TEP beidseits bei Zustand nach Hüftkopfnekrose beidseits • Chronische Dysthymie • Stottern • Nikotin- und Alkoholabhängigkeit. Er gelangte zum Ergebnis, der Kläger sei nicht mehr in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit von weniger als drei Stunden täglich nachzugehen. Der Kläger sei auch nur bedingt in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von jeweils mehr als 500 m zu Fuß zu bewältigen und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Für eine Wegstrecke von 500 m benötige er derzeit mehr als 20 Minuten. Die Leistungsfähigkeit des Klägers habe sich im Verlaufe des Verfahrens wesentlich verschlechtert, und zwar spätestens seit seiner linksseitigen Hüftoperation am 08.03.2012.
In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16.01.2013 hat der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Suchtmedizin Dr. N. ausgeführt, bei einer "chronischen Dysthymie" handle es sich um einen chronifizierten leichtgradigen depressiven Verstimmungszustand, der nach dem ICD-10 nicht das Ausmaß einer wenigstens leichten depressiven Episode habe. Dementsprechend führe der psychopathologische Befund des Gutachtens außer der affektiven Verstimmung und einer angespannten Psychomotorik einen Normalbefund auf. Die leistungsrelevanten kognitiven Funktionen würden als unbeeinträchtigt beschrieben. Eine sozialmedizinisch relevante qualitative Leistungseinschränkung könne damit nicht begründet werden. Das Stottern habe keine Leistungsrelevanz. Bezüglich der diagnostizierten Alkohol- und Nikotinabhängigkeit wäre aus sozialmedizinischer Sicht eine Alkoholkarenz, gegebenenfalls eine stationäre Entgiftung und die Einleitung einer Sucht-Rehabilitation, zu fordern. Über die Validität der gestellten Diagnose bestünden allerdings Zweifel, da die üblichen suchtmedizinischen Begutachtungsstandards nicht eingehalten worden seien (keine Laborwertkontrolle, keine testpsychologische Quantifizierung und nachvollziehbare Diagnostik der Abhängigkeit, keine Bestimmung des Alkoholspiegels). Durch den psychopathologischen Normalbefund sei eine quantitative Leistungseinschränkung jedenfalls nicht belegt. Bezüglich der Hüftgelenke seien im Vergleich zum Reha-Entlassungsbericht der Rosentrittklinik keine abweichenden Befunde dokumentiert, die eine Verschlechterung des Krankheitsbildes belegen würden. Bezüglich der Hals- und Lendenwirbelsäule werde auf die sozialmedizinischen Stellungnahmen im SG-Verfahren verwiesen. Eine Verschlechterung des Befundes werde nicht dokumentiert. Zusammenfassend müsse festgestellt werden, dass das Gutachten von Professor Dr. B. keine neuen Anknüpfungstatsachen ausweise, die eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens begründen könnten.
Hierzu hat Professor Dr. B. unter dem 03.04.2013 nochmals Stellung genommen und Dr. N. unter dem 13.05.2013.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Darüber hinaus ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Oktober 2011, § 43 SGB VI Rn. 58 und 30 ff.).
Der Kläger ist, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats nicht voll erwerbsgemindert.
Eine Erwerbsminderung des Klägers, das heißt ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere des Gutachtens des Orthopäden Dr. R. vom 10.12.2009 und des Entlassungsberichts der Rosentrittklinik vom 11.04.2012 sowie den beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 18.02.2010, Dr. H. vom 16.12.2010, 09.03.2012 und 04.05.2012 sowie von Dr. N. vom 16.01.2013 und 13.05.2013, die als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertet werden.
Beim Kläger liegen vor allem Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet vor. Hierbei handelt es sich zunächst um ein chronisches HWS-Syndrom bei Bandscheibenschaden C5/6, der operativ dekomprimiert wurde, und eine Bandscheibendegeneration C6/7, derzeit ohne Bewegungseinschränkung, ohne muskuläre lokale Reizzustände und ohne objektivierbare neurologische Ausfallserscheinungen, einen Bandscheibenschaden L5/S1 bei Rezidivbandscheibenvorfall und dreimaliger Operation, letztmalig 2006, sowie einen Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 mit belastungsabhängiger ischialgieformer Schmerz- und Reizsymptomatik rechts ohne objektivierbare neurologische Ausfallserscheinungen sowie eine angedeutete linkskonvexe Thorakalseit-verbiegung ohne Funktionseinschränkung. Diese Gesundheitsstörungen führen lediglich zu qualitativen Leistungseinschränkungen, hindern den Kläger jedoch nicht daran, körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid ausgeführt hat. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung an und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Ergänzend ist auszuführen, dass es nach Erlass des Gerichtsbescheids vom 05.09.2011 insofern zu einer Änderung im Gesundheitszustand des Klägers gekommen ist, als zunächst am 08.03.2012 eine Hüft-TEP links und am 12.07.2012 eine Hüft-TEP rechts implantiert worden ist. Aus dem Entlassungsbericht der Rosentrittklinik vom 11.04.2012 ist zu entnehmen, dass der intra- und postoperative Verlauf nach Implantation der Hüft-TEP links komplikationslos war. Die Ärzte der Rosentrittklinik gelangen für den Senat nachvollziehbar zum Ergebnis, dass der Kläger körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Heben und Tragen von Lasten über 15 kg (bzw. über 10 kg mit ausgestrecktem Arm), ohne Zwangshaltungen, ohne Bücken und ohne Knien, ohne Klettern und Steigen sowie ohne Stoß- und Erschütterungsbelastungen täglich sechs Stunden und mehr verrichten kann. Anhaltspunkte dafür, dass der postoperative Verlauf nach der Hüft-TEP rechts anders war, sind nicht vorhanden und wurden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Vielmehr hat der Kläger gegenüber Professor Dr. B. (Untersuchung vom 13.11.2012) angegeben, Hauptgrund für seine Arbeitsunfähigkeit sei seine LWS in Höhe L4/5.
Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass die von Professor Dr. B. auf seinem Fachgebiet zusätzlich diagnostizierten Gesundheitsstörungen (chronische Dysthymie, Stottern, Nikotin- und Alkoholabhängigkeit) zu einer quantitativen Leistungseinschränkung beim Kläger führen.
Eine schwere depressive Erkrankung liegt beim Kläger nicht vor. Vielmehr hat Professor Dr. B. eine Dysthymie diagnostiziert. Hierbei handelt es sich nach ICD-10 F34.1 um eine chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung (F33.-) zu erfüllen. So beschreibt Professor Dr. B. im psychopathologischen Befund lediglich eine Einengung der Affektivität, eine niedergedrückte und besorgte Grundstimmung sowie eine angespannte Psychomotorik. Ansonsten dokumentiert er jedoch einen Normalbefund beim Kläger, nämlich eine klare Bewusstseinslage, keine Störungen der Orientierung, der Wahrnehmung, des Gedankengangs, des Gedankeninhalts, keine Ich-Störungen sowie ein unauffälliges Auffassungsvermögen und unbeein-trächtigte Gedächtnisleistungen sowohl hinsichtlich des Kurzzeit- als auch des Langzeitgedächtnisses und eine unbeeinträchtigte Merkfähigkeit. Hieraus vermag der Senat – ebenso wie Dr. N. in der Stellungnahme vom 16.01.2013 – keine sozialmedizinisch relevante Leistungseinschränkung abzuleiten. Eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Stottern, das beim Kläger seit dem fünften Lebensjahr besteht und den Kläger bis 2005 nicht daran gehindert hat, erwerbstätig zu sein. Die beim Kläger vorliegende Nikotin- und Alkoholabhängigkeit hat bisher noch zu keinen schwerwiegenden neurologischen Folgeerkrankungen geführt und belegt angesichts des psychopathologischen Normalbefundes keine quantitative Leistungseinschränkung, sondern erfordert aus sozialmedizinischer Sicht Alkoholkarenz und gegebenenfalls eine stationäre Entgiftung und eine anschließende Suchtbehandlung (Rehabilitation).
Angesichts des oben beschriebenen Befundes auf psychiatrischem Gebiet überzeugt die Leistungsbeurteilung von Professor Dr. B. den Senat nicht. Gegen eine gravierende Einschränkung durch die Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet, insbesondere durch die Dysthymie, spricht auch, dass sich der Kläger nicht in fachärztlicher Behandlung befindet. So werden weder ambulante noch stationäre psychiatrische Behandlungen und auch keine psychotherapeutische Maßnahme durchgeführt. Auch nimmt der Kläger keine Antidepressiva ein. Darüber hinaus ist von den Ärzten der Rosentrittklinik, die den Kläger über mehrere Wochen beobachten konnten, das psychische Befinden des Klägers als stabil beschrieben und eine weitere psychologische Betreuung nicht für notwendig erachtet worden.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung liegt beim Kläger nicht vor. Vielmehr war und ist er in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von über 500 m zurückzulegen und zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zu benutzen, wie der Senat dem Gutachten von Dr. R. und dem Entlassungsbericht der Rosentrittklinik entnimmt. Darüber hinaus ist der Kläger (wieder) im Besitz eines Führerscheins und verfügt über einen Pkw, mit dem er auch fährt, wie den Gutachten von Dr. R. und Professor Dr. B. zu entnehmen ist. Angesichts des bei ihm vorliegenden psychopathologischen Normalbefundes ist er auch in der Lage, sich auf die Anforderungen einzustellen, die mit der Aufnahme einer neuen Tätigkeit verbunden sind.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit steht dem Kläger nicht zu, wie das SG zu Recht ausgeführt hat. Hierauf wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1960 geborene Kläger kam 1967 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland. Er hat keinen Beruf erlernt und war seit 1977 mit Unterbrechungen als Hilfsarbeiter, Kellner, Lagerist, Staplerfahrer und Maschinist beschäftigt. Von 1998 bis 2005 war er selbstständig tätig, wobei er zwei Gaststätten betrieb. Ab Januar 2005 bezog er Arbeitslosengeld II, wobei er vom 01.06.2007 bis 15.09.2008 eine versicherungsfreie Tätigkeit ausübte.
Im Oktober 2005 und September 2006 wurde beim Kläger ein Bandscheibenvorfall im Bereich LWK 5/S1 rechts operativ behandelt. Aus dem anschließenden Heilverfahren vom 05.10.2006 bis 24.10.2006 wurde der Kläger ohne ärztliches Einverständnis vorzeitig und arbeitsunfähig entlassen. Das Leistungsvermögen des Klägers wurde für die Tätigkeit als selbstständiger Gastronom auf unter drei Stunden täglich und für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Heben und Tragen von Lasten, ohne Zwangshaltungen und ohne häufiges Bücken auf sechs Stunden und mehr eingeschätzt.
Im November 2006 fand eine weitere operative Revision des Bandscheibenvorfalls statt. Vom 19.12.2006 bis 09.01.2007 wurde ein weiteres Heilverfahren durchgeführt. Die dortigen Ärzte schätzten das Leistungsvermögen des Klägers für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sowie für die Tätigkeit als Gastronom auf täglich sechs Stunden und mehr ein.
Am 17.07.2009 beantragte der Kläger, bei dem seit dem 01.06.2006 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und seit 26.10.2009 von 60 festgestellt ist, die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen, u.a. das Gutachten des Arztes der Agentur für Arbeit Dr. W. vom 16.05.2007 (vollschichtiges Leistungsvermögen für gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen), bei und ließ den Kläger gutachterlich untersuchen.
Der Orthopäde Dr. R. stellte beim Kläger im Gutachten vom 10.12.2009 folgende Diagnosen: • Chronifiziertes Halswirbelsäulensyndrom (HWS-Syndrom) bei Bandscheibenschaden C5/6 operativ dekomprimiert und Schaden C6/7, derzeit mit Bewegungseinschränkung und muskulären lokalen Reizzuständen ohne objektivierbare neurologische Ausfallserscheinungen • Bandscheibenschaden L5/S1 bei Rezidiv-Bandscheibenvorfall und dreimaliger Operation, letztmalig 2006 sowie Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 mit belastungsabhängiger ischialgieformer Schmerz- und Reizsymptomatik rechts, derzeit ohne objektivierbare neurologische Ausfallserscheinungen • Angedeutete linkskonvexe Thorakalseitverbiegung ohne Funktionseinschränkung der Beweglichkeit und belastungsabhängiger Schmerz- und Reizsymptomatik. Er gelangte zum Ergebnis, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit des Gaststättenbetreibers sei ausgehend von reinen Verwaltungstätigkeiten vollschichtig, das heißt täglich sechs Stunden und mehr, zumutbar. Bei mitarbeitender Tätigkeit bestünden qualitative Funktionseinschränkungen, so dass das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden täglich herabgesunken sei. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten leichte körperliche Tätigkeiten ohne wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne häufiges Bücken, ohne Tätigkeiten in Rumpfvorneige täglich sechs Stunden und mehr verrichtet werden. Tätigkeiten, die eine erhöhte Gang- und Standsicherheit erfordern, sowie Tätigkeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten seien nicht mehr zumutbar. Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit liege nicht vor; betriebsunübliche Pausen müssten nicht gewährt werden.
Mit Bescheid vom 11.01.2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Hiergegen legte der Kläger am 19.01.2010 Widerspruch ein und verwies darauf, dass er ein weiteres Mal an der Wirbelsäule operiert werden müsse. Die Beklagte zog den Arztbrief der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Kreiskrankenhauses Buchen über die dynamische Stabilisierung im Bereich L5/S1 sowie die mikrochirurgische Dekompression der L5-Wurzel rechts bei und wies den Widerspruch nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme bei Dr. Graf vom 18.02.2010 mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2010 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 11.05.2010 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, mit der er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgt hat.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.
Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. M. hat unter dem 02.08.2010 erklärt, er habe den Kläger von 1993 bis 1998 sowie seit 2006 behandelt. Aufgrund der Schmerzen, der schmerzbedingten Schlafstörungen sowie der reaktiven Depression und der Einnahme von starken Schmerzmitteln halte er den Kläger nicht mehr für in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Dr. R. Arzt für Neurochirurgie am Kreiskrankenhaus Buchen, hat bei seiner Zeugenvernehmung vor dem SG am 11.11.2010 Befundberichte überreicht und erklärt, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne der Kläger noch verrichten. Er habe jedoch Zweifel, ob er dies sechs Stunden täglich könne.
Dr. H. hat in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16.12.2010 ausgeführt, die zu würdigenden Gesundheitsirritationen seien ausführlich dargestellt. Tätigkeiten ohne körperliche Zwangshaltung sowie ohne mittelschwere körperliche Dauerbelastung und ohne Gefahren könne der Kläger täglich mindestens sechs Stunden verrichten.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.09.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vom Gutachter Dr. R. genannten Diagnosen rechtfertigten keine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens des Klägers. Die Einschätzung des Zeugen Dr. M. habe das SG nicht zu überzeugen vermocht. Die beim Kläger vorliegende Schmerzmedikation und auch die Schmerztherapie seien vom Gutachter Dr. R. in seiner Beurteilung berücksichtigt worden. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da er sich auf sämtliche ungelernte Tätigkeiten verweisen lassen müsse.
Gegen den am 09.09.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 05.10.2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG hätte sich nicht ausschließlich auf das Verwaltungsgutachten stützen dürfen, sondern hätte ein weiteres neurochirurgisches Gutachten einholen müssen. Der Kläger hat einen Befundbericht über eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Hüftgelenks links vom 08.12.2011 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 5. September 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01. Juli 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Vom 20.03.2012 bis 06.04.2012 hat der Kläger ein Heilverfahren in der Rosentrittklinik absolviert. Die dortigen Ärzte haben im Entlassungsbericht vom 11.04.2012 folgende Diagnosen genannt: • Hüftkopfnekrose, links ) rechts • Zementfreie Hüft-Totalendoprothese (Hüft-TEP) links am 08.03.2012 • Degeneratives Wirbelsäulen-Syndrom (OLE C5/6 09/09; Nucleotomie L5/S1, Spondylodese L5/S1 01/10). Sie führten aus, leichte Tätigkeiten in wechselnder bzw. überwiegend sitzender Körperhaltung mit Heben und Tragen von Lasten bis 15 kg, ohne Zwangshaltungen, ohne Bücken, ohne Stoß- und Erschütterungsbelastungen, ohne Klettern und Steigen und ohne kniende Tätigkeiten könne der Kläger mindestens täglich sechs Stunden und mehr verrichten. Die Tätigkeit als Hausmann sei ebenfalls täglich sechs Stunden und mehr möglich.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Gutachten bei Professor Dr. B., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, eingeholt. Dieser hat im Gutachten vom 28.11.2012 folgende Diagnosen gestellt: • Zustand nach mehrfachen operativen Eingriffen in den Bereichen der Hals- und Lendenwirbelsäule wegen fortgeschrittener degenerativer Veränderungen • Einbringung einer Hüft-TEP beidseits bei Zustand nach Hüftkopfnekrose beidseits • Chronische Dysthymie • Stottern • Nikotin- und Alkoholabhängigkeit. Er gelangte zum Ergebnis, der Kläger sei nicht mehr in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit von weniger als drei Stunden täglich nachzugehen. Der Kläger sei auch nur bedingt in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von jeweils mehr als 500 m zu Fuß zu bewältigen und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Für eine Wegstrecke von 500 m benötige er derzeit mehr als 20 Minuten. Die Leistungsfähigkeit des Klägers habe sich im Verlaufe des Verfahrens wesentlich verschlechtert, und zwar spätestens seit seiner linksseitigen Hüftoperation am 08.03.2012.
In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16.01.2013 hat der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Suchtmedizin Dr. N. ausgeführt, bei einer "chronischen Dysthymie" handle es sich um einen chronifizierten leichtgradigen depressiven Verstimmungszustand, der nach dem ICD-10 nicht das Ausmaß einer wenigstens leichten depressiven Episode habe. Dementsprechend führe der psychopathologische Befund des Gutachtens außer der affektiven Verstimmung und einer angespannten Psychomotorik einen Normalbefund auf. Die leistungsrelevanten kognitiven Funktionen würden als unbeeinträchtigt beschrieben. Eine sozialmedizinisch relevante qualitative Leistungseinschränkung könne damit nicht begründet werden. Das Stottern habe keine Leistungsrelevanz. Bezüglich der diagnostizierten Alkohol- und Nikotinabhängigkeit wäre aus sozialmedizinischer Sicht eine Alkoholkarenz, gegebenenfalls eine stationäre Entgiftung und die Einleitung einer Sucht-Rehabilitation, zu fordern. Über die Validität der gestellten Diagnose bestünden allerdings Zweifel, da die üblichen suchtmedizinischen Begutachtungsstandards nicht eingehalten worden seien (keine Laborwertkontrolle, keine testpsychologische Quantifizierung und nachvollziehbare Diagnostik der Abhängigkeit, keine Bestimmung des Alkoholspiegels). Durch den psychopathologischen Normalbefund sei eine quantitative Leistungseinschränkung jedenfalls nicht belegt. Bezüglich der Hüftgelenke seien im Vergleich zum Reha-Entlassungsbericht der Rosentrittklinik keine abweichenden Befunde dokumentiert, die eine Verschlechterung des Krankheitsbildes belegen würden. Bezüglich der Hals- und Lendenwirbelsäule werde auf die sozialmedizinischen Stellungnahmen im SG-Verfahren verwiesen. Eine Verschlechterung des Befundes werde nicht dokumentiert. Zusammenfassend müsse festgestellt werden, dass das Gutachten von Professor Dr. B. keine neuen Anknüpfungstatsachen ausweise, die eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens begründen könnten.
Hierzu hat Professor Dr. B. unter dem 03.04.2013 nochmals Stellung genommen und Dr. N. unter dem 13.05.2013.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Darüber hinaus ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Oktober 2011, § 43 SGB VI Rn. 58 und 30 ff.).
Der Kläger ist, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats nicht voll erwerbsgemindert.
Eine Erwerbsminderung des Klägers, das heißt ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere des Gutachtens des Orthopäden Dr. R. vom 10.12.2009 und des Entlassungsberichts der Rosentrittklinik vom 11.04.2012 sowie den beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 18.02.2010, Dr. H. vom 16.12.2010, 09.03.2012 und 04.05.2012 sowie von Dr. N. vom 16.01.2013 und 13.05.2013, die als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertet werden.
Beim Kläger liegen vor allem Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet vor. Hierbei handelt es sich zunächst um ein chronisches HWS-Syndrom bei Bandscheibenschaden C5/6, der operativ dekomprimiert wurde, und eine Bandscheibendegeneration C6/7, derzeit ohne Bewegungseinschränkung, ohne muskuläre lokale Reizzustände und ohne objektivierbare neurologische Ausfallserscheinungen, einen Bandscheibenschaden L5/S1 bei Rezidivbandscheibenvorfall und dreimaliger Operation, letztmalig 2006, sowie einen Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 mit belastungsabhängiger ischialgieformer Schmerz- und Reizsymptomatik rechts ohne objektivierbare neurologische Ausfallserscheinungen sowie eine angedeutete linkskonvexe Thorakalseit-verbiegung ohne Funktionseinschränkung. Diese Gesundheitsstörungen führen lediglich zu qualitativen Leistungseinschränkungen, hindern den Kläger jedoch nicht daran, körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid ausgeführt hat. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung an und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Ergänzend ist auszuführen, dass es nach Erlass des Gerichtsbescheids vom 05.09.2011 insofern zu einer Änderung im Gesundheitszustand des Klägers gekommen ist, als zunächst am 08.03.2012 eine Hüft-TEP links und am 12.07.2012 eine Hüft-TEP rechts implantiert worden ist. Aus dem Entlassungsbericht der Rosentrittklinik vom 11.04.2012 ist zu entnehmen, dass der intra- und postoperative Verlauf nach Implantation der Hüft-TEP links komplikationslos war. Die Ärzte der Rosentrittklinik gelangen für den Senat nachvollziehbar zum Ergebnis, dass der Kläger körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Heben und Tragen von Lasten über 15 kg (bzw. über 10 kg mit ausgestrecktem Arm), ohne Zwangshaltungen, ohne Bücken und ohne Knien, ohne Klettern und Steigen sowie ohne Stoß- und Erschütterungsbelastungen täglich sechs Stunden und mehr verrichten kann. Anhaltspunkte dafür, dass der postoperative Verlauf nach der Hüft-TEP rechts anders war, sind nicht vorhanden und wurden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Vielmehr hat der Kläger gegenüber Professor Dr. B. (Untersuchung vom 13.11.2012) angegeben, Hauptgrund für seine Arbeitsunfähigkeit sei seine LWS in Höhe L4/5.
Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass die von Professor Dr. B. auf seinem Fachgebiet zusätzlich diagnostizierten Gesundheitsstörungen (chronische Dysthymie, Stottern, Nikotin- und Alkoholabhängigkeit) zu einer quantitativen Leistungseinschränkung beim Kläger führen.
Eine schwere depressive Erkrankung liegt beim Kläger nicht vor. Vielmehr hat Professor Dr. B. eine Dysthymie diagnostiziert. Hierbei handelt es sich nach ICD-10 F34.1 um eine chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung (F33.-) zu erfüllen. So beschreibt Professor Dr. B. im psychopathologischen Befund lediglich eine Einengung der Affektivität, eine niedergedrückte und besorgte Grundstimmung sowie eine angespannte Psychomotorik. Ansonsten dokumentiert er jedoch einen Normalbefund beim Kläger, nämlich eine klare Bewusstseinslage, keine Störungen der Orientierung, der Wahrnehmung, des Gedankengangs, des Gedankeninhalts, keine Ich-Störungen sowie ein unauffälliges Auffassungsvermögen und unbeein-trächtigte Gedächtnisleistungen sowohl hinsichtlich des Kurzzeit- als auch des Langzeitgedächtnisses und eine unbeeinträchtigte Merkfähigkeit. Hieraus vermag der Senat – ebenso wie Dr. N. in der Stellungnahme vom 16.01.2013 – keine sozialmedizinisch relevante Leistungseinschränkung abzuleiten. Eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Stottern, das beim Kläger seit dem fünften Lebensjahr besteht und den Kläger bis 2005 nicht daran gehindert hat, erwerbstätig zu sein. Die beim Kläger vorliegende Nikotin- und Alkoholabhängigkeit hat bisher noch zu keinen schwerwiegenden neurologischen Folgeerkrankungen geführt und belegt angesichts des psychopathologischen Normalbefundes keine quantitative Leistungseinschränkung, sondern erfordert aus sozialmedizinischer Sicht Alkoholkarenz und gegebenenfalls eine stationäre Entgiftung und eine anschließende Suchtbehandlung (Rehabilitation).
Angesichts des oben beschriebenen Befundes auf psychiatrischem Gebiet überzeugt die Leistungsbeurteilung von Professor Dr. B. den Senat nicht. Gegen eine gravierende Einschränkung durch die Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet, insbesondere durch die Dysthymie, spricht auch, dass sich der Kläger nicht in fachärztlicher Behandlung befindet. So werden weder ambulante noch stationäre psychiatrische Behandlungen und auch keine psychotherapeutische Maßnahme durchgeführt. Auch nimmt der Kläger keine Antidepressiva ein. Darüber hinaus ist von den Ärzten der Rosentrittklinik, die den Kläger über mehrere Wochen beobachten konnten, das psychische Befinden des Klägers als stabil beschrieben und eine weitere psychologische Betreuung nicht für notwendig erachtet worden.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung liegt beim Kläger nicht vor. Vielmehr war und ist er in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von über 500 m zurückzulegen und zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zu benutzen, wie der Senat dem Gutachten von Dr. R. und dem Entlassungsbericht der Rosentrittklinik entnimmt. Darüber hinaus ist der Kläger (wieder) im Besitz eines Führerscheins und verfügt über einen Pkw, mit dem er auch fährt, wie den Gutachten von Dr. R. und Professor Dr. B. zu entnehmen ist. Angesichts des bei ihm vorliegenden psychopathologischen Normalbefundes ist er auch in der Lage, sich auf die Anforderungen einzustellen, die mit der Aufnahme einer neuen Tätigkeit verbunden sind.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit steht dem Kläger nicht zu, wie das SG zu Recht ausgeführt hat. Hierauf wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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