L 10 R 1302/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2872/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1302/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 07.02.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Neuberechnung seiner Rentenansprüche wegen Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung unter Beachtung der internationalen Menschenrechte.

Der im April 1941 geborene Kläger - Dipl.rer.pol. und Heilpraktiker - bezieht von der Beklagten seit 01.05.2006 Regelaltersrente (Bescheid vom 12.06.2006, Bl. 43 ff. VA). In die Rentenberechnung flossen auch Pflichtbeiträge für Kindererziehung für seine sieben Kinder ein, darunter jeweils ein Jahr für die sechs bis 1991 geborenen Kinder und für die Zeit vom 01.06.1994 bis 31.03.1997 für die im März 1994 geborene Tochter (für die Zeit vom 01.04. bis 31.05.1994 lag keine übereinstimmende Erklärung vor, Bl. 9 VA). Hinsichtlich der einzelnen Zeiträume der Kindererziehungszeiten wird auf die Anlage 3 Seite 2 bis 4 zum Bescheid vom 12.06.2006 Bezug genommen.

Im Mai 2012 (Eingangsdatum, Bl. 73 VA) teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er sich altersdiskriminiert fühle, wenn Mütter, deren Kinder nach 1991 geboren wurden, eine höhere Rente erhalten und er forderte einen klagefähigen Bescheid. Mit Bescheid vom 25.05.2012 und Widerspruchsbescheid vom 22.08.2012 lehnte die Beklagte eine Rücknahme des Rentenbescheides vom 12.06.2006 nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ab. Die unterschiedliche Behandlung von Erziehungsleistungen im Rahmen einer Stichtagsregelung (für vor 1992 geborene Kinder nur ein Jahr Kindererziehungszeiten, für danach geborene Kinder drei Jahre) sei verfassungsgemäß.

In seiner hiergegen am 04.09.2012 zum Sozialgericht Ulm erhobenen Klage hat der Kläger - wie bereits im Widerspruch - eine Verletzung seiner Menschenrechte geltend gemacht. Unbestritten sei, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Regelung als verfassungsgemäß beurteilt habe. Gleichwohl verstoße sie gegen das Verbot der Diskriminierung und stelle eine klare Verletzung der Menschenrechte dar.

Mit Urteil vom 07.02.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat einen sinngemäßen Antrag des Klägers auf Verpflichtung der Beklagten zur teilweisen Rücknahme des Bescheides vom 12.06.2006 und Gewährung höherer Altersrente unter zusätzlicher Berücksichtigung von jeweils weiteren 24 Kalendermonaten Kindererziehungszeiten für die vor 1992 geborenen Kinder angenommen und ausgeführt, abweichend von § 56 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bestimme § 249 Abs. 1 SGB VI, dass die Kindererziehungszeit für ein vor dem 01.01.1992 geborenes Kind zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt ende. Dies sei verfassungsrechtlich unbedenklich (Hinweis u.a. auf den Beschluss des BVerfG vom 29.03.1996, 1 BvR 1238/95). Vor diesem Hintergrund sei auch ein Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention nicht ersichtlich.

Gegen das ihm am 28.02.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.03.2013 Berufung eingelegt. Er rügt, das Sozialgericht habe seinen Klageantrag verdreht. Es gehe ihm nur um die Verletzung seiner internationalen Menschenrechte und der sinngemäß vom Sozialgericht zu Grunde gelegte Antrag stelle eine vorsätzliche Verweigerung des rechtlichen Gehörs dar.

Der Kläger beantragt (Berufungsschrift vom 20.03.2013),

das Urteil wird dahingehend abgeändert, dass dem Kläger wegen Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung gemäß seinem Antrag vom 01.09.2012 die Rentenansprüche unter Beachtung der internationalen Menschenrechte neu berechnet werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zu einem Termin zur Erörterung des Sachverhaltes wegen der fraglichen Zulässigkeit des gestellten Antrages ist der Kläger nicht erschienen. Auf schriftliche Hinweise hat er ausgeführt, das Sozialgericht habe bereits die Zulässigkeit der Klage bejaht.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Denn der vom Kläger gestellte Antrag ist bereits unzulässig. Für eine solche Klage fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis. Ein derartiger Mangel des Verfahrens ist in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu prüfen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, Vor § 51 Rdnrn. 13, 20). Der Kläger kann daher aus dem Umstand, dass das Sozialgericht die Zulässigkeit der - nach dem Vortrag des Klägers aber unzutreffend ausgelegten - Klage bejaht hat, nichts herleiten.

Die Beklagte entschied auf den Antrag des Klägers vom Mai 2012 (" ... dass mir eine Gleichstellung meines Rentenanspruches mit jungen Eltern zuteil und meine Rente daher entsprechend erhöht wird ...", Bl. 73 VA) im Rahmen des § 44 SGB X über ein Begehren des Klägers auf höhere Rente unter Zugrundelegung von insgesamt drei Jahren Kindererziehungszeiten auch für die vor 1992 geborenen Kinder, lehnte dies, nämlich eine teilweise Rücknahme des Bescheides vom 12.06.2006 über die Altersrente, insoweit allerdings ab. Hiergegen hätte der Kläger zulässigerweise eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage erheben und so sein Begehren auf höhere Rente weiter verfolgen können. Entsprechend hat das Sozialgericht den sachdienlichen Antrag des Klägers dahingehend formuliert, dass der Bescheid vom 25.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2012 aufgehoben wird und die Beklagte verpflichtet wird, den Bescheid vom 12.06.2006 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger höhere Altersrente unter zusätzlicher Berücksichtigung von jeweils weiteren 24 Kalendermonaten Kindererziehungszeiten für die vor 1992 geborenen Kinder zu gewähren. Alleine dies wäre auch aus Sicht des Senats der sachdienliche Klageantrag, der dem eigentlichen Begehren des Klägers (Beseitigung der von ihm behaupteten Diskriminierung, indem im selben Umfang Kindererziehungszeiten für die vor 1992 geborenen Kinder, wie sie für die nach 1991 geborenen Kinder der Rentenberechnung zu Grunde gelegt werden, mit der Folge höherer Rente) Rechnung tragen würde. Indessen hat der Kläger eine solche Fassung seines Klagebegehrens durch das Sozialgericht ausdrücklich als fehlerhaft gerügt und er möchte alleine eine Entscheidung über den von ihm in der Berufungsschrift vom 20.03.2013 formulierten Antrag, der - so der Kläger - vom Sozialgericht verdreht worden sei. Hiervon ist er auch nach versuchter Erörterung des Sachverhalts und trotz entsprechender Hinweise (s. insbesondere die Niederschrift über den Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 06.06.2013) nicht abgewichen. Dem entsprechend ist nicht über den aus Sicht des Senats prozessual sachdienlichen Antrag zu befinden, sondern alleine über den vom Kläger tatsächlich und nach seinem Vorbringen sinngemäß auch bereits in erster Instanz gestellten Antrag.

Stellt aber der Kläger den einzig sachdienlichen Antrag entgegen der rechtlichen Hinweise des Senats nicht und beharrt er dem gegenüber auf einem Antrag, der der von ihm behaupteten materiell-rechtlichen Position (Verstoß der Begrenzung von Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder auf ein Jahr gegen ein Diskriminierungsverbot) gerade nicht Rechnung trägt, folgt schon hieraus die Unzulässigkeit des Begehrens. Für ein derartiges Begehren fehlt - weil der Kläger sein Ziel einer gleichen Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten unabhängig vom Geburtsdatum mit der Folge höherer Rente (wäre es begründet) unmittelbar mit dem beschriebenen sachdienlichen Antrag erreichen könnte - das Rechtsschutzbedürfnis.

Der Kläger begehrt - wie oben dargelegt - von dem von ihm verklagten Rentenversicherungsträger eine Neuberechnung seiner Rentenansprüche unter Beachtung der internationalen Menschenrechte, weil er den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt sieht. Über einen derartigen Antrag liegt indessen bislang keine Entscheidung der Beklagten vor. Die Beklagte entschied vielmehr über die Frage einer Rücknahme des Rentenbescheides nach § 44 SGB X und höhere Rente unter Zugrundelegung weiterer Kindererziehungszeiten, also über einen Anspruch entsprechend dem vom Sozialgericht angenommenen Antrag, den der Kläger aber ausdrücklich nicht verfolgt. Auch deshalb erweist sich die Klage als unzulässig. Denn die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit können grundsätzlich erst nach Durchlaufen eines Verwaltungsverfahrens und Erlass einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung, die ihr Begehren ablehnt, angerufen werden (Keller, a.a.O., § 54 Rdnr. 20 zur Verpflichtungsklage, Rdnr. 39b zur Leistungsklage; BSG, Urteil vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R, Rdnr. 17). Andernfalls fehlt für die Inanspruchnahme des Gerichts ein Rechtschutzbedürfnis.

Ist die Klage somit bereits unzulässig, bedarf es keiner ausführlichen Ausführungen zu der vom Kläger aufgeworfenen Frage einer Vereinbarkeit der hier in Rede stehenden Regelungen mit höherrangigem Recht. Entsprechend weist der Senat nur in aller Kürze darauf hin, dass die unterschiedliche Behandlung von Kindern, die nach 1991 geboren wurden (Pflichtbeiträge für drei Jahre, § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), gegenüber Kindern, die vor 1992 geboren wurden (Begrenzung der Kindererziehungszeiten nach § 249 Abs. 1 SGB VI auf zwölf Monate), mit höherrangigem Recht in Einklag steht. Das BVerfG hat eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung insoweit verneint (Beschluss vom 29.03.1996, 1 BvR 2038/95 und Beschluss vom 21.10.2004, 1 BvR 1596/01 in SozR 4-5761 Allg. Nr. 1). Soweit der Kläger eine Verletzung seiner internationalen Menschenrechte rügt, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. So enthält Artikel 14 der Europäischen Menschenrechts-Konvention zwar ein Diskriminierungsverbot. Indessen stellt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil der Großen Kammer vom 13.11.2007, 57325/00) nur eine unterschiedliche Behandlung von Personen in wesentlich gleicher Lage ohne sachliche und vernünftige Rechtfertigung eine Diskriminierung im Sinne von Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Wie bei Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz gilt auch hier, dass dem Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet werden muss, eine derartig komplexe Reform wie die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Altersversorgung in mehreren Stufen zu verwirklichen, um so der Frage der Machbarkeit, insbesondere Finanzierbarkeit Rechnung zu tragen. Schließlich kann sich der Kläger auch nicht auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union berufen. Dort ist zwar in Artikel 20 geregelt, dass alle Personen vor dem Gesetz gleich sind. Indessen gilt diese Charta nach Artikel 51 ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Recht der Europäischen Union wird im vorliegenden Fall aber nicht durchgeführt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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