L 8 SB 2171/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 281/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2171/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21. April 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB XI) streitig.

Mit Bescheid vom 31.03.2003 stellte das Versorgungsamt H. (VA) bei der 1945 geborenen Klägerin unter Berücksichtigung einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, einer Fingerpolyarthrose, Funktionsbehinderung des rechten Handgelenks, einer Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform, Krampfadern und eines Bluthochdrucks einen GdB von 30 seit 04.02.2003 fest. Ferner wurde eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des Einkommensteuerrechts festgestellt.

Den von der Klägerin am 20.07.2004 gestellten Antrag auf Erhöhung des GdB lehnte das VA mit Bescheid vom 03.11.2004 (Widerspruchsbescheid vom 15.02.2005) mangels wesentlicher Verschlimmerung ihrer Funktionsstörungen ab.

Am 03.07.2006 stellte die Klägerin einen weiteren Erhöhungsantrag und verwies zur Begründung auf inzwischen zusätzlich aufgetretene Gesundheitsstörungen (Schilddrüsenüberfunktion, Rheuma). Das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis (LRA) holte von dem Orthopäden Dr. W. (kein Hinweis auf eine entzündliche rheumatische Gelenkerkrankung), der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. E., die weitere ärztliche Unterlagen, insbesondere den Untersuchungsbericht des Endokrinologen Prof. Dr. R. vom 19.09.2005 (Diagnosen: Struma nodosa I bis IV, Euthyreose) und der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie H. vom 13.06.2006, vorlegte, jeweils Befundberichte ein. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hierzu, in der zwar eine Mittelnervendruckschädigung rechts (Carpaltunnelsyndrom) als zusätzliche Funktionsstörung vorgeschlagen, aber weiterhin insgesamt ein GdB von 30 angenommen wurde, lehnte das LRA mit Bescheid vom 19.09.2006 den Antrag auf Neufeststellung ab. Eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes der Klägerin und der damit einhergehenden Funktionsbeeinträchtigungen sei nicht eingetreten.

Dagegen legte die Klägerin am 20.10.2006 Widerspruch ein und machte einen höheren GdB als 30 geltend. Ein GdB von lediglich 30 trage ihren tatsächlichen Funktionsbeeinträchtigungen nicht angemessen Rechnung. Sie leide nicht nur an einem arteriellen Bluthochdruck, sondern auch an einer dauerhaften postmenopausalen Blutung. Hierzu legte sie den Bericht des Krankenhauses S. in H. vom 12.08.2006 über ihre stationäre Behandlung vom 31.07.2006 bis 12.08.2006 (mit Gebärmutterentfernung) vor. Nachdem der hierzu sich äußernde Versorgungsarzt keine neuen, eine Änderung rechtfertigende Gesichtspunkte sah (die Gebärmutterentfernung - keine Malignität - begründe keine Behinderung mit einem GdB von mindestens 10), wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2007 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Verhältnisse, die dem Bescheid vom 31.03.2003 zugrunde lagen, hätten sich nicht wesentlich geändert. Die vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 30 weiterhin sachgerecht bewertet.

Am 19.01.2007 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG), mit der sie einen GdB von 50 geltend machte. Zur Begründung brachte sie vor, die von der Beklagten berücksichtigten Funktionsstörungen seien zu niedrig bewertet. Sowohl die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule als auch die Behinderung im Bereich des rechten Handgelenks bedingten einen höheren GdB. Dies gelte auch für den bei ihr nach den aktenkundigen Blutdruckwerten vorliegenden Bluthochdruck in mittelschwerer Form, für die die "Anhaltspunkte" einen GdB von 30 vorsähen. Hinzu kämen die noch nicht berücksichtigten Funktionsstörungen (chronische Bronchitis, Schilddrüsenerkrankung, Fettstoffwechselstörung, Harnwegsinfekte) sowie insbesondere die bei ihr bestehende koronare Herzkrankheit, die jeweils ebenfalls behindernde Gesundheitsstörungen mit einem GdB von mindestens 10 darstellten. Die Klägerin legte den Bericht des Universitätsklinikums H. vom 21.05.2007 über ihre wegen eines teilthrombosierten Aneurysma spurium erfolgte stationäre Behandlung vom 19.05. bis 20.05.2007 vor.

Das SG hörte zunächst Dr. W. sowie Dr. E. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. W. schilderte den Krankheits- und Behandlungsverlauf seit 30.01.2006 und gab an, seines Erachtens seien die Funktionsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet korrekt bewertet. Zusätzlich liege eine belastungsabhängige Knieschmerzsymptomatik unterschiedlich starker Ausprägung, jedoch ohne anhaltende Reizerscheinungen wie Gelenkergüsse, vor, die mit einem GdB von 10 zu bewerten sei. Insgesamt ändere sich dadurch die Einschätzung des GdB nicht (Aussage vom 05.04.2007). Dr. E. berichtete unter dem 10.04. und 12.07.2007 unter Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen, insbesondere den Bericht des Universitätsklinikums H. vom 10.05.2007 über die stationäre Behandlung der Klägerin an diesem Tag (aktuelle Diagnose: extatische Form der koronaren Herzerkrankung ohne höhergradige Stenosen, gute linksventrikuläre Pumpfunktion) über die Behandlung der Klägerin und gab an, die Funktionsbehinderungen insbesondere des rechten Handgelenks und der Bluthochdruck würden von ihr jeweils mit einem GdB von 30 bewertet, so dass sich aus ihrer Sicht insgesamt ein GdB von 40 bis 50 ergebe. Anschließend holte das SG von dem Internisten Dr. R. das fachärztliche Gutachten vom 21.09.2007 ein. Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 19.09.2007 diagnostizierte der Sachverständige am 19.09.2007 unter Berücksichtigung der Untersuchungsberichte der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie H. vom 23.07.2007 und von Dr. W. vom 07.08.2007 neben einer Adipositas Grad II und den bereits bekannten Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet eine mittelschwere Form des Bluthochdrucks (GdB 20), eine koronare Herzerkrankung, eine Hypercholesterinämie (GdB 0), eine Fettleber (GdB 0), eine chronische venöse Insuffizienz und ein Lipödem (GdB 10), eine Schilddrüsenerkrankung (GdB 0) und ein chronisches Schmerzsyndrom, Anpassungsstörung und depressive Verstimmung (GdB 20). Der Gesamt-GdB betrage seines Erachtens 40.

Daraufhin unterbreitete der Beklagte der Klägerin unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.02.2008 ein Vergleichsangebot (GdB 40 ab 01.07.2007), das die Klägerin nicht annahm. Ein GdB von 50 - so der Beklagte - sei nicht gerechtfertigt, da nebeneinander mehrere leichte Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 vorlägen.

Mit Gerichtsbescheid vom 21.04.2008 änderte das SG den Bescheid vom 19.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2007 ab und stellte einen GdB von 40 seit 01.07.2007 fest. Im Übrigen wies es die Klage ab. Im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten von Dr. R. hielt es einen GdB von 40 für angemessen. Ein GdB von 50 werde durch die Funktionsstörungen der Klägerin nicht bedingt, da keine mit einem GdB von über 20 bewertete Funktionsstörung gegeben und auch die Gesamtbeeinträchtigung der Klägerin nicht so gravierend sei, dass es gerechtfertigt wäre, sie als schwerbehindert anzuerkennen.

Dagegen hat die Klägerin am 07.05.2008 Berufung eingelegt, mit der sie weiterhin einen GdB von 50 geltend macht. Sie trägt vor, entgegen der Beurteilung des Sachverständigen Dr. R., dem das SG gefolgt sei, bedinge ihr Bluthockdruck einen GdB von 30. Bei einem Bluthochdruck mittelschwerer Form sei nach den "Anhaltspunkten" ein GdB von 20 bis 40 anzunehmen. Entscheidend sei danach, ob der diastolische Blutdruckwert trotz Behandlung mehrfach über 100 mmHg liege, was nach den Ergebnissen der von Dr. E. am 25.07.2007 vorgenommenen Langzeitblutdruckmessung und auch bei der Untersuchung durch Dr. R. am 19.09.2007 der Fall gewesen sei. Die von Dr. R. selbst ermittelten diastolischen Werte hätten in keinem einzigen Fall unter 140 gelegen. In den Berichten des Universitätsklinikums H. vom 10.05. und 21.05.2007 sei der diastolische Wert mit 135 bzw. 150 angegeben worden. Ferner habe sich ihr Gesundheitszustand seit 2007 verschlechtert. Die depressiven Symptome und Ängste hätten deutlich zugenommen. Im Übrigen sei aus fünf Teil-GdB-Werten von jeweils 20 und einem weiteren von 10 - entsprechend den Entscheidungen des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31.03.2009 (L 6 SB 110/08) und LSG Berlin-Brandenburg vom 25.10.2007 (L 11 SB 7/03-26) - ein Gesamt-GdB von 50 zu bilden. Die Auswirkungen ihrer Funktionsstörungen überschnitten sich nicht, sondern summierten sich vielmehr.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21. April 2008 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 19. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2007 in der Fassung des Bescheides vom 14. Mai 2008 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und hat diesen mit Bescheid vom 14.05.2008 ausgeführt. Der Beklagte macht unter Hinweis auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. g. vom 17.02.2009 geltend, ein höherer GdB als 40 sei nicht anzunehmen. Entgegen den Ausführungen der Klägerin dürften keine Zwischen-GdB-Werte auf den jeweiligen medizinischen Fachgebieten gebildet werden. Zudem erreiche auch keine der Beeinträchtigungen der Klägerin einen Teil-GdB von 30.

Der Senat hat zunächst Dr. E. und Frau H. als sachverständige Zeugen gehört. Dr. E. hat am 26.11.2008 unter Beifügung weiterer ärztlicher Unterlagen angegeben, durch die zunehmende Depression bei Anpassungsstörung sei zumindest seit Anfang 2007 eine deutliche Verschlechterung des Allgemeinbefindens eingetreten. Der seit 2001 bestehende Bluthochdruck werde seitdem medikamentös behandelt und liege im Durchschnitt der letzten Messungen bei 130/80. Die Klägerin sei durch ihre Funktionsstörungen stark beeinträchtigt. Insbesondere die Depression und Anpassungsstörung sollte ihrer Auffassung nach mit einem GdB von 50 bis 60 bewertet werden. Die Nervenärztin H. hat am 21.11.2008 den Krankheits- und Behandlungsverlauf seit 01.06.2006 geschildert und angegeben, der psychische Zustand der Klägerin habe sich allmählich verschlechtert. Ihre Belastbarkeit habe weiter abgenommen und die depressiven Symptome und Ängste hätten - da es ihrem (schwer erkrankten) Ehemann schlechter gehe - zugenommen. Anschließend hat der Senat die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. mit der Erstattung eines fachärztlichen Gutachtens beauftragt. Diese hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin in ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 20.05.2009 eine gering- bis mittelgradige und in der Intensität wechselnde chronische somatoforme Schmerzstörung und ein chronisches Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulensyndrom ohne neurologische Ausfälle diagnostiziert. Beide Funktionsstörungen, die sie jeweils mit einem GdB von 20 bewerte, beeinflussten sich gegenseitig, wobei es zu bei der Beurteilung zu berücksichtigenden Überschneidungen komme. Der Gesamt-GdB betrage unter Berücksichtigung der anderweitig angenommenen Ansätze 40. Danach hat der Senat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Orthopäden Dr. S. ein fachärztliches Gutachten eingeholt. Dieser hat die Klägerin ambulant untersucht und ist in seinem Gutachten vom 04.03.2010 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin ein muskuläres Reizsyndrom der Halswirbelsäule mit endgradiger Funktionsbehinderung ohne wesentliche degenerative Veränderungen oder radikuläre Reizerscheinungen, eine Fehlstatik der Rumpfwirbelsäule (skoliotische Fehlhaltung, hohlrunder Rücken mit muskulärem Reizsyndrom bei degenerativen Veränderungen dort (hyperostosierende Spondylose dorsal, Spondylarthrose lumbal) ohne radikuläre Reizerscheinungen, ein Schulter-Arm-Syndrom beidseits bei radiologisch nachweisbarer, beginnender Schultereckgelenkarthrose, eine Lunatummalazie rechtes Handgelenk, eine beginnende, medialbetonte Kniegelenkarthrose beidseits ohne Funktionsbehinderung, ein Knick-Spreiz- und Senkfuß beidseits und eine ausgeprägte Adipositas vorliegen. Das Wirbelsäulenleiden bewertete der Sachverständige mit einem GdB von 20 und die Beeinträchtigungen im Bereich des rechten Handgelenks und der Kniegelenke jeweils mit einem GdB von 10. Er folgte den Beurteilungen von Dr. R. und Dr. E. (Gesamt-GdB 40) schränkte aber ein, dass sich wegen teilweiser Überschneidung der Funktionsstörungen (somatoforme Schmerzstörung einerseits und Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulensyndrom andererseits) dieser GdB an der Obergrenze bewege. Eine höhere Bewertung sei aufgrund der erhobenen Befunde nicht möglich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 153, 144 Abs.1 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG - entsprechend dem Vergleichsangebot des Beklagten vom 12.02.2008 - (nur) einen GdB von 40 festgestellt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 19.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2007, mit dem der Beklagte bei der Klägerin weiterhin einen GdB von 30 festgestellt hat. Das SG hat der Klage teilweise stattgegeben und mit dem von der Klägerin angefochtenen Gerichtsbescheid einen GdB von 40 seit 01.07.2007 festgestellt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die geltend macht, dass ihre Funktionsbeeinträchtigungen höher zu bewerten seien und auch im Hinblick auf die Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB insgesamt ein GdB von 50 anzunehmen sei.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung im Hinblick auf den GdB gegenüber einer vorausgegangenen Feststellung liegt nur dann vor, wenn im Vergleich zu den den GdB bestimmenden Funktionsausfällen, wie sie der letzten Feststellung des GdB tatsächlich zugrunde gelegen haben, insgesamt eine Änderung eingetreten ist, die einen um wenigstens 10 geänderten Gesamt GdB bedingt. Dabei ist die Bewertung nicht völlig neu, wie bei der Erstentscheidung, vorzunehmen. Vielmehr ist zur Feststellung der Änderung ein Vergleich mit den für die letzte bindend gewordene Feststellung der Behinderung oder eines Nachteilsausgleichs maßgebenden Befunden und behinderungsbedingten Funktionseinbußen anzustellen. Eine ursprünglich falsche Entscheidung kann dabei grundsätzlich nicht korrigiert werden, da die Bestandskraft zu beachten ist. Sie ist lediglich in dem Maße durchbrochen, wie eine nachträgliche Veränderung eingetreten ist. Dabei kann sich ergeben, dass das Zusammenwirken der Funktionsausfälle im Ergebnis trotz einer gewissen Verschlimmerung unverändert geblieben ist. Rechtsverbindlich anerkannt bleibt nur die festgestellte Behinderung mit ihren tatsächlichen Auswirkungen, wie sie im letzten Bescheid in den Gesamt-GdB eingeflossen, aber nicht als einzelne (Teil-)GdB gesondert festgesetzt worden sind. Auch der Gesamt-GdB ist nur insofern verbindlich, als er im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bestandsgeschützt ist, nicht aber in der Weise, dass beim Hinzutreten neuer Behinderungen der darauf entfallende Teil-GdB dem bisherigen Gesamt-GdB nach den Maßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" 2004 (AHP) hinzuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Die Verwaltung ist nach § 48 SGB X berechtigt, eine Änderung zugunsten und eine Änderung zuungunsten des Behinderten in einem Bescheid festzustellen und im Ergebnis eine Änderung zu versagen, wenn sich beide Änderungen gegenseitig aufheben (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 5).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass die mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008" (AHP) inhaltsgleichen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) nun heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A Nr. 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).

Das SG ist unter Heranziehung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Beurteilungsgrundsätze der AHP zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin ab Juli 2007 zwar mit einem GdB von 40 (anstatt 30) zu bewerten sind, ein GdB von 50 - wie von der Klägerin begehrt - aber nicht anzunehmen ist. Der Senat kommt unter zusätzlicher Berücksichtigung der Ergebnisse der im Berufungsverfahren erfolgten weiteren medizinischen Sachaufklärung zum selben Ergebnis. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin mit 4 Einzel-GdB-Werten von 20 und 3 Einzel-GdB von 10 rechtfertigen keinen höheren GdB als 40. Diese Beurteilung des Senats gründet sich im Wesentlichen auf die Angaben der vom SG und vom Senat gehörten behandelnden Ärzte der Klägerin, die aktenkundigen Klinik- und Arztberichte und das vom SG eingeholte internistische Gutachten von Dr. R. sowie die im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten der Nervenärztin Dr. E. und des Orthopäden Dr. S ...

Bei der Klägerin liegt eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule vor, die nach den Angaben des behandelnden Orthopäden Dr. W. vom 05.04.2007 gegenüber dem SG und der Beurteilung des auf Antrag der Klägerin von Dr. S. eingeholten orthopädischen Gutachten vom 04.03.2010 mit einem GdB von 20 nicht zu niedrig bewertet ist. Dr. W. hat ein chronisches Lenden- und Halswirbelsäulensyndrom mit rezidivierenden Schmerzen, teilweise mit Bewegungseinschränkung zu einem Drittel, ohne manifeste periphere Nervenwurzelreizsymptomatik beschrieben. Nach dem Gutachten von Dr. S. bestehen an Hals- und Rumpfwirbelsäule mäßige degenerative Veränderungen und auf der Grundlage der Fehlstatik und der ausgeprägten Adipositas kommt es zu muskulären Reizsyndromen ohne bestehende Instabilität oder radikuläre Reizerscheinungen. Sowohl Dr. W. als auch Dr. S. bewerten das Wirbelsäulenleiden der Klägerin mit einem GdB von 20. Dieser Beurteilung folgt der Senat. Sie entspricht Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome), die nach Teil B Nr. 18.9 der VG mit einem GdB von 20 zu bewerten sind. Da nur geringe funktionelle Auswirkungen in den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten vorliegen, lässt sich ein GdB von 20 nur deshalb begründen, weil sowohl die Hals- als auch die Lendenwirbelsäule betroffen ist. Eine höhere Bewertung des Wirbelsäulenleidens (GdB 30) ist nach den erhobenen Befunden jedoch nicht gerechtfertigt. Dies würde - hier nicht vorliegende - schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (vgl. Teil B Nr. 18.9 der VG) voraussetzen.

Hinzu kommt auf orthopädischem Gebiet die mit einer Bewegungseinschränkung geringen Grades verbundene Lunatummalazie des rechten Handgelenks, die von Dr. S. lediglich mit einem GdB von 10 bewertet worden ist. Unter Einschluss einer Fingerpolyarthrose und eines Carpaltunnelsyndroms rechts hat der Beklagte insoweit einen GdB von 20 angenommen. Dieser Bewertung hat der vom SG gehörte behandelnde Orthopäde Dr. W. am 05.04.2007 ausdrücklich zugestimmt. Dass der Sachverständige Dr. S. in seinem orthopädischen Gutachten insoweit lediglich von einem GdB von 10 ausgeht, erklärt sich damit, dass dieser eine mit einer Bewegungseinschränkung geringen Grades verbundene Beeinträchtigung im Bereich des rechten Handgelenks, ein Carpaltunnelsyndrom aber nicht (mehr) festgestellt hat.

Hinzu kommt noch die Beeinträchtigung im Bereich der Kniegelenke, die nach dem Gutachten von Dr. S. nicht mit einer wesentlichen Bewegungseinschränkung verbunden ist. Es bestehen zwar weiterhin schmerzhafte Reizzustände, aber ohne objektivierbare Schwellung oder Instabilität, so dass der von Dr. S. angenommene GdB von 10 - schon Dr. W. hatte insoweit einen GdB von 10 befürwortet - vom Senat für angemessen gehalten wird.

Der Beklagte hat zusätzlich eine Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform und Krampfadern (GdB 10 laut gutachtlicher Stellungnahme vom 01.09.2006) und ferner noch eine Funktionsbehinderung des Sprunggelenks (insgesamt GdB 20 nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.02.2008) angenommen. Der Sachverständige Dr. S. hat eine wesentliche Behinderung durch die Knick-Spreiz- und Senkfüße ohne wesentliche Zehendeformität jedoch verneint und auch keine wesentliche Funktionseinschränkung im Bereich der unteren Sprunggelenke festgestellt, so dass insoweit kein GdB oder allenfalls ein bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht erhöhend zu berücksichtigender GdB von 10 anzunehmen ist.

Der Bluthochdruck, der bei der Klägerin ferner vorliegt, bedingt keinen höheren GdB als 20. Nach Teil B Nr. 9.3 der VG ist ein Bluthochdruck mittelschwerer Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus Hypertonicus I bis II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten. Ein GdB von 20 setzt also bereits einen Bluthochdruck mittelschwerer Form voraus. Der Sachverständige Dr. R. nimmt einen GdB von 20 an. Die von ihm gemessenen, erhöhten diastolischen Blutdruckwerte (140/100 mmHg bis 145/120 mmHg und 130/100 mmHg) und die Ergebnisse der von Dr. E. am 25.07.2007 durchgeführten Langzeitblutdruckmessung (Mittelwert 167/122 mmHg) sprechen für einen Bluthochdruck mittelschwerer Form, wobei Dr. R. zu Recht darauf hingewiesen hat, dass dies eine Medikamenteneinnahme voraussetzt. Zeichen für eine Linksherzhypertrophie - die Herzkatheteruntersuchung am 10.05.2007 ergab eine gute linksventrikuläre Pumpfunktion - und Anzeichen für eine hypertoniebedingte Schädigung der Nieren fanden sich bei seiner Untersuchung nicht. Augenhintergrundveränderungen (Fundus hypertonikus) sind nicht belegt. Typische Bluthochdruckbeschwerden sind nach Dr. R. von der Klägerin nicht berichtet worden. Ein GdB von 30 - wie von der Klägerin unter Hinweis auf stark erhöhte diastolische Blutdruckwerte und die Einschätzung von Dr. E. gegenüber dem SG vom 10.04.2007 geltend gemacht - hält der Senat deshalb mit Dr. R. nicht für gerechtfertigt.

Ferner besteht bei der Klägerin eine Form der koronaren Herzerkrankung ohne höhergradige Stenosen, die nicht mit einer Leistungseinschränkung verbunden ist. Dies folgt ebenfalls aus dem Gutachten von Dr. R., dem insoweit nicht zu folgen der Senat keinen Anlass sieht.

Ferner liegt bei der Klägerin eine chronisch-somatoforme Schmerzstörung vor, die allerdings von erheblichen Verdeutlichungstendenzen überlagert wird. Dies ergibt sich aus dem nervenärztlichen Gutachten von Dr. E. vom 20.05.2009, die einen GdB von 20 als ausreichend bezeichnet und eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit verneint hat. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), die nach Teil B Nr. 3.7 der VG mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten sind, liegen nach Überzeugung des Senats bei der Klägerin nicht vor. Es handelt sich um leichtere psychovegetative oder psychische Störungen, für die die VG einen Bewertungsrahmen von 0 bis 20 vorgesehen. Mit einem GdB von 20 ist dieser Rahmen voll ausgeschöpft.

Insgesamt ergibt sich kein höherer GdB als 40. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist von der schwerwiegendsten Funktionsstörung auszugehen. Dabei sollen entsprechend Teil A Nr. 2 e) der VG die dort genannten Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden. Die Bildung eines GdB auf den einzelnen medizinischen Fachgebieten - wie von der Klägerin hier für den neurologisch-psychiatrischen Bereich (Schmerzstörung und Wirbelsäulensyndrom) geltend gemacht - ist hingegen nicht zulässig. Die schwerwiegendste Funktionsstörung ist hier eines der vier mit einem GdB von 20 bewerteten Leiden. Die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsstörungen sind allesamt leichterer Natur; ein höherer GdB als 20 bedingt keine davon. Wenn mit einem GdB 20 bewertete Behinderungen nach den VG es vielfach nicht rechtfertigen, den Gesamt-GdB zu erhöhen, ist es grundsätzlich nicht geboten, aus einer Häufung solcher Behinderungen die Schwerbehinderteneigenschaft zu folgern. Ein GdB von 50 kann daher nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in der Regel ohne zumindest eine mit einem GdB von 30 bewertete einzelne Funktionsstörung grundsätzlich nicht angenommen werden. Ob etwas anderes gilt, wenn Behinderungen in verschiedenen Organensystemen sich in besonderer Weise durch gegenseitige Verstärkung hinsichtlich eines Funktionsausfalls erschwert auswirken, kann dahinstehen. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang zuletzt auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25.10.2007 - L 11 SB 7/03-26 verweist, kann sie ihren gegenteiligen Standpunkt nicht hierauf stützen, denn zu dieser Rechtsfrage nimmt die Entscheidung keine Stellung. Abgesehen davon, dass die Bildung eines Gesamt-GdB von 50 bei nur mehreren leichten Funktionsstörungen mit einem nicht höheren GdB als 20 mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats nicht im Einklang stehen würde, stellt die Bildung des Gesamt-GdB auch immer eine Einzelfallentscheidung dar, die sich in aller Regel bei nur eingeschränkter Vergleichbarkeit der individuellen Gesamtbeeinträchtigung nicht ohne weiteres an Entscheidungen anderer Gerichte in anderen Fällen orientieren kann. Hier kommt noch hinzu, dass die somatoforme Schmerzstörung sich funktionell teilweise mit dem Wirbelsäulenleiden und den Beschwerden an Hand - und Kniegelenken überschneidet. Daher hat auch der Sachverständige Dr. S. - immerhin von der Klägerin selbst nach § 109 SGG benannt - einen GdB von 40 als Obergrenze bezeichnet und damit einen GdB von 50 ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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