L 11 KR 2564/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1857/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2564/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 08.04.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Krankengeld (Krg) über den 31.10.2008 hinaus.

Der im Jahr 1971 geborene Kläger war als Architekt in einem befristeten Arbeitsverhältnis vom 02.08.2006 bis zum 31.07.2008 versicherungspflichtig beschäftigt und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 30.06.2008 erkrankte er arbeitsunfähig infolge einer Lumboischialgie. Die Arbeitsunfähigkeit (AU) stellte der Allgemeinarzt und Internist Dr. O. mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) vom 30.06.2008 beginnend ab dem 30.06.2008 bis zum 04.07.2008 fest. In der Folgezeit wurde AU wie folgt bescheinigt:

AUB/ Auszahlschein vom Beginn AU Voraussichtliches Ende AU festgestellt am Erst-/Folge-AUB Arzt 07.07.08 30.06.08 09.07.08 07.07.08 Folge-AUB Dr. O. 10.07.08 30.06.08 18.07.08 10.07.08 Folge-AUB Dr. O. 17.07.08 31.07.08 17.07.08 Folge-AUB Dr. H. 25.07.08 25.07.08 31.07.08 25.07.08 Folge- AUB Dr. O. 03.09.08 17.09.08 Dr. J. 16.09.08 30.09.08 Dr. O. 30.09.08 16.10.08 Dr. O. 08.10.08 06.10.08 06.11.08 Dr. H. 07.11.08 07.11.08 30.12.08 07.11.08 Erst-AUB Dr. O. 16.12.08 30.12.08 10.12.08 Dr. H. 30.12.08 12.01.09 30.12.08 Dr. K. 30.03.09 30.03.09 10.04.09 30.03.09 Erst-AUB Dr. O. 05.05.09 04.05.09 17.05.09 05.05.09 Erst-AUB Dr. M. 15.06.09 15.06.09 20.06.09 15.06.09 Erst-AUB Dr. M. 22.06.09 22.06.09 26.06.09 22.06.09 Erst-AUB Dr. O. 26.06.09 01.07.09 26.06.09 Folge-AUB Dr. M. 01.07.09 01.07.09 08.07.09 01.07.09 Folge-AUB Dr. B. 29.10.09 29.10.09 30.10.09 29.10.09 Erst-AUB Dr. O.

Bis zum 31.07.2008 erhielt der Kläger eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Ab dem 01.08.2008 zahlte ihm die Beklagte Krg iHv kalendertäglich 52,24 Euro (brutto) bzw 45,48 Euro (netto) bis einschließlich 31.10.2008. Vom 01.11.2008 bis zum 30.10.2009 bezog der Kläger Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit.

Vom 17.07.2008 bis zum 21.07.2008 erfolgte eine Nukleotomie in der M.-Klinik O. durch den Belegarzt und Orthopäden Dr. H ... Vom 01.08.2008 bis zum 29.08.2008 befand sich der Kläger in einer stationären Maßnahme zur medizinischen Anschlussrehabilitation in der Klinik H. in B. M ... Im Reha-Entlassungsbericht vom 27.09.2008 erfolgte die Entlassung des Klägers als arbeitsunfähig für ca 10 - 14 Wochen postoperativ. Danach werde der Kläger für eine Übergangszeit von weiteren drei bis vier Monaten nur für leichte körperliche Tätigkeiten belastbar sein (vgl Blatt 33 - 41 der SG-Akte).

Nachdem die Beklagte nach Einholung einer sozialmedizinischen Fallberatung durch den MDK am 16.09.2008 zunächst das Ende der AU auf den 30.09.2008 festgesetzt hatte, legte der Kläger ein Befundbericht des Radiologen Dr. H. über ein MRT der Lendenwirbelsäule vom 22.09.2008 vor (Blatt 32 der Verw.-Akte).

Nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens nach Aktenlage beim MDK durch Dr. H. am 15.10.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 16.10.2008 mit, dass AU bis zum 31.10.2008 anerkannt werde und ab dem 01.11.2008 eine Tätigkeit als Architekt wieder möglich sei.

Der Kläger trug hiergegen mit Schreiben vom 22.10.2008 vor, dass eine Arbeitsaufnahme ab dem 01.11.2008 aus gesundheitlichen Gründen wegen der starken Schmerzen im Bereich der Lendenwirbel und der Ausstrahlung in das linke Bein und das Becken nicht möglich sei.

Die Beklagte veranlasste ein sozialmedizinisches Gutachten aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers beim MDK Baden-Württemberg durch Dr. S. am 15.12.2008. Dr. S. diagnostizierte lumbale und sonstige Bandscheibenschäden mit Radikulopathie am 18.07.2008, einen Kreuzschmerz, Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr sowie eine Hypertonie und hielt ein Leistungsvermögen für leichte bis gelegentlich mittelschwere rückengerechte Tätigkeiten für sechs Stunden und mehr arbeitstäglich sowie eine Tätigkeit als Architekt für zumutbar. Es ergebe sich keine Änderung der bisherigen Bewertung.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2009 zurück.

Der Kläger hat am 02.06.2009 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben.

Das SG hat den Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. E. als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Dr. E. hat mitgeteilt, dass der Kläger erstmals am 08.12.2008 und dann wiederum vom 23.06.2009 bis zuletzt am 05.08.2009 behandelt worden sei. Am 08.12.2008 hätten postoperative Schmerzen im Gesäß und Leistenbereich links mit Ausstrahlung in den Oberschenkel, speziell am linken Unterschenkel seitlich und rückseitig bis in den Großzehenballen bestanden. Es sei von neurochirurgischer Seite keine OP-Indikation gesehen und ein weiteres konservatives Vorgehen empfohlen worden (vgl Blatt 49 - 50 der SG-Akte).

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.04.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger seit dem 01.11.2008 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen sei. Er habe zwar zum damaligen Zeitpunkt noch unter den Folgen der Operation an der Lendenwirbelsäule gelitten, sei jedoch hierdurch nicht gehindert gewesen, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Architekt wieder aufzunehmen. Dies gehe aus den von Dr. S. bei seiner Begutachtung am 15.12.2008 erhobenen Befunden hervor. Die Einschätzung von Dr. S. werde bestätigt durch die sachverständige Zeugenaussage von Dr. E., welcher den Kläger relativ zeitnah am 08.12.2008 untersucht habe. Zum damaligen Zeitpunkt seien keine relevanten Befunde erhoben und auch keine OP-Indikation gesehen worden. Das vom Kläger mitgebrachte MRT der Lendenwirbelsäule habe lediglich ein mäßig ausgeprägtes Narbengewebe im OP-Gebiet gezeigt. Die im Juni 2009 erhobenen Befunde ließen keine Rückschlüsse auf das Leistungsvermögen des Klägers im November und Dezember 2008 zu. Soweit Dr. H. und Dr. K. AU bis zum 12.01.2009 attestiert hätten, enthielten die Bestätigungen keine nachvollziehbaren schlüssig überprüfbaren Begründungen und seien nicht geeignet, die Befunde von Dr. S. in Zweifel zu ziehen. Ab dem 01.11.2008 habe somit Arbeitsfähigkeit bestanden und für den Zeitraum bis einschließlich 29.03.2009 fehle es an der ärztlichen Feststellung der AU. Selbst wenn in diesem Zeitraum eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation und somit AU eingetreten wäre, bestehe kein Anspruch auf Krg, da dieser nach § 46 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) von dem Tag an der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folge, entstehe. Eine solche Bescheinigung sei jedoch erstmals wieder am 30.03.2009 durch Dr. O. erstellt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Fortwirkung der Versicherung mit Krg - Anspruch auf der Grundlage des Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V beendet gewesen. Zwar bestehe während des Bezugs von Arbeitslosengeld nach dem SGB III auch ein Anspruch auf Krg, dieser ruhe jedoch während der Leistungsfortzahlung durch die Agentur für Arbeit nach § 126 SGB III.

Der Kläger hat am 20.06.2011 gegen das am 26.05.2011 zugestellte Urteil Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass er über den 30.10.2008 hinaus arbeitsunfähig gewesen sei. Das SG habe es trotz eines entsprechenden Beweisantrages unterlassen, den Sachverhalt durch Einholung eines Sachverständigengutachtens aufzuklären. Auch habe ihn nicht Dr. E., sondern Dr. B. im medizinischen Versorgungszentrum untersucht. Er habe sich nach dem 12.01.2009 fortlaufend wegen der unveränderten Beschwerden in Behandlung befunden, jedoch hätten die behandelnden Ärzte entweder in Unkenntnis der Rechtslage oder aber in Furcht vor dem MDK keine AUB mehr ausgestellt. Ihm sei auch von Seiten der Beklagten vor Ort mitgeteilt worden, dass die Vorlage weiterer AUB sinnlos sei, nachdem der MDK die Arbeitsfähigkeit wieder festgestellt habe. Es sei daher rechtsmissbräuchlich, wenn sich die Beklagte darauf zurückziehe, dass nicht durchgängig AUB im Zeitraum nach Dezember 2008 vorlägen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 08.04.2011 sowie den Bescheid vom 16.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld ab dem 01.11.2008 bis zum Ablauf der gesetzlichen Höchstbezugsdauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung angeführt, dass das SG seine Überzeugung im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. S. vom 15.12.2008 gestützt habe, welcher nach einer körperlichen Untersuchung Arbeitsfähigkeit des Klägers festgestellt habe. Die Einschätzung von Dr. S. werde auch durch die Befunderhebung am 08.12.2008 und die Magnetresonanztomographie der Wirbelsäule bestätigt. Daran ändere die Tatsache nichts, ob die Befunderhebung durch Dr. E. oder Dr. B. erfolgt sei. AUB lägen lediglich bis zum 12.01.2009 vor. Im Zeitraum vom 13.01.2009 bis zum 29.03.2009 sei eine AU weder ärztlich festgestellt noch nachgewiesen. Nach Rücksprache mit den Sachbearbeiterinnen Frau R. und Frau B. könne nicht mehr festgestellt werden, ob und wann die vom Kläger dargestellten Aussagen getroffen worden seien, da hierüber Aufzeichnungen nicht existierten.

Auf Anforderung des Senats hat die Beklagte die für den Zeitraum vom 08.10.2008 bis 31.12.2009 vorliegenden AUB bzw Auszahlscheine vorgelegt. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 50 - 61 der Berufungsakte verwiesen.

Der Senat hat den Allgemeinarzt und Internist Dr. O. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. Dr. O. hat am 27.04.2012 mitgeteilt, dass er AU vom 07.11.2008 bis zum 30.12.2008 wegen der ICD Ziffer M51.2 attestiert habe. Der Kläger habe postoperativ über intermittierende radikuläre Schmerzen am linken Bein geklagt. Eine spezifische Behandlung sei durch die hausärztlich allgemeinmedizinisch internistische Praxis nicht erfolgt. Der Kläger sei stattdessen an den Operateur Dr. H. überwiesen worden. Am 30.03.2009 bis zum 10.04.2009 sei AU wegen der ICD Ziffer M51.2 sowie vom 22.06.2009 bis zum 26.06.2009 wegen der ICD Ziffer M 51.2 attestiert worden. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 63 - 83 der Berufungsakte verwiesen.

Dr. E. hat auf die Anfrage des Senats mitgeteilt, dass Dr. B. seit dem 01.07.2011 nicht mehr im Medizinischen Versorgungszentrum beschäftigt sei und die Arztberichte über die Behandlungen vom 08.12.2008, 23.06.2009 und 29.07.2009 übersandt. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 84 - 87 der Berufungsakte verwiesen.

Der Facharzt für diagnostische Radiologie Dr. S. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage am 16.05.2012 mitgeteilt, dass am 27.11.2008 eine Funktionsmyelographie der Lendenwirbelsäule und ein Post-Myelo-CT der Lendenwirbelsäule angefertigt worden sei. Am 19.01.2009, 29.01.2009, 23.02.2009 und 19.03.2009 sei jeweils eine CT-gesteuerte periradikuläre Therapie L5 links durchgeführt worden. Die ersten drei Wurzelblockaden hätten jeweils nur eine kurzzeitige Besserung der Schmerzsymptomatik bewirkt. Am 20.03.2009 habe der Kläger telefonisch erstmals über eine Schmerzfreiheit mit nur leichten Beschwerden berichtet. AUB seien nicht ausgestellt worden (vgl Blatt 88 - 97 der Berufungsakte).

Der Orthopäde Dr. H. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 29.05.2012 mitgeteilt, dass er AU am 16.12.2008 bis zum 30.12.2008 bescheinigt habe. Am 10.12.2008 habe er mit dem Kläger besprochen, dass er davon ausgehe, dass bis Ende Januar noch AU bestehe. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 98 - 100 der Berufungsakte verwiesen.

Auf Anforderung des Senats hat die Deutsche Rentenversicherung Bund die medizinischen Unterlagen betreffend das Verwaltungsverfahren über die Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation übersandt. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 116 - 141 der Berufungsakte verwiesen.

Die Agentur für Arbeit T. hat auf Anforderung des Senats eine gutachterliche Äußerung des Ärztlichen Dienstes vom 05.02.2009 übersandt. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 177 - 178 der Berufungsakte verwiesen.

Der Senat hat Dr. D. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens nach Aktenlage von Amts wegen beauftragt. In seinem am 11.02.2013 erstellten Gutachten kommt Dr. D. zum Ergebnis, dass nach den aktenkundigen erhobenen Untersuchungsbefunden beim Kläger ein endgradig positiver Nervendehnungsschmerz bestanden und hieraus eine Arbeitsfähigkeit zumindest für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt resultiert habe. Allein das subjektive Schmerzempfinden und die quantitative Einnahme von Schmerzmitteln könne die tatsächliche AU nicht objektivieren. Es bestehe keine Abweichung zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch den MDK.

Auf die mit Schriftsatz vom 19.03.2013 und vom 24.10.2013 durch den Kläger erhobenen Einwände hat Dr. D. ergänzende Stellungnahmen am 16.04.2013 und am 20.11.2013 abgegeben. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 194 - 196, 200 - 201, 226 - 228 sowie Blatt 230 - 232 der Berufungsakte verwiesen.

Einen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 14.10.2013 zur Erledigung des Rechtsstreits geschlossenen widerruflichen Vergleich, in dem sich die Beklagte bereit erklärt hat, dem Kläger unter Anrechnung des bezogenen Arbeitslosengeldes Krankengeld auch für den Zeitraum vom 01.11.2008 bis zum 31.12.2008 zu gewähren, hat der Kläger mit Schreiben vom 24.10.2008, eingegangen bei Gericht am 28.10.2013, widerrufen (vgl Blatt 223 bis 225 sowie Blatt 226 bis 228 der Berufungsakte).

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und auch ansonsten statthafte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid vom 16.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Krg für die Zeit ab dem 01.11.2008.

Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Krg sind die §§ 44 ff SGB V. Nach § 44 Abs 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt werden. Der Anspruch auf Krg entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (§ 46 Satz 1 SGB V). Grundsätzlich setzt daher der Anspruch auf Krg die vorherige ärztliche Feststellung der AU voraus. Dem Attest des behandelnden Arztes mit der Feststellung der AU kommt lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krg-Bezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet, ohne dass Krankenkasse und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind (Bundessozialgericht (BSG) 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 7). Die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs, also nicht nur die AU, sondern auch die ärztliche Feststellung der AU, müssen bei zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krg-Gewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (BSG 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 12). Zudem muss der Versicherte die AU und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).

Der Kläger war nach der Überzeugung des Senats ab dem 01.11.2008 wieder arbeitsfähig bezogen auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Architekt.

Bei Versicherten, die im Zeitpunkt der Beurteilung der AU in einem Arbeitsverhältnis stehen und einen Arbeitsplatz innehaben, liegt AU vor, wenn diese Versicherten die an ihren Arbeitsplatz gestellten beruflichen Anforderungen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erfüllen können. Die Krankenkasse darf diese Versicherten, solange das Arbeitsverhältnis besteht, nicht auf Tätigkeiten bei einem anderen Arbeitgeber "verweisen", die sie gesundheitlich noch ausüben könnten. Dem krankenversicherten Arbeitnehmer soll durch die Krg-Gewährung nämlich gerade die Möglichkeit offen gehalten werden, nach Beseitigung des Leistungshindernisses seine bisherige Arbeit wieder aufzunehmen (BSG 07.12.2004, B 1 KR 5/03 R, BSGE 94, 19 mwN). Danach war bei Entstehen des Krg-Anspruchs der Arbeitsplatz des Klägers als Architekt maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Endet das Arbeitsverhältnis wie hier nach Eintritt der AU, ändert sich der rechtliche Maßstab für die Beurteilung der AU nur insofern, als dafür nicht mehr die konkreten Verhältnisse am (früheren) Arbeitsplatz maßgebend sind, sondern nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist. Der Versicherte darf nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten "verwiesen" werden, wobei der Kreis möglicher Verweisungstätigkeiten entsprechend der Funktion des Krg eng zu ziehen ist (BSG 07.12.2004, B 1 KR 5/03 R, BSGE 94, 19; BSG 14.02.2001, B 1 KR 30/00 R, SozR 3-2500 § 44 Nr 9 S 23 f ; BSG 08.02.2000, B 1 KR 11/99 R, SozR 3-2500 § 49 Nr 4 sowie Senatsurteil vom 18.09.2012, L 11 KR 472/11, juris).

Der Kläger hat im Erörterungstermin am 07.07.2009 gegenüber dem SG angegeben, dass seine Tätigkeit als Architekt hauptsächlich in PC-Arbeiten und Anfertigungen von Berechnungen bestanden habe. Bauleitungsmaßnahmen habe er nicht durchzuführen gehabt. Dies hänge von der Struktur des Architekturbüros ab. Manche Architekten übernähmen Bauleitungen, andere wiederum nicht. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit des Klägers erfolgte damit hauptsächlich im Sitzen und ist daher als grundsätzlich leichte Tätigkeit anzusehen. Selbst bei der Bauleitung handelt es sich jedoch nicht um schwere Tätigkeiten, da diese im Wesentlichen in der Überwachung von Bauarbeiten und Gesprächen auf Baustellen bestehen.

Eine AU bezogen auf dieses Leistungsbild liegt nach Auffassung des Senats über den 31.10.2008 hinaus nicht vor. Der Senat schließt dies insbesondere aus den Befundberichten von Dr. H. als behandelndem Orthopäden vom 07.10.2008 und vom 30.10.2008. Nach den am 07.10.2008 erhobenen Befunden war das Zeichen nach Lasègue (Test zur Prüfung eines möglichen Dehnungsschmerz des Ischiasnervs und/oder der spinalen Nervenwurzeln im lumbalen und sakralen Segment des Rückenmarks) rechts negativ und links bei 80° positiv. Es lag keine Fußheberparese bzw Blasen- oder Mastdarmstörung vor. Dr. H. hat eine intermittierende radikuläre Symptomatik diagnostiziert, wobei sich die neurologische Symptomatik deutlich gebessert habe. Eine Indikation für eine erneute OP wurde nicht gesehen. Auch im Bericht vom 30.10.2008 wurde nach den anamnestischen Angaben des Klägers eine wesentliche Beschwerdebesserung bestätigt. Dieser hielt jedoch den bisherigen Erfolg der Behandlungsmaßnahmen für noch nicht genug, als dass er für eine beruflich ganztägige Tätigkeit belastbar sei. Die von Dr. H. am 30.10.2008 erhobenen Befunde mit einem Lasègue - Zeichen, welches rechts negativ und links bei 80° positiv war, ohne Fußheberparese und mit rückläufigen Hypästhesien belegen jedoch keine noch vorhandenen schwerwiegenden Funktionsbeeinträchtigungen. Diesbezüglich führt Dr. D. in seinem nach Aktenlage erstellten Gutachten am 11.02.2013 nach Überzeugung des Senats zutreffend an, dass es sich bei 80° positiven Lasègue - Zeichen um einen lediglich ganz endgradigen Nervendehnungsschmerz handelt. Eine überwiegend sitzende Tätigkeit in rückengerechter Ausgestaltung des Arbeitsplatzes mit der Möglichkeit von Haltungswechseln ist danach zumutbar. Dr. D. hat auch auf die Einwände des Klägers, er stütze seine Einschätzung auf eine nicht mehr dem aktuellen Meinungsstand entsprechende Veröffentlichung von Prof. Dr. K. aus dem Jahr 1991 dargelegt, dass die von ihm zugrundegelegten Testverfahren und Parameter nach wie vor gültige Bewertungskriterien darstellen (vgl ergänzende Stellungnahme vom 20.11.2013 Blatt 230 - 232 der Berufungsakte). Der Senat hält die Ausführungen des Gutachters für fachlich fundiert und widerspruchsfrei. Die Einschätzung von Dr. D. wird belegt durch den radiologischen Befund vom 27.11.2008. In diesem Befund konnte kein Rest- oder Rezidivprolaps, sondern lediglich eine deutlich narbige Bedrängung L5 links erkannt werden. Dieser Befund wurde jedoch, wie sich aus dem Bericht von Dr. B. vom 10.12.2008 ergibt, als nicht direkt behandlungsbedürftig angesehen, zumindest wurde keine Indikation für eine weitere OP gestellt und die Fortführung der konservativen Therapie empfohlen. Die von Dr. B. am 10.12.2008 erhobenen Befunde belegen ebenfalls, dass keine sensomotorischen Defizite, sondern wie Dr. B. ausführt, ein regelrechter postoperativer Befund mit etwas Narbengewebe im OP-Gebiet vorlag. Insofern ist auch das Gutachten des MDK von Dr. S. vom 15.12.2008 zutreffend und in seiner Einschätzung der Arbeitsfähigkeit durch die erhobenen Befunde belegt. Dr. S. konnte keinen Klopfschmerz oder paravertebralen Hartspann im Bereich der Wirbelsäule erheben. Sensomotorische Ausfälle konnten nicht erhoben werden. Dr. S. kommt daher nachvollziehbar zum Ergebnis, dass seit der Operation konstante, stabile Verhältnisse mit nur geringfügigen schmerzbedingten Auswirkungen vorlägen. Soweit vom behandelnden Hausarzt Dr. O. die AU ab dem 07.11.2008 bis zum 30.12.2008 festgestellt wurde, ist dies angesichts der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. O. gegenüber dem Senat, wonach er lediglich Überweisungen zu den behandelnden Orthopäden und Fachärzten vorgenommen hat und keine eigene Behandlung und Befunderhebung erfolgte, nicht geeignet, den Sachverhalt anderweitig zu beurteilen. Im Ergebnis lag am 30.10.2008 nach den Befunden von Dr. H. ein deutlich gebesserter postoperativer Zustand vor und die noch lediglich leichtgradigen Schmerzbeeinträchtigungen stehen nach Überzeugung des Senats der Verrichtung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht entgegen. Arbeitsfähigkeit ist somit ab dem 01.11.2008 eingetreten.

Lediglich ergänzend führt der Senat daher aus, dass es bezüglich des Zeitraumes vom 13.01.2009 bis einschließlich 29.03.2009 an der erforderlichen ärztlichen Feststellung der AU fehlt. Die AU wurde zuletzt durch Dr. K. am 30.12.2008 bis voraussichtlich 12.01.2009 festgestellt. Für den Zeitraum danach liegen keine AUB oder Auszahlscheine vor. Erst am 30.03.2009 stellte Dr. O. wieder eine Erst - AUB mit einer AU vom 30.03.2009 bis zum 10.04.2009 aus. Der sachverständigen Zeugenaussage vom 27.04.2012 sind jedoch keine spezifischen Befunde zu entnehmen, welche die Einschätzung von Dr. D. in seinem Gutachten nach Aktenlage in Frage stellen könnten. Dieser nimmt in seinem Gutachten explizit auf die Befunde der behandelnden Ärzte Bezug und zeigt auf, dass objektive Befunde, welche eine erneute AU ab dem 30.03.2009 begründen könnten, fehlen.

Es liegt auch kein Fall vor, bei dem aufgrund einer Fehlbeurteilung der AU durch den behandelnden Arzt oder den MDK eine Ausnahme von der wortgetreuen Auslegung des § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V und des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V gerechtfertigt wäre. Beide Regelungen sind grundsätzlich strikt zu handhaben, denn mit dem Erfordernis vorgeschalteter ärztlich festzustellender AU sollen beim Krg Missbrauch und praktische Schwierigkeiten vermieden werden (BSG 18.03.1966, 3 RK 58/62, BSGE 24, 278 = SozR Nr 16 zu § 182 RVO). Nur in engen Grenzen hat die Rechtsprechung des BSG Ausnahmen hierzu anerkannt, wenn die ärztliche Feststellung oder die Meldung der AU durch Umstände verhindert oder verzögert worden sind, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen sind (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1 mwN). Hat der Versicherte (1.) alles in seiner Macht stehende und ihm zumutbare getan, um seine Ansprüche zu wahren, wurde er (2.) daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert (zB durch die Fehlbeurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Vertragsarztes und des MDK), und macht er (3.) - zusätzlich - seine Rechte bei der Kasse unverzüglich (spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V) nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend, kann er sich auf den Mangel auch zu einem späteren Zeitpunkt berufen (BSG 08.11.2005 aaO).

Der Vortrag des Klägers, ihm sei von den Sachbearbeiterinnen der Beklagten mitgeteilt worden, dass nach der Einstellung des Krankengeldes es keiner weiteren Vorlage von AUB bedürfe, konnte nicht verifiziert werden, da diesbezügliche Aufzeichnungen der Verwaltungsakte nach Aussage der Beklagten nicht vorliegen. Im Übrigen ist nach den aktenkundigen Befunden in diesem Zeitraum eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes nicht eingetreten.

Der Senat sah sich auch nicht veranlasst, der vom Kläger beantragten Ladung des Gutachters Dr. D. zur mündlichen Verhandlung Folge zu leisten. Nach der Rechtsprechung des BSG (31.10.2012, B 2 U 245/12 B, juris) verlangt Art. 103 Abs 1 GG nicht ausnahmslos, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung des Gutachters Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes des § 106 SGG (vgl BVerfG, 3.2.1998, 1 BvR 909/94, NJW 1998, 227). Dazu bieten sich mehrere Möglichkeiten an: Das Gericht kann den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen oder ihn, wenn dies zweckmäßiger erscheint, zur mündlichen Verhandlung laden und befragen. Es kann stattdessen nach § 412 ZPO auch ein weiteres Gutachten einholen (vgl BSG, 24.7.2012, B 2 U 100/12 B, SozR 4-1500 § 160 Nr 24). Der Senat hat auf die Einwände des Klägers gegen das Gutachten von Dr. D. zwei ergänzende schriftliche Stellungnahmen des Gutachters eingeholt. Auch hat der Senat in der Senatssitzung vom 14.10.2013 darauf hingewiesen, dass die Anforderungen, welche der Gutachter an die berufliche Tätigkeit zu stellen hat, im Gutachtensauftrag dargelegt waren und der Gutachter dem Rechnung getragen hat. Eine Erläuterungsbedürftigkeit, welche eine Ladung des Gutachters zur mündlichen Verhandlung erfordert hätte, ist nach den ergänzenden Stellungnahme des Gutachters nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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