Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 941/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 5301/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 14. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsverfahrens gem. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Aufhebung eines Bescheides der Beklagten vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld die Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 2. August 2004 aufgehoben hat, da der Kläger nicht erreichbar gewesen sei.
Der 1953 geborene Kläger meldete sich am 5. September 2003 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Er gab hierbei die "W.str. xx, xxxxx B. B." als Wohnanschrift an. Die Beklagte bewilligte dem Kläger hieraufhin Arbeitslosengeld ab dem 22. September 2003.
Am 7. Juli 2004 wurde durch die Deutsche Post AG im Wege einer "Anschriftenberichtigung" ein Schreiben der Beklagten an den Kläger, mit dem Vermerk, der Empfänger sei in die G.-steige x, xxxxx O. verzogen, zurückgereicht (Bl. 808 der Verwaltungsakte). Auf eine Anfrage der Beklagten betreffend des Umzugs nach O. vom 15. Juli 2004 teilte der Kläger anlässlich einer persönlichen Vorsprache mit, dass er noch nie in O. wohnhaft gewesen sei (Bl. 813 der Verwaltunsgakte). Telefonisch teilte er am 19. Juli 2004 mit, dass er selbst einen Postnachsendeantrag nach O., den Wohnort seiner Freundin, gestellt habe (Bl. 814 der Verwaltungsakte). Er legte eine Meldebestätigung der Stadtverwaltung B. B. vom 19. Juli 2004 vor, in welcher angeführt ist, dass der Kläger seit dem 1. April 1985 in der W.-str. x in xxxxx B. B. wohnhaft sei (Bl. 816 der Verwaltungsakte). Anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 20. Juli 2004 versicherte der Kläger, dass er sich unverändert in B. B. aufhalte. Er werde (heute noch) dafür sorgen, dass er auch postalisch in B. B. erreichbar sei (Bl. 821 der Verwaltungsakte). Mit Schreiben vom 9. August 2004 teilte er mit, den von ihm gestellten Nachsendeauftrag ab dem 3. August 2004 storniert zu haben (Bl. 823 der Verwaltungsakte). Telefonisch wurde der Beklagten durch die Deutsche Post AG mitgeteilt, dass der Nachsendeantrag nach O. in der Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 2. August 2004 gestellt gewesen sei (Bl. 825 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 13. August 2004 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 2. August 2004 ganz auf. Zur Begründung führte die Beklagte an, Anspruch auf Leistungen habe nur derjenige, der arbeitslos sei. Arbeitslos sei u.a. nur, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe und Vermittlungsvorschlägen zeit- und ortsnah Folge leisten könne. Der Arbeitslose habe daher sicherzustellen, dass er unter der von ihm angegebenen Anschrift an jedem Werktag durch Briefpost erreicht werden könne. Der Kläger habe in der Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 2. August 2004 einen Postnachsendeantrag nach O. gestellt, er sei in dieser Zeit nicht erreichbar, infolgedessen nicht verfügbar, mithin nicht arbeitslos gewesen (Bl. 828 der Verwaltungsakte).
Hiergegen erhob der Kläger am 6. September 2004 Widerspruch, zu dessen Begründung er vorbrachte, dass ihn Postsendungen in seinem Briefkasten in der Vergangenheit nicht erreicht hätten. In demselben Haus wie er wohne auch sein Bruder, dessen Sohn den gleichen Vornamen wie er habe, weswegen es zu Verwechslungen gekommen sei. Um diesen vorzubeugen habe er einen Nachsendeantrag an die Adresse von Frau V. K. (K.), G.steige x, xxxxx O. gestellt. Mit dieser sei vereinbart gewesen, in dem Fall, dass ein Schreiben nach O. gesandt werde, sie den Kläger fernmündlich am gleichen Tag unterrichten werde. Auch sei K. ermächtigt gewesen, die für ihn eingehende Post zu öffnen (Bl. 843 bis 844 der Verwaltungsakte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 4. Oktober 2004 Klage zum Sozialgericht Ulm erhoben. Zu deren Begründung wiederholte und vertiefte der Kläger das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und legte zudem eine eidesstattliche Versicherung der K. vom 2. Mai 2005 vor, in welcher diese an Eides statt versicherte, zwischen ihr und dem Kläger sei besprochen worden, dass sie für ihn eingehende Schreiben bei Eingang öffnen dürfe und den Kläger hierüber gegebenenfalls telefonisch unterrichten werde. Diesen Anforderungen sei sie nachgekommen. Sie habe eingehende Post am Tag des Eingangs durchgesehen und den Kläger unterrichtet, soweit ein behördliches Schreiben eingegangen sei. Sie könne daher bestätigen, dass jedes Schreiben der Beklagten den Kläger an dem Tag, an welchem es in ihren Briefkasten gelangt sei, zur Kenntnis gebracht wurde. Der Kläger legte ferner eine Bestätigung der Deutschen Post AG vor, dass die Laufzeit nachzusendender Postsendungen ca. zwei bis drei Tage betrage.
Mit Urteil vom 17. Januar 2006 (Az.: S 2 AL 2930/04) wies das Sozialgericht Ulm die Klage ab. Eine hiergegen erhobene Berufung wurde vom erkennenden Senat mit Urteil vom 16. Juli 2009 (Az.: L 13 AL 2368/07) zurückgewiesen. Auf die dortigen Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Diese Entscheidung wurde rechtskräftig. Eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 30. Dezember 2009 (B 11 AL 137/09 B) als unzulässig.
Am 9. Februar 2011 beantragte der Kläger die Überprüfung der genannten Aufhebungsentscheidung (Bl. 1036 der Verwaltungsakte). Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 9. März 2011 ab (Bl. 1041 der Verwaltungsakte) und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid 5. April 2011 zurück (Bl. 1045 der Verwaltungsakte). Eine hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Konstanz (SG; Az.: S 7 AL 941/11) mit Gerichtsbescheid vom 14. Dezember 2012 abgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 20. Dezember 2012 Berufung eingelegt und hat am 14. Februar 2013 eine Kopie eines Postnachsendeantrages vom 19. Juni 2004 vorgelegt (Bl. 20 - 22 der Akte L 13 AL 5301/12). Der Kläger macht geltend, dieser Postnachsendeantrag sei von ihm nicht unterzeichnet worden, so dass die Deutsche Post der Beklagten eine widerrechtliche Anschriftenbenachrichtigung übersandt habe. Der Kläger hat zudem ein Schreiben der Deutschen Post AG vom 28. März 2013 vorgelegt, in dem ausgeführt wird, zu dem damaligen Nachsendeauftrag lägen keine Daten mehr vor, so dass nicht mehr nachgeprüft werden könne, ob die fehlende Unterschrift seinerzeit nachgefordert und nachgereicht worden sei. Der Nachsendeauftrag könne ohne Unterschrift nicht bearbeitet werden.
Nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch den Senat mit Beschluss vom 12. Dezember 2013 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2013 eine "Umstellung" des vorliegenden Verfahrens in eine Wiederaufnahmeklage beantragt.
Der Kläger beantragt bei sachdienlicher Auslegung seines Vorbringens sinngemäß,
das Verfahren L 13 AL 2368/07 wiederaufzunehmen und das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 17. Januar 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. September 2004 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 2. August 2004 in Höhe von 852,26 EUR nachzuzahlen,
hilfsweise den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 14. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 9. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2011 zu verpflichten, den Bescheid vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004 zurückzunehmen sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis 2. August 2004 in Höhe von 852,26 EUR nachzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Vor dem erkennenden Senat führt der Kläger unter dem Az.: L 13 AL 2314/13 WA zudem ein Verfahren auf Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens Az.: L 13 AL 2368/07.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegten Verwaltungsakten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2013 eine "Umstellung" des vorliegenden Verfahrens in ein Wiederaufnahmeverfahren beantragt hat, erweist sich die damit sinngemäß begehrte Klageänderung in ein Verfahren auf Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens L 13 AL 2368/07 als unzulässig. Die Änderung der Klage ist gem. § 99 Abs. 1 SGG nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte hat der Klageänderung in der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2014 ausdrücklich widersprochen. Die Änderung der Klage in ein Wiederaufnahmeverfahren ist zur Überzeugung des Senats auch nicht sachdienlich. Da der Kläger beim erkennenden Senat bereits ein seit 23. Mai 2013 rechtshängiges Wiederaufnahmeverfahren führt (L 13 AL 2314/13 WA), erweist sich die Erhebung eines zweiten inhaltsgleichen Wiederaufnahmeverfahrens nämlich wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit als unzulässig (§ 202 SGG i.V.m. § 17 Abs.1 S.2 GVG).
Das bei der gebotenen sachdienlichen Auslegung (§ 123 SGG) des klägerischen Vorbringens hilfsweise weiterverfolgte Begehren auf rechtliche Überprüfung des Bescheides der Beklagten vom 9. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2011, hat ebenfalls keinen Erfolg. Die so verstandene Berufung ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden. Die zulässige Berufung ist jedoch nicht begründet; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004.
Ausgangspunkt der Prüfung ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Zumindest entsprechend gilt diese Regelung auch für alle Fälle, in denen Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten wurden und der Bürger sie nachträglich einfordert, insbesondere wenn er sich gegen einen Aufhebungsbescheid wendet (Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X, Rn. 4, m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BSG durchbricht diese Regelung des Verfahrensrechts nicht nur die Bindungswirkung eines Bescheids, sondern auch die Rechtskraft einer diesen bestätigenden gerichtlichen Entscheidung. Auch wenn der Bescheid durch eine rechtskräftige sozialgerichtliche Entscheidung bestätigt worden ist, ist die Beklagte danach verpflichtet, den belastenden Teil der vorgenannten Bescheide zurückzunehmen, sofern die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorliegen (BSG, Urteil vom 7. Dezember 1989 - 4 RA 110/88 -, veröffentlicht in Juris).
Einer auf § 44 SGB X gestützten Aufhebungsentscheidung steht jedoch bereits die Verfallklausel des § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Die Beklagte hat schon im erstinstanzlichen Verfahren zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004 wegen Ablauf der Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 SGB X keine Auswirkungen mehr haben kann. Wird ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, so werden gem. § 44 Abs. 4 SGB X Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Für die Berechnung des Zeitraumes tritt nach Satz 3 an die Stelle des Rücknahmeaktes ein Antrag, falls er zur Rücknahme führte. Diese Vollzugsregelung steht für die länger als vier Jahre zurückliegende Zeit, für die keine Leistungen mehr erbracht werden dürfen, einem Rücknahme- und einem Ersetzungsakt entgegen (BSG, Urteil vom 6. März 1991, Az.: 9b RAr 7/90 –, BSGE 68, 180-183). Die diesbezügliche Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X ist auf die Rücknahmeregelung des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X bezogen, die voraussetzt, dass infolge der unrichtigen Entscheidung Sozialleistungen nicht erbracht wurden. "Erbringen" bedeutet tatsächliches Leisten (BSG a.a.O., m.w.N.). Eine Aufhebungsentscheidung nach § 44 Abs.1 SGB X ist demnach nicht mehr zu erlassen, wenn sie nicht materiell ausgeführt werden darf. Sie wäre wirkungslos. Von der Verwaltung darf keine unnötige, überflüssige Tätigkeit verlangt werden. Ein Antragsteller, der über § 44 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten darf, hat kein rechtliches Interesse an der Rücknahme und der zusprechenden Entscheidung, die nach Abs. 4 nicht vollzogen werden dürfen. Maßgeblich für die Vier-Jahres-Frist ist vorliegend der entsprechende Überprüfungsantrag aus dem Jahr 2011 (§ 44 Abs. 4 S. 3 SGB X), so dass der Kläger selbst bei (unterstellter) Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung, Leistungen für das Jahr 2004 nicht mehr beanspruchen kann. Die Beklagte war daher nicht zur Prüfung verpflichtet, ob der unanfechtbare belastende Verwaltungsakt vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004 rechtswidrig war, da dieser in den letzten vier Jahren vor dem Überprüfungsantrag keine Wirkungen mehr hatte, die durch die Aufhebung und Ersetzung dieses Verwaltungsakts hätte beseitigt werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 197a SGG Rdnr. 3; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsverfahrens gem. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Aufhebung eines Bescheides der Beklagten vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld die Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 2. August 2004 aufgehoben hat, da der Kläger nicht erreichbar gewesen sei.
Der 1953 geborene Kläger meldete sich am 5. September 2003 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Er gab hierbei die "W.str. xx, xxxxx B. B." als Wohnanschrift an. Die Beklagte bewilligte dem Kläger hieraufhin Arbeitslosengeld ab dem 22. September 2003.
Am 7. Juli 2004 wurde durch die Deutsche Post AG im Wege einer "Anschriftenberichtigung" ein Schreiben der Beklagten an den Kläger, mit dem Vermerk, der Empfänger sei in die G.-steige x, xxxxx O. verzogen, zurückgereicht (Bl. 808 der Verwaltungsakte). Auf eine Anfrage der Beklagten betreffend des Umzugs nach O. vom 15. Juli 2004 teilte der Kläger anlässlich einer persönlichen Vorsprache mit, dass er noch nie in O. wohnhaft gewesen sei (Bl. 813 der Verwaltunsgakte). Telefonisch teilte er am 19. Juli 2004 mit, dass er selbst einen Postnachsendeantrag nach O., den Wohnort seiner Freundin, gestellt habe (Bl. 814 der Verwaltungsakte). Er legte eine Meldebestätigung der Stadtverwaltung B. B. vom 19. Juli 2004 vor, in welcher angeführt ist, dass der Kläger seit dem 1. April 1985 in der W.-str. x in xxxxx B. B. wohnhaft sei (Bl. 816 der Verwaltungsakte). Anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 20. Juli 2004 versicherte der Kläger, dass er sich unverändert in B. B. aufhalte. Er werde (heute noch) dafür sorgen, dass er auch postalisch in B. B. erreichbar sei (Bl. 821 der Verwaltungsakte). Mit Schreiben vom 9. August 2004 teilte er mit, den von ihm gestellten Nachsendeauftrag ab dem 3. August 2004 storniert zu haben (Bl. 823 der Verwaltungsakte). Telefonisch wurde der Beklagten durch die Deutsche Post AG mitgeteilt, dass der Nachsendeantrag nach O. in der Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 2. August 2004 gestellt gewesen sei (Bl. 825 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 13. August 2004 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 2. August 2004 ganz auf. Zur Begründung führte die Beklagte an, Anspruch auf Leistungen habe nur derjenige, der arbeitslos sei. Arbeitslos sei u.a. nur, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe und Vermittlungsvorschlägen zeit- und ortsnah Folge leisten könne. Der Arbeitslose habe daher sicherzustellen, dass er unter der von ihm angegebenen Anschrift an jedem Werktag durch Briefpost erreicht werden könne. Der Kläger habe in der Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 2. August 2004 einen Postnachsendeantrag nach O. gestellt, er sei in dieser Zeit nicht erreichbar, infolgedessen nicht verfügbar, mithin nicht arbeitslos gewesen (Bl. 828 der Verwaltungsakte).
Hiergegen erhob der Kläger am 6. September 2004 Widerspruch, zu dessen Begründung er vorbrachte, dass ihn Postsendungen in seinem Briefkasten in der Vergangenheit nicht erreicht hätten. In demselben Haus wie er wohne auch sein Bruder, dessen Sohn den gleichen Vornamen wie er habe, weswegen es zu Verwechslungen gekommen sei. Um diesen vorzubeugen habe er einen Nachsendeantrag an die Adresse von Frau V. K. (K.), G.steige x, xxxxx O. gestellt. Mit dieser sei vereinbart gewesen, in dem Fall, dass ein Schreiben nach O. gesandt werde, sie den Kläger fernmündlich am gleichen Tag unterrichten werde. Auch sei K. ermächtigt gewesen, die für ihn eingehende Post zu öffnen (Bl. 843 bis 844 der Verwaltungsakte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 4. Oktober 2004 Klage zum Sozialgericht Ulm erhoben. Zu deren Begründung wiederholte und vertiefte der Kläger das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und legte zudem eine eidesstattliche Versicherung der K. vom 2. Mai 2005 vor, in welcher diese an Eides statt versicherte, zwischen ihr und dem Kläger sei besprochen worden, dass sie für ihn eingehende Schreiben bei Eingang öffnen dürfe und den Kläger hierüber gegebenenfalls telefonisch unterrichten werde. Diesen Anforderungen sei sie nachgekommen. Sie habe eingehende Post am Tag des Eingangs durchgesehen und den Kläger unterrichtet, soweit ein behördliches Schreiben eingegangen sei. Sie könne daher bestätigen, dass jedes Schreiben der Beklagten den Kläger an dem Tag, an welchem es in ihren Briefkasten gelangt sei, zur Kenntnis gebracht wurde. Der Kläger legte ferner eine Bestätigung der Deutschen Post AG vor, dass die Laufzeit nachzusendender Postsendungen ca. zwei bis drei Tage betrage.
Mit Urteil vom 17. Januar 2006 (Az.: S 2 AL 2930/04) wies das Sozialgericht Ulm die Klage ab. Eine hiergegen erhobene Berufung wurde vom erkennenden Senat mit Urteil vom 16. Juli 2009 (Az.: L 13 AL 2368/07) zurückgewiesen. Auf die dortigen Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Diese Entscheidung wurde rechtskräftig. Eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 30. Dezember 2009 (B 11 AL 137/09 B) als unzulässig.
Am 9. Februar 2011 beantragte der Kläger die Überprüfung der genannten Aufhebungsentscheidung (Bl. 1036 der Verwaltungsakte). Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 9. März 2011 ab (Bl. 1041 der Verwaltungsakte) und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid 5. April 2011 zurück (Bl. 1045 der Verwaltungsakte). Eine hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Konstanz (SG; Az.: S 7 AL 941/11) mit Gerichtsbescheid vom 14. Dezember 2012 abgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 20. Dezember 2012 Berufung eingelegt und hat am 14. Februar 2013 eine Kopie eines Postnachsendeantrages vom 19. Juni 2004 vorgelegt (Bl. 20 - 22 der Akte L 13 AL 5301/12). Der Kläger macht geltend, dieser Postnachsendeantrag sei von ihm nicht unterzeichnet worden, so dass die Deutsche Post der Beklagten eine widerrechtliche Anschriftenbenachrichtigung übersandt habe. Der Kläger hat zudem ein Schreiben der Deutschen Post AG vom 28. März 2013 vorgelegt, in dem ausgeführt wird, zu dem damaligen Nachsendeauftrag lägen keine Daten mehr vor, so dass nicht mehr nachgeprüft werden könne, ob die fehlende Unterschrift seinerzeit nachgefordert und nachgereicht worden sei. Der Nachsendeauftrag könne ohne Unterschrift nicht bearbeitet werden.
Nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch den Senat mit Beschluss vom 12. Dezember 2013 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2013 eine "Umstellung" des vorliegenden Verfahrens in eine Wiederaufnahmeklage beantragt.
Der Kläger beantragt bei sachdienlicher Auslegung seines Vorbringens sinngemäß,
das Verfahren L 13 AL 2368/07 wiederaufzunehmen und das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 17. Januar 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. September 2004 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 2. August 2004 in Höhe von 852,26 EUR nachzuzahlen,
hilfsweise den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 14. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 9. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2011 zu verpflichten, den Bescheid vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004 zurückzunehmen sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis 2. August 2004 in Höhe von 852,26 EUR nachzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Vor dem erkennenden Senat führt der Kläger unter dem Az.: L 13 AL 2314/13 WA zudem ein Verfahren auf Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens Az.: L 13 AL 2368/07.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegten Verwaltungsakten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2013 eine "Umstellung" des vorliegenden Verfahrens in ein Wiederaufnahmeverfahren beantragt hat, erweist sich die damit sinngemäß begehrte Klageänderung in ein Verfahren auf Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens L 13 AL 2368/07 als unzulässig. Die Änderung der Klage ist gem. § 99 Abs. 1 SGG nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte hat der Klageänderung in der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2014 ausdrücklich widersprochen. Die Änderung der Klage in ein Wiederaufnahmeverfahren ist zur Überzeugung des Senats auch nicht sachdienlich. Da der Kläger beim erkennenden Senat bereits ein seit 23. Mai 2013 rechtshängiges Wiederaufnahmeverfahren führt (L 13 AL 2314/13 WA), erweist sich die Erhebung eines zweiten inhaltsgleichen Wiederaufnahmeverfahrens nämlich wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit als unzulässig (§ 202 SGG i.V.m. § 17 Abs.1 S.2 GVG).
Das bei der gebotenen sachdienlichen Auslegung (§ 123 SGG) des klägerischen Vorbringens hilfsweise weiterverfolgte Begehren auf rechtliche Überprüfung des Bescheides der Beklagten vom 9. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2011, hat ebenfalls keinen Erfolg. Die so verstandene Berufung ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden. Die zulässige Berufung ist jedoch nicht begründet; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004.
Ausgangspunkt der Prüfung ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Zumindest entsprechend gilt diese Regelung auch für alle Fälle, in denen Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten wurden und der Bürger sie nachträglich einfordert, insbesondere wenn er sich gegen einen Aufhebungsbescheid wendet (Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X, Rn. 4, m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BSG durchbricht diese Regelung des Verfahrensrechts nicht nur die Bindungswirkung eines Bescheids, sondern auch die Rechtskraft einer diesen bestätigenden gerichtlichen Entscheidung. Auch wenn der Bescheid durch eine rechtskräftige sozialgerichtliche Entscheidung bestätigt worden ist, ist die Beklagte danach verpflichtet, den belastenden Teil der vorgenannten Bescheide zurückzunehmen, sofern die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorliegen (BSG, Urteil vom 7. Dezember 1989 - 4 RA 110/88 -, veröffentlicht in Juris).
Einer auf § 44 SGB X gestützten Aufhebungsentscheidung steht jedoch bereits die Verfallklausel des § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Die Beklagte hat schon im erstinstanzlichen Verfahren zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004 wegen Ablauf der Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 SGB X keine Auswirkungen mehr haben kann. Wird ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, so werden gem. § 44 Abs. 4 SGB X Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Für die Berechnung des Zeitraumes tritt nach Satz 3 an die Stelle des Rücknahmeaktes ein Antrag, falls er zur Rücknahme führte. Diese Vollzugsregelung steht für die länger als vier Jahre zurückliegende Zeit, für die keine Leistungen mehr erbracht werden dürfen, einem Rücknahme- und einem Ersetzungsakt entgegen (BSG, Urteil vom 6. März 1991, Az.: 9b RAr 7/90 –, BSGE 68, 180-183). Die diesbezügliche Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X ist auf die Rücknahmeregelung des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X bezogen, die voraussetzt, dass infolge der unrichtigen Entscheidung Sozialleistungen nicht erbracht wurden. "Erbringen" bedeutet tatsächliches Leisten (BSG a.a.O., m.w.N.). Eine Aufhebungsentscheidung nach § 44 Abs.1 SGB X ist demnach nicht mehr zu erlassen, wenn sie nicht materiell ausgeführt werden darf. Sie wäre wirkungslos. Von der Verwaltung darf keine unnötige, überflüssige Tätigkeit verlangt werden. Ein Antragsteller, der über § 44 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten darf, hat kein rechtliches Interesse an der Rücknahme und der zusprechenden Entscheidung, die nach Abs. 4 nicht vollzogen werden dürfen. Maßgeblich für die Vier-Jahres-Frist ist vorliegend der entsprechende Überprüfungsantrag aus dem Jahr 2011 (§ 44 Abs. 4 S. 3 SGB X), so dass der Kläger selbst bei (unterstellter) Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung, Leistungen für das Jahr 2004 nicht mehr beanspruchen kann. Die Beklagte war daher nicht zur Prüfung verpflichtet, ob der unanfechtbare belastende Verwaltungsakt vom 13. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004 rechtswidrig war, da dieser in den letzten vier Jahren vor dem Überprüfungsantrag keine Wirkungen mehr hatte, die durch die Aufhebung und Ersetzung dieses Verwaltungsakts hätte beseitigt werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 197a SGG Rdnr. 3; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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