L 13 R 3527/13 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 1849/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 3527/13 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 4. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Ulm (SG) vom 4. Juli 2013 ist zulässig (vgl. § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist jedoch nicht begründet; die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dieser Beschwerdewert wird vorliegend nicht erreicht; der Ausnahmetatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor. Gegenstand des Klageverfahrens war der Bescheid der Beklagten vom 4. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. April 2012, mit denen die Beklagte eine Forderung der WB BG mit dem Kläger zustehenden Übergangsgeld in einer Höhe von insgesamt 580,08 EUR verrechnet hat. Aus dem klagestattgebenden Urteil des SG ergibt sich damit lediglich eine Beschwer in Höhe von 580,08 EUR (soweit das SG die Beschwerdesumme mit 581,02 EUR beziffert hat, dürfte dem eine Verwechslung mit dem gemäß Bescheid vom 4. November 2010 auszuzahlenden Leistungsbetrag zu Grunde liegen); ein Wert des Beschwerdegegenstands von über 750,00 EUR wird nicht erreicht. Auch sind keine Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen.

Da das SG die Berufung nicht zugelassen hat, bedarf eine Berufung der Zulassung durch Beschluss des Landessozialgerichts (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor.

Der Rechtssache kommt zunächst keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine Klärung erfolgt (ständige Rechtsprechung des BSG seit BSGE 2, 121, 132 zur entsprechenden früheren Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. nur Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 144 SGG Rdnr. 28). Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage in diesem Sinn wirft die Streitsache nicht auf. Die Voraussetzungen unter denen die Beklagte eine Verrechnung gem. § 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) durchführen kann, sind in höchstrichterlicher Rechtsprechung geklärt und werden unter anderem in den von der Beklagten in der Beschwerdeschrift genannten Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) ausführlich dargetan (BSG, Urteil vom 24. Juli 2003, Az.: B 4 RA 60/02 R; Urteil vom 7. Februar 2012, Az.: B 13 R 85/09 R; Urteil vom 31. Oktober 2012, Az.: B 13/12 R). Die Überlegung der Beklagten, es sei zu klären, ob über den Einzelfall hinaus ein besonders grober Fehler der Beklagten vorliege, der auf allgemeiner behördlicher Praxis beruhe, ist daher nicht geeignet eine grundsätzliche Bedeutung des vorliegenden Rechtsstreits zu begründen, zumal es sich bei Verrechnungsentscheidungen immer um Einzelfallentscheidungen handelt und eine allgemeine Verrechnungspraxis der Beklagten kein zulässiger Prüfungsgegenstand des vorliegenden Verfahrens sein kann. Soweit die Beklagte ihre Nichtzulassungsbeschwerde zudem damit begründet, die von ihr vorgenommene Auslegung der genannten BSG Urteile, sei mit der inhaltlichen Entscheidung des SG nicht zu vereinbaren, vermag auch dies keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache zu begründen, sondern betrifft allein die inhaltliche Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung. Diese ist im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht zu prüfen.

Des Weiteren liegt auch eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht vor. Eine solche Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt (vgl. hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 160 Rdnr. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Ein abstrakter Rechtssatz liegt nur vor bei fallübergreifender, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalls bezogener rechtlicher Aussage. Einen derartigen abstrakten abweichenden Rechtssatz hat das SG in seinem Urteil nicht aufgestellt, so dass eine Divergenz bereits deswegen nicht in Betracht kommt. Das SG hat vielmehr im konkreten Einzelfall geprüft und entschieden, ob die Verrechnungsentscheidung der Beklagten rechtmäßig ist. Wörtlich hat das SG hierzu ausgeführt: "Die Beklagte hätte in ihrem Bescheid die Forderung nach Grund und Höhe so bestimmt bezeichnen müssen, dass erkennbar gewesen wäre, welche konkrete Forderung zur Verrechnung gestellt wird (so auch Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 24.07.2003, B 4 RA 60/02 R). Stattdessen hat die Beklagte, soweit aus der Verwaltungsakte erkennbar, sich darauf beschränkt, die Außenstände der Beigeladenen zu erfragen und diese als Gesamtsumme dann geltend zu machen. Dass dies nicht ausreichen kann, ergibt sich vorliegend schon daraus, dass der Kläger mehrfach die Einrede der Verjährung erhoben hat. Nachdem hier auch Beitragsansprüche aus den Jahren 1982 und 1983 im Raum stehen, ist das Durchgreifen der Einrede nicht von vornherein ausgeschlossen. Da aber nicht deutlich gemacht worden ist, welche Ansprüche konkret verrechnet werden sollen, lässt sich auch nicht prüfen, ob diese verjährt sind. Die von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen vermögen hier auch nicht weiterzuhelfen, nachdem kein Bescheid vorhanden ist, der die angegebene Gesamtsumme (nach Rückrechnung auf DM) enthalten würde. Auf die Gesamtsumme aus Beitragsrückständen, Säumniszuschlägen und sonstigem kann, wie die Verjährungsproblematik deutlich zeigt, nicht abgestellt werden." Die Überlegungen des SG, insbesondere zur Auswirkung der geltend gemachten Verjährungsproblematik, gelten ausschließlich für den konkreten Einzelfall und sind nicht verallgemeinerungsfähig, so dass ein abstrakter Rechtssatz erkennbar nicht aufgestellt werden sollte und wurde.

Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass das SG entgegen der Auffassung der Beklagten auch objektiv nicht von der Rechtsprechung des BSG abweicht. Vielmehr folgt das SG ausdrücklich der Entscheidung des BSG vom 24. Juli 2003, Az.: B 4 RA 60/02 R. Der Senat kann der Rechtsprechung des BSG, insbesondere auch den von der Beklagten in der Beschwerdeschrift genannten Urteilen des 13. Senates des BSG vom 7. Februar 2012, Az.: B 13 R 85/09 R und vom 31. Oktober 2012, Az.: B 13/12 R, keinen abstrakten Rechtssatz entnehmen, von dem das SG mit seiner Entscheidung abweicht. Die Beklagte schildert zwar zutreffend, dass es nach Rechtsprechung des BSG grundsätzlich für die Bestimmtheit eines Verrechnungsbescheides ausreichend ist, wenn eine zur Verrechnung gestellte Forderung bestimmbar ist. Hierzu hat sich das SG aber auch nicht in Widerspruch gesetzt. Vielmehr hat das SG am Einzelfall orientiert dargelegt, dass es in den konkreten Situation und aufgrund des konkreten Vortrags des Klägers zur Prüfung der vom Kläger gerügten Verjährungsfrage einer weiteren Konkretisierung bedurft hätte. Schließlich vermag der Senat auch der Schlussfolgerung der Beklagten nicht zu folgen, die Rechtsprechung des BSG belege, dass die Beklagte - wie diese in ihrer Beschwerdeschrift ausführt - bei streitigen Forderungen nicht als eine "Art Zwischenvermittler der Parteien" auftreten müsse. Einen derartigen allgemeinen Rechtssatz hat das BSG nicht aufgestellt. Sollte die Beklagte damit nämlich meinen, sie brauche dem Einwand, die zur Verrechnung gestellte Forderung bestehe nach Grund oder Höhe ganz oder teilweise nicht mehr oder sei nicht durchsetzbar, nicht nachzugehen, widerspricht dies vielmehr der Rechtsprechung des BSG und verkennt, dass Grundvoraussetzung einer Verrechnung nach § 52 SGB I das Bestehen einer Verrechnungslage ist. Bei streitigen Forderungen hat das BSG im Urteil vom 7. Februar 2012, Az.: B 13 R 85/09 R klargestellt, dass eine Konkretisierung bzw. Individualisierung der Forderung unumgänglich ist (vgl. BSG, a.a.O, zitiert nach Juris, Rn. 53). Wörtlich hat das BSG ausgeführt: " dem insoweit Beschwerten bleibt es unbenommen, im Vor- und Klageverfahren geltend zu machen, die zur Verrechnung gestellte (Gesamt-)Forderung des anderen Leistungsträgers bestehe nach Grund oder Höhe ganz oder teilweise nicht (bzw. nicht mehr). Dann mag der verrechnende Leistungsträger darlegen und nachweisen, welche Forderungen ihm aufgrund der Ermächtigung des anderen Leistungsträgers zur Verrechnung zur Verfügung gestanden haben. Ist streitig, ob (und ggf welche) bzw. in welchem Umfang Forderungen durch Verrechnung (bereits) erloschen sind, so ist die Konkretisierung (bzw. Individualisierung) der Forderungen, mit denen die Verrechnung durch Verwaltungsakt erklärt wurde, unumgänglich. Denn nur auf diese Weise kann festgestellt werden, ob und inwieweit einen Verrechnungslage (entsprechend § 387 BGB) bestanden hat " Die Entscheidung des SG weicht hiervon nicht ab, sondern entspricht vielmehr der BSG Rechtsprechung.

Da ein wesentlicher Mangel des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des dritten Zulassungsgrundes nicht geltend gemacht worden ist, war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 SGG.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).

Das angefochtene Urteil des SG wird hiermit rechtskräftig (vgl. § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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