L 4 R 2829/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 1379/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 2829/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Juni 2012 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1964 geborene und bei der Beklagten gesetzlich rentenversicherte Kläger war zuletzt von 1985 bis 2000 als angelernter Buchbinderhelfer versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 17. Mai 2000 war er arbeitsunfähig. Seither hat er keine versicherungspflichtige Tätigkeit mehr aufgenommen und bezieht seit November 2001 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit.

In der Zeit vom 8. Januar bis 12. März 2001 führte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatischen Klinik S. W. durch, aus der er arbeitsunfähig entlassen, jedoch noch für in der Lage gehalten wurde, mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei Vermeidung von Nachtschichtarbeit vollschichtig zu verrichten (Entlassungsbericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. vom 16. März 2001).

Ärztlicher Leiter der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie P.-E. Dr. W. berichtete in einem Arztbrief vom 2. März 2006 über ein Vorgespräch mit dem Kläger vom 28. Februar 2006. Er sei wach und orientiert, seine Stimmung niedergeschlagen und die Schwingungsfähigkeit nur teilweise erhalten gewesen. Er habe sehr klagsam gewirkt und seine somatischen Probleme fast routiniert geschildert. Diagnostisch sei er (Dr. W.) von einer längeren depressiven Störung mit somatischem Syndrom ausgegangen. Hinzu sei ein schädlicher Gebrauch von Acetylsalicylsäure getreten, wobei die seit zehn Jahren bestehende Dauermedikation habe ursächlich für den Tinnitus und die chronischen Kopfschmerzen des Klägers sein können. Therapeutisch schlug er einen Analgetika-Entzug im stationären Rahmen vor. Eine tagesklinische Behandlung sei aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten und dem Wunsch des Klägers nach freundschaftlichen Kontakten mit anderen Menschen nicht sinnvoll und indiziert gewesen.

Erstmals beantragte der Kläger am 25. November 2005 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch die Neurologin und Psychiaterin Dr. U ... Diese diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 31. Januar 2006, das sie nach einer Untersuchung des Klägers vom 20. Januar 2006 unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgelegten ärztlichen Befundberichte erstellte, eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom, einen Verdacht auf Dysthymia und einen Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung. Unter Berücksichtigung dieser psychischen Beeinträchtigungen habe ein positives Leistungsvermögen im Umfang von sechs Stunden täglich und mehr für körperlich leichte Tätigkeiten ohne Zeitdruck, ohne Nachschicht und ohne besondere psychische und/oder geistige Beanspruchung bestanden. Sie empfahl die Prüfung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers bestandkräftig mit der Begründung ab, er sei nicht erwerbsgemindert, da er noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne (Bescheid vom 17. Februar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Mai 2006).

In der Zeit vom 11. März bis 8. April 2008 führte der Kläger eine weitere stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der R.-H.-Klinik durch. Im Entlassungsbericht vom 17. April 2008 diagnostizierte Chefarzt Dr. M. eine Neurasthenie bei narzistisch-zwanghafter Persönlichkeit. Eine tiefgreifende depressive Störung oder Angststörung habe ausgeschlossen werden können. Es hätten Einschränkungen in der psychischen Belastbarkeit bestanden, so dass dem Kläger keine Arbeiten mehr in Nachtschicht oder unter hohem Zeitdruck zumutbar seien. Weitere Leistungseinschränkungen hätten nicht bestanden. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt habe unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestanden.

In einem Arztbrief vom 21. April 2008 berichtete Neurologe und Psychiater Dr. L., er habe beim Kläger neben einem Tinnitus aurium eine schwere depressive Episode diagnostiziert. Er sei völlig aufgelöst, niedergeschlagen, antriebsgestört und akut suizidal gewesen. Er sei ganz unglücklich gewesen, dass er sich in der Rehabilitationsmaßnahme nicht in seinem Zustand habe verbessern können. Er (Dr. L.) habe die Medikation umgestellt. Aufgrund der akuten Suizidalität sei von einer längeren Arbeitsunfähigkeit auszugehen gewesen. In einem weiteren Arztbrief vom 4. Dezember 2008 berichtete Dr. L. unter Nennung derselben Diagnosen, der Zustand des Klägers habe sich etwas stabilisiert. Die umgestellte Medikation habe sich bewährt. Es hätten Gespräche stattgefunden und eine psychotherapeutische Mitbehandlung sei geplant gewesen. Er (Dr. L.) empfahl eine nochmalige stationäre Behandlung, um zu sehen, ob nicht doch eine Aktivitätssteigerung und eine Verbesserung einer möglichen Wiedereingliederung habe geschaffen werden können. Unter dem 23. Juni 2009 berichtete Dr. L., der Kläger habe einerseits über Müdigkeit, andererseits über Unruhe, aggressive Anfälle und Ängste geklagt, mit denen er nur schwer fertig werde. Außerdem hätten depressive Zustände bestanden, bei denen er oft habe weinen müssen. Er sei mit Konflikten innerhalb der Familie nicht klargekommen, habe allerdings einiges für sich getan und sei z.B. Rad fahren gegangen, habe im Garten gearbeitet und sei viel an der frischen Luft gewesen. Er (Dr. L.) habe eine schwere Depression, eine gemischte Angst und depressive Störung, eine Persönlichkeitsstörung und einen Tinnitus aurium diagnostiziert.

Einen vom Kläger im Oktober 2008 gestellten Antrag auf eine erneute stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Dezember 2008 mit der Begründung ab, es sei keine Rehabilitationsmaßnahme, sondern eine Krankenhausbehandlung angezeigt gewesen. Der Widerspruch und die Klage hiergegen waren ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 23. März 2009 und rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe [SG] vom 27. Januar 2010 - S 14 R 1563/09 -).

Am 7. Mai 2009 stellte der Kläger den hier streitgegenständlichen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er gab an, seit 1995 an enormen Kopfschmerzen, Depressionen, Schlafstörungen, Müdigkeit, innere Unruhe, Vergesslichkeit und an Tinnitus zu leiden. Zuletzt seien seine Probleme, insbesondere seine Aggressivität, sehr gestiegen. Die Beklagte veranlasste erneut eine Begutachtung durch Dr. U., die in ihrem Gutachten vom 19. August 2009, das sie nach einer weiteren Untersuchung des Klägers vom 7. August 2009 unter Berücksichtigung der weiteren vorliegenden Befundberichte erstellte, ein neurasthenisches Syndrom und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (narzistisch und anankastisch) diagnostizierte. Der Kläger sei zu körperlich bis mittelschweren Tätigkeiten ohne besondere psychische Beanspruchung, Zeitdruck oder Nachtschicht im Umfang von sechs Stunden täglich und mehr in der Lage. Der psychopathologische Befund sei von mäßiggradiger Affektbeeinträchtigung, Somatisierung, vegetativen Stigmata und leicht eingeschränkter psychomentaler Belastbarkeit geprägt. Die neurophysiologischen Zusatzuntersuchungen seien ohne pathologischen Befund gewesen. Laborchemisch sei der Wirkspiegel der Antidepressiva sehr niedrig gewesen, so dass von einer unzureichenden Compliance hinsichtlich der Medikamenteneinnahme auszugehen sei.

Mit Bescheid vom 7. September 2009 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab. Der Kläger sei weder voll, noch teilweise erwerbsgemindert, da er noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein könne. Der Kläger erhob Widerspruch und legte ein Attest von Dr. L. vom 10. November 2009 vor, in dem dieser ausführte, der Kläger leide an einer schweren chronischen Depression mit Antriebsstörungen, Niedergeschlagenheit, Rückzugstendenzen, innerer Unruhe, stets am Rande der Dekompensation und seit Jahren immer wieder an Suizidalität. Die Symptomatik sei so schwerwiegend und chronifiziert, dass seine Leistungsfähigkeit dauerhaft auf unter drei Stunden täglich gesunken sei. Dies sei auch mit klinischen Maßnahmen nicht zu ändern. Als Diagnosen nannte er eine rezidivierende Depression bei gegenwärtig schwerer Episode und eine Persönlichkeitsstörung. Die Beklagte holte eine sozialmedizinische Stellungnahme der Ärztin für Anästhesie und Sozialmedizin Dr. Sc. vom 11. Februar 2010 ein, die ausführte, die von Dr. L. angegebenen Diagnosen seien Dr. U. bei ihrer Begutachtung bekannt gewesen, jedoch sei sie diesen nicht gefolgt, sondern habe die Diagnosen im Entlassungsbericht des Dr. M. vom 17. April 2008 bestätigt. Neue medizinische Aspekte hätten sich nicht ergeben. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 2010 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück.

Der Kläger erhob am 30. März 2010 Klage beim SG und verwies zur Begründung auf die Feststellungen seiner behandelnden Ärzte.

Die Beklagte trat der Klage mit der Begründung entgegen, es lägen keine neuen Gesichtspunkte vorliegen.

Das SG hörte die den Kläger behandelnden Ärzte Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) Dr. Sch., Facharzt für Allgemeinmedizin Tan und Facharzt für Nervenheilkunde Dr. Schw. sowie den behandelnden Psychotherapeuten Dipl.-Psych. B. als sachverständige Zeugen. Dr. Sch. gab unter dem 1. Mai 2011 an, der Kläger leide an einer geringen Schwerhörigkeit beidseits und einem chronischen Tinnitus aurium beidseits. Eine retrocochleäre Störung habe er ausschließen können. Die für die Leistungsfähigkeit des Klägers maßgeblichen Leiden lägen nicht im Fachgebiet der HNO-Heilkunde. Eine mögliche Versorgung mit Noisern zur Behandlung der Ohrgeräusche habe der Kläger abgelehnt. Arzt T. berichtete unter dem 17. Mai 2011, er habe den Kläger seit April 1999 durchschnittlich ein- bis zweimal monatlich behandelt. Seit Behandlungsbeginn habe er (der Kläger) über depressive Beschwerden, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Ohrgeräusche beidseits, Antriebslosigkeit und innere Unruhe geklagt. Körperlich habe bei hypotonem Herz-Kreislauf-System ein guter Allgemeinzustand bestanden. Neurologisch pathologische Befunde hätten nicht vorgelegen. Er sei psychisch depressiv, nervös, unruhig und wegen der bisherigen erfolglosen multimodalen interdisziplinären Therapiemaßnahmen verzweifelt gewesen. Sein Denkvermögen sei intakt gewesen. Er sei orientiert, kooperativ, jedoch etwas unkonzentriert gewesen. Im Laufe der Behandlung habe er keine Änderung im Gesundheitszustand des Klägers festgestellt. Dr. Schw. führte unter dem 16. Mai 2011 aus, er habe den Kläger einmalig am 15. Februar 2011 untersucht. Er (der Kläger) habe über eine chronische depressive Verstimmung, innere Unruhe, Konzentrationsstörungen, Lustlosigkeit und Antriebsstörung geklagt sowie Ängste vor größeren Menschenmassen geäußert. Er (Dr. Schw.) habe eine Dysthymie diagnostiziert. Dipl.-Psych. B. gab unter dem 25. Mai 2011 an, er habe den Kläger vom 30. April bis 11. August 2009 im Rahmen von elf Terminen wegen einer rezidivierenden depressiven Störung psychotherapeutisch behandelt. Der Kläger habe die Psychotherapie mit der Begründung, diese helfe ihm nicht, abgebrochen. Arzt für Neurologie V. übersandte dem SG die genannten Arztbriefe des Dr. L ...

Anschließend veranlasste das SG eine Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Di ... In seinem Gutachten vom 6. Dezember 2011, das er nach einer Untersuchung des Klägers vom 5. Dezember 2011 erstellte, führte er aus, beim Kläger bestünde eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit asthenisch-narzistischen und ängstlich-vermeidenden Anteilen, eine Dysthymie und eine S1-Wurzelirritation rechts bei vermutlich degenerativen LWS-Veränderungen. In der Motorik sei das Gangbild ungestört und es seien keine Paresen oder Muskelatrophien feststellbar. Er sei wach, bewusstseinsklar und in allen Dimensionen voll orientiert. In seiner Aufmerksamkeit sei er nicht eingeschränkt und seine Konzentrationsfähigkeit sei während der Untersuchung erhalten geblieben. Der formale Gedankengang sei unauffällig und die Umstellungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Die Stimmungslage des Klägers sei depressiv ausgelegt und seine affektive Schwingungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Er habe seine Vitalität als beeinträchtigt erlebt, latente Suizidtendenzen angedeutet und über ausgeprägte Schlafstörungen geklagt. Sein Antriebsverhalten sei ausgeglichen, allerdings habe er über eine rasche Erschöpfbarkeit und ein eingeschränktes Durchhaltevermögen geklagt. Sein psychischer Leidensgrad sei dabei als schwer anzusehen, wobei die psychischen Begleitsymptome eher leichtgradig ausgeprägt seien. Die Auswirkungen der psychischen Krankheitsbilder auf seine Lebensführung und -gestaltung seien als mindestens mittelschwer ausgeprägt anzusehen. Aufgrund der Einschränkungen, des psychischen Durchhaltevermögens und der inzwischen fortgeschrittenen Chronifizierung und Progredienz der Symptomatik könne er Beschäftigungen des allgemeinen Arbeitsmarkts spätestens seit 2009 nur noch unter drei Stunden täglich ausüben.

Die Beklagte blieb unter Vorlage der sozialmedizinischen Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Hei. vom 26. Januar 2012 bei ihrer Auffassung, das quantitative Leistungsvermögen des Klägers sei nicht eingeschränkt.

Mit Urteil vom 14. Juni 2012 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 8. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März "2009" (gemeint: 11. März 2010) auf und verurteilte die Beklagte bei Klagabweisung im Übrigen zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. August 2009 bis 31. Juli 2012. Zur Begründung führte es aus, der Kläger sei nicht mehr in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts zu verrichten. Der Sachverständige Dr. Di. habe in seinem Gutachten die Diagnosen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit asthenisch-narzistischen und ängstlich-vermeidenden Anteilen sowie eine Dysthymie gestellt. Seine sozialmedizinische Leistungsbeurteilung sei schlüssig, überzeuge und korrespondiere mit der Leistungsbeurteilung des den Kläger langjährig behandelnden Facharztes Dr. L ... Der Kläger stehe bereits seit Jahren immer wieder in psychiatrischer Behandlung mit entsprechender Medikation. Dr. Di. habe eine medikamentöse antidepressive Therapie in höherer Dosierung geschildert und überzeugend ausgeführt, dass der Kläger aufgrund seines psychischen Durchhaltevermögens Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nur weniger als drei Stunden täglich erbringen könne. Der Kläger habe im Rahmen der Begutachtung zwar einen einigermaßen strukturierten Tagesablauf geschildert, jedoch könne er normalen Alltagspflichten nicht mehr nachkommen. Alle früheren Interessen und Neigungen habe er aufgegeben. Er habe seine sozialen Kontakte weitestgehend eingeschränkt und meide den Kontakt mit anderen Menschen einschließlich der eigenen Familie. Er ziehe sich zu Waldspaziergängen oder in seinen Schrebergarten zurück und verbringe die Zeit dort einsam und grübelnd. Er sei während der Begutachtung depressiv verstimmt gewesen und habe in seiner affektiven Schwingungsfähigkeit eingeschränkt gewirkt. Eine resignativ-regressive Haltung sei spürbar gewesen. Der psychische Leidensgrad sei als schwer zu bezeichnen. Dr. Di. habe weiter ausgeführt, dass auch unter Anlegung eines strengen Maßstabs und bei kritischer Würdigung auszuschließen sei, dass die beim Kläger vorliegenden Störungen vorgetäuscht, nur gelegentlich zu beobachten oder bei aller zumutbaren Willensanstrengung aus eigener Kraft überwunden werden könnten. Er (Dr. Di.) habe auch überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass sich die psychische Erkrankung des Klägers auf dem Boden einer Persönlichkeitsstörung entwickelt habe. Dies habe zur Folge, dass der Kläger bestehende Erlebnisse und Ereignisse nicht adäquat bewältigen könne. So habe das Scheitern seiner ersten Ehe bei ihm eine anhaltende narzistische Kränkung ausgelöst. Als Reaktion auf seine belastende Lebenssituation habe sich sodann eine depressive Verstimmung entwickelt. Sie habe mittlerweile den Charakter einer Dysthymie angenommen, der in typischer Weise immer wieder deutlichere depressive Stimmungsschwankungen aufgelagert seien. Die depressive Verstimmung des Klägers sei mittlerweile chronifiziert. Es sei deshalb davon auszugehen, dass es dem Kläger nicht gelingen könne, Belastungen in der Arbeitswelt so zu begegnen, dass er diese in normalem Maß verarbeiten und überwinden könne. Zweifel bestünden allerdings dahingehend, ob die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers auf Dauer bestünden, so dass die dem Kläger zu gewährende Rente wegen voller Erwerbsminderung auf die Dauer von drei Jahren zu befristen gewesen sei.

Gegen das ihnen jeweils am 22. Juni 2012 zugestellte Urteil haben sowohl der Kläger am 16. Juli 2012 als auch die Beklagte am 3. Juli 2012 Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor, er habe Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, da Dr. Di. in seinem Gutachten eindeutig beschrieben habe, dass seine depressive Verstimmung chronifiziert sei. Im Laufe der vergangenen 15 Jahre seien zahlreiche Behandlungsversuche unternommen worden, ohne dass diese einen wirklichen Erfolg gehabt hätten. Es gebe keine Möglichkeit mehr, seine Beschwerden zu heilen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Juni 2012 abzuändern, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2009 zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 1. Mai 2009 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zu gewähren und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Juni 2012 aufzuheben, die Klage in vollem Umfang abzuweisen und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie sehe eine rentenrelevante Leistungsminderung seit Januar 2009 nicht mit der erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als erwiesen an. Im Übrigen verweist die Beklagte auf eine von ihr vorgelegte sozialmedizinische Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 28. Juni 2012. Dieser führt darin aus, die Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Dr. Di. sei aus psychiatrisch-psychotherapeutischer und sozialmedizinischer Sicht nach dessen vorgelegten Befunden nicht nachvollziehbar. Bei einer Dysthymie handle es sich um ein leichtgradiges depressives Verstimmungsbild, das noch nicht einmal die Voraussetzungen einer wenigstens leichtgradigen depressiven Störung erfülle. Die vom Sachverständigen beschriebenen leistungsrelevanten kognitiven Befunde entsprächen keiner schwergradigen psychischen Erkrankung, von der eine nennenswerte sozialmedizinisch relevante Leistungseinschränkung zu erwarten sei. Die vom Sachverständigen Dr. Di. angenommene kombinierte Persönlichkeitsstörung mit asthenisch-narzistischen und ängstlich-vermeidenden Anteilen entwickle sich bereits in frühester Jugend und setze sich mit steigender Relevanz im Erwachsenenalter fort. Diese Charakterzüge habe der Kläger in das Erwerbsleben eingebracht und mit diesen neurotischen Schwierigkeiten über Jahre hinweg gearbeitet. Eine sozialmedizinisch relevante quantitative Leistungseinschränkung lasse sich hiermit nicht begründen. Bei einer Wurzelirritation S 1 rechts bei vermutlich degenerativen LWS-Veränderungen handle es sich um eine Akuterkrankung einer Nervenwurzel im Bereich der Lendenwirbelsäule, die unter adäquater Diagnostik und Therapie keine überdauernde Leistungseinschränkung erwarten lasse. Im Hinblick auf das Freizeitverhalten des Klägers mit großen Fahrradausflügen und Waldspaziergängen entstehe nicht der Eindruck eines schwer depressiv zurückgezogenen Patienten. Der Kläger beschäftige sich offensichtlich auch im Schrebergarten, lese Zeitungen oder Bücher und gehe in Urlaub, so dass davon auszugehen sei, dass ihm dies Freude bereite und mit Ausdauer betrieben werde. Mögliche innere Hemmnisse seien demnach mit der nötigen Willensanstrengung vom Kläger überwindbar. Die beschriebenen Insuffizienzgefühle oder die starke Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls seien typische Anzeichen der Persönlichkeitsstörung mit asthenisch-narzistischen und ängstlich-vermeidenden Anteilen. Sie seien Teil seiner Charakterstruktur und nicht eines leistungseinschränkenden Krankheitsprozesses. Zusammenfassend habe der Sachverständige Dr. Di. einen auffälligen Charakter des Klägers im Sinne einer kombinierten Persönlichkeitsstörung beschrieben. Auf dem Boden dieser neurotischen Struktur habe sich eine chronifizierte leichtgradige depressive Verstimmung bei ansonsten psychopathologischen Normalbefund eingestellt. Dies entspreche einem Verstimmungszustand, der nicht einmal den Kriterien einer leichtgradigen depressiven Episode entspreche. Quantitative Leistungseinschränkungen ließen sich hierdurch nicht begründen. Die Darstellung des Leistungsvermögens durch den Sachverständigen Dr. Di. sei daher nicht schlüssig und somit medizinisch nicht nachvollziehbar.

Der Senat hat das nach einer Untersuchung des Klägers vom 12. November 2012 erstellte Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Niessner vom 14. Dezember 2012 erhoben. Dieser hat eine Dysthymia auf dem Boden einer Persönlichkeitsstörung mit anankastisch, ängstlich vermeidenden und narzistischen Merkmalen, eine rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert und einen Tinnitus diagnostiziert. Bei der körperlichen Untersuchung habe der Kläger keine Störungen der Lendenwirbelsäulenbeweglichkeit gezeigt. Es hätten auch keine Atrophien oder Paresen bestanden. Der Gang sei unauffällig, der Einbeinstand möglich und der Strichgang sicher gewesen. Der psychisch-psychiatrische Befund habe einen wachen, bewusstseinsklaren und allseitig orientierten, jedoch etwas nervösen Probanden gezeigt. Der Kläger sei durch ein reichhaltiges gestisches Ausdrucksverhalten aufgefallen. Im Kontakt sei er ausreichend flexibel und zugewandt gewesen. Kognitiv hätten während der gesamten Explorationsdauer keine Aufmerksamkeits-, Konzentrations- oder Auffassungsstörungen bestanden. Affektiv habe eine dysphorisch gereizte, leichte depressiv ausgelegte Stimmung im Vordergrund gestanden. Eine Antriebsstörung sei nicht erkennbar gewesen. Der Kläger sei zeitweise ablenkbar und aufheiterbar gewesen, habe sich bei näherer Befragung aber oft wieder gereizt gezeigt und sich zurückgezogen. Seine Persönlichkeit zeige narzistische, ängstlich-vermeidende und anankastische Merkmale. Der vom Kläger geschilderte Tagesablauf zeige eine hinreichende Fähigkeit zur Strukturierung. So stehe er regelmäßig auf, unternehme Spaziergänge, helfe seiner Ehefrau bei Hausarbeiten, beschreibe zudem kreative Freizeitaktivitäten in Form von Dichtungen und sei im September 2012 drei Wochen lang im Urlaub gewesen. Er habe lediglich ein Ausweichverhalten innerhalb des familiären Kontextes beschrieben. Der Behandlungsverlauf spreche gegen eine hinreichende Therapiemotivation und damit auch gegen einen höheren Leidensdruck von Seiten der mittlerweile chronifizierten depressiven Störung. Es hätten sich darüber hinaus auffällige Diskrepanzen hinsichtlich der vorgetragenen Beschwerden und des während der Exploration bestehenden Ausdrucksverhaltens ergeben. Im Ergebnis bestünden beim Kläger aufgrund der persönlichkeitsspezifischen Merkmale und der mittlerweile chronifizierten Depression sowie der hierdurch bedingten körperlichen Beschwerden in Form der Ganzkörperschmerzen, linksseitigen Knieschmerzen und Schwindelepisoden zwar qualitative Leistungseinschränkungen (keine schweren körperlichen Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten von mehr als 15 kg, keine Tätigkeiten mit Belastung der Kniegelenke, keine Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, keine Tätigkeiten unter Zeitdruck und Stressbelastung wie Akkord-, Fließband- und Schichtarbeiten, keine Tätigkeiten unter nervlicher Belastung und mit hohem Publikumsverkehr), jedoch könne er unter Berücksichtigung dieser qualitativer Leistungseinschränkungen noch leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich ausüben.

Der Senat hat sodann eine ergänzende Stellungnahme von Dr. Di. vom 2. April 2013 ein geholt, der darin ausgeführt hat, Dr. Niessner habe seine diagnostischen Überlegungen im Wesentlichen bestätigt, wobei er eine Remission der Stimmungsschwankungen konstatiert habe. Solche Stimmungsschwankungen seien bei Patienten, die an einer Dysthymie erkrankt seien, der eine rezidivierende depressive Verstimmung aufgelagert sei, nicht selten zu beobachten. Dabei seien jedoch Krankheitsphasen mit vorübergehender emotionaler Ausgeglichenheit nicht von Dauer. Rückblickend schätze er seine ursprüngliche Einschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers zwar als etwas zu pessimistisch ein, jedoch sei die Leistungsfähigkeit des Klägers nach seiner Meinung aufgrund der anhaltenden Einschränkung der psychischen Belastbarkeit und des mangelhaften Durchhaltevermögens auch quantitativ reduziert, so dass er auch zu leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes allenfalls im Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich in der Lage sei.

Zu dem Gutachten des Dr. Niessner und der ergänzenden Stellungnahme des Dr. Di. hat die Beklagte die weitere sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. N. vom 22. April 2013 vorgelegt, der dargelegt hat, aus sozialmedizinischer Sicht sei von einem erhaltenen quantitativem Leistungsvermögen auszugehen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegten Berufungen des Klägers und der Beklagten sind zulässig. Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung des Bescheides vom 8. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2009 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. August 2009 bis 31. Juli 2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Der Bescheid der Beklagten vom 8. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), denn er ist nicht erwerbsgemindert.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung vom 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Nach diesen Maßstäben ist der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Er ist nach der Überzeugung des Senats seit der Stellung des Rentenantrags noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat entnimmt dies dem Entlassungsbericht des Dr. M. vom 17. April 2008, dem von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. U. vom 19. August 2009, der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. Sch. vom 1. Mai 2011 und dem im Berufungsverfahren von Dr. Niessner erstatteten Sachverständigengutachten vom 14. Dezember 2012.

Auf nervenärztlichem Fachgebiet leidet der Kläger an einer Dysthymia auf dem Boden einer anankastisch, narzistisch und ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstruktur sowie einer rezidivierenden depressiven Störung. Dies entnimmt der Senat dem Entlassungsbericht des Dr. M. vom 17. April 2008, dem Gutachten von Dr. U. vom 19. August 2009 und dem Sachverständigengutachten von Dr. Niessner vom 14. Dezember 2012. Insoweit besteht hinsichtlich der Diagnosen auch keine Abweichung gegenüber dem Sachverständigen Dr. Di. in seinem Gutachten vom 6. Dezember 2011, wie dieser selbst in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 2. April 2013 ausgeführt hat. Darüber hinaus leidet der Kläger auf HNO-ärztlichem Fachgebiet an einer geringen Schwerhörigkeit und einem chronischen Tinnitus aurium, wie sich der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. Sch. vom 1. Mai 2011 entnehmen lässt. Weitere rentenrelevanten Gesundheitsstörungen liegen beim Kläger nicht vor.

Aus den beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen ergeben sich nach der Überzeugung des Senats qualitative Leistungseinschränkungen. Aufgrund der durch die seelische Störung herabgesetzten psychomentalen Belastbarkeit und der im Hinblick auf die rezidivierende Störung erhöhten Vulnerabilität sind Tätigkeiten unter Zeitdruck und Stressbelastung wie Akkord-, Fließband- und Schichtarbeiten sowie Tätigkeiten unter nervlicher Belastung oder solche mit hohem Publikumsverkehr vom Kläger zu vermeiden. Aufgrund seiner durch die depressive Störung bedingten körperlichen Beschwerden hat er darüber hinaus schwere körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten mit einem Gewicht von mehr als 15 kg, Tätigkeiten mit Belastung der Kniegelenke und solche auf Leitern und Gerüsten zu vermeiden. Aufgrund der geringfügigen Schwerhörigkeit und des Tinnitus sind ihm darüber hinaus Tätigkeiten mit höherer Lärmexposition und solche, die ein intaktes Hörvermögen voraussetzen, nicht möglich. Sonstige qualitative Leistungseinschränkungen liegen beim Kläger nicht vor. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. U. vom 19. August 2009 und dem Sachverständigengutachten von Dr. Niessner vom 14. Dezember 2012. Damit liegt auch der Ausnahmefall einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu etwa Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 1. März 1984 4 RJ 43/83 - und 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - m.w.N; auch Großer Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, alle in juris) nicht vor. Die beim Kläger vorliegenden Einschränkungen können zwar das Spektrum der für ihn in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Die beim Kläger als rentenrelevant zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen führen jedoch nicht zu einem Absinken des tatsächlichen Restleistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß; vielmehr ist der Kläger noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Der Senat stützt sich insoweit auf die übereinstimmenden Beurteilungen des Dr. M. im Entlassungsbericht vom 17. April 2008, der Dr. U. im Gutachten vom 19. August 2009 und des Dr. Niessner im Sachverständigengutachten vom 14. Dezember 2012. Der Senat vermag demgegenüber nicht der Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens durch den Sachverständigen Dr. Di. sowie die behandelnden Ärzte Dr. L. und T. zu folgen. Die Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens durch Dr. M., Dr. U. und Dr. Niessner ist aufgrund der von ihnen erhobenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar. Darüber hinaus stimmen die von Dr. Di. erhobenen objektiven Befunde weitgehend mit den von Dr. M., Dr. U. und Dr. Niessner erhobenen überein. So stellte auch Dr. Di. bei seiner Untersuchung eine uneingeschränkte Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, einen unauffälligen Gedankengang, eine unbeeinträchtigte Umstellungsfähigkeit und ein ausgeglichenes Antriebsverhalten des Klägers fest. Seine Beurteilung, der Kläger könne leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr im Umfang von sechs Stunden täglich verrichten, hat er im Wesentlichen auf die subjektiven Angaben des Klägers über Schlafstörungen und eine rasche Erschöpfbarkeit sowie auf die inzwischen langjährige nervenärztliche Behandlung des Klägers gestützt. Dies vermag nicht zu überzeugen, da sich eine Leistungsminderung nur auf der Grundlage von objektiven Befunden begründen lässt und nicht die Behandlungsdauer, sondern der Schweregrad der Funktionsbeeinträchtigungen maßgebend ist. Entsprechendes gilt für die Beurteilungen von Dr. L. und T ... Im Übrigen sind die Ausführungen von Dr. Di. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 2. April 2013 nicht frei von Widersprüchen. Er geht davon aus, dass es zwischen seiner Untersuchung im Dezember 2011 und derjenigen durch Dr. Niessner im Dezember 2012 zu einer Remission der Stimmungsschwankungen des Klägers gekommen sei, was bei Patienten mit dem Krankheitsbild des Klägers typisch sei, wobei aber die Krankheitsphasen mit vorübergehender emotionaler Ausgeglichenheit nicht von Dauer seien. Dennoch ist Dr. Di. von seiner ursprünglichen quantitativen Leistungsbeurteilung abgewichen und nunmehr zum Ergebnis gelangt, der Kläger könne wegen der anhaltenden Einschränkung seiner psychischen Belastbarkeit leichte Tätigkeiten jedenfalls nur im Umfang von drei bis unter sechs Stunden (zuvor: unter drei Stunden) täglich verrichten. Dies vermag den Senat nicht zu überzeugen. Denn abgesehen davon, dass es für eine eingeschränkte psychische Belastbarkeit in einem für eine quantitative Leistungseinschränkung erforderlichen Umfang an einer objektiven Grundlage fehlt, lässt sich eine abweichende quantitative Beurteilung des dauerhaften Leistungsvermögens gerade nicht mit einer nur vorübergehenden Remission von Stimmungsschwankungen begründen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass der Kläger bereits seit vielen Jahren in psychiatrischer Behandlung ist. Entscheidend für das Vorliegen einer teilweisen oder vollen Erwerbsminderung ist jedoch nicht die Dauer der Behandlung, sondern der Schweregrad der Erkrankung und die hieraus folgenden Leistungseinschränkungen. Dass die Einschränkungen des Klägers auf nervenärztlichem Gebiet kein solches Ausmaß haben, dass sich hieraus eine quantitative Leistungseinschränkung ableiten lässt, ergibt sich auch aus der unzureichenden Mitwirkung des Klägers bei den in den letzten Jahren durchgeführten Therapiemaßnahmen. So nimmt der Kläger offensichtlich die ihm verordneten Antidepressiva nicht in der verordneten Dosis oder Regelmäßigkeit ein. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. U. vom 19. August 2009, in dem diese feststellte, dass nach der laborchemischen Untersuchung der Wirkspiegel der Antidepressiva sehr niedrig war. Darüber hinaus brach der Kläger die im April 2009 begonnene Psychotherapie bei Dipl.-Psych. B. mit der Begründung ab, diese helfe ihm nicht, was große Zweifel am Erfordernis einer solchen Psychotherapie entstehen lässt. Bereits im Jahr 2006 lehnte der Kläger eine empfohlene tagesklinische Behandlung aufgrund seines Wunsches nach freundschaftlichen Kontakten mit anderen Menschen ab, wie sich dem Arztbrief von Dr. W. vom 28. Februar 2006 entnehmen lässt. In Bezug auf seinen Tinnitus lehnte der Kläger im Jahr 2008 trotz der von ihm angegeben Verschlimmerung der Ohrgeräusche eine Behandlung mit Noisern ab. Dies entnimmt der Senat der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. Sch. vom 1. Mai 2011. All dies zeigt einen über Jahre hinweg nur geringfügig ausgebildeten Leidensdruck des Klägers und verdeutlicht, dass die psychischen Belastungen des Klägers lediglich ein leichtgradiges Maß erreichen.

Bestätigt wird dies durch den vom Kläger im Rahmen der zahlreichen Explorationen wiederholt geschilderten Tagesablauf. Der Kläger steht regelmäßig auf, unternimmt ausgiebige Spaziergänge, erledigt Arbeiten in seinem Schrebergarten, dichtet und hilft seiner Ehefrau bei Hausarbeiten. Es besteht lediglich ein innerfamiliäres Ausweichverhalten. Auch hierdurch wird die Überzeugung des Senats untermauert, dass der Kläger jedenfalls zu leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich in der Lage ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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