L 3 SB 2996/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 SB 4686/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2996/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03. Juli 2012 abgeändert:
Unter entsprechender Abänderung des Bescheids vom 30. März 2010 und des Widerspruchsbescheids vom 01. September 2010 wird der Beklagte verurteilt, bei der Klägerin ab dem 08. Dezember 2009 einen Grad der Behinderung von 40 (vierzig) festzustellen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte erstattet der Klägerin ein Viertel der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50.

Die Klägerin ist am 17.09.1960 geboren, deutsche Staatsangehörige und im Inland ansässig. Sie beantragte am 08.12.2009 formlos erstmals die Feststellung eines GdB und ihrer Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch. Sie machte im Wesentlichen ein chronisches Schmerzsyndrom und eine depressive Erkrankung geltend. Sie legte ärztliche Unterlagen aus der Zeit seit 1997 vor. Das Vinzenz v. Paul Hospital, Dr. A. u. a., hatte ihr in dem Entlassungsbericht vom 20.08.2007 eine Anpassungsstörung mit Störung von Gefühlen und des Sozialverhaltens nach Trennungskonflikt attestiert, der Orthopäde Dr. B. unter dem 05.02.2010 ein chronisches Schmerzsyndrom, einen V.a. (Verdacht auf) eine schmerzbedingte Persönlichkeitsstörung, eine deutliche Fibromyalgie, eine anhaltende somatisierte Schmerzstörung, eine Depression (ICD-10: F32.9) und den V.a. auf eine rheumatische Erkrankung. Aus dem Arztbrief des Helios Versorgungszentrums, Orthopäde G., vom 30.10.2009 ergab sich die Diagnose eines chronischen Cervikalsyndroms bei Osteochondrose und einer cerviko-thorakalen links-konvexen Skoliose. Auf Grund der Auswertung der ärztlichen Unterlagen durch seinen versorgungsmedizinischen Dienst vom 21.03.2010 (Chronisches Schmerzsyndrom und Depression, Einzel-GdB 30; Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, 10) stellte das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald als Versorgungsamt (LRA) mit Bescheid vom 30.03.2010 einen GdB von 30 ab dem 01.05.2003 fest.

Ihren nicht weiter begründeten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart als Landesversorgungsamt mit Bescheid vom 01.09.2010 zurück.

Am 13.09.2010 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Sie hat die Zuerkennung eines GdB von wenigstens 50 begehrt. Sie hat vorgetragen, ihr Schmerzsyndrom habe eine lange Vorgeschichte und sei höher zu bewerten. Sie hat behauptet, sie leide auch einem Schulter-Arm-Syndrom und einer Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS).

Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG den Orthopäden und Rheumatologen Dr. C. mit einer Begutachtung der Klägerin betraut. Dieser Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 26.01.2011 ausgeführt, bei der Klägerin handle es sich im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) um ein degeneratives Cervicalsyndrom mit pseudoradikulärer Ausstrahlung, an der LWS um einen chronisch rezidivierenden Lumbalschmerz, um eine klinisch asymptomatische beiderseitige Hüftdysplasie und Hüftarthrose und um ein mittelgradig ausgeprägtes Fibromyalgie¬syn¬drom. Das Cervikalsyndrom schränke die Beweglichkeit der Nackenregion und in Folge der Arme und Hände bei Bewegungen über Kopf ein und bedinge einen Einzel-GdB von 20. Der Lumbalschmerz führe zu einer vorgebeugten Körperhaltung und einer Einschränkung des Hebens und Tragens schwerer Lasten, Einzel-GdB 10. Die Fibromyalgie verringere allgemein die Belastbarkeit bei Anstrengungen, die Konzentrationsfähigkeit und die Feinmotorik. Sie sei mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Integrativ könne ein Gesamt-GdB von 30 angenommen werden.

Sodann hat das SG die Akte eines rentenrechtlichen Streitverfahrens der Klägerin (S 12 R 141/11) beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. In jenem Verfahren war u. a. der Entlassungsbericht der Klinik am D., Dr. E. u. a., vom 03.11.2010 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 05.10. bis 02.11.2010 zur Akte gelangt (Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Fibromyalgiesyndrom, depressive Belastungsreaktion./. DD [dif¬ferentialdiagnostisch] Dysthymia, Cervicobrachialgien bei degenerativem HWS-Syndrom, chronisch belastungsabhängige Lum¬balgien, das Restleistungsvermögen sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht, aber in der letzten beruflichen Tätigkeit als kaufmännische Angestellte auf 3 bis unter 6 Stunden arbeitstäglich eingeschränkt).

Mit Gerichtsbescheid vom 03.07.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Bei der Klägerin stehe eine Schmerzerkrankung im Vordergrund. Es komme nicht darauf an, ob diese als Fibromyalgiesyndrom, somatisierte Depression, somatoforme Schmerzstörung oder Weichteilrheumatismus bezeichnet werde. Relevant seien allein die Funktionseinschränkungen. Aus dem Gutachten von Dr. C. ergäben sich an HWS und LWS lediglich geringgradige Einschränkungen. Es hätten mittelgradige Schmerzreaktionen bestanden, abgesehen von deutlichen Druckschmerzen an den Paravertebral¬furchen am Hals. Die oberen und unteren Extremitäten seien ohne Funktionseinschränkungen. Auch neurologische Ausfallerscheinungen, die gemeinhin als besonders schmerzhaft und behindernd gölten, fehlten. Unter diesen Umständen könne Dr. C.s Diagnose eines Fibromyalgiesyndroms geringer bis mittelgradiger Ausprägung gefolgt werden. Dieses könne entsprechend seinem Vorschlag mit einem GdB von 30 bewertet werden. In orthopädischer Sicht seien die Beeinträchtigungen an HWS und LWS als geringe bis mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei WS-Abschnitten einzustufen und mit einem GdB von 20 ausreichend bewertet. Insgesamt ergeben sich ein GdB von 30. Die Bewertung des Fibromyalgiesyndroms könne trotz des weiteren GdB von 20 auf orthopädischem Gebiet nicht erhöht werden, weil sich sowohl der Wirbelsäulenschaden als auch das Fibromyal-giesyndrom in den selben Funktionseinschränkungen manifestierten. Es bestehe daher eine mehr oder weniger vollständige Überschneidung.

Gegen diesen Gerichtsbescheid, der ihrem Prozessbevollmächtigten, einem Rentenberater, am 10.07.2012 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 13.07.2012 Berufung zum Landes¬sozial-gericht Baden-Württemberg eingelegt. In der Sache trägt sie vor, sie leide an einem Schmerzsyndrom im Stadium III nach Gerbershagen. Schmerzerkrankungen hätten erhebliche Auswirkungen, auch bei der Klägerin, seien aber schwer zu bewerten, dies habe auch Dr. C. nicht ausreichend getan. Die durch die Schmerzerkrankung mitbedingte typische Begleitdepression sei schon in den Vordergrund getreten. Zu den Einwänden des Beklagten betreffend die Postulationsfähigkeit ihres Prozessbevollmächtigten trägt die Klägerin vor, Rentenberater seien auch nach dem jetzigen Rechtsdienstleistungsgesetz befugt, in Verfahren betreffend das Schwerbehindertenrecht aufzutreten. Hilfsweise trägt sie hierzu vor, ihr Bevollmächtigter sei Inhaber einer "Altzulassung" nach dem früheren Rechtsberatungsgesetz zu einem solchen Auftreten befugt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03. Juli 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 30. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01. September 2010 zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er verteidigt in der Sache den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen. Er zweifelt die Postulationsfähigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin an, verweist hierzu auf den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26.06.2012 (L 8 SB 537/11).

Der Berichterstatter des Senats hat die Postulationsfähigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin und die Sache mit den Beteiligten erörtert. Insoweit wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 17.01.2013 verwiesen.

Im Nachgang hat der Senat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständiger Zeugen. Wegen der Ergebnisse wird auf die Schreiben des Neurologen und Psychiaters Dr. Jung vom 28.01.2013, des Allgemeinmediziners Hüster vom 29.01.2013 und der Dipl.-Psychologin Thoma vom 08.02.2013 Bezug genommen.

Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat der Senat sodann Prof. Dr. F. mit einer psychiatrischen Begutachtung der Klägerin beauftragt. Wegen seiner Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen wird auf sein schriftliches Gutachten vom 08.10.2013 verwiesen.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter und ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (der Beklagte mit Schriftsatz vom 23.01.2014, die Klägerin unter dem 30.01.2014). Die Klägerin hat dort außerdem die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme bei Dr. F. beantragt und hierzu als Fragen formuliert, ob "vor dem Hintergrund einer attestierten Schmerzerkrankung nach Stufe III nach Gerbershagen" bzw. "einer schwereren Fibromyalgieform" der Teil-GdB für diese Erkrankung anzuheben sei.

Entscheidungsgründe:

1. Der Senat hat den Bevollmächtigten der Klägerin nicht nach § 73 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückgewiesen. Zur Begründung wird auf die Erörterungen in dem Termin am 17.01.2013 und auf das Bericht¬erstat¬ter¬schrei¬ben vom 23.01.2013 verwiesen.

2. Der Senat entscheidet in der Sache, ohne zuvor dem Antrag der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 30.01.2014 zu folgen, Prof. Dr. F. ergänzend zu hören. Er lehnt diesen Antrag vielmehr ab.

Der Antrag bezog sich nicht auf eine erneute Beauftragung des Gutachters nach § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG, vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 109 Rn. 10b) und auch nicht auf eine Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung (§§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 3 Zivilprozessordnung [ZPO]), sondern auf die Beantwortung von Ergänzungsfragen nach § 116 Satz 2 SGG i.V.m. § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO (vgl. Keller, a.a.O., Rn. 19). Diesen Antrag lehnt der Senat aus zwei Erwägungen heraus ab:

Zum einen ist er nicht fristgerecht gestellt worden: Der Senat hatte beiden Beteiligten unter dem 05.11.2013 Frist bis zum 31.12.2013 zur Stellungnahme zu dem Gutachten gesetzt. Hierbei handelte es sich um die Frist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO (vgl. Keller, a.a.O., § 118 Rn. 12b). Die Klägerin hat ihre Ergänzungsfragen aber erst unter dem 31.01.2014 eingereicht. Es kann daher offen bleiben, ob diese Zeitspanne nicht auch ohne die genannte Fristsetzung unangemessen lang im Sinne von § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO war.

Zum anderen ist der Antrag aus inhaltlichen Gründen abzulehnen: Die Frage, die die Klägerin gestellt hat, sind nicht sachdienlich im Sinne von § 116 Satz 2 SGG. Fragen sind nicht sachdienlich, wenn sie der Sachverständige nicht beantworten kann, weil sie in der Sache nur die Beweiswürdigung durch das Gericht beeinflussen sollen (Keller, a.a.O., § 118 Rn. 12f), oder wenn sie der Sachverständige bereits beantwortet hat (Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 27.11.2007, B 5a/5 R 60/07 B, Juris Rn. 1 ff.). Dies war hier der Fall: Die medizinischen Unterlagen, die die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 31.01.2014 erwähnt hat, hatten Prof. Dr. F. bereits vorgelegen und er hat sie gewürdigt. Die Fragen der Klägerin selbst zielen in der Sache entsprechend auch nicht auf eine Erläuterung von Tatsachen, sondern darauf, dass der Sachverständige seine Einschätzung, es bestehe ein GdB von 40, revidiere. Die Bemessung des GdB ist aber keine Aufgabe des Sachverständigen, sondern des Gerichts.

3. In diesem Rahmen entscheidet über die Berufung im Einvernehmen mit beiden Beteiligten der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 155 Abs. 3 und 4 SGG) und ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), weswegen auch die ehrenamtlichen Richter nicht zu beteiligen sind (vgl. Keller, a.a.O., § 155 Rn. 11).

4. Die Berufung ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG) und auch sonst zulässig (§ 151 Abs. 1 SGG). Ihr ist auch teilweise stattzugeben. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Klägerin (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist teilweise begründet. Die Klägerin kann von dem Beklagten die Zuerkennung (behördliche Feststellung) eines GdB von 40 verlangen. Insoweit waren die angegriffenen Bescheide rechtswidrig. Ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 und damit der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch besteht dagegen nicht.

a) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung des GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und insbesondere die Voraussetzungen der Bewertung der Funktionseinbußen aus bestimmten Behinderungen nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG), der Anlage zu der nach § 30 Abs. 16 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassenen Versorgungsmedi¬zin-Ver¬ordnung (VersMedV), hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt. Der Senat verweist darauf, um Wiederholungen zu vermeiden (§ 153 Abs. 2 SGG).

b) Anders als das SG meint der Senat, dass der Klägerin insgesamt ein GdB von 40 zuerkannt werden kann. Hierbei folgt der Senat bei den zu Grunde liegenden Einzel-GdB und im Gesamtergebnis den Feststellungen und Schlussfolgerungen des nach § 109 Abs. 1 SGG beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. F., der bereits allein auf psychiatrischem Fachgebiet - nämlich unter Einbeziehung der Schmerzen - einen GdB von 40 angesetzt hat. Dagegen hatte der Sachverständige Dr. C. in erster Instanz zwar zwei Einzel-GdB von z. B. 30 auf psychiatrischem und 20 auf orthopädischem Gebiet angenommen, hieraus aber einen Gesamt-GdB von ebenfalls nur 30 gebildet (vgl. hierzu Teil A Nr. 3 VMG). Insgesamt erscheint die schmerzgeprägte Erkrankung der Klägerin doch stärkere Auswirkungen als angenommen zu haben.

Es ist eine depressive Erkrankung zu diagnostizieren. Hierbei lässt der Senat die genaue Diagnose offen. Neurologe und Psychiater Dr. Jung hat die Schmerzempfindungen in den Vordergrund gerückt und eine Fibromyalgie (ICD-10: M79.09) bekundet. Dagegen haben Allgemeinmediziner Hüster und Dipl.-Psychologin Thoma - insoweit übereinstimmend - eine rezidivierende depressive Störung angenommen, wobei Herr Hüster gegenwärtig eine leichtgradige (ICD-10: F33.0) und Frau Thoma eine mittelgradige Episode (F33.1) beschreiben haben. Dagegen hat Prof. Dr. F. ausgeführt, die Klägerin leide an einem depressiven Syndrom, das nach der ICD-10 als depressive Episode einzustufen sei (F32.-). Es beständen auch die Symptome einer somatischen Depression. Eine rezidivierende Störung scheine nicht vorzuliegen, da von einem eher kontinuierlichen Verlauf auszugehen sei. Jedoch sei nach Aktenlage bislang immer eine rez. depr. Störung diagnostiziert worden. Mit diesen Ausführungen ist aber keineswegs gesagt, dass die Symptomatik leichter sei als bei einer rez. Störung. In der Sache kann Prof. Dr. F. vor dem Hintergrund der langjährigen Behandlungen und der bis in die 1990-er Jahre zurückreichenden Arztunterlagen gefolgt werden. Auch andere Behandler hatten etwas abweichende Diagnosen gestellt Dr. E. von der Klinik am D. eine Belastungsreaktion (F43.2) oder eine Dysthymia (F34.1), Dr. B. unter dem 05.02.2010 eine Depression nach F32.9. Geklärt jedenfalls ist, dass es sich hierbei um eine Dauerdiagnose handelt, dass also die Beeinträchtigungen der Klägerin länger als sechs Monate andauern (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

Der Senat folgt Prof. Dr. F. auch darin, dass diese Diagnose aus Sicht der VMG als Neurose, Persönlichkeitsstörung, Folgen psychischer Traumen nach Teil B Nr. 3.7 einzustufen ist und nicht bei den affektiven Psychosen. Sowohl depressive als auch somatoforme Störungen sind bei Teil B Nr. 3.7 VMG ausdrücklich als Beispiele genannt.

Bei der Klägerin liegt eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor, die vertretbarerweise in den oberen Bereich der dafür vorgesehenen Spanne eines GdB von 30 bis 40 eingeordnet werden kann. Dagegen liegt eine schwere Störung mit bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, wie sie für einen GdB von 50 vonnöten wäre, nicht vor. Bei dieser Einschätzung folgt der Senat Prof. Dr. F., der angesichts des Ausprägungsgrads einen GdB von 40 für gerechtfertigt gehalten hat, und zwar seit mindestens Dezember 2009. Ausweislich seiner Feststellungen, denen zu folgen der Senat keine Bedenken hat, ist bei der Klägerin - womöglich auf Grund von Verschiebungen in den letzten Jahren - nicht mehr nur die physische Ebene betroffen. Auch die psychische und soziale Leidensdimension ihrer Krankheit ist nunmehr ausgeprägt: Der Sachverständige hat hierzu bekundet, bei der Klägerin seien die affektiven Erlebnismöglichkeiten und das tägliche Leben eingeschränkt. Ersteres zeige sich in reduzierter Freizeitaktivität, fehlender Belastbarkeit, fehlender Leistungsfähigkeit und verminderter Teilnahme am sozialen Leben. Auch seien die Gedanken auf negative Inhalte eingeengt, vor allem ihr Schmerzerleben. Auf vegetativem Gebiet hat Prof. Dr. F. - insoweit bereits für die Diagnosestellung nach F32.- relevant - auf Durchschlafstörungen, sexuelle Störungen und die vermehrte Schmerzwahrnehmung hingewiesen. Hinsichtlich der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist festzuhalten, dass die Klägerin ihre früheren Hobbys wie Tanzen, Reiten und Skifahren aufgegeben hat und ihre sozialen Kontakte mehr und mehr eingeschränkt sind. Hinzu kommt aber nach wie vor eine durchaus gewichtige physische Leidenskomponente. Seit Jahren wird die Klägerin umfangreich wegen ihrer Schmerzerkrankung behandelt, für die keine organischen Substrate gefunden werden können (worauf auch Dr. C. in seinem orthopädischen Gutachten hingewiesen hat). Dieses Schmerzerleben ist als Teil der psychischen Erkrankung aufzufassen. Von einer solchen Möglichkeit geht auch Teil B Nr. 18.4 VMG aus, der für derartige Schmerzerkrankungen keine eigenständigen GdB-Werte vorsieht, sondern eine Bewertung entsprechend der funktionellen Auswirkungen fordert. Dass die Schmerzen der Klägerin überwiegend psychogen bedingt sind, folgt auch daraus, dass die langjährige Behandlung offensichtlich ohne nennenswerte Erfolge geblieben ist. Dass die Klägerin auf eine echte Schmerzbehandlung wenig anspricht, ergibt sich insbesondere aus den Reha-Entlassungs¬be¬rich¬ten, vor allem aus dem Bericht vom 03.11.2010 (dort Nr. 9 auf S. 2/10). Prof. Dr. F. hat hierzu ausgeführt, die depressive Erkrankung der Klägerin bedinge eine vermehrte Schmerzwahrnehmung. Es bedürfe daher nicht der zusätzlichen Diagnose einer Fibromyalgie oder einer somatoformen Störung oder einer schmerz¬be¬dingten Persönlichkeitsstörung. Gestützt wird Prof. Dr. F.s Vorschlag vor allem auch durch die Zeugenaussage der behandelnden Psychotherapeutin. Dipl.-Psych. Thoma hat zu ihrer Diagnose ergänzend ausgeführt, es beständen auf Grund der Wechselwirkungen zwischen subjektiver Schmerzwahrnehmung, Schmerzverarbeitung und depressivem Erleben inzwischen soziale Anpassungsschwierigkeiten. Diese erreichen zwar nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht das Niveau eines GdB von 50, aber diese Aussage rechtfertigt die Annahme doch erheblicher Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit.

Geht man hiernach von einem GdB von 40 auf psychiatrischem Gebiet aus, der ganz wesentlich durch die körperlichen Schmerzempfindungen der Klägerin mitbestimmt wird, so können die organischen Beeinträchtigungen, gleich ob man sie mit Einzel-GdB von 10 oder - z. B. hinsichtlich der Wirbelsäule - mit einem solchen von 20 bewertet, den Gesamt-GdB nicht mehr erhöhen. Dies hatte - allerdings ausgehend von anderen Werten - bereits das SG zutreffend ausgeführt. Sofern bei der Klägerin Beeinträchtigungen an der Wirbelsäule vorliegen, bedingen diese jedenfalls keine mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in mehreren und auch keine schweren Auswirkungen in wenigstens einem WS-Abschnitt (vgl. Teil B Nr. 18.9 VMG). Und sie äußern sich nicht so sehr in Beweglichkeitseinschränkungen, sondern eben in Schmerzreizungen, die der orthopädische Sachverständige Dr. C. als "pseudoradikulär" beschrieben hat. Damit aber sind sie von der Bewertung der psychischen Erkrankung abgedeckt.

c) Der Senat geht davon aus, dass dieser GdB von 40 bei der Klägerin bereits ab Antragstellung, also ab dem 08.12.2009, besteht. Dies hat Prof. Dr. F. unter Auswertung der vorhandenen ärztlichen Unterlagen bestätigt.

5. Die Entscheidung über die Kosten beider Instanzen beruht auf § 193 SGG. Der Senat berücksichtigt, dass die Klägerin nur zu einem kleinen Teil obsiegt hat (Gedanke des § 92 Abs. 1 ZPO), weil sie eine Verurteilung zur Feststellung eines GdB von "mindestens" 50 begehrt hat.

6. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved