Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 587/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1732/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 05.03.2013 und der Bescheid der Beklagten vom 04.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2012 abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.07.2013 bis zum 30.06.2016 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren trägt die Beklagte drei Viertel.
Tatbestand:
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente geltend.
Die 1955 geborene Klägerin ist gelernte Friseurin, übte diesen Beruf nach einem Umzug jedoch nicht mehr aus, sondern arbeitete als Fabrikarbeiterin. Zuletzt war sie vom 01.08.2004 bis 02.05.2010 als Hauswirtschafterin versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 03.05.2010 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt mit Bezug von Krankengeld ab 14.06.2010 und anschließendem Bezug von Arbeitslosengeld bis 01.04.2013. Ein Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin ist mit 40 vH anerkannt.
Am 29.08.2011 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie machte geltend, an einem Schulter-Arm-Syndrom sowie einem chronifizierten Schmerzsyndrom zu leiden. Die Beklagte zog eine gutachtliche Äußerung des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit (Dr L.-Sch. vom 22.08.2011) bei, in der die Klägerin als vollschichtig leistungsfähig für leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten ohne ständige Zwangshaltungen, Überkopfarbeit und Armvorhalte angesehen wurde. Durch therapeutische Maßnahmen sei eine Besserung der Beschwerden zu erwarten. Mit Bescheid vom 04.10.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.
Mit Widerspruch vom 14.10.2011 verwies die Klägerin auf eine Depression und somatoforme Schmerzstörung. Nach Einholung einer Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes (Dr St. vom 07.12.2011), in der ausgeführt wurde, wesentliche leistungsmindernde Erkrankungen seien nicht vorgetragen, wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 02.02.2012).
Hiergegen richtet sich die am 20.02.2012 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage. Die Klägerin hat einen Entlassbericht des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden, Psychosomatische Klinik S. vom 26.04.2012 vorgelegt mit den Diagnosen schwere depressive Episode, anhaltende somatoforme Schmerzstörung.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen befragt. Anschließend hat es die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Frau H. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 15.10.2012 ausgeführt, es liege eine leicht- bis mittelgradig ausgeprägte depressive Symptomatik mit zusätzlicher Somatisierung und Verstärkung der Schmerzen vor. Die Schmerzen im Bereich der Schlüsselbeine hätten eine organische Ursache, die noch unbekannt sei. Hinweise auf eine schwere rheumatologische Krankheit mit Beteiligung des Nervensystems gebe es nicht. Leichte bis mittelschwere Arbeiten könnten mindestens sechs Stunden täglich ausgeübt werden, wobei Tätigkeiten mit hoher Verantwortung, sehr hoher Konzentrationsbelastung oder nervlicher Belastung nicht möglich seien. Eine wesentliche Besserung sei unter geeigneter Therapie zu erwarten.
Mit Urteil vom 05.03.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Gutachterin H. lege schlüssig und überzeugend dar, dass die Klägerin trotz mittelschwerer Depression mit Somatisierung und Verstärkung von Schmerzen noch vollschichtig leistungsfähig sei mit qualitativen Einschränkungen. Die psychiatrischen Beschwerden seien nicht von Dauercharakter. Die Schmerzen im Bereich der Schlüsselbeine seien nach den Ausführungen der Gutachterin wohl auf eine Entzündungsaktivität zurückzuführen, durch geeignete rheumatologische Behandlung könne eine wesentliche Besserung eintreten. Auch aus den Aussagen der behandelnden Ärzte ergäben sich keine Befunde, die eine abweichende Beurteilung begründen könnten. Es bestehe auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da sich die Klägerin von ihrem erlernten Beruf als Friseurin gelöst habe und daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen sei.
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 19.03.2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.04.2013 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie sei außerstande, täglich mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Das SG habe die orthopädischen Beeinträchtigungen nicht ausreichend berücksichtigt. Außerdem sei inzwischen ein Fibromyalgiesyndrom festgestellt worden (unter Vorlage eines Arztbriefes von PD Dr W. vom 18.03.2013). Vom 14. bis 20.02.2013 sei die Klägerin in stationärer Behandlung in der Klinik S. gewesen, sie sei dort als schwer depressiv beurteilt worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 05.03.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 04.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit ab 01.08.2011 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Der Senat hat ein orthopädisch-rheumatologisches Gutachten bei PD Dr R. mit neurologisch-psychiatrischem Zusatzgutachten von Prof Dr Rö. eingeholt. In dem Gutachten vom 16.10.2013 stellt PD Dr R. folgende Diagnosen: Zervikobrachialgien mit leichten bis mäßigen Funktionseinschränkungen, Schmerzsyndrom der Schlüsselbeine, Rippen und Brustbein bei Hyperostose Syndrom AHS (erworbene Knochenkrankheit), geringe Arthrose der Handwurzelgelenke, Dorsolumbalgien mit pseudoradikulärer Ausstrahlung, leichte Arthrose der Knie-, Sprung- und Großzehengrundgelenke, Senk-Spreiz-Füße, myofasziales Schmerzsyndrom, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode und anhaltende somatoforme Schmerzstörung (letztere unter Bezugnahme auf das Zusatzgutachten). Durch die festgestellte Osteopathie seien die angegebenen schweren Schmerzen und Behindungen der Schulter- und Armhebung hinreichend erklärt. Aus rein orthopädisch-rheumatologischer Sicht könne die Klägerin noch leichte Tätigkeiten vollschichtig ausüben. Unter Berücksichtigung der von Prof Dr Rö. angegebenen Diagnosen und dem Schweregrad der kognitiven Störungen sei aber auch eine quantitative Leistungsminderung eingetreten bei vorzeitiger Erschöpfbarkeit auf drei bis unter sechs Stunden. Prof Dr Rö. hat hierzu in seinem Zusatzgutachten vom 30.09.2013 ausgeführt, bei der psychischen Untersuchung sei ein depressives Stimmungsbild, eine deutliche Einschränkung der affektiven Modulationsfähigkeit, ein Nachlassen der kognitiven Funktionen nach ca 60 Minuten und eine zunehmende Merkfähigkeitsstörung und Verlangsamung des formalen Gedankengangs aufgefallen. Nach der Untersuchung durch Frau H. sei es Ende 2012 zu einer Verschlechterung des psychischen Befunds gekommen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt befinde sich die depressive Störung eindeutig im mittelschweren Bereich. Unter Berücksichtigung des jetzt erhobenen Befundes einer mittelschweren Störung mit vorzeitiger Erschöpfbarkeit der kognitiven Funktionen sei die Klägerin nur in der Lage, drei bis unter sechs Stunden pro Tag beruflich tätig zu sein.
Die Beklagte hat hierzu auf die Stellungnahme von Frau Dr E. vom 05.11.2013 verwiesen. Die Einschätzung des Leistungsvermögens basiere auf dem Zusatzgutachten des Prof Dr Rö., der eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens nicht nachvollziehbar postuliere. Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, die nach der Klassifizierung der Wertigkeit der medikamentösen Schmerztherapie nach den Richtlinien der WHO maximal Stufe I zuzuordnen sei, ergebe keine Minderung der Leistungsfähigkeit. Es liege eindeutig eine leichte depressive Episode mit maximalem Übergang zur mittelschweren Depression vor. Gemäß dem Schweregrad einer depressiven Episode (ICD-10 F 32) werde nach Kern- und Zusatzsymptomen unter Zuhilfenahme der eingeschränkt erhobenen Anamnese eine leichte depressive Symptomatik mit zwei Kernsymptomen und maximal zwei Zusatzsymptomen beschrieben. Kernsymptome seien gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Verminderung des Antriebs mit Ermüdbarkeit. Zusatzsymptome seien verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken oder Suizidhandlungen, Schlafstörungen und verminderter Appetit. Bei der Klägerin würden an Kernsymptomen gedrückte Stimmung und maximal leichte Erschöpfbarkeit, jedoch nicht ein geminderter Antrieb beschrieben und an Zusatzsymptomen lediglich verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit und Schlafstörungen. Bei einer mittelgradigen Depression seien zwei Kernsymptome und mindestens drei, besser vier Zusatzsymptome zu fordern.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat teilweise Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 04.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2012 ist rechtswidrig (geworden) und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat aufgrund eines im Dezember 2012 eingetretenen Leistungsfalles Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.07.2013 bis 30.06.2016. Ein Rentenanspruch bereits ab Rentenantragstellung besteht dagegen nicht; insoweit ist die Berufung der Klägerin unbegründet.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Nach dem Ergebnis der vom Senat und vom SG durchgeführten Ermittlungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin nur noch drei bis weniger als sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche einer leichten körperlichen Arbeit nachgehen kann. Damit ist die Klägerin teilweise erwerbsgemindert iSv § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI. Da sie keinen zumutbaren Arbeitsplatz innehält, hat sie Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, denn es wird von einer Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts ausgegangen (vgl Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg 10.06.2010, L 21 R 1203/07, juris mwN).
Nachgewiesen ist diese Leistungseinschränkung insbesondere durch das vom Senat eingeholte Gutachten von PD Dr R. mit Zusatzgutachten von Prof Dr Rö ... Die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit beruht maßgeblich auf einer mittelschweren depressiven Episode und anhaltender somatoformer Schmerzstörung. Geklärt werden konnte zunächst, dass sich die von der Klägerin seit Jahren angegebenen Beschwerden und Schmerzen im Bereich des Brustbeins und der Schlüsselbeine auf eine fibröse Dysplasie zurückführen lassen, eine Störung im Stoffwechsel und im ständigen Gewebeumbau der Knochen. Diese Veränderungen gehen nach den Ausführungen von PD Dr R. mit tumorähnlichen Formveränderungen und mit Schmerzen einher, die sich über viele Jahre entwickeln und therapeutisch schwer zu beeinflussen sind. Insoweit ist ein organisches Korrelat für diese Schmerzen vorhanden. Neben den weiteren orthopädischen Beeinträchtigungen, die nach den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen von PD Dr R. für sich betrachtet lediglich qualitative Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit begründen, besteht jedenfalls seit Jahresende 2012 bei rezidivierender depressiver Störung eine mittelgradige Episode sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die von Prof Dr Rö. genannten Diagnosen lassen sich entgegen der Ansicht von Dr E. vom beratungsärztlichen Dienst der Beklagten schlüssig und widerspruchsfrei aus den von ihm erhobenen Befunden ableiten. So hat Prof Dr Rö. zum psychischen Befund ausgeführt, dass die Stimmungslage durchgehend depressiv war bei deutlich eingeschränkter affektiver Modulationsfähigkeit ohne Aufhellung bei Besprechung angenehmer Themen. Der formale Gedankengang war verlangsamt bei inhaltlichem Kreisen um die körperlichen Beschwerden und negative Zukunftsgedanken. Bei der Exploration kam es nach ca 60 Minuten zu einem deutlichen Nachlassen der kognitiven Funktionen mit zunehmender Merkfähigkeitsstörung und Verlangsamung des formalen Gedankengangs. Ausdrücklich wird in dem Zusatzgutachten ausgeführt (Bl 15): "Die Antriebslage wirkt durchgehend deutlich vermindert". Damit ist der Kritik von Dr E., eine mittelschwere depressive Episode könne schon deshalb nicht diagnostiziert werden, weil nicht mindestens zwei Kernsymptome und drei bis vier Zusatzsymptome vorhanden seien, der Boden entzogen. Denn als Kernsymptome liegen vor gedrückte Stimmung und verminderter Antrieb, als Zusatzsymptome jedenfalls zumindest verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven und Schlafstörungen. Hinzu kommt, dass bereits von der ärztlichen Leiterin der Fachambulanz des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden in S., Dr B., aufgrund der einmaligen Behandlung am 26.04.2012, als die Klägerin dort notfallmäßig vorgestellt wurde, eine sogar schwere depressive Episode diagnostiziert wurde ebenso wie anlässlich des dortigen stationären Aufenthalts der Klägerin vom 14. bis 20.02.2013. Nach den Ausführungen des Gutachters Prof Dr Rö. lag auch zum Zeitpunkt der damaligen Behandlung ausgehend von dem beschriebenen Befund eher eine mittelschwere depressive Episode vor. Bei Frau H. zeigte sich im Rahmen der Untersuchung am 11.09.2012 das Bild einer leicht- bis mittelgradigen Depression, dort war die Klägerin nach dem psychiatrischen Untersuchungsbefund seitens Aufmerksamkeit und Konzentration nicht beeinträchtigt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung bei Prof Dr Rö. im Juni 2013 zeigten sich dagegen bereits zu Beginn der Untersuchung leichte und nach 60 Minuten mittelschwere Störungen der kognitiven Funktionen. Es ist damit nachvollziehbar zu einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin gekommen, die jetzige Einschränkung datiert Prof Dr Rö. auf das Jahresende 2012. Angesichts der festgestellten Einschränkungen der kognitiven Funktionen ist es für den Senat überzeugend und nachvollziehbar, dass der Klägerin eine mindestens sechsstündige Erwerbstätigkeit pro Arbeitstag nicht mehr abverlangt werden kann.
Die von Frau H. erwartete Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin ist - trotz der Inanspruchnahme sogar stationärer psychiatrischer Behandlung - nicht eingetreten, es kam im Gegenteil zu einer Verschlechterung der Situation. Eine Besserung ist nach den Ausführungen von Prof Dr Rö. nach wie vor nicht ausgeschlossen, hierfür ist jedoch ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren anzusetzen. Der Senat folgert hieraus, dass die Depression nicht nur vorübergehend besteht und auch unter adäquater Behandlung nicht mit einer wesentlichen Besserung bereits innerhalb von sechs Monaten zu rechnen ist. Damit ist auch eine zeitlich überdauernde quantitative Leistungsminderung der Klägerin durch das Gutachten belegt.
Der Senat geht in Übereinstimmung mit den gerichtlichen Sachverständigen PD Dr R. und Prof Dr Rö. davon aus, dass der Leistungsfall der Erwerbsminderung jedenfalls im Dezember 2012 eingetreten ist. Für einen früheren Eintritt des Leistungsfalls bestehen angesichts des Gutachtens von Frau H., die noch keinerlei kognitive Beeinträchtigungen beschrieben hat, keine Anhaltspunkte.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung aufgrund eines im Dezember 2012 eingetretenen Leistungsfalles liegen vor. Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 SGB VI) ist erfüllt. Im Zeitraum vom 30.06.2007 bis zum 29.12.2012 hat die Klägerin mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI.
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (§ 102 Abs 2 SGB VI). Im vorliegenden Fall eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens ist die Rente vom Arbeitsmarkt abhängig, denn sie beruht darauf, dass der Teilzeitarbeitsmarkt als verschlossen gilt (vgl Gürtner in Kasseler Kommentar, SGB VI, § 43 RdNr 32 mwN). Folglich hat die Klägerin nur Anspruch auf eine befristete Rente. Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs 1 SGB VI). Renten dürfen außerdem nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden (§ 102 Abs 1 Satz 3 SGB VI). Aus den genannten Bestimmungen folgt, dass bei einem Leistungsfall im Dezember 2012 die Rente am 01.07.2013 beginnt und nach Ablauf von drei Jahren am 30.06.2016 endet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat erachtet es als sachgerecht, dass die Beklagte von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren drei Viertel trägt.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren trägt die Beklagte drei Viertel.
Tatbestand:
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente geltend.
Die 1955 geborene Klägerin ist gelernte Friseurin, übte diesen Beruf nach einem Umzug jedoch nicht mehr aus, sondern arbeitete als Fabrikarbeiterin. Zuletzt war sie vom 01.08.2004 bis 02.05.2010 als Hauswirtschafterin versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 03.05.2010 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt mit Bezug von Krankengeld ab 14.06.2010 und anschließendem Bezug von Arbeitslosengeld bis 01.04.2013. Ein Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin ist mit 40 vH anerkannt.
Am 29.08.2011 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie machte geltend, an einem Schulter-Arm-Syndrom sowie einem chronifizierten Schmerzsyndrom zu leiden. Die Beklagte zog eine gutachtliche Äußerung des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit (Dr L.-Sch. vom 22.08.2011) bei, in der die Klägerin als vollschichtig leistungsfähig für leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten ohne ständige Zwangshaltungen, Überkopfarbeit und Armvorhalte angesehen wurde. Durch therapeutische Maßnahmen sei eine Besserung der Beschwerden zu erwarten. Mit Bescheid vom 04.10.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.
Mit Widerspruch vom 14.10.2011 verwies die Klägerin auf eine Depression und somatoforme Schmerzstörung. Nach Einholung einer Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes (Dr St. vom 07.12.2011), in der ausgeführt wurde, wesentliche leistungsmindernde Erkrankungen seien nicht vorgetragen, wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 02.02.2012).
Hiergegen richtet sich die am 20.02.2012 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage. Die Klägerin hat einen Entlassbericht des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden, Psychosomatische Klinik S. vom 26.04.2012 vorgelegt mit den Diagnosen schwere depressive Episode, anhaltende somatoforme Schmerzstörung.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen befragt. Anschließend hat es die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Frau H. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 15.10.2012 ausgeführt, es liege eine leicht- bis mittelgradig ausgeprägte depressive Symptomatik mit zusätzlicher Somatisierung und Verstärkung der Schmerzen vor. Die Schmerzen im Bereich der Schlüsselbeine hätten eine organische Ursache, die noch unbekannt sei. Hinweise auf eine schwere rheumatologische Krankheit mit Beteiligung des Nervensystems gebe es nicht. Leichte bis mittelschwere Arbeiten könnten mindestens sechs Stunden täglich ausgeübt werden, wobei Tätigkeiten mit hoher Verantwortung, sehr hoher Konzentrationsbelastung oder nervlicher Belastung nicht möglich seien. Eine wesentliche Besserung sei unter geeigneter Therapie zu erwarten.
Mit Urteil vom 05.03.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Gutachterin H. lege schlüssig und überzeugend dar, dass die Klägerin trotz mittelschwerer Depression mit Somatisierung und Verstärkung von Schmerzen noch vollschichtig leistungsfähig sei mit qualitativen Einschränkungen. Die psychiatrischen Beschwerden seien nicht von Dauercharakter. Die Schmerzen im Bereich der Schlüsselbeine seien nach den Ausführungen der Gutachterin wohl auf eine Entzündungsaktivität zurückzuführen, durch geeignete rheumatologische Behandlung könne eine wesentliche Besserung eintreten. Auch aus den Aussagen der behandelnden Ärzte ergäben sich keine Befunde, die eine abweichende Beurteilung begründen könnten. Es bestehe auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da sich die Klägerin von ihrem erlernten Beruf als Friseurin gelöst habe und daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen sei.
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 19.03.2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.04.2013 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie sei außerstande, täglich mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Das SG habe die orthopädischen Beeinträchtigungen nicht ausreichend berücksichtigt. Außerdem sei inzwischen ein Fibromyalgiesyndrom festgestellt worden (unter Vorlage eines Arztbriefes von PD Dr W. vom 18.03.2013). Vom 14. bis 20.02.2013 sei die Klägerin in stationärer Behandlung in der Klinik S. gewesen, sie sei dort als schwer depressiv beurteilt worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 05.03.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 04.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit ab 01.08.2011 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Der Senat hat ein orthopädisch-rheumatologisches Gutachten bei PD Dr R. mit neurologisch-psychiatrischem Zusatzgutachten von Prof Dr Rö. eingeholt. In dem Gutachten vom 16.10.2013 stellt PD Dr R. folgende Diagnosen: Zervikobrachialgien mit leichten bis mäßigen Funktionseinschränkungen, Schmerzsyndrom der Schlüsselbeine, Rippen und Brustbein bei Hyperostose Syndrom AHS (erworbene Knochenkrankheit), geringe Arthrose der Handwurzelgelenke, Dorsolumbalgien mit pseudoradikulärer Ausstrahlung, leichte Arthrose der Knie-, Sprung- und Großzehengrundgelenke, Senk-Spreiz-Füße, myofasziales Schmerzsyndrom, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode und anhaltende somatoforme Schmerzstörung (letztere unter Bezugnahme auf das Zusatzgutachten). Durch die festgestellte Osteopathie seien die angegebenen schweren Schmerzen und Behindungen der Schulter- und Armhebung hinreichend erklärt. Aus rein orthopädisch-rheumatologischer Sicht könne die Klägerin noch leichte Tätigkeiten vollschichtig ausüben. Unter Berücksichtigung der von Prof Dr Rö. angegebenen Diagnosen und dem Schweregrad der kognitiven Störungen sei aber auch eine quantitative Leistungsminderung eingetreten bei vorzeitiger Erschöpfbarkeit auf drei bis unter sechs Stunden. Prof Dr Rö. hat hierzu in seinem Zusatzgutachten vom 30.09.2013 ausgeführt, bei der psychischen Untersuchung sei ein depressives Stimmungsbild, eine deutliche Einschränkung der affektiven Modulationsfähigkeit, ein Nachlassen der kognitiven Funktionen nach ca 60 Minuten und eine zunehmende Merkfähigkeitsstörung und Verlangsamung des formalen Gedankengangs aufgefallen. Nach der Untersuchung durch Frau H. sei es Ende 2012 zu einer Verschlechterung des psychischen Befunds gekommen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt befinde sich die depressive Störung eindeutig im mittelschweren Bereich. Unter Berücksichtigung des jetzt erhobenen Befundes einer mittelschweren Störung mit vorzeitiger Erschöpfbarkeit der kognitiven Funktionen sei die Klägerin nur in der Lage, drei bis unter sechs Stunden pro Tag beruflich tätig zu sein.
Die Beklagte hat hierzu auf die Stellungnahme von Frau Dr E. vom 05.11.2013 verwiesen. Die Einschätzung des Leistungsvermögens basiere auf dem Zusatzgutachten des Prof Dr Rö., der eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens nicht nachvollziehbar postuliere. Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, die nach der Klassifizierung der Wertigkeit der medikamentösen Schmerztherapie nach den Richtlinien der WHO maximal Stufe I zuzuordnen sei, ergebe keine Minderung der Leistungsfähigkeit. Es liege eindeutig eine leichte depressive Episode mit maximalem Übergang zur mittelschweren Depression vor. Gemäß dem Schweregrad einer depressiven Episode (ICD-10 F 32) werde nach Kern- und Zusatzsymptomen unter Zuhilfenahme der eingeschränkt erhobenen Anamnese eine leichte depressive Symptomatik mit zwei Kernsymptomen und maximal zwei Zusatzsymptomen beschrieben. Kernsymptome seien gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Verminderung des Antriebs mit Ermüdbarkeit. Zusatzsymptome seien verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken oder Suizidhandlungen, Schlafstörungen und verminderter Appetit. Bei der Klägerin würden an Kernsymptomen gedrückte Stimmung und maximal leichte Erschöpfbarkeit, jedoch nicht ein geminderter Antrieb beschrieben und an Zusatzsymptomen lediglich verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit und Schlafstörungen. Bei einer mittelgradigen Depression seien zwei Kernsymptome und mindestens drei, besser vier Zusatzsymptome zu fordern.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat teilweise Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 04.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2012 ist rechtswidrig (geworden) und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat aufgrund eines im Dezember 2012 eingetretenen Leistungsfalles Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.07.2013 bis 30.06.2016. Ein Rentenanspruch bereits ab Rentenantragstellung besteht dagegen nicht; insoweit ist die Berufung der Klägerin unbegründet.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Nach dem Ergebnis der vom Senat und vom SG durchgeführten Ermittlungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin nur noch drei bis weniger als sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche einer leichten körperlichen Arbeit nachgehen kann. Damit ist die Klägerin teilweise erwerbsgemindert iSv § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI. Da sie keinen zumutbaren Arbeitsplatz innehält, hat sie Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, denn es wird von einer Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts ausgegangen (vgl Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg 10.06.2010, L 21 R 1203/07, juris mwN).
Nachgewiesen ist diese Leistungseinschränkung insbesondere durch das vom Senat eingeholte Gutachten von PD Dr R. mit Zusatzgutachten von Prof Dr Rö ... Die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit beruht maßgeblich auf einer mittelschweren depressiven Episode und anhaltender somatoformer Schmerzstörung. Geklärt werden konnte zunächst, dass sich die von der Klägerin seit Jahren angegebenen Beschwerden und Schmerzen im Bereich des Brustbeins und der Schlüsselbeine auf eine fibröse Dysplasie zurückführen lassen, eine Störung im Stoffwechsel und im ständigen Gewebeumbau der Knochen. Diese Veränderungen gehen nach den Ausführungen von PD Dr R. mit tumorähnlichen Formveränderungen und mit Schmerzen einher, die sich über viele Jahre entwickeln und therapeutisch schwer zu beeinflussen sind. Insoweit ist ein organisches Korrelat für diese Schmerzen vorhanden. Neben den weiteren orthopädischen Beeinträchtigungen, die nach den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen von PD Dr R. für sich betrachtet lediglich qualitative Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit begründen, besteht jedenfalls seit Jahresende 2012 bei rezidivierender depressiver Störung eine mittelgradige Episode sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die von Prof Dr Rö. genannten Diagnosen lassen sich entgegen der Ansicht von Dr E. vom beratungsärztlichen Dienst der Beklagten schlüssig und widerspruchsfrei aus den von ihm erhobenen Befunden ableiten. So hat Prof Dr Rö. zum psychischen Befund ausgeführt, dass die Stimmungslage durchgehend depressiv war bei deutlich eingeschränkter affektiver Modulationsfähigkeit ohne Aufhellung bei Besprechung angenehmer Themen. Der formale Gedankengang war verlangsamt bei inhaltlichem Kreisen um die körperlichen Beschwerden und negative Zukunftsgedanken. Bei der Exploration kam es nach ca 60 Minuten zu einem deutlichen Nachlassen der kognitiven Funktionen mit zunehmender Merkfähigkeitsstörung und Verlangsamung des formalen Gedankengangs. Ausdrücklich wird in dem Zusatzgutachten ausgeführt (Bl 15): "Die Antriebslage wirkt durchgehend deutlich vermindert". Damit ist der Kritik von Dr E., eine mittelschwere depressive Episode könne schon deshalb nicht diagnostiziert werden, weil nicht mindestens zwei Kernsymptome und drei bis vier Zusatzsymptome vorhanden seien, der Boden entzogen. Denn als Kernsymptome liegen vor gedrückte Stimmung und verminderter Antrieb, als Zusatzsymptome jedenfalls zumindest verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven und Schlafstörungen. Hinzu kommt, dass bereits von der ärztlichen Leiterin der Fachambulanz des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden in S., Dr B., aufgrund der einmaligen Behandlung am 26.04.2012, als die Klägerin dort notfallmäßig vorgestellt wurde, eine sogar schwere depressive Episode diagnostiziert wurde ebenso wie anlässlich des dortigen stationären Aufenthalts der Klägerin vom 14. bis 20.02.2013. Nach den Ausführungen des Gutachters Prof Dr Rö. lag auch zum Zeitpunkt der damaligen Behandlung ausgehend von dem beschriebenen Befund eher eine mittelschwere depressive Episode vor. Bei Frau H. zeigte sich im Rahmen der Untersuchung am 11.09.2012 das Bild einer leicht- bis mittelgradigen Depression, dort war die Klägerin nach dem psychiatrischen Untersuchungsbefund seitens Aufmerksamkeit und Konzentration nicht beeinträchtigt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung bei Prof Dr Rö. im Juni 2013 zeigten sich dagegen bereits zu Beginn der Untersuchung leichte und nach 60 Minuten mittelschwere Störungen der kognitiven Funktionen. Es ist damit nachvollziehbar zu einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin gekommen, die jetzige Einschränkung datiert Prof Dr Rö. auf das Jahresende 2012. Angesichts der festgestellten Einschränkungen der kognitiven Funktionen ist es für den Senat überzeugend und nachvollziehbar, dass der Klägerin eine mindestens sechsstündige Erwerbstätigkeit pro Arbeitstag nicht mehr abverlangt werden kann.
Die von Frau H. erwartete Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin ist - trotz der Inanspruchnahme sogar stationärer psychiatrischer Behandlung - nicht eingetreten, es kam im Gegenteil zu einer Verschlechterung der Situation. Eine Besserung ist nach den Ausführungen von Prof Dr Rö. nach wie vor nicht ausgeschlossen, hierfür ist jedoch ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren anzusetzen. Der Senat folgert hieraus, dass die Depression nicht nur vorübergehend besteht und auch unter adäquater Behandlung nicht mit einer wesentlichen Besserung bereits innerhalb von sechs Monaten zu rechnen ist. Damit ist auch eine zeitlich überdauernde quantitative Leistungsminderung der Klägerin durch das Gutachten belegt.
Der Senat geht in Übereinstimmung mit den gerichtlichen Sachverständigen PD Dr R. und Prof Dr Rö. davon aus, dass der Leistungsfall der Erwerbsminderung jedenfalls im Dezember 2012 eingetreten ist. Für einen früheren Eintritt des Leistungsfalls bestehen angesichts des Gutachtens von Frau H., die noch keinerlei kognitive Beeinträchtigungen beschrieben hat, keine Anhaltspunkte.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung aufgrund eines im Dezember 2012 eingetretenen Leistungsfalles liegen vor. Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 SGB VI) ist erfüllt. Im Zeitraum vom 30.06.2007 bis zum 29.12.2012 hat die Klägerin mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI.
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (§ 102 Abs 2 SGB VI). Im vorliegenden Fall eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens ist die Rente vom Arbeitsmarkt abhängig, denn sie beruht darauf, dass der Teilzeitarbeitsmarkt als verschlossen gilt (vgl Gürtner in Kasseler Kommentar, SGB VI, § 43 RdNr 32 mwN). Folglich hat die Klägerin nur Anspruch auf eine befristete Rente. Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs 1 SGB VI). Renten dürfen außerdem nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden (§ 102 Abs 1 Satz 3 SGB VI). Aus den genannten Bestimmungen folgt, dass bei einem Leistungsfall im Dezember 2012 die Rente am 01.07.2013 beginnt und nach Ablauf von drei Jahren am 30.06.2016 endet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat erachtet es als sachgerecht, dass die Beklagte von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren drei Viertel trägt.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
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