L 13 R 3217/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 4594/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 3217/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Januar 2009 sowie der Bescheid der Beklagen vom 13. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Februar 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung.

Der 1973 geborene Kläger absolvierte vom 1. September 1990 bis 31. August 1992 erfolgreich eine Lehre als Maler. Anschließend arbeitete er einen Monat im Lehrbetrieb. 1993 erfolgte eine kurzzeitige Beschäftigung bei der Stadt B. als Lagerist. Von September 1993 bis März 1994 arbeitete er wieder als Maler. Seit 1. April 1994 ist der Kläger auf dem "ersten Arbeitsmarkt" nicht mehr tätig gewesen.

Der am 30. Mai 1995 vom Kläger gestellte Rentenantrag wurde mit Bescheid vom 29. Februar 1996 abgelehnt; der hiergegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1997 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat das SG mit Urteil vom 28. Juli 1998 abgewiesen (S 14 RJ 2182/97). Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Urteil vom 15. September 1999 zurückgewiesen (L 2 RJ 3913/98). Dem Kläger stehe kein Berufsschutz als Maler zu; er sei auch nicht erwerbsunfähig.

Nach einem stationären Drogenentzug im September 2005 durchlief der Kläger eine Entwöhnungstherapie auf dem Bauernhof (TAB) vom 21. September 2005 bis 21. Juni 2006. Im ärztlichen Entlassungsbericht gelangten der Leiter der Einrichtung und die behandelnde Ärztin zu folgenden Diagnosen: Polyvalenter Substanzgebrauch, Störungen durch Tabakabhängigkeitssyndrom, chronische Hepatitis C, cerebrale Minderbelastbarkeit bei unklarer Genese und Verdacht auf eine leichte bipolare affektive Störung. Der Kläger könne schwere Arbeiten verrichten, diese aber unter sechs Stunden täglich. Dem Kläger habe es Mühe bereitet, die Arbeitsanforderungen in den verschiedenen Arbeitsbereichen des landwirtschaftlichen Betriebes zu bewältigen. Die Arbeitsgeschwindigkeit sei reduziert. Der Kläger wurde in die Sozialtherapeutische Wohngemeinschaft Haus Bod. K. entlassen, wo er seitdem wohnt. Der Tagesablauf wird streng strukturiert, auf die Einhaltung von Hygiene, die Einnahme von Mahlzeiten sowie auf die geregelte Einnahme von Medikamenten wird geachtet. Es finden regelmäßige Gespräche mit einer Sozialpädagogin sowie mit der Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. Ro. statt. Zunächst war der Kläger im Rahmen eines zum Haus Bod. gehörenden Bautrupps vorwiegend als Maler tätig, und zwar ca. fünf Stunden. Seit Juni 2008 war er in einer Werkstatt für ebenfalls ca. fünf Stunden täglich eingesetzt worden. Auch die Aufgaben in der Werkstatt erfolgten unter Anleitung und Aufsicht. Am 21. August 2008 kam es zu einer Metadonintoxikation, die zur stationären Aufnahme im Städtischen Klinikum K. führte (siehe Entlassungsbericht vom 30. September 2008). Ab 8. September 2008 begann der Kläger eine zweiwöchige Arbeitstherapie bei den Ha. Werkstätten und Wohngemeinschaften K. gGmbH (kurz: HWK; siehe Bericht vom 17. November 2008) in einer Garten- und Landschaftsgruppe. Ein Antrag des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Aufnahme in eine Werkstatt für Behinderte wurde von der Beklagten abgelehnt (Bescheid vom 26. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2009). Im Rahmen eines Klageverfahrens vor dem SG (S 8 R 1356/09) bot die Beklagte im Wege eines Vergleichs an, dem Kläger eine einjährige Trainingsmaßnahme im Berufsbildungsbereich der HWK zu gewähren. Der Kläger nahm dieses Angebot an. Diese Maßnahme begann am 15. August 2011 und wurde bis 14. August 2013 verlängert (Bescheid vom 30. Juli 2012).

Am 12. Februar 2007 stellte der Kläger bei der Beklagten den streitgegenständlichen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch die Ärztin für Psychiatrie Hof. Im Gutachten vom 7. März 2007 diagnostizierte die Gutachterin einen Zustand nach Polytoxikomanie, gegenwärtig in beschützender Umgebung abstinent, bekannte Hepatitis C sowie eine anamnestisch vorbeschriebene leichte cerebrale Minderbelastbarkeit unklarer Genese, ohne derzeit erkennbare gravierende funktionelle Einschränkung. Die anamnestisch vorbeschriebenen leichten kognitiven und mnestischen Störungen sowie die Störung der Feinmotorik hätten nicht objektiviert werden können, könnten jedoch auch nicht ausgeschlossen werden. Daher sollten Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, unter Schicht-, Akkord- und Nachtarbeitsbedingungen sowie mit erhöhten Anforderungen an die feinmotorische Gebrauchsfähigkeit der Hände gemieden werden. Die erlernte berufliche Tätigkeit eines Malers und Lackierers werde derzeit unter geschützten Bedingungen vollschichtig ausgeführt. Eine solche Tätigkeit wäre auch unter den typischen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts in mehr als sechsstündigem Umfang täglich möglich und zumutbar. Die Fortführung dieser Tätigkeit wäre geradezu ein therapeutisches Hilfsmittel und der psychosozialen Integration sehr förderlich. Hierauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 13. März 2007 ab. Am 26. März 2007 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch. Nach Einholung beratungsärztlicher Stellungnahmen der Ärztin für Psychiatrie Hof. wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2007 den Widerspruch zurück.

Gegen den am 17. August 2007 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid (siehe Bl. 447 der Verwaltungsakten der Beklagten) hat der Kläger am 18. September 2007 Klage zum SG erhoben. Das SG hat von der Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, Dr. Ro. die schriftliche sachverständige Zeugenaussage vom 9. November 2007 eingeholt. Die Ärztin hat eine ängstlich-depressive Symptomatik, Vermeidungsverhalten, Selbstwertproblematik, Selbstzweifel, Antriebs- und Stimmungsschwankungen sowie ein Gefühl, rasch überfordert zu sein, beschrieben. Sie gehe davon aus, dass der Kläger sechs Stunden täglich zumindest in einer Werkstatt für Behinderte tätig sein könne. Bei einer weiteren Stabilisierung sei möglicherweise auch eine sechsstündige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich. Das SG hat zudem vom Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Pei. die sachverständigen Zeugenaussagen vom 28. Dezember 2007 und 16. Februar 2008 eingeholt, wonach nicht beurteilt werden könne, ob die Leistungsbeurteilung im Gutachten der Ärztin Hof. noch zutreffe. Das SG veranlasste noch eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung durch Dr. Ra ... Im Gutachten vom 20. Mai 2008 hat die Ärztin eine emotional labile und asthenische Störung infolge einer Abhängigkeit vom Opiattyp und vom Benzodiazepintyp diagnostiziert. Das Ausmaß einer Erkrankung werde nicht erreicht. Arbeiten ohne besondere intellektuelle Beanspruchung, ohne besonderen Zeitdruck und ohne besondere Ansprüche an komplexe feinmotorische Leistungen seien durchführbar, wenn die Arbeit zugeteilt werde, die Arbeitsschritte von Vorgesetzten eingeteilt würden und eine gelegentliche Anleitung und Überwachung gewährleistet sei. Diese Tätigkeiten könnte der Kläger acht Stunden täglich verrichten. Mit Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Hierbei hat sich das SG auf die Gutachten der Dr. Ra. und der Ärztin für Psychiatrie Hof. gestützt.

Gegen den dem Kläger am 21. Januar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 5. Februar 2009 Berufung eingelegt und in der Folge damit begründet, dass er im August 2008 einen Rückfall gehabt habe mit einer rezidivierend depressiven Störung mit mittelgradiger Episode, wobei es zu einer Metadonvergiftung gekommen sei. Das SG habe auch verkannt, dass Dr. Ra. die Arbeiten unter Anleitung für möglich erachtet habe, was nicht arbeitsmarkttypisch sei. Da auch eine Klage wegen Rehabilitation beim SG anhängig war (S 8 R 1356/09), wurde das Berufungsverfahren ruhend gestellt (Beschluss vom 7. Dezember 2009).

Im Verfahren vor dem SG (S 8 R 1356/09) hat das Gericht von den behandelnden Ärzten Dr. Mel. (Arzt für Neurologie und Psychiatrie) und Dr. Ro. sachverständige Zeugenaussagen eingeholt und vom behandelnden Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Pei. die Krankenunterlagen beigezogen. Schließlich hat das SG von der Chefärztin am Psychiatrischen Zentrum Nordbaden Dr. Ri. das psychiatrische Gutachten vom 9. März 2011 eingeholt. Die Ärztin hat eine Polytoxikomanie, weitgehend abstinent mit seltenem Konsum von Cannabis und Benzodiazepinen und Opiaten, eine ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung, eine chronische Hepatitis C sowie eine Grenzbegabung mit deutlichen Einschränkungen in der Arbeitsgeschwindigkeit diagnostiziert. Der Kläger sei aus psychiatrischer Sicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht leistungsfähig. Nicht die Art der Tätigkeiten und auch nicht die Dauer der Tätigkeiten stellten das Problem für den Kläger dar, sondern die geforderte Leistung, die fehlende Betreuung und Konfliktaufarbeitung sowie die fehlende Geduld eines normalen Arbeitgebers mit den Einschränkungen des Klägers. Um diesen, seit 17 Jahren bestehenden fatalen Kreislauf zu durchbrechen, sollte eine Rehabilitation zur Wiedereingliederung ins Erwerbsleben versucht werden. Hierauf hat die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie Hof. vom 23. Mai 2011 vorgelegt, nach der auch weiterhin keine überdauernde quantitative Leistungsminderung zweifelsfrei feststellbar sei. Bei erheblicher Gefährdung sollte eine Trainingsmaßnahme im Rahmen der HWK initiiert werden, in der der Kläger im Verlauf von maximal einem Jahr auf die Reintegration in den allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereitet werden solle. Die Beklagte hat hierauf eine einjährige Trainingsmaßnahme im Berufsbildungsbereich der HWK gewährt (siehe oben).

Die Beklagte hat das ruhende Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 24. Juli 2012 wiederangerufen und beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie gehe nunmehr davon aus, dass bei dem Kläger seit der psychiatrischen Untersuchung am 12. November 2010 bei Dr. Ri. ein unter dreistündiges Leistungsvermögen vorliege. Zu diesem Zeitpunkt lägen aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht vor. Im maßgebenden Zeitraum seien lediglich acht Monate an Pflichtbeiträgen vorhanden. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wären letztmals erfüllt, wenn der Leistungsfall spätestens am 31. Juli 2008 eingetreten wäre. Die Beklagte hat beratungsärztliche Stellungnahmen des Dr. Ne. vom 13. und 23. Juli 2012 vorgelegt, nach denen davon auszugehen sei, dass das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesunken sei. Vor der Begutachtung durch Dr. Ri. seien die Darstellungen widersprüchlich gewesen.

Der Senat hat von Hon. Prof. Dr. Rö. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Ärztlicher Direktor der S.R. Kliniken) das Gutachten vom 11. März 2013 eingeholt. Der Gutachter hat eine leichte Intelligenzminderung und ein pseudoneurasthenisches Syndrom diagnostiziert. Aus der Aktenlage lasse sich darüber hinaus eine inzwischen weitgehend abgeklungene, mittelschwere Depression ableiten. Trotz der genannten Gesundheitsstörungen sei der Kläger noch in der Lage, mittelschwere körperliche Arbeiten im Gehen, im Stehen oder im Sitzen zu verrichten, auch komme die Einnahme von Zwangshaltungen, Fließbandarbeiten oder Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe in Frage. Akkordarbeiten sollten angesichts der Gefahr einer psychischen Dekompensation bei einem beschleunigten Arbeitstempo vermieden werden. Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten seien jedoch noch zumutbar. Auch häufiges Treppensteigen komme noch in Frage. Tätigkeiten in Früh-, in Spät- oder in Nachtschicht müssten nicht ausgeschlossen werden. Eine durchschnittliche Beanspruchung des Gehörs oder des Sehvermögens sei leidensgerecht. Publikumsverkehr sei ebenfalls noch zumutbar. Eine besondere geistige Beanspruchung mit hoher oder höherer Verantwortung, wie dies z.B. beim Anleiten oder beim Beaufsichtigen mehrerer Personen bzw. beim Überwachen komplexer oder laufender Maschinen der Fall sei, könne dem Kläger angesichts der vorzeitigen Erschöpfbarkeit nicht mehr auferlegt werden. Der Kläger könne die zumutbaren Tätigkeiten noch ca. drei bis vier Stunden pro Tag verrichten. Bei komplexeren Tätigkeiten bedürfe der Kläger der ständigen Motivation und Überwachung. Die jetzt festgestellte Leistungsfähigkeit bestehe wahrscheinlich bereits mindestens seit dem Jahr 2008, also zu einem Zeitpunkt, als der Kläger Heroin konsumierte und an einer mittelschweren Depression litt. Auf dem freien Arbeitsmarkt sei der Kläger wohl seit dem Jahr 2008 nicht mehr in der Lage, seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Maler bzw. als Hilfsarbeiter vollschichtig nachzugehen.

Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2013 hat die Beklagte nunmehr die Auffassung vertreten, der Kläger sei durchgehend mindestens sechsstündig leistungsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie hat Stellungnahmen des Dr. Ne. vom 6. und 13. Mai 2013 vorgelegt und sich zudem auf die Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie Hof. vom 23. Mai 2011 bezogen. Dr. Ne. hat die Auffassung vertreten, dass aus seiner Sicht die vorgelegten Gutachten allesamt nicht nachvollziehbar seien. Aus psychiatrisch-sozialmedizinischer Sicht sei das quantitative Leistungsvermögen des Klägers zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt gewesen.

Der Senat hat hierauf eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme von Dr. Rö. eingeholt. Unter dem 7. Oktober 2014 (gemeint 2013) hat Dr. Rö. dezidiert zu den Einwendungen des Dr. Ne. Stellung genommen und ist bei seiner Auffassung verblieben. Dr. Ne. verkenne, dass sich auf dem Boden der vorbestehenden Intelligenzminderung eine vorzeitige Erschöpfbarkeit entwickelt habe. Diese Erschöpfbarkeit sei Ausdruck einer Pseudoneurasthenie im Rahmen des Konsums illegaler Drogen. Verantwortlich für die quantitative Leistungsminderung seien die kognitiven Symptome. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei das Leistungsvermögen des Klägers bereits vor dem 31. Juli 2008 quantitativ eingeschränkt gewesen.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 13. November 2013 hat der Vertreter der Beklagten die Auffassung vertreten, zwar sei der Kläger seit 12. November 2010 erwerbsgemindert, ein Anspruch auf eine Rente bestünde aber nicht (Hinweis auf den Schriftsatz vom 24. Juli 2012). Der Kläger hat anschließend vom Amt für Versorgung und Rehabilitation des Landkreises K. die Bescheide vom 4. August 2011, 8. Oktober 2012 und 9. Oktober 2013 vorgelegt, die Beklagte den Versicherungsverlauf vom 10. Februar 2014.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Januar 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Februar 2007 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung - auch bei Berufsunfähigkeit - zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten des SG und LSG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Der Kläger hat Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. Februar 2007 auf Dauer.

Gegenstand der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 13. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2007, mit dem die Beklagte den Rentenantrag des Klägers vom 12. Februar 2007 abgelehnt hat. Dieser Bescheid erweist sich als rechtswidrig.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGBVI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGBVI). Nach§ 43 Abs. 3 SGBVI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGBVI).

Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundsätzlich auf Zeit geleistet. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (Satz 5).

Der Senat ist im Ergebnis zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger seit 21. September 2005 ununterbrochen nicht in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen mindestens drei Stunden täglich auszuüben.

Der Senat stützt sich bei der Beurteilung des Restleistungsvermögens des Klägers auf eine Gesamtschau der medizinischen Unterlagen, insbesondere auf das Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. Ri. Dr. Ri. hat für den Senat überzeugend unter Berücksichtigung des beruflichen und sozialen Werdegangs des Klägers dargelegt, dass zu der Grenzbegabung mit deutlichen Einschränkungen in der Arbeitsgeschwindigkeit es u.a. durch den Drogenkonsum zur Entwicklung und Verfestigung einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung gekommen ist, die eine erhöhte Fehlerquote - insbesondere bei an die Arbeitsgeschwindigkeit gestellten Anforderungen - oder gar eine Unfähigkeit bewirkte, überhaupt noch eine Arbeitsleistung zu erbringen. Der Kläger ist hiernach erhöht ablenkbar und in der Konzentration gestört, so dass er nicht in der Lage ist, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, bei der eine Betreuung und Konfliktaufarbeitung nicht gewährleistet ist, zur Zufriedenheit eines normalen Arbeitgebers zu leisten. Da Dr. Ri. schlüssig und nachvollziehbar die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung als Folge des Konsums illegaler Drogen sieht, kommt der Senat zu der Feststellung, dass die quantitative Minderbelastbarkeit des Klägers für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts bereits am 21. September 2005 nachweislich eingetreten ist. Zu dieser Zeit hat der Kläger eine Entwöhnungstherapie auf dem Bauernhof begonnen, die wegen polyvalentem Substanzgebrauch durchgeführt worden war. Nach dem Entlassungsbericht über die Therapie auf dem Bauernhof hat der Kläger seit 1994 gelegentlich THC, seit 2002 ca. dreimal die Woche Heroin, seit 2003 seltener Medikamente, 2004 erstmals Kokain und zuletzt auch Amphetamine konsumiert. Der Entlassungsbericht beschreibt damit bereits seit dem Jahr 2002 einen regelmäßigen Heroinkonsum, sodass der Versicherungsfall der Erwerbsminderung nicht erst im Jahre 2008 eingetreten ist. Da aber belastbare medizinische Unterlagen vor dem Entlassungsbericht über die Therapie auf dem Bauernhof nicht vorliegen, ist der Eintritt der Erwerbsminderung vor dem 21. September 2005 nicht nachgewiesen. Dass der Kläger nicht mehr vollschichtig leistungsfähig ist, wird bestätigt durch das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Hon. Prof. Dr. Rö. vom 11. März 2013 samt ergänzender gutachtlicher Stellungnahme vom 7. Oktober 2013. Danach liegt beim Kläger neben einer leichten Intelligenzminderung ein pseudoneurasthenisches Syndrom vor, das dessen Leistungsvermögen quantitativ mindert. Die Überzeugung des Senats, dass der Kläger bereits seit 21. September 2005 voll erwerbsgemindert ist, wird bestätigt von dem bereits erwähnten Entlassungsbericht. Bereits dort wird eine cerebrale Minderbelastbarkeit unklarer Genese diagnostiziert und beschrieben, dass es dem Kläger Mühe bereitet habe, die Arbeitsanforderungen in den verschiedenen Arbeitsbereichen des landwirtschaftlichen Betriebes zu bewältigen. Bereits damals war auch eine reduzierte Arbeitsgeschwindigkeit beschrieben worden. Die im Entlassungsbericht noch angegebene unklare Genese hat Dr. Ri. für den Senat schlüssig und überzeugend als Grenzbegabung mit einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung beurteilt. Bestätigt wird die Leistungsbeurteilung schließlich auch durch die Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. Ro., die in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 9. November 2007 nur eine vollschichtige Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte für möglich erachtet hat.

Die Gutachten der Ärztinnen für Psychiatrie Hof. und Dr. Ra. stehen den Feststellungen des Senats nicht entgegen. Die Ärztin für Psychiatrie Hof. hat auf ihrem Fachgebiet einen Zustand nach Polytoxikonamie diagnostiziert. Dies stellt aber weder einen Befund noch eine Diagnose dar. Dies überzeugt den Senat auch deshalb nicht, da der ananmnestisch vorbeschriebenen cerebralen Minderbelastbarkeit nicht auf den Grund gegangen worden ist. Der Gutachterin kann auch insofern nicht gefolgt werden, als sie meint, trotz unterstellter Minderbelastbarkeit unklarer Genese keine gravierenden funktionellen Einschränkungen feststellen zu können. Berufskundlich nicht nachvollziehbar sind die Ausführungen, soweit die Gutachterin qualitative Einschränkungen für das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie für die feinmotorische Gebrauchsfähigkeit der Hände unterstellt und dennoch ohne weitere Begründung annimmt, der Kläger könne - entgegen der praktizierten Ausübung des Berufes unter geschützten Bedingungen - den Beruf eines Malers und Lackierers unter typischen Arbeitsmarktbedingungen vollschichtig verrichten. Wieso Dr. Ra. in ihrem Gutachten ohne psychiatrische Diagnose mit Krankheitswert zu weitgehenden qualitativen Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers gelangt, ist dem Senat ebenfalls nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus lässt die Gutachterin offen, was mit einer gelegentlichen Anleitung und Überwachung gemeint ist. Je nach Umfang der erforderlichen Anleitung und Überwachung handelt es sich nicht mehr um arbeitsmarkttypische Bedingungen, worauf der Bevollmächtigte des Klägers zutreffend hingewiesen hat. Auch die kritischen beratungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. Ne. vom 6. und 13. Mai 2013 begründen keine Zweifel an der Beurteilung des Restleistungsvermögens des Klägers durch Dr. Ri ... Nachdem sich der Beratungsarzt Dr. Ne. in seinen Stellungnahmen vom Juli 2012 noch dem Gutachten der Dr. Ri. vom 9. März 2011 angeschlossen hat, ist auch nicht erklärlich, wieso nunmehr auch dieses Gutachten nicht überzeugen soll.

Bei einem am 21. September 2005 eingetretenen Versicherungsfall sind auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Im Fünfjahreszeitraum vom 21. September 2000 bis 20. September 2005 hat der Kläger mehr als 36 Monate Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen (siehe Versicherungsverlauf vom 10. Februar 2014). Der Kläger hat auch die allgemeine Wartezeit (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGBVI) erfüllt, da der Kläger mehr als 60 Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen hat (siehe Versicherungsverlauf vom 10. Februar 2014; § 51 Abs. 1 SGB VI).

Rentenbeginn ist grundsätzlich gemäß § 99 Abs.1 Satz 2 SGB VI der Antragsmonat. Die dem Kläger zu gewährende Rente wegen voller Erwerbsminderung ist gemäß § 102 Abs. 2 Satz 5 SGBVI wegen ihrer Unabhängigkeit von der Arbeitsmarktlage auf Dauer zuzusprechen, da die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit unwahrscheinlich ist. Zwar hat Dr. Ri. - mit Bedenken - noch eine Besserungsmöglichkeit gesehen und eine Rehabilitationsmaßnahme zur Wiedereingliederung befürwortet. Diese Besserung ist aber trotz der Trainingsmaßnahme im Berufsbildungsbereich der HWK nicht eingetreten, was sich aus dem Gutachten des Hon. Prof. Dr. Rö. samt ergänzender Stellungnahme ergibt. Hiernach ist auf nicht absehbare Dauer eine Besserung nicht zu erwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung Erfolg und der Beklagte Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved