Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 3530/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 131/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt im Zugunstenwege die Neuberechnung seiner Rente wegen Erwerbsminderung ohne Minderung des Zugangsfaktors.
Mit Bescheid vom 11.11.2003 gewährte die Beklagte dem 1943 geborenen Kläger ab 01.10.2003 aufgrund eines Leistungsfalls vom 06.09.2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (Beginn der Regelaltersrente). Laut Anl. 6 des Bescheides wurde der Zugangsfaktor von 1,0 um 0,102 auf 0,898 vermindert. Der Rentenberechnung wurden dementsprechend anstelle von 42,3001 persönlichen Entgeltpunkten nur 37,9855 (42,3001 x 0,898) persönliche Entgeltpunkte zu Grunde gelegt.
Am 22.06.2006 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 (Az. B 4 RA 22/05 R) die Überprüfung seiner Rente.
Mit Bescheid vom 14.11.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 01.01.2009 Regelaltersrente.
Mit Schreiben vom 01.03.2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er berufe sich auf das Urteil des 4. Senats vom 16.05.2006. In der Folgezeit seien die Zuständigkeiten für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung zwischen den Senaten des BSG neu aufgeteilt worden und auf den 5a Senat sowie den 13. Senat übergegangen. Der 5a Senat habe bei dem 13. Senat angefragt, ob dieser in der Nachfolge des 4. Senats an dessen Entscheidung vom 16.05.2006 festhalte, weil er beabsichtige, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Der 13. Senat habe daraufhin beschlossen, an der Rechtsprechung des 4. Senats nicht festzuhalten. Mit mehreren Urteilen vom 14.08.2008 und 25.11.2008 sei der 5. Senat dann von der Rechtsprechung des 4. Senats abgewichen. Mit Beschlüssen vom 11.01.2011 (1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09) habe das Bundesverfassungsgericht entsprechende Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen und die Kürzung von Renten wegen Erwerbsminderung, deren Bezug vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginne, mit dem Grundgesetz als vereinbar erklärt. Der Bescheid vom 11.11.2003 entspreche der Sach- und Rechtslage.
Mit Bescheid vom 31.08.2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Überprüfung des Bescheides vom 11.11.2003 ergeben habe, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Rente sei in zutreffender Höhe festgestellt worden. Soweit der Kläger meine, die Beklagte sei nach § 300 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) verpflichtet, die Einzelfallentscheidung des BSG vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R) auf den hier zu entscheidenden Fall anzuwenden, übersehe er, dass sich § 300 SGB VI nach seinem Wortlaut ausdrücklich auf die Vorschriften dieses Gesetzes, also des SGB, beziehe, und nicht auf einzelne Gerichtsentscheidungen. Eine Änderung der Verfahrensweise des Rentenversicherungsträgers sei nur bei ständiger Rechtsprechung möglich, die hier nicht vorliege. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2012 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 30.10.2012 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben, mit der er die Gewährung von Rente ohne Abschlag unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 16.05.2006 weiter verfolgt hat.
Mit Urteil vom 10.12.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 11.11.2003 gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und auf Zahlung einer abschlagsfreien Rente wegen voller Erwerbsminderung. Aufgrund der überzeugenden Entscheidungen des BSG vom 14.08.2008 (B 5 R 32/07 R) und vom 26.06.2008 (B 13 R 9/08 S) stehe nunmehr fest, dass eine Absenkung des Zugangsfaktors auch bei Rentenbezug vor Vollendung des 60. Lebensjahres zu erfolgen habe. Der abweichenden Entscheidung des für Rentensachen mittlerweile nicht mehr zuständigen 4. Senats des BSG vom 16.05.2006 folge das SG aus den in den Entscheidungen des BSG vom 14.08.2008 und 26.06.2008 ausführlich dargestellten Gründen nicht. An der Verfassungsmäßigkeit der Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung nach § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI auch in Fällen des Rentenbezugs vor der Vollendung des 60. Lebensjahres könne nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2011 (1 BvR 3588/09 u.a.) kein Zweifel mehr bestehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Zugangsfaktor nicht zutreffend berechnet habe, ergäben sich im Übrigen weder aus dem Vorbringen des Klägers noch seien diese sonst ersichtlich. Eine Verpflichtung der Beklagten, das betreffende Urteil des BSG vom 16.05.2006 auf den hier zu entscheidenden Fall anzuwenden, ergebe sich auch nicht aus § 300 SGB VI, wie dies die Beklagte bereits im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt habe. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen das am 17.12.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10.01.2010 Berufung eingelegt und vorgetragen, der Fachausschuss für Versicherung und Rente habe erst am 26.09.2006 beschlossen, dem Urteil des BSG vom 16.05.2006 über den Einzelfall hinaus nicht zu folgen. Bis zum 26.09.2006 seien durchaus positive Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen ergangen; seinen Fall habe man jedoch über fünf Jahre nicht bearbeitet. Im Aufsatz von Dr. C., Kann schon nach einem Urteil des Bundessozialgerichts "ständige Rechtsprechung" im Sinne des § 100 Abs. 4 SGB VI bestehen? in NZS, Heft 10/2012, Seite 376 werde ausgeführt, dass Versicherte, die unmittelbar nach Verkündung eines BSG-Urteils einen Überprüfungsantrag stellen, mangels ständiger Rechtsprechung noch in den Genuss der rückwirkenden Rücknahme nach § 44 SGB X kommen könnten. Für ihn sei die bis zum 26.09.2006 geltende Rechtslage maßgebend und nicht das Recht, wie es am 11.01.2011 durch das Bundesverfassungsgericht entstanden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Dezember 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 11. November 2003 teilweise zurückzunehmen und ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Minderung des Zugangsfaktors zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erwidert, der Rechtsstreit betreffe die Minderung des Zugangsfaktors bei der Rente wegen Erwerbsminderung. Die Rechtslage sei diesbezüglich eindeutig geklärt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweise sie auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil.
Mit Verfügung vom 03.02.2014 hat die Berichterstatterin auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 11.11.2003 und auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Kürzung des Zugangsfaktors hat.
Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 03.02.2014 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von dem Kläger begehrte teilweise Rücknahme des Bescheides vom 11.11.2003 und die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Minderung des Zugangsfaktors – §§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB VI sowie 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und S. 2 SGB VI und § 264c SGB VI in der hier anzuwendenden Fassung – dargelegt sowie unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des BSG vom 14.08.2008 und 26.06.2008 sowie des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2011 ebenso zutreffend ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 11.11.2003 und auf Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Minderung des Zugangsfaktors hat. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren an (ebenso bereits Urteil des Senats vom 19.11.2013, L 9 R 4847/11), sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.
Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der Aufsatz von Dr. C. in NZS Heft 10/2012, Seite 371, 376 das Begehren des Klägers nicht stützt. Vielmehr ist darin ausgeführt, dass ein Urteil des BSG für die Begründung ständiger Rechtsprechung im Sinne des § 100 Abs. 4 SGB VI nicht ausreicht. Soweit im Aufsatz ausgeführt ist, dass Versicherte, die unmittelbar nach Verkündung eines BSG-Urteils einen Überprüfungsantrag stellen, mangels ständiger Rechtsprechung noch in den Genuss der rückwirkenden Rücknahme nach § 44 SGB X kommen könnten, setzt dies voraus, dass der Rentenversicherungsträger bzw. die Gerichte der Entscheidung des BSG folgen und zum Ergebnis gelangen, dass frühere Entscheidungen, hier z.B. der Bescheid vom 11.11.2003, unrichtig waren. Dies war vorliegend, wie auch in zahlreichen anderen Rechtsstreitigkeiten, nicht der Fall. Für die Frage, ob bei Erlass des Bescheides vom 11.11.2003 das Recht unrichtig angewandt worden ist, ist auf die damalige Sach- und Rechtslage, jedoch aus heutiger Sicht (nach geläuterter Rechtsauffassung) abzustellen (Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand September 2013, § 44 SGB X Rn. 38 m.w.N.). Geklärt war die Rechtsfrage jedoch nicht schon durch das Urteil des 4. Senats vom 16.05.2006, sondern erst nachdem sich der 5. und 13. Senats des BSG sowie das Bundesverfassungsgericht mit der Rechtsfrage befasst hatten.
Zu Recht hat das SG auch ausgeführt, dass sich eine Verpflichtung der Beklagten, das Urteil des SG vom 16.05.2006 auf den hier zu entscheidenden Fall anzuwenden, nicht aus § 300 SGB VI ergibt. Diese Vorschrift regelt als Grundsatznorm, ob bei Rechtsänderungen, d.h. bei Änderungen von Vorschriften des SGB VI, altes oder neues Recht anzuwenden ist, soweit durch Sonderregelungen nichts anderes bestimmt ist. Bei einem Urteil des BSG handelt es sich jedoch nicht um eine Gesetzesänderung bzw. eine Änderung des SGB VI.
Vielmehr ergeht jedes gerichtliche Urteil, auch ein solches des BSG, im Einzelfall. Denn nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten des jeweiligen Rechtsstreits und ihre Rechtsnachfolger. An einem Rechtsstreit nicht Beteiligte können mithin aus einem solchen Urteil unmittelbar keine Rechte zu ihren Gunsten ableiten. Das vom Kläger genannte Urteil des BSG vom 16.05.2006 hat nicht nur die Beklagte, sondern auch eine erhebliche Zahl von Instanzgerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht überzeugt, weil dieses Urteil weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit dem Gesetzeszweck für vereinbar gehalten wurde. Bei einer solchen Sachlage, wenn sich noch keine einheitliche und abschließende Rechtsmeinung zur Auslegung einer Vorschrift gebildet hat, darf die Beklagte ein einzelnes Urteil des BSG unbeachtet lassen und in weiteren nachfolgenden gerichtlichen Verfahren eine ständige und einheitliche Rechtsprechung aller Senate des BSG, die für Rentenangelegenheiten zuständig sind, herbeiführen (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 01.06.2010, L 22 R 1157/09, in Juris).
Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt im Zugunstenwege die Neuberechnung seiner Rente wegen Erwerbsminderung ohne Minderung des Zugangsfaktors.
Mit Bescheid vom 11.11.2003 gewährte die Beklagte dem 1943 geborenen Kläger ab 01.10.2003 aufgrund eines Leistungsfalls vom 06.09.2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (Beginn der Regelaltersrente). Laut Anl. 6 des Bescheides wurde der Zugangsfaktor von 1,0 um 0,102 auf 0,898 vermindert. Der Rentenberechnung wurden dementsprechend anstelle von 42,3001 persönlichen Entgeltpunkten nur 37,9855 (42,3001 x 0,898) persönliche Entgeltpunkte zu Grunde gelegt.
Am 22.06.2006 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 (Az. B 4 RA 22/05 R) die Überprüfung seiner Rente.
Mit Bescheid vom 14.11.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 01.01.2009 Regelaltersrente.
Mit Schreiben vom 01.03.2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er berufe sich auf das Urteil des 4. Senats vom 16.05.2006. In der Folgezeit seien die Zuständigkeiten für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung zwischen den Senaten des BSG neu aufgeteilt worden und auf den 5a Senat sowie den 13. Senat übergegangen. Der 5a Senat habe bei dem 13. Senat angefragt, ob dieser in der Nachfolge des 4. Senats an dessen Entscheidung vom 16.05.2006 festhalte, weil er beabsichtige, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Der 13. Senat habe daraufhin beschlossen, an der Rechtsprechung des 4. Senats nicht festzuhalten. Mit mehreren Urteilen vom 14.08.2008 und 25.11.2008 sei der 5. Senat dann von der Rechtsprechung des 4. Senats abgewichen. Mit Beschlüssen vom 11.01.2011 (1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09) habe das Bundesverfassungsgericht entsprechende Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen und die Kürzung von Renten wegen Erwerbsminderung, deren Bezug vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginne, mit dem Grundgesetz als vereinbar erklärt. Der Bescheid vom 11.11.2003 entspreche der Sach- und Rechtslage.
Mit Bescheid vom 31.08.2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Überprüfung des Bescheides vom 11.11.2003 ergeben habe, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Rente sei in zutreffender Höhe festgestellt worden. Soweit der Kläger meine, die Beklagte sei nach § 300 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) verpflichtet, die Einzelfallentscheidung des BSG vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R) auf den hier zu entscheidenden Fall anzuwenden, übersehe er, dass sich § 300 SGB VI nach seinem Wortlaut ausdrücklich auf die Vorschriften dieses Gesetzes, also des SGB, beziehe, und nicht auf einzelne Gerichtsentscheidungen. Eine Änderung der Verfahrensweise des Rentenversicherungsträgers sei nur bei ständiger Rechtsprechung möglich, die hier nicht vorliege. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2012 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 30.10.2012 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben, mit der er die Gewährung von Rente ohne Abschlag unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 16.05.2006 weiter verfolgt hat.
Mit Urteil vom 10.12.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 11.11.2003 gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und auf Zahlung einer abschlagsfreien Rente wegen voller Erwerbsminderung. Aufgrund der überzeugenden Entscheidungen des BSG vom 14.08.2008 (B 5 R 32/07 R) und vom 26.06.2008 (B 13 R 9/08 S) stehe nunmehr fest, dass eine Absenkung des Zugangsfaktors auch bei Rentenbezug vor Vollendung des 60. Lebensjahres zu erfolgen habe. Der abweichenden Entscheidung des für Rentensachen mittlerweile nicht mehr zuständigen 4. Senats des BSG vom 16.05.2006 folge das SG aus den in den Entscheidungen des BSG vom 14.08.2008 und 26.06.2008 ausführlich dargestellten Gründen nicht. An der Verfassungsmäßigkeit der Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung nach § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI auch in Fällen des Rentenbezugs vor der Vollendung des 60. Lebensjahres könne nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2011 (1 BvR 3588/09 u.a.) kein Zweifel mehr bestehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Zugangsfaktor nicht zutreffend berechnet habe, ergäben sich im Übrigen weder aus dem Vorbringen des Klägers noch seien diese sonst ersichtlich. Eine Verpflichtung der Beklagten, das betreffende Urteil des BSG vom 16.05.2006 auf den hier zu entscheidenden Fall anzuwenden, ergebe sich auch nicht aus § 300 SGB VI, wie dies die Beklagte bereits im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt habe. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen das am 17.12.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10.01.2010 Berufung eingelegt und vorgetragen, der Fachausschuss für Versicherung und Rente habe erst am 26.09.2006 beschlossen, dem Urteil des BSG vom 16.05.2006 über den Einzelfall hinaus nicht zu folgen. Bis zum 26.09.2006 seien durchaus positive Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen ergangen; seinen Fall habe man jedoch über fünf Jahre nicht bearbeitet. Im Aufsatz von Dr. C., Kann schon nach einem Urteil des Bundessozialgerichts "ständige Rechtsprechung" im Sinne des § 100 Abs. 4 SGB VI bestehen? in NZS, Heft 10/2012, Seite 376 werde ausgeführt, dass Versicherte, die unmittelbar nach Verkündung eines BSG-Urteils einen Überprüfungsantrag stellen, mangels ständiger Rechtsprechung noch in den Genuss der rückwirkenden Rücknahme nach § 44 SGB X kommen könnten. Für ihn sei die bis zum 26.09.2006 geltende Rechtslage maßgebend und nicht das Recht, wie es am 11.01.2011 durch das Bundesverfassungsgericht entstanden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Dezember 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 11. November 2003 teilweise zurückzunehmen und ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Minderung des Zugangsfaktors zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erwidert, der Rechtsstreit betreffe die Minderung des Zugangsfaktors bei der Rente wegen Erwerbsminderung. Die Rechtslage sei diesbezüglich eindeutig geklärt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweise sie auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil.
Mit Verfügung vom 03.02.2014 hat die Berichterstatterin auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 11.11.2003 und auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Kürzung des Zugangsfaktors hat.
Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 03.02.2014 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von dem Kläger begehrte teilweise Rücknahme des Bescheides vom 11.11.2003 und die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Minderung des Zugangsfaktors – §§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB VI sowie 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und S. 2 SGB VI und § 264c SGB VI in der hier anzuwendenden Fassung – dargelegt sowie unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des BSG vom 14.08.2008 und 26.06.2008 sowie des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2011 ebenso zutreffend ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 11.11.2003 und auf Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Minderung des Zugangsfaktors hat. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren an (ebenso bereits Urteil des Senats vom 19.11.2013, L 9 R 4847/11), sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.
Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der Aufsatz von Dr. C. in NZS Heft 10/2012, Seite 371, 376 das Begehren des Klägers nicht stützt. Vielmehr ist darin ausgeführt, dass ein Urteil des BSG für die Begründung ständiger Rechtsprechung im Sinne des § 100 Abs. 4 SGB VI nicht ausreicht. Soweit im Aufsatz ausgeführt ist, dass Versicherte, die unmittelbar nach Verkündung eines BSG-Urteils einen Überprüfungsantrag stellen, mangels ständiger Rechtsprechung noch in den Genuss der rückwirkenden Rücknahme nach § 44 SGB X kommen könnten, setzt dies voraus, dass der Rentenversicherungsträger bzw. die Gerichte der Entscheidung des BSG folgen und zum Ergebnis gelangen, dass frühere Entscheidungen, hier z.B. der Bescheid vom 11.11.2003, unrichtig waren. Dies war vorliegend, wie auch in zahlreichen anderen Rechtsstreitigkeiten, nicht der Fall. Für die Frage, ob bei Erlass des Bescheides vom 11.11.2003 das Recht unrichtig angewandt worden ist, ist auf die damalige Sach- und Rechtslage, jedoch aus heutiger Sicht (nach geläuterter Rechtsauffassung) abzustellen (Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand September 2013, § 44 SGB X Rn. 38 m.w.N.). Geklärt war die Rechtsfrage jedoch nicht schon durch das Urteil des 4. Senats vom 16.05.2006, sondern erst nachdem sich der 5. und 13. Senats des BSG sowie das Bundesverfassungsgericht mit der Rechtsfrage befasst hatten.
Zu Recht hat das SG auch ausgeführt, dass sich eine Verpflichtung der Beklagten, das Urteil des SG vom 16.05.2006 auf den hier zu entscheidenden Fall anzuwenden, nicht aus § 300 SGB VI ergibt. Diese Vorschrift regelt als Grundsatznorm, ob bei Rechtsänderungen, d.h. bei Änderungen von Vorschriften des SGB VI, altes oder neues Recht anzuwenden ist, soweit durch Sonderregelungen nichts anderes bestimmt ist. Bei einem Urteil des BSG handelt es sich jedoch nicht um eine Gesetzesänderung bzw. eine Änderung des SGB VI.
Vielmehr ergeht jedes gerichtliche Urteil, auch ein solches des BSG, im Einzelfall. Denn nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten des jeweiligen Rechtsstreits und ihre Rechtsnachfolger. An einem Rechtsstreit nicht Beteiligte können mithin aus einem solchen Urteil unmittelbar keine Rechte zu ihren Gunsten ableiten. Das vom Kläger genannte Urteil des BSG vom 16.05.2006 hat nicht nur die Beklagte, sondern auch eine erhebliche Zahl von Instanzgerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht überzeugt, weil dieses Urteil weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit dem Gesetzeszweck für vereinbar gehalten wurde. Bei einer solchen Sachlage, wenn sich noch keine einheitliche und abschließende Rechtsmeinung zur Auslegung einer Vorschrift gebildet hat, darf die Beklagte ein einzelnes Urteil des BSG unbeachtet lassen und in weiteren nachfolgenden gerichtlichen Verfahren eine ständige und einheitliche Rechtsprechung aller Senate des BSG, die für Rentenangelegenheiten zuständig sind, herbeiführen (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 01.06.2010, L 22 R 1157/09, in Juris).
Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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