L 8 SB 4114/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 2916/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4114/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 6. September 2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 21. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. August 2010 abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, Verfahrenskosten auf der Grundlage einer Geschäftsgebühr in Höhe von 150,00 EUR zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer festzusetzen. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Widerspruchsverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Beklagte erstattet der Klägerin 1/4 der außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens und 1/2 der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe die Beklagte der Klägerin Rechtsanwaltsgebühren für ein isoliertes Widerspruchsverfahren (Vorverfahren) zu erstatten hat.

Die 1964 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung. Auf ihren Antrag stellte das Versorgungsamt H. mit Bescheid vom 19.03.2002 wegen einer seelischen Krankheit den GdB mit 100 - ohne Merkzeichen - seit dem 05.12.2001 fest.

Am 16.06.2009/22.06.2009 stellte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten beim Versorgungsamt R.-N.-Kreis H. (VA) einen Änderungsantrag auf Zuerkennung der Merkzeichen "G", "Gl", "H" und "RF". Mit Schreiben vom 13.07.2014 trug die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten zur Begründung des Antrages weiter vor.

Das VA holte die Befundbeschreibungen (Dr. H. vom 30.07.2009 und Dr. H. vom 28.07.2009) ein und nahm medizinische Befundunterlagen zu den Akten. Mit Bescheid vom 14.09.2009 hob das VA den Bescheid vom 19.03.2002 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und stellte wegen einer seelischen Krankheit (Teil-GdB 100) sowie einer chronischen Bronchitis und Bronchialasthma (Teil-GdB 30) den GdB mit 100 seit dem 15.07.2009 fest. Die Merkzeichen "G", "H" und "RF" wurden nicht festgestellt. Der Bescheid wurde an Zerrin Konur als Vertreter der Klägerin übersandt.

Mit Schriftsatz vom 03.11.2009 erinnerte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das VA an die Erledigung seines Schreibens vom 13.07.2009. Das VA übersandte daraufhin dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 09.11.2009 den Bescheid vom 14.09.2009.

Hiergegen legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 07.12.2009 Widerspruch ein. Sie rügte die verspätete Übersendung des Bescheides und wandte sich gegen die Ablehnung der Merkzeichen "G", "H" und "RF". Zur Begründung wurde vorgetragen, es sei ohne weiteres erklärbar, dass eine wegen seelischer Erkrankung behinderte Frau, die außerdem Ausländerin sei, sich nicht in der Öffentlichkeit so bewegen könne, dass sie jederzeit an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, weshalb das Merkzeichen "RF" auf jeden Fall gegeben sei. Die seelische Erkrankung bedinge auch Hilflosigkeit im Sinne des Merkzeichens "H". Sie sei orientierungslos und wenn sie in der Öffentlichkeit stehen gelassen habe, finde sie nicht den Weg nach Hause oder an einen bestimmten Ort, den man ihr sage. Was das Merkzeichen "G" anbelange, sei sie der Meinung, dass dieses vergeben werden müsse. Eine Anfrage laufe noch.

Mit Schreiben vom 21.12.2009 bat das VA den Prozessbevollmächtigten der Klägerin um schriftliche Mitteilung behandelnder Ärzte oder Krankenhäuser. Hierzu äußerte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin - nach Zweiter und letzter Erinnerung - mit Schriftsatz vom 04.03.2010 unter Vorlage einer von der Klägerin ausgefüllten Entbindungserklärung. Die Kanzlei habe über den Ehemann die Entbindungserklärung erhalten. Weiter legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Rechnung über eine stationäre Krankenhausbehandlung des Universitätsklinikums H. vom 03.02.2010 mit handschriftlicher Anmerkung unter Hinweis auf Beachtung des Grundsatzes der Vertraulichkeit vor. Das VA zog von der Universitätsklinik H. die Epikrise vom 17.02.2010 zu einem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 24.12.2009 bis 19.01.2010 bei.

Mit Abhilfebescheid vom 06.05.2010 stellte das VA das Vorliegen gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche (Merkzeichen) "G", "H" und "RF" seit dem 15.07.2009 fest. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Verteidigung entstandenen notwendigen Aufwendungen im Vorverfahren würden in vollem Umfang erstattet. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten sei notwendig gewesen. Zudem stellte das VA auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 10.06.2010 mit Bescheid vom 14.06.2010 das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für das Merkzeichen "B" ab 15.07.2009 fest.

Mit Kostenrechnung vom 10.05.2010 machte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Aufwendungen des Vorverfahrens in Höhe von insgesamt 559,30 EUR (Verwaltungsverfahren 357,00 EUR; Widerspruchsverfahren 202,30 EUR davon Geschäftsgebühr 150,00 EUR) zur Erstattung geltend.

Mit Bescheid vom 21.05.2010 setzte das VA die zu erstattenden Kosten des Vorverfahrens auf 166,60 EUR fest (Geschäftsgebühr - Regelgebühr - 120 EUR, Auslagenpauschale 20 EUR, Umsatzsteuer 26,60 EUR). Eine Kostenerstattung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens sei nicht vorgesehen. Gründe für die Überschreitung der Regelgebühr nach VV Nr. 2401 RVG könnten nicht angenommen werden.

Gegen den Bescheid vom 21.05.2010 erhob die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch und übersandte die Kostenrechnung vom 26.07.2010 i.H.v. 238,00 EUR (Widerspruchsverfahren Geschäftsgebühr 180 EUR, Auslagenpauschale 20 EUR, Umsatzsteuer 38 EUR). Die Klägerin trug vor, es könne nicht von der Regelgebühr von 120,00 EUR ausgegangen werden. Es müsse für die unter sich unterschiedliche Merkzeichen jeweils eine gesonderte Betrachtung angestellt werden. Die Abrechnung für das Widerspruchsverfahren werde ergänzt und auf 200 EUR erhöht. Die weitere Aufstellung in der Kostennote vom 10.05.2010 bleibe hiervon unberührt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2010 wies das Regierungspräsidium den Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.05.2010 zurück. Eine höhere Gebühr als die "Regelgebühr" von 120,00 EUR könne nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Gründe, die eine Überschreitung der Regelgebühr rechtfertigen, seien nicht ersichtlich.

Hiergegen erhob die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 12.08.2010 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Sie machte geltend, die Regelgebühr sei auf 240,00 EUR zu erhöhen. Die Kostennote vom 10.05.2010 beruhe auf einem Irrtum. Es könne nicht hingenommen werden, dass der Beklagte lediglich eine Geschäftsgebühr von 120,00 EUR ansetze. Im Widerspruchsverfahren hätte Ermittlungen wegen ihrer seelischen Erkrankung und wegen ihrer Hilflosigkeit angestellt werden müssen. Es sei über drei Merkzeichen korrespondiert worden. Dies könne mit einem Regelfall auf keinen Fall gleichgesetzt werden. Der Schriftwechsel und die damit verbundenen Nachprüfungen seien überdurchschnittlich gewesen. Unter Berücksichtigung des Umfanges sei eine Geschäftsgebühr von 280 EUR angemessen und die angesetzte Geschäftsgebühr von 240 EUR berechtigt. Auch eine Verfahrensgebühr i.H.v.180,00 EUR entspräche noch billigem Ermessen. Es werde beantragt, die Verfahrensgebühr auf 180,00 EUR, hilfsweise 150,00 EUR, nebst Auslagen und Umsatzsteuer festzusetzen. Dem stehe § 315 BGB nicht entgegen. Die Rechtssache habe im Hinblick auf § 315 BGB grundsätzliche Bedeutung, weshalb die Zulassung der Berufung beantragt werde.

Der Beklagte trat der Klage entgegen. Der Aufwand des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Widerspruchsverfahren sei allenfalls durchschnittlich gewesen, dem mit der Regelgebühr von 120,00 EUR voll Rechnung getragen werde.

Mit Gerichtsbescheid vom 06.09.2013 wies das SG die Klage ab. Die Berufung wurde zugelassen. Das SG führte zur Begründung aus, der einschlägige Gebührenrahmen sei der nach VV Nr. 2401 RVG. Die Rahmengebühr sei gemäß § 14 RVG nach billigem Ermessen zu bestimmen und dürfe nicht unbillig sein. Die Gebührenbestimmung des Rechtsanwaltes nach § 14 Abs. 1 RVG erfolge in Ausübung eines Gestaltungsrechtes im Sinne des § 315 Abs. 2 BGB, so dass eine nachträgliche Erhöhung in Abweichung von der einmal getroffenen Bestimmung gegenüber dem zur Erstattung verpflichtet ausgeschlossen sei. Insoweit müsse sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an der in der Kostenrechnung vom 10.05.2010 erfolgt Gebührenbestimmung i.H.v.150,00 EUR zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer festhalten lassen. Eine höhere Gebühr als 150,00 EUR scheide bereits aus diesem Grunde aus. Die Gebühr von 150,00 EUR setze voraus, dass die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Widerspruchsverfahren umfangreich oder schwierig gewesen sei. Dies lasse sich auch bei großzügigster Betrachtung und unter Beachtung der Tatsache, dass es um drei Merkzeichen gegangen sei, auf keinen Fall feststellen. Die Überschreitung der Regelgebühr von 120,00 EUR erweise sich als unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG. Eine höhere Gebühr als vom Beklagten festgesetzt, sei nicht zu erstatten. Die Berufung sei im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Verbindlichkeit der Gebührenbestimmung nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit § 315 Abs. 2 BGB und § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 13.09.2013 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die von der Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 20.09.2013 eingelegte Berufung. Sie hat zur Begründung ergänzend vorgetragen, im Zusammenhang mit dem Widerspruchsverfahren/Verwaltungsverfahren sei eine Rechnung für eine stationäre Krankenhausbehandlung der Universität H. vom 03.02.2010 abgewehrt worden. Weiter sei mit Abhilfebescheid vom 06.05.2010 das Merkzeichen "B" festgestellt worden. Ihr sei vom VA eine Bescheinigung zur Vorlage bei der Behörde übersandt worden, weswegen sie Rat ihres Prozessbevollmächtigten habe einholen müssen. Diese Vorgänge zeigten, dass mehr geleistet worden sei, als bei einem durchschnittlichen Fall. Der Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung. Eine Geschäftsgebühr i.H.v.180 EUR halte sich innerhalb des eröffneten Ermessensspielraums. Die Ausführungen des Beklagten seien zu kurz gegriffen. Die Gebührensätze unterlägen der zentralen Vorschrift des § 14 RVG und damit einer Ermessensentscheidung, die nicht in grobem Maße unbillig sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 6. September 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 2 Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2010 zu verurteilen, Verfahrenskosten auf der Grundlage einer Geschäftsgebühr in Höhe von 180,00 EUR, hilfsweise i.H.v.150,00 EUR, zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer festzusetzen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte hat ausgeführt, die von der Klägerin vorgetragenen Gründe beträfen nicht das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 14.09.2009 und erhöhten die Geschäftsgebühr nicht. Der angefochtene Gerichtsbescheid sei nicht zu beanstanden. Die im Berufungsverfahren beantragte Geschäftsgebühr i.H.v.180 EUR sei als unbillig anzusehen. Eine Geschäftsgebühr i.H.v.120 EUR werde für angemessen erachtet. Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Verbindlichkeit der Gebührenbestimmung nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit § 315 Abs. 2 BGB sei die Revision zuzulassen.

Mit richterlicher Verfügung vom 20.01.2014 ist den Beteiligten vom Berichterstatter der Abschluss eines Vergleiches dahingehend vorgeschlagen worden, dass der Beklagte der Klägerin Kosten des Widerspruchsverfahrens auf der Grundlage einer Geschäftsgebühr i.H.v.150,00 EUR erstattet. Diesem Vorschlag hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zugestimmt (Schriftsatz vom 24.01.2014). Der Beklagte hat kein Einverständnis erklärt (Schriftsätze vom 11.02.2014 und 26.03.2014). Er hat ergänzend ausgeführt, ein erhöhter Aufwand für das Verfahren oder eine erhöhte Schwierigkeit ergäbe sich nicht. Die rudimentäre Bearbeitung der Widersprüche und Schriftsätze durch die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wichen nicht nur in diesem Fall von einer ordentlichen und gewissenhaften Bearbeitung in nicht akzeptabler Weise ab, so dass eine höhere Gebühr als die Regelgebühr nicht in Betracht komme. Die oftmals nur mit unwesentlichen Anmerkungen versehenen Schriftsätze "eines Organs der Rechtspflege" seien schlicht eine Zumutung, worauf das SG zutreffend hingewiesen habe. Dabei sei bereits berücksichtigt, dass das Widerspruchsverfahren drei Nachteilsausgleiche umfasst habe. Eine höhere Gebühr als die Regelgebühr könne nur gefordert werden, wenn das Verfahren umfangreich oder schwierig gewesen sei. Dies spiegle sich im vorliegenden Widerspruchsverfahren nicht wieder. Eine generelle Erhöhung der Gebühren im Rahmen des einem Anwalt zugebilligten Ermessensspielraums bei der Bestimmung der Gebührenhöhe sei nicht erlaubt.

Der Rechtsstreit ist durch den Berichterstatter in nichtöffentlicher Sitzung am 04.04.2014 erörtert worden. Im Termin hat der Vertreter des Beklagten weiter vorgetragen und an der vom Beklagten geäußerten Ansicht festgehalten. Auf die Niederschrift vom 04.04.2014 wird Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat die Berufungsanträge der Beteiligten nach ihrem erkennbaren Begehren sinngemäß gefasst.

Die frist- und formgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft. Zwar ist die Berufungssumme des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht erreicht. Die Berufung ist jedoch vom SG im angefochtenen Gerichtsbescheid ausdrücklich zugelassen worden ist. Hieran ist der Senat gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG). Dabei bedarf es keiner Erörterung, ob das SG die Berufung zu Recht zugelassen hat. Denn eine Bindung besteht auch dann, wenn ein Zulassungsgrund offensichtlich nicht gegeben ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 144 Rn. 43a m.w.N; Schreiber in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage § 144 Rn. 50 m.w.N.). Die Berufung ist auch nicht nach § 144 Abs. 4 SGG ausgeschlossen.

Die Berufung der Klägerin ist im Sinne des Hilfsantrages begründet, im Übrigen jedoch unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf die Festsetzung (und Erstattung) von Verfahrenskosten auf der Grundlage einer Geschäftsgebühr in Höhe von 150,00 EUR (zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer) im Anschluss an den Abhilfebescheid vom 6. Mai 2010. Insoweit war der angefochtene Gerichtsbescheid abzuändern. Ein Anspruch auf die Erstattung weiterer Kosten besteht dagegen nicht, weshalb die Berufung der Klägerin insoweit zurückzuweisen war.

Anspruchsgrundlage für die Erstattung ist § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, nur soweit der Widerspruch erfolgreich ist, demjenigen, der den Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest (§ 63 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Der Umfang der notwendigen Aufwendungen für den Prozessbevollmächtigten des Klägers richtet sich nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vom 5. Mai 2004 (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG -, BGBl I, S. 718) i.V.m. dem "Vergütungsverzeichnis" (VV), da der Auftrag zur Vertretung der Klägerin nach dem 30. Juni 2004 (vgl. § 61 RVG) erteilt worden war.

In sozialgerichtlichen Verfahren, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, entstehen nach § 3 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 RVG auch außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens Betragsrahmengebühren. Das ist vorliegend der Fall, weil die Klägerin als behinderter Mensch zu den in § 183 Satz 1 SGG genannten Personen gehört und für diese das GKG keine Anwendung findet (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG).

Die Bestimmung der als Betragsrahmengebühr ausgestalteten Geschäftsgebühr erfolgt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG und den im VV enthaltenen Einschränkungen und Vorgaben. Danach hat der Rechtsanwalt die Rahmengebühr zwar unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen.

Die Höhe der Vergütung bestimmt sich gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG nach dem VV der Anlage 1 zum RVG (hier in der bis zum 31.12.2013 geltenden Fassung). Laut Teil 2 Abschnitt 4 (Vertretung in bestimmten - sozialrechtlichen - Angelegenheiten) Nr. 2401 VV-RVG (in der ab 01.07.2006 geltenden Fassung - aufgehoben ab 01.01.2014 n.d.F. vom 10.10.2013) beträgt die Gebühr, wenn eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorausgegangen war, wie dies beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin zutrifft, für das weitere, der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienende Verwaltungsverfahren 40,00 bis 260,00 EUR (reduzierten Geschäftsgebühr; vgl. BSG, Urteil vom 25.02.2010 - B 11 AL 24/08 R -, juris). Das VV bestimmt in Zusätzen zu Nr. 2401 VV-RVG, dass bei der Bemessung der Gebühr nicht zu berücksichtigen ist, dass der Umfang der Tätigkeit infolge der Tätigkeit im Verwaltungsverfahren geringer ist (Ziffer 1), und dass eine Gebühr von mehr als 120,00 EUR (Schwellengebühr) nur dann gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (Ziffer 2).

Hiervon ausgehend erachtet der Senat unter Einbeziehung des dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG eröffneten (billigem) Ermessens die Festsetzung (und Erstattung) von Verfahrenskosten auf der Grundlage einer Geschäftsgebühr in Höhe von 150,00 EUR (zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer) im Anschluss an den Abhilfebescheid vom 06.05.2010 für gerechtfertigt.

Allerdings folgt der Senat dem Beklagten sowie dem SG darin, dass die im Widerspruchsverfahren erbrachte erkennbare Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht umfangreich war und als solche keine Geschäftsgebühr i.H.v.150,00 EUR rechtfertigt. Dies hat das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid insoweit zutreffend begründet. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zu derselben Ansicht. Er macht sich die hierzu gemachten Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zur Vermeidung von Wiederholungen zu Eigen, auf die er zur Begründung seiner eigenen Entscheidung Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Berufungsverfahren rechtfertigt hierzu keine andere Entscheidung. Dass eine Rechnung für eine stationäre Krankenhausbehandlung der Universität H. vom 03.02.2010 abgewehrt worden ist, der Bescheid vom 06.05.2010 ergangen sowie die übersandte Bescheinigung zur Vorlage bei der Behörde, Rat des Prozessbevollmächtigten der Klägerin erfordert hat, stellen keine Tätigkeiten im Widerspruchsverfahren zu Abhilfebescheid vom 06.05.2007 dar, weshalb sie für die Bemessung der Geschäftsgebühr ohne Belang sind, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat. Auch sonst zeigt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht auf, dass er im Widerspruchsverfahren zum Abhilfebescheid vom 06.05.2007 als umfangreich zu bewertende Tätigkeiten vorgenommen hat.

Entgegen der Ansicht des SG und des Beklagten liegt jedoch eine Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Widerspruchsverfahren vor, die schwierig war und die unter Berücksichtigung des eröffneten billigen Ermessens die Anhebung der vom Beklagten zuerkannt Geschäftsgebühr von 120,00 EUR (Schwellengebühr) auf 150,00 EUR (Mittelgebühr) der Nr. 2401 VV-RVG rechtfertigt. Nach dem Wortlaut der Nr. 2401 VV-RVG genügt dabei, dass die Tätigkeit schwierig war. Eine weitere Modifikation wird nicht gefordert. Deshalb genügt, wenn die Tätigkeit nicht einfach und auch nicht auf der Grenze zwischen einfach und schwierig ("überdurchschnittlich") war, sondern diese Grenze - wenn auch nur geringfügig - übersteigt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.05.2009 - L 1 AL 55/08 -, juris). Diese Grenze ist im Fall der Klägerin überschritten.

Die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin war im Widerspruchsverfahren in einer Angelegenheit auf drei Gegenstände, Merkzeichen "G", "RF" und "H" gerichtet, die Kenntnisse in unterschiedlichen und zum Teil komplexen rechtlichen Regelungen und Rechtsgrundsätze voraussetzen, die es entgegen der nicht näher begründeten Ansicht des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid rechtfertigt, jedenfalls im vorliegenden Fall bei der vorliegenden Konstellation von einer schwierigen Tätigkeiten im Sinne der Nr. 2401 VV-RVG auszugehen. Den hiergegen, insbesondere auch im Termin am 04.04.2014 vom Beklagtenvertreter vorgetragenen Einwendungen vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Soweit er vorgetragen hat, aus den Akten ergebe sich nicht, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Widerspruchsverfahren tiefergehende rechtliche Erwägungen angestellt hat, ändert dies nichts daran, dass die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Widerspruchsverfahren Kenntnisse in unterschiedlichen und zum Teil komplexen rechtlichen Regelungen und Rechtsgrundsätze erfordert, um das Anliegen der Klägerin auf Zuerkennung der Merkzeichen ordnungsgemäß bearbeiten zu können. Damit hebt sich der vorliegende Fall der Klägerin von dem von der Beklagten und vom SG angenommen "Normalfall" ab und ist im Rahmen der Vergütungshöhe innerhalb des Gebührenrahmens unter Einbeziehung billigen Ermessens Gebühren erhöhend zu berücksichtigen. Das Vorbringen des Beklagten unterstellt dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin (im Ergebnis) eine nicht ordnungsgemäße Tätigkeit, für die es vorliegend kein Anhalt gibt. Soweit der Vertreter des Beklagten im Termin am 04.04.2014 die Befürchtung geäußert hat, dass bei allen durch willkürlich geltend gemachte Merkzeichen die Vergütung zu erhöhen sei, hält der Senat diese Befürchtung für nicht berechtigt. Abgesehen davon, dass ein solches Verhalten mit einer ordnungsgemäßen anwaltschaftliche Tätigkeit nicht vereinbar sein dürfte, dürften willkürlich geltend gemachten Merkzeichen keine Erfolgsaussichten beizumessen sein. Selbst bei teilweisem Erfolg im Widerspruchsverfahren würde sich das vom Beklagten befürchtete Verhalten im Rahmen der vorzunehmenden Quotelung zu Lasten der Antragsteller (und damit zu Gunsten des Beklagten) auswirken. Zudem ließe sich die vorliegende Entscheidung auf solche Sachverhalte nicht übertragen. Im Übrigen dürfte die Haltung des Beklagten eher der Überlegung Vorschub leisten, in getrennten Angelegenheiten durch zeitlich nacheinander gestellte Anträge und Widerspruchsverfahren (hier) die Geschäftsgebühr zu verdreifachen.

Zu einer Kostenerstattung auf der Grundlage einer Geschäftsgebühr von über 150,00 EUR ist der Beklagte jedoch nicht verpflichtet. Eine weitere Anhebung der Geschäftsgebühr von 150,00 EUR auf 180,00 EUR im Rahmen billigen Ermessens ist nicht gerechtfertigt, nachdem die Erhöhung der Geschäftsgebühr auf 150,00 EUR bereits Ermessen berücksichtigt hat. Der Hauptantrag erweist sich deshalb als unbegründet. Auf die Erwägungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zu § 315 Abs. 2 BGB kommt es damit entscheidungserheblich nicht an.

Für eine weitergehende Erstattungspflicht des Beklagten ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Nach den Regelungen des § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X sind durch den Beklagten lediglich die Kosten des Vorverfahrens nach den §§ 78 ff SGG zu erstatten (BSG, Urteil vom 12.12.1990 - 9a/9 RVs 13/89 in SozR 3-1300 § 63 Nr. 1). Eine Kostenerstattung für das dem Vorverfahren vorausgehenden Verwaltungsverfahren kommt nur dann in Betracht wenn und soweit spezielle Regelungen dies vorsehen. Dies gilt selbst dann, wenn einem Antrag des Betroffenen ganz oder teilweise entsprochen wird (BSGE 55, 92, 93). Eine derartige spezielle Regelung, wonach Kosten des Verwaltungsverfahrens zu erstatten wären, liegt hier nicht vor. Eine Erstattung der im Verwaltungsverfahren angefallenen Gebühr (nach Nr. 2400 VV-RVG) ist daher nicht möglich, und wird im Übrigen von der Klägerin auch nicht mehr geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass im Widerspruchsverfahren die Kostennoten vom 26.07.2010 und ergänzend vom 10.05.2010 streitig waren, mithin ein Gebührenbetrag vom 460 EUR abzüglich 120 EUR (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 26.07.2010). Danach beträgt die Quotelung im Vergleich zum Obsiegen (30 EUR) unter 1/10 zugunsten der Klägerin. Hinsichtlich der im Klageverfahren geltend gemachten Kosten (Klageschrift vom 09.08.2010 240 EUR abzüglich 120 EUR) beträgt die Quotelung 1/4 und im Berufungsverfahren 1/2.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Ob der Ansicht des SG und den Beteiligten zuzustimmen ist, dass der Auslegung und Rechtsanwendung des § 315 Abs. 2 BGB grundsätzliche Bedeutung beizumessen sei, kann offen bleiben. Denn selbst wenn hinsichtlich des § 315 Abs. 2 BGB von einer grundsätzlich klärungsbedürftigen Rechtsfrage ausgegangen würde, besteht kein Anlass zur Zulassung der Revision. Zuzulassen ist die Revision nur, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage auch entscheidungserheblich ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 144 Rn. 28 in Verbindung mit § 160 Rn. 9). Dies ist nach dem oben Ausgeführten nicht der Fall. Auch die Entscheidung des Senats wirft keine grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage auf und betrifft zudem ausgelaufenes Recht, da u.a. Nr. 2401 VV-RVG mit Wirkung vom 01.01.2014 gestrichen wurde.
Rechtskraft
Aus
Saved